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Kapitel 2

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Marie und Jean Le Goff verließen nach dem Anlegemanöver das Schiff Fromveur II und gingen zu den Navettes. Marie nahm noch wahr, wie der Kriminalkommissar und seine Frau in eine andere Navette einstiegen. Marie nannte dem Fahrer den Namen des Hotels, La Duchesse Anne im Ortsteil Lampaul, und stieg mit Jean ein. Auf so einer kleinen Insel dauern die Taxifahrten nicht lange. Schon nach wenigen Minuten hielt die Navette vor der Unterkunft, in der sie sich in den nächsten Tagen aufhalten würden. Sie stiegen aus und betraten das Hotel.

Während Jean voranging, sah Marie sich auf der Straße vorsichtig um. Ihr Blick ging von rechts nach links, so als suchte sie etwas ganz Bestimmtes, das sie aber nicht erblicken konnte. Nach erneutem Umsehen betrat Marie das Hotel. Jean stand bereits an der Rezeption und füllte den Meldebogen aus. Die Frau an der Rezeption lächelte ihr freundlich zu.

„Zimmer drei haben wir für Sie reserviert“, sagte die Dame und reichte Jean den Zimmerschlüssel. Chipkarten hatten hier noch keinen Einzug gehalten. Jean und Marie gingen über die Treppe in den ersten Stock. Ihr Zimmer lag nach hinten hinaus, in südwestlicher Richtung. Die Abendsonne würde in ihr Zimmer scheinen.

„Was hast du jetzt vor, Marie?“, fragte Jean, nachdem er die Reisetasche abgelegt und die Tür hinter Marie sorgfältig verschlossen hatte.

„Ich habe mir noch keinen Plan zurechtgelegt, Jean. Ich weiß nur, dass ich mich hier auf der Insel sicherer fühle als in Melgven. Hier gibt es zahlreiche Möglichkeiten, mich zu verstecken. Ich kenne mich gut aus und kenne viele Menschen, denen ich vertrauen kann.“

„Aber du weißt doch überhaupt nicht, vor wem du dich verstecken musst. Wir wissen doch nur, dass dir jemand nach dem Leben trachtet. Woher willst du wissen, wem du vertrauen kannst?“

„Ich glaube einfach, dass mir die Menschen, die ich seit meiner frühesten Kindheit kenne, nichts antun wollen, und diese Menschen leben hier auf der Insel.“

„Wir müssen versuchen herauszufinden, wer hinter diesen Anschlägen steckt. Wir müssen wissen warum jemand deinen Tod will. Welche Gründe gibt es dafür?“

„Aber Jean, woher soll ich das wissen? Ich habe doch niemandem etwas getan. Was soll es denn für Gründe geben?“

„Nun, vielleicht hast du jemanden bloßgestellt, beleidigt, einem Schüler schlechte Noten erteilt. Es gibt tausend Gründe, warum Menschen durchdrehen und auf Rache sinnen.“

„Ach Jean, ich bin erst seit zwei Jahren als Lehrerin tätig. Jedes Kind meiner Klasse hat das Klassenziel bisher erreicht. Ich habe mehrfach mit allen Eltern gesprochen, und niemand hat sich mir gegenüber negativ geäußert. Ich habe auch niemandem etwas Böses gesagt oder eine Beleidigung ausgesprochen. Das kann alles nicht die Ursache sein. Ich weiß es einfach nicht!“

„Hmmm, vielleicht hast du etwas geerbt, und jemand möchte dir die Erbschaft streitig machen?“

„Ich habe keine reichen Verwandten. Wer soll mir etwas vererben, so dass es sich lohnen würde, einen Menschen zu töten? Meine Eltern sind schon lange tot.“

„War ja auch nur ein Gedanke.“

Jean setzte sich neben Marie auf das Bett. Zärtlich legte er seinen Arm um ihre Schulter und zog sie sanft an sich. Was Marie jetzt brauchte, das war Ruhe, das Gefühl von Geborgenheit und Abstand zu den Ereignissen der vergangenen Wochen.

Alles hatte mit einem Anruf angefangen, den Marie entgegengenommen hatte. Der Anrufer sagte, dass sie sich in Acht nehmen sollte, er sei ihr auf den Fersen und würde sie schon kriegen. Marie hatte verwirrt aufgelegt und den Anruf als einen schlechten Scherz angesehen. Zwei Tage später, Marie war auf dem Weg von der Schule zurück zur Wohnung, kam ein Auto auf sie zugerast, und es hatte den Anschein, als sollte sie überfahren werden. Marie konnte sich nur durch den Sprung in eine Hecke retten. Das Kennzeichen des Fahrzeugs hatte sie sich in der Aufregung nicht gemerkt. Als Jean am Abend nach Hause kam, erzählte sie ihm von dem Vorfall. Jean rief die Gendarmerie in Trégunc an und berichtete dem Gendarmen von dem Geschehen.

„Wahrscheinlich hat jemand die Kontrolle über seinen Wagen verloren. Ich würde der Sache keine große Bedeutung beimessen. Da Sie die Zulassungsnummer des Autos nicht kennen, können wir sowieso nichts unternehmen.“

Das war der Kommentar des Gendarmen gewesen.

Wieder einige Tage später, Marie und Jean waren zu einem kleinen Spaziergang an die Pointe de Trévignon gefahren, fielen aus einem alten Bunker Schüsse, die nur knapp neben ihnen einschlugen. Jean hatte Marie instinktiv auf den Boden geworfen und sich schützend auf sie gelegt. Der Strandhafer verhinderte, dass er ein freies Blickfeld auf den Bunker hatte.

„Bleib hier ruhig liegen“, sagte er zu Marie und versuchte, näher an den Bunker heranzurobben.

Nach einigen Metern sah er einen Mann, mit einem Motorradhelm auf dem Kopf, aus dem Bunker kommen und in die Richtung des kleinen Parkplatzes beim Maison du Littoral rennen. Jean versuchte, sich die Gestalt einzuprägen. Er erkannte ein Wappen auf dem Helm, dass er glaubte, schon einmal gesehen zu haben. Der Mann trug ein schwarzes Hemd und eine schwarze Hose, und auf dem Rücken seines Hemdes stand in großen Buchstaben das Wort Biene. Darüber stand ein weiterer Schriftzug, den er aber nicht lesen konnte. Der Schütze rannte am Maison du Littoral vorbei, und wenige Sekunden später vernahm Jean die typischen Geräusche eines startenden Motorrades. Jean ging zu Marie zurück, die in der Zwischenzeit aufgestanden war und Jean entgegenkam.

„Was wollte der Mann?“ Marie sah Jean fragend an.

„Mann oder Frau, das habe ich nicht so genau erkennen können, die Person hat einen Motorradhelm getragen. Aber es scheint eindeutig, dass der oder die, dich oder vielleicht sogar uns, erschießen wollte. Nur gut, dass er oder sie ein schlechter Schütze ist. Lass uns sofort zur Polizei gehen. Das ist bereits der zweite Versuch, dir nach dem Leben zu trachten.“

An den geplanten Spaziergang war nicht mehr zu denken. Marie und Jean gingen zurück zu ihrem Auto, das sie ebenfalls auf dem Parkplatz neben dem Maison du Littoral geparkt hatten. Jean versuchte, sich zu erinnern, ob das Motorrad schon hier gestanden hatte, als sie vorhin angekommen waren. Aber er konnte sich nicht erinnern. Woher hatte die Person gewusst, wohin sie zu ihrem Spaziergang fahren würden, und ob sie dann rechts oder links den Strand entlanggehen würden. Es schien offensichtlich, dass er oder sie ihnen aufgelauert hatte. War es vielleicht ein Verrückter, der wahllos geschossen hatte? Jean konnte die Fragen nicht beantworten, achtete aber jetzt sehr genau darauf, wer sich hinter ihnen aufhielt. Nach wenigen Minuten hatten sie die Gendarmerie in Trégunc erreicht.

„Was kann ich für Sie tun?“, fragte der Gendarm.

„Wir sind gerade beschossen worden!“, antwortete Jean und fuhr fort.

„Wir wollten entlang der Dünen, an der Pointe de Trévignon, spazieren gehen, als aus dem alten Bunker, hinter dem Maison du Littoral, auf uns geschossen wurde. Wir hatten Glück, dass der Schütze uns nicht traf.“

„Moment Monsieur, bitte langsam. Sie heißen?“

„Ich heiße, Jean Le Goff, und das ist meine Frau, Marie.“

Der Beamte notierte sich die Namen auf einem Vordruck mit dem Schriftzug Plainte, Anzeige.

„Sie wohnen wo?“

„Wir wohnen in Melgven, in der Route de Cadol.“

Der Gendarm notierte sich die Angaben und blickte dann von seinem Vordruck auf.

„So, jetzt schildern Sie mir nochmal den genauen Hergang.“

Jean erzählte, dass sie zu einem Spaziergang an die Pointe de Trévignon gefahren waren. Er schilderte den Moment, als auf sie geschossen wurde und wie er danach versucht hatte, sich an den Bunker heranzurobben. Er berichtete von der Flucht des Schützen und gab auch eine detaillierte Beschreibung seiner Kleidung ab. Auch den Schriftzug auf dem Rücken des Hemdes erwähnte er.

„Können Sie mir das Wappen auf dem Helm beschreiben?“

„Ja, ich bin mir sogar sicher, dass ich es kenne. Aber es fällt mir nicht ein, wo ich es schon einmal gesehen habe. Das Wappen hat oben einen blauen Balken, darunter sind die bretonischen Hermelinschwänze zu sehen gewesen.“

„Hmmm, das hört sich an, als ob Sie das Wappen der Stadt Rosporden beschreiben.“

„Ja, das ist es, das Wappen von Rosporden. Jetzt fällt es mir wieder ein. Das Wappen habe ich schon oft gesehen.“

„So, ich habe erst einmal alles aufgenommen. Wir sehen uns die Stelle genau an und entscheiden danach, wie wir weiter vorgehen werden. Gehen Sie nach Hause und halten sich möglichst im Haus auf. Sollten wir Spuren finden, geben wir den Vorfall an die police judiciaire weiter.“

„Warum geben Sie die Informationen nicht sofort weiter? Es handelt sich schließlich um einen Mordanschlag. Auf Marie hat man es schon einmal abgesehen. Vor einigen Tagen hat ein Autofahrer versucht sie zu überfahren. Ich habe ihren Kollegen informiert. Damals hat man uns gesagt, eine weitere Verfolgung des Vorgangs sei nicht möglich, weil Marie keinerlei Angaben über die Zulassungsnummer machen konnte. Jetzt sagen Sie uns, dass Sie erst noch nach Spuren suchen müssen, um aktiv werden zu können. Finden Sie nicht, dass es reicht, wenn zweimal versucht wird einen Menschen zu töten?“

„Monsieur, wir nehmen die Anzeige durchaus ernst. Deshalb werden wir uns auch jetzt die Stelle ansehen, die Sie uns beschrieben haben. Wir wissen genau, wie wir vorzugehen haben.“

Der Beamte wendete sich von Jean ab und ging zum Telefon. Er wählte die Nummer seines Kollegen und schilderte ihm den Vorfall.

„Wir fahren sofort an die Pointe de Trévignon, wir informieren Sie, sobald wir Weiteres wissen.“

Damit komplementierte er Marie und Jean aus der Gendarmerie hinaus und verließ mit seinem Kollegen das Gebäude. Marie und Jean sahen dem Polizeifahrzeug nach und fuhren dann die wenigen Kilometer nach Melgven.

Es waren etliche Tage vergangen, ohne dass Marie und Jean etwas von der Gendarmerie gehört hatten. Jean entschloss sich daraufhin, dort anzurufen und nach neuen Informationen zu fragen.

Der Beamte, der den Anruf entgegennahm, war derselbe Mann, der auch die Anzeige entgegengenommen hatte. Er teilte Jean mit, dass in dem Bunker keinerlei Patronenhülsen gefunden worden waren und sie auch keine Spuren rund um den Bunker entdeckt hatten. Schließlich wurde der Bunker täglich von vielen Passanten betreten, und so war eine deutliche Spurensicherung leider nicht möglich gewesen. Der Fall würde erst einmal zu den Akten gelegt. Sollte sich noch einmal etwas Derartiges ereignen, dann sollten sie sich wieder melden. Jean war empört über die Nonchalance und knallte den Hörer auf den Apparat.

„Die werden wohl erst aktiv wenn es Tote gibt! Das ist doch nicht zu glauben!“

„Vielleicht war es auch nur ein böser Scherz, Jean. In den letzten Tagen war alles völlig normal.“

Jean wusste nur zu genau, dass Marie ihn eher beruhigen wollte, als dass sie an eine Normalität glaubte. Seit Tagen war Marie schreckhaft und zuckte bei den kleinsten Geräuschen zusammen. Er wusste nicht, wie er ihr helfen konnte. Die Polizei schien der Sache keine große Bedeutung beizumessen.

Als dann nach einigen Tagen der Drohbrief eintraf, war für Jean klar, dass er eine Entscheidung treffen musste. Der Umschlag enthielt einen Zettel, auf den der Absender drei Worte aufgeklebt hatte: DU BIST TOT! Die Buchstaben waren aus einer Zeitung ausgeschnitten worden.

Jean würde zwar selber eine Entscheidung über ihr weiteres Vorgehen treffen, aber er würde der Gendarmerie diesen Brief nicht vorenthalten. Er entschloss sich, den Umschlag den Beamten der Gendarmerie zu übergeben und mit Marie eine Zeit lang Melgven zu verlassen. Die Herbstferien hatten soeben begonnen, und so war es für Marie kein Problem, Melgven für zwei Wochen zu verlassen.

Der Besuch bei der Gendarmerie gestaltete sich diesmal etwas erfolgreicher. Der Beamte schien die Drohung jetzt ernst zu nehmen und sagte zu, den gesamten Vorfall an die police judiciaire in Quimper zu schicken. Die Kollegen aus Quimper würden sich dann sofort mit ihm in Verbindung setzten. Mit dieser Information verließ Jean die Gendarmerie und fuhr zurück zu Marie.

„Wir werden morgen Melgven verlassen! Wohin möchtest du reisen?“, fragte er Marie.

„Jean, für mich gibt es nur einen Ort an dem ich mich sicher fühle, das ist die Île d´Ouessant. Dort bin ich geboren worden und aufgewachsen, dort kenne ich die Menschen und weiß, wem ich vertrauen kann.“

„Einverstanden, wir fahren morgen früh. Ich buche uns sofort ein Zimmer.“

Jean ging an seinen Computer und suchte nach einem passenden Hotel.

Die Schwarze Biene

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