Читать книгу Der Tote von Trévarez - Jean-Pierre Kermanchec - Страница 4
Kapitel 2
ОглавлениеChristophe Kerdiles war den ganzen Sonntagvormittag damit beschäftigt, sein Auto vom Schmutz der vergangenen Woche zu befreien. Es blieb nicht aus, dass der Wagen jede Woche aussah, als habe er gerade die Rallye Paris Dakar hinter sich gebracht. Der Bauingenieur musste zu seinen Baustellen fahren, ganz gleich ob es trocken war oder ob ein Wolkenbruch den Boden in eine Schlammwüste verwandelt hatte.
Er war es gewohnt und die Reinigungsprozedur war so etwas wie ein Ritual geworden. Seine Frau, Pascale, hantierte wie an jedem Sonntag in der Küche, um ein würdiges Sonntagsessen auf den Tisch zu bringen. Das gemeinsame Mittagessen war den Eheleuten wichtig. In den Halles von Quimper hatte es am Morgen frische Langoustinen gegeben, aus denen sie die heutige Vorspeise zubereiten wollte. Langoustinen im Kartoffelnest, mit Mango und Pfefferminze.
Für den Nachmittag war ein Familienausflug geplant. In dem Ouest France war am letzten Wochenende ein Artikel über die Rhododendronblüte im Schlosspark von Trévarez erschienen. Über 700 verschiedene Spezies blühten in dem 85 Hektar großen weitläufigen Parkareal. Pascale liebte Rhododendren und hätte am liebsten auch in ihrem Garten alle 700 Arten angepflanzt. Nachdem sie den Artikel gelesen hatte, überzeugte sie ihren Mann, dass das genau das richtige Ziel für den Sonntagsausflug war.
Christophe versprach, mit ihr und der Tochter Pierrette, zum Schloss von Trévarez zu fahren.
Es war kurz vor Mittag, als er mit den Reinigungsarbeiten an seinem Audi A4 fertig wurde und den Eimer, Schwamm und die Reinigungsmittel wieder in die Garage stellte.
Pierrette tollte mit dem Rauhaardackel im Garten herum. Stöckchen werfen war für den kleinen Hund immer nur für einige Minuten interessant. Dann wollte er gestreichelt werden und ein Leckerli bekommen oder sich mit den Katzen des Nachbarn anlegen.
„Das Essen ist fertig!“ Pascale rief beide ins Haus. Der kleine Hund war stets der erste, sobald er die Stimme von Pascale vernahm. Er wusste ganz genau, dass es auch für ihn etwas zu Fressen gab, wenn die Familie sich an den Mittagstisch setzte.
„Ist der Wagen wieder so, dass wir uns damit zeigen können?“, fragte Pascale ihren Mann.
„Wie neu!“, antwortete Christophe und setzte sich an den Tisch.
„Darf Tecki auch mit?“ Pierrette sah ihren Vater mehr bittend als fragend an.
„Klar, Tecki darf uns begleiten. Aber er muss an der Leine bleiben. Im Park werden sich bestimmt sehr viele Menschen aufhalten und nicht alle mögen es, wenn ein Hund sie beschnuppert.“
„Ich darf ihn aber an der Leine führen“, sagte seine Tochter, in einem bestimmenden und selbstsicheren Ton.
„Geht klar“, meinte Christophe.
Pascale grinste über ihre achtjährige Tochter.
Das Essen schmeckte köstlich. Die Vorspeise entsprach ganz den Vorstellungen von Christophe und Pierrette. Auch der Hauptgang und das Dessert kamen bei beiden gut an.
„Wie immer ausgezeichnet“, sagte Christophe, nahm Pascales Hand und küsste sie.
„Jetzt helfen wir noch der Mami beim Abräumen und dann geht es los.“
Christophe stand auf und begann die Teller in die Spülmaschine zu stellen.
Pierrette sammelte die Gabeln und Messer ein und brachte sie ebenfalls zur Spülmaschine.
„Ich darf mich aber noch schnell umziehen?“ Pascale sah ihren Mann an, der wie immer mit Jeans und einem Polohemd bekleidet war und nur selten bereit war sich etwas feiner anzuziehen.
„So viel Zeit werden wir noch aufbringen.“
Christophe sah seine Frau liebevoll an.
Nach einer weiteren halben Stunde war es dann soweit. Die Familie bestaunte das blitzsaubere Auto und lobte Christophe für seine gute Arbeit, auch das war schon fast ein Ritual, dann ging es in Richtung der Voie Express. Die Fahrt führte sie über Kerlez und Briec zum Château de Trévarez. Christophe steuerte den Audi auf den Parkplatz und suchte eine Parklücke. Der Park schien das Sonntagsausflugsziel des halben Finistères an diesem Wochenende zu sein.
50 Meter vor dem Eingang reihten sie sich in die Schlange der Wartenden ein. Es ging dann doch ganz zügig und Christophe bezahlte die sechs Euro Eintritt für seine Frau und sich und einen Euro für Pierrette.
Kaum hatten sie das kleine Kassenhäuschen hinter sich gelassen, als Pierrette auch schon mit Tecki losrannte. Sie folgten dem Rundweg. Er führte an den ehemaligen Pferdeställen vorbei, die jetzt ein kleines Café beherbergten, und ging dann weiter in Richtung des Schlosses.
Der ganze Weg war gesäumt von den herrlichsten Rhododendren, in allen nur erdenklichen Farben. Manche Sträucher waren nur wenig niedriger als die sie umgebenden Bäume, andere schienen sich wegducken zu wollen, weil sie sich ihrer geringen Größe schämten.
Pascale blieb an jeder neuen Variation stehen und bewunderte die Farben, die Blüten und die teilweise enorme Größe der Sträucher. Christophe bemerkte, welche Freude Pascale über den Besuch zeigte. Pierrette dauerte alles viel zu lange. Sie rannte lieber mit Tecki in Richtung des Schlosses, kehrte immer wieder um, rannte zurück und begann das Spiel erneut. Der Hund hielt gut mit und schien keine Müdigkeit zu entwickeln.
Nach ungefähr 700 Metern erreichten sie das prachtvolle Schloss Trévarez. Sie standen vor einer monumentalen Fassade. Links und rechts begrenzten Türme den Bau. Der Eingang war nach links verschoben, von der Mitte aus gesehen. Sie betraten das Schloss und hatten spontan den Eindruck, sich auf einer der Baustellen von Christophe zu befinden. Der Besuch der Innenräume ließ erahnen, welche Pracht vor etwa 100 Jahren hier geherrscht haben musste.
Den ausliegenden Broschüren entnahm Christophe, dass das Gebäude zwischen 1893 und 1907 erbaut worden war. Im zweiten Weltkrieg diente es der deutschen Besatzung als Kommandozentrale und wurde 1944 von der britischen Luftwaffe bombardiert. Das völlig zerstörte Gebäude blieb bis 1968 sich selbst überlassen. Danach begann der neue Besitzer mit der sukzessiven Restaurierung. Die Arbeiten in den Innenräumen hatten erst vor einigen Jahren begonnen und es würde wohl noch lange dauern, bis alles wieder wie vor über 100 Jahren aussah.
Der Blick aus dem großen Salon führte weit ins Land hinaus. Bis an den Horizont waren es bestimmt an die 20 Kilometer. Das Schloss lag auf der Spitze eines Hügels. Unterhalb des Hügels lagen eine kleine alte Kapelle und ein großer Teich.
Christophe und Pascale verließen das Gebäude. Pierrette war mit Tecki vor dem Schloss geblieben. Sie hatte sich auf den Rasen gesetzt, um sich vom Herumtollen zu erholen. Als sie ihre Eltern herauskommen sah, stand sie auf und rannte mit ihrem Hund auf sie zu.
„Wohin gehen wir jetzt?“, fragte sie ihren Vater, der mit der Hand nach rechts zeigte.
„Wir folgen einfach dem Rundweg, mein Kleines.“
„Ich geh schon voraus“, rief sie und eilte davon.
Christophe und Pascale folgten dem Rundweg und betrachteten die unglaublich schönen Rhododendren, Kamelien, Azaleen und viele weitere Pflanzen, die in dem Park wuchsen. Nachdem der Weg eine Rechtskurve beschrieb und langsam von der Höhe, auf der das Schloss lag, hinunter zur Kapelle und dem Teich führte, den sie vorhin vom Fenster des großen Salons aus gesehen hatten, kamen sie an einem kleinen Bachlauf vorbei. Das Wasser hatte eine unwirkliche grüne Farbe und bildete einen schönen Kontrast zu dem rosa und violett der Rhododendren und Azaleen.
Christophe blieb stehen und machte einige Fotos von Pascale, die sich zwischen die Blüten stellen musste.
Pierrette war schon ein gutes Stück weitergelaufen.
Das Bellen von Tecki und ein Angstschrei ihrer Tochter ließen Christophe und Pascale sofort innehalten. Christophe rannte in die Richtung aus der das Bellen kam.
Nach wenigen Schritten sah er bereits Pierrette auf ihn zulaufen.
„Papa, Papa, da liegt ein Mann!“
Christophe nahm seine Tochter in den Arm und beruhigte sie.
„Wo liegt ein Mann, Kleines?“
Pierrette zeigte mit der Hand den Weg hinunter. Pascale war inzwischen bei den beiden eingetroffen. Sie nahm ihre Tochter an die Hand und blieb stehen. Christophe ging langsam den Weg weiter hinunter und achtete sehr genau auf alles was sich links und rechts befand. Er war etwa 200 Meter weitergegangen, als er zwei Schuhsohlen sah, die steil nach oben zeigten. Christophe trat näher heran und konnte jetzt auch eine graue Hose erkennen. Das Sakko des Mannes der hier vor ihm lag war geöffnet und das blaue Hemd darunter blutverschmiert. Die früher einmal blaue Krawatte war blutverschmiert und schmutzig und hing quer über seine rechte Schulter. Die Augen waren weit aufgerissen und in seiner Schläfe klaffte ein Loch.
Es gab keinen Zweifel, hier lag ein Mordopfer. Christophe hörte, wie Pascale und Pierrette näherkamen. Er wandte sich um und rief Pascale zu:
„Bleib mit Pierrette stehen, kommt bitte nicht näher.“
Dann griff er zu seinem Handy und wählte die Notrufnummer.