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Kapitel 7

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Ewen war ein Genussmensch und war sehr zufrieden, dass sie durch die Küche bisher verwöhnt worden waren. Heute wählte er eine Terrine de Chevreau au Lambig und danach ein Entrecôte grillé. Carla bestellte ein Bouquet de crevettes roses und das Filet de bar, das Ewen am ersten Abend gegessen hatte. Es war vorzüglich! Nach dem Dessert gingen sie noch rasch aufs Zimmer, holten ihre Jacken und machten sich auf den Weg zur genannten Stelle.

Bis zum Ortseingang von Toulallan war es nicht sehr weit. An der Kirche von Lampaul mussten sie rechts abbiegen, kamen an dem einzigen Bäcker der Insel vorbei, sahen das Geschäftslokal eines Frisörs und passierten einen der wenigen Sandstrände der Insel. Ewen und Carla näherten sich dem Treffpunkt. Noch konnten sie niemanden an der Straßengabelung sehen. Ewen warf einen Blick auf seine Uhr. Es waren fünf Minuten vor 22 Uhr. Die Straße war unbeleuchtet, und sie konnten nur wenige Meter weit sehen. Dann meinte Ewen, eine Gestalt erkennen zu können, die jetzt auf sie zukam. Wenige Sekunden später blickten sie in das Gesicht von Marie Le Goff.

„Bonsoir Carla, bonsoir Monsieur Kerber, bitte verzeihen Sie, dass ich mich nicht schon in der Nachricht zu erkennen gegeben habe. Aber meine Angst ist zu groß gewesen, dass die Nachricht in falsche Hände geraten könnte.“

„Bonsoir Marie!“, erwiderten Carla und Ewen den Gruß.

„Vor wem oder was haben Sie Angst?“

Ewen sah Marie an und merkte, dass sie leicht zitterte.

„Ich möchte Ihnen gerne alles erklären, aber es wird etwas länger dauern.“

„Können wir nicht an einen gemütlicheren Ort gehen? Wir könnten in unser Hotel oder in eine Bar gehen und etwas trinken. Dabei erzählen Sie uns dann alles.“

„Nein, ich möchte nicht gesehen werden. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, gehen wir bis zum Haus meines Onkels, dort fühle ich mich sicher.“

„Natürlich können wir dorthin gehen“, sagte Carla und sah Marie liebevoll an. Ewen nickte und folgte den beiden Frauen, die jetzt nebeneinander die Straße hinuntergingen.

Er fühlte regelrecht, dass Marie bei dem geringsten Geräusch zusammenzuckte und sich ängstlich umsah, bevor sie weiterging. Ihre Angst beherrschte sie. Nach etwa zwanzig Minuten hatten sie das Haus der Eheleute Berthelé erreicht, vor dem Ewen und Carla gestern Nachmittag schon einmal gestanden hatten. Marie sah sich erneut um. Dann trat sie ins Haus und bat Ewen und Carla, ihr zu folgen.

Das Haus, ein altes, aus Granit erbautes Gemäuer, das bestimmt schon mehr als 200 Jahre Wind und Wetter widerstanden hatte, hüllte sie mit seiner Geborgenheit sofort ein und gab ihnen den Eindruck, von einer schützenden Festung umgeben zu sein. My home is my castle, das traf hierfür wohl zu. Eine ca. 1,50 Meter hohe Mauer umgab das Gebäude und den dahinter liegenden Stall. Die Länge des Hauses schätzte Ewen auf zwölf Meter und seine Breite auf sechs.

Ewen und Carla traten in den geräumigen Wohnraum, gleich hinter der Tür, typisch für eine bretonische Longère. Ein großer offener Kamin auf der rechten Seite erwärmte den Raum. Die Flammen umzüngelten lodernd ein Holzstück. Ein angenehmer Duft verbreitete sich in dem Raum. Vor dem Kamin stand der Mann, der ihre Fragen nach Marie am Tag zuvor kategorisch verneint hatte. Monsieur Pierre Berthelé kam auf sie zu und reichte Carla und Ewen seine Hand.

„Willkommen in unserem Haus!“, sagte er begrüßend und entschuldigte sich für seine gestrige abweisende Haltung.

„Ich habe Marie schützen wollen, ich hoffe, dass Sie mich verstehen.“

Aus der Küche links neben der Eingangstür trat eine ältere Frau heraus.

„Nolwenn, meine Frau“, stellte Pierre Berthelé sie vor. Auch sie begrüßte die Ankömmlinge, zog sich aber sofort wieder in ihre Küche zurück.

„Nehmen Sie doch bitte Platz.“ Marie zeigte auf die Stühle um den großen Eichentisch, dessen Tischplatte gut und gerne eine Dicke von sieben Zentimetern aufwies und aus einem einzigen Stück zu bestehen schien, trotz seiner Breite von ungefähr 90 Zentimetern. Ewen und Carla setzten sich. Marie nahm auf dem Stuhl neben Ewen Platz. Monsieur Berthelé fragte Carla und Ewen, ob er ihnen etwas zu trinken anbieten dürfe.

„Darf Ihnen meine Frau vielleicht eine Tisane anbieten?“

„Ich nehme sehr gerne eine“, antwortete Carla, und auch Ewen nickte zustimmend.

Pierre Berthelé ging in die Küche zu seiner Frau.

„Verzeihen, Sie Monsieur le Commissaire, aber ich muss zuerst wissen, was mit Jean passiert ist. Ich halte diese Ungewissheit nicht mehr aus. Er hat sich sofort bei mir melden wollen, aber ich habe seit vorgestern nichts mehr von ihm gehört.“

Ewen sah Marie verdutzt an, begriff aber schnell. Sie konnte nicht wissen, dass ihr Mann von der police judiciaire nach Brest mitgenommen worden war.

„Marie, ich darf Sie doch so nennen?“ Marie nickte und sah Ewen erwartungsvoll an.

„Ihr Ehemann ist von der police judiciaire zum Verhör mit nach Brest genommen worden. Die Polizei geht davon aus, dass ein Verbrechen geschehen ist. An der Stelle, an der Sie angeblich abgestürzt sind, hat weder die Polizei, noch ich Spuren eines Absturzes finden können. Ich muss gestehen, dass auch ich an ein Verbrechen gedacht habe. Sie sollten mir jetzt schon erklären, warum Sie uns dieses Theater vorspielen.“

Pierre Berthelé betrat den Raum, gefolgt von seiner Frau. Sie trug ein kleines Tablett, auf dem zwei Tassen Kräutertee standen. Sie stellte die Tassen freundlich lächelnd vor Carla und Ewen ab und zog sich sofort wieder in ihre Küche zurück. Marie hatte abgewartet, bis ihre Tante die Tassen abgestellt und den Raum wieder verlassen hatte, dann begann sie zu erzählen. Die Geschichte, die sie jetzt vortrug, war Ewen in groben Zügen bereits bekannt. Sein Kollege Paul hatte ihm die Hintergründe, die zu der Anzeige bei der police judiciaire geführt hatten, bei ihrem Telefonat bereits geschildert.

„Warum haben Sie nicht sofort auf dem Schiff mit mir gesprochen? Sie haben doch gewusst, dass ich bei der Polizei bin. Carla hat Ihnen von meiner Tätigkeit erzählt, ihr Mann hat mich auch darauf angesprochen. Das hätte Ihnen Kosten und uns eine Menge Arbeit erspart. Ihnen ist doch wohl klar, dass Ihnen Beiden die Kosten für den fingierten Absturz in Rechnung gestellt werden.“

„Wir haben gehofft, dass man mich für tot erklärt und die Nachricht in der Zeitung erscheint. Jean hat gemeint, dass der Attentäter dann aufgeben würde.“

„Und wie wollten Sie danach weiterleben? In Melgven könnten Sie doch nicht mehr als Le Goff wohnen. Sie bräuchten eine neue Identität, die ist nicht einfach zu erhalten.“

„Darüber haben wir uns keine Gedanken gemacht, ich wollte nur wieder in Ruhe leben können.“

„Ich spreche mit meinem Kollegen in Brest und veranlasse die Freilassung ihres Mannes, falls er sich noch in der Obhut der Polizei befindet. Bleiben Sie vorerst hier im Haus ihres Onkels. Carla und ich werden noch einige Tage auf der Insel verbringen, danach kümmere ich mich persönlich um ihren Fall.“

„Ich bin schon froh, dass ich weiß, dass Jean lebt. Ich habe mich immer auf ihn verlassen können. Da er mir versprochen hat, sich sofort zu melden, bin ich natürlich sehr in Sorge gewesen. Danke, Monsieur le Commissaire.“

„Erzählen Sie mir noch etwas mehr über sich. Es muss einen Grund für die Anschläge geben. Haben Sie eine Vermutung, warum Ihnen jemand nach dem Leben trachtet?“

„Überhaupt nicht, der Gendarmerie in Trégunc habe ich bereits gesagt, dass ich keinerlei Gründe nennen kann.“

„Könnte es sein, dass Sie mit einer anderen Person verwechselt werden?“

„Mit wem? Ich kenne niemanden, dem ich ähnlich sehe.“

„Es wird sich ein Grund finden lassen, niemand bedroht einen Menschen aus heiterem Himmel. Wir werden intensiv nach dem Motiv suchen müssen. Ich habe aber noch eine Frage, mein Kollege in Quimper hat mir gesagt, dass ihr Mann, bei der Anzeige in Trégunc, dem Polizisten gesagt hat, dass er auf dem Hemd des Schützen einen Schriftzug erkannt hat. Er hat gemeint, das Wort Biene gesehen zu haben. Darüber hat noch etwas gestanden, dass er aber nicht lesen konnte. Sagt Ihnen das etwas?“

„Nein, damit kann ich nichts anfangen.“

Maries Blick ging zwischen ihrem Onkel und Ewen hin und her. Monsieur Berthelé mischte sich jetzt in das Gespräch ein.

„Vielleicht kann ich etwas dazu sagen. Es wäre möglich, dass es sich bei dem Aufdruck auf dem Hemd um den Schriftzug Schwarze Biene gehandelt hat. Ich will Ihnen das erklären. Auf unserer Insel sind die schwarzen Bienen heimisch. Man findet diese speziellen Bienen nur noch an wenigen Orten. Sie gehören zu den Bienenvölkern, die völlig frei von den Varroa-Milben sind. Für uns Insulaner ist die schwarze Biene so etwas wie ein Symbol unserer Naturverbundenheit. Es gab früher eine Bande Jugendlicher, die eine Biene auf ihren Motorradjacken anbrachten. Sie nannte sich die Schwarzen Bienen. Aber heute kenne ich niemanden mehr auf der Insel, der so eine Jacke trägt.“

„Interessant, wo findet man denn einen Züchter dieser schwarzen Bienen, ich würde mich gerne mit ihm unterhalten.“

„Da brauchen Sie nicht lange zu suchen, ich bin einer der wenigen Züchter hier auf Ouessant. Was möchten Sie denn über die Bienen wissen?“

„Zuerst einmal, was lässt die Bienen so anders erscheinen?“

„Ja, die dunkle Biene von Ouessant ist eine, aus Frankreich fast verschwundene, Spezies. Ouessant hat das Glück, eine natürliche Barriere zu besitzen. Uns trennen 20 km Wasser vom Festland. Das schützt unsere Bienen vor den verschiedenen Krankheiten und Schädlingen, wie zum Beispiel der vorhin erwähnten Varroa-Milbe, die den kontinentalen Artgenossen das Leben schwer macht und viele Bienenvölker schon vernichtet hat. Auf der Insel ist die schwarze Biene auch vor vielen Umweltgiften geschützt. So dürfte sich ihre natürliche Genetik wohl weitgehend erhalten haben. Keine Krankheit, keinen Lärm, keine Umweltverschmutzung, keine Pestizide, das sind fabelhafte Voraussetzungen für einen guten Honig. Wir sind sehr stolz auf unseren Honig, er gehört zweifellos zu den besten auf der Welt.“

„Wenn der Honig so gut ist, dann würde ich gerne ein Glas davon kaufen. Wo bekommt man ihn denn?“, fragte Carla und sah Ewen an.

„Kaufen kann man ihn nur an zwei Stellen und auch nur dann, wenn er nicht ausverkauft ist. Am Leuchtturm Stiff, allerdings nur von Mitte Juni bis Mitte September und in dem kleinen Lebensmittelgeschäft le Marché des Îles, im Lieu dit Kernigou. Ein kleiner Teil unserer Produktion geht an ausgewählte Schokoladenfabrikanten und an einen Weltkonzern für Kosmetika. Wir haben uns in der Association Conservatoire de l´Abeille Noir Bretonne zusammengeschlossen, um unsere Bienen zu schützen und die Qualität unseres Honigs zu erhalten. Ich kann Ihnen keinen Honig zum Kauf anbieten, weil ich meine gesamte Produktion bereits an die Verkaufsstellen abgetreten habe. Wir besitzen nur noch eine kleine Menge für den eigenen Bedarf.

Auch haben unsere Bienen diese dunkle Pigmentierung, die ihnen den Namen verleiht, und die eine bessere Absorption der Sonnenstrahlung ermöglicht. Außerdem besitzen sie längere Haare. Damit sind die Bienen bestens ausgerüstet, um auch bei schlechtem Wetter Pollen sammeln zu können. Ihre Muskeln sind stärker ausgebildet, sie können also auch bei Wind ihrer Arbeit nachgehen. Unsere bretonischen Bienen sammeln in einem Radius von zehn Kilometern um den Stock herum, während die kontinentalen Bienen lediglich im Umkreis von drei Kilometern sammeln. Dadurch, dass unsere Biene größer ist, kann sie auch entsprechend mehr Pollen tragen. Zudem besitzt sie größere Fettreserven und übersteht die Wintermonate ausgezeichnet.“

Pierre Berthelé war ins Schwärmen geraten. Als er seinen Redefluss zum Luftholen kurz unterbrach, nutzte Ewen diese Gelegenheit und bedankte sich für die Ausführungen.

„Das reicht mir völlig aus, Monsieur Berthelé. Ich danke Ihnen für die Erklärungen. Sollte ich noch weitere Informationen benötigen, dann komme ich auf Sie zurück.“

Ewen und Carla standen auf, verabschiedeten sich und wollten Marie und ihren Onkel verlassen, als Ewen dann doch noch eine Frage in den Sinn kam.

„Noch eine letzte Frage, Monsieur Berthelé, Sie haben einen Kosmetikkonzern erwähnt, der sich ebenfalls für den Honig interessiert?“

„Oh ja, es ist der große Konzern Cosmétal. Die würden bestimmt noch mehr kaufen, wenn wir mehr Honig anzubieten hätten. Die Produkte, die die aus unserem Honig machen, sollen großen Erfolg haben.“

„Nochmals vielen Dank, und Ihnen, Marie, alles Gute!“

Damit verließen Ewen und Carla das Haus von Berthelé. Es war schon weit nach Mitternacht. Ewen war auf dem Rückweg sehr nachdenklich. Er sprach nur wenig und Carla war sicher, dass sich seine Gedanken um Marie Le Goff drehten.

Die Schwarze Biene

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