Читать книгу Der Tote von Trévarez - Jean-Pierre Kermanchec - Страница 6

Kapitel 4

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Am nächsten Morgen traf Ewen kurz vor neun Uhr im Kommissariat ein. Paul Chevrier, sein Kollege und Freund, war bereits seit acht Uhr im Büro und las die Berichte des Pathologen und die Berichte der Spurensicherung.

„Bonjour, Ewen, du hattest gestern etwas zu tun!“

Paul hob den Bericht des Pathologen hoch. Ewen blieb an der geöffneten Bürotür stehen.

„Bonjour, Paul.. Ja, in Trévarez hat ein Toter im Park gelegen. Hast du schon den Bericht des Pathologen?“

„Hier steht, dass der Mann gegen Mitternacht ermordet worden ist, mit zwei Schüssen. Der erste Schuss hat ihn in die Brust getroffen, der zweite in die Schläfe. Den zweiten Schuss hat der Mörder abgegeben, als der Mann bereits auf dem Rücken gelegen hat. Sieht wie eine Exekution aus.“

„Haben wir von Dustin schon etwas über die Identität des Opfers erhalten? Er hat die Fingerabdrücke mit unserer Datenbank abgleichen wollen.“

„Nein, Ewen, in seinem Bericht steht davon nichts. Vielleicht hat er keine Vergleichsabdrücke finden können. Er schreibt, dass er weder Telefon noch Portemonnaie oder Ausweispapiere gefunden hat.“

„Wir werden alleine schon mit der Klärung der Identität eine Menge Arbeit haben. Du kannst ja nachfragen, ob am Wochenende jemand als vermisst gemeldet worden ist. Vielleicht wird unser Opfer ja bereits gesucht.“

„Mache ich sofort, Ewen, wir sollten sein Bild auch an die Presse geben.“

„Damit möchte ich noch etwas warten.“

Paul machte sich auf den Weg zur Abteilung, bei der die Vermisstenmeldungen aus der ganzen Region eintrafen. Ewen sah sich die gefundenen Beweisstücke vom Tatort an. Dustin Goarant hatte wie er es immer machte alle am Tatort gefundenen Gegenstände fein säuberlich in Plastiktüten gesteckt, auf DNA-Spuren untersucht und, soweit es bereits möglich war, eine erste Zuordnung vorgenommen. Auf einem Beutel mit einem Zigarettenstummel standen der Markenname und der Hinweis, selten. Ewen betrachtete den Stummel genauer. Er griff zum Telefon und wählte die Nummer von Dustin.

„Goarant“, meldete sich der Chef der Spurensicherung.

„Dustin, Ewen hier, ich habe eine Frage zu dem Zigarettenstummel, den du mit der Beschriftung selten versehen hast. Was hat es damit auf sich?“

„Nun, wie du schon gelesen hast, die Marke ist eher selten vertreten in unseren Breiten. Es handelt sich um eine ägyptische Zigarette der Marke Cleopatra.

Falls die Zigarette von unserem Täter stammte, was wir nicht mit Sicherheit annehmen können, dann könnte der Fund durchaus hilfreich sein. Der Mann oder die Frau sind in Ägypten gewesen und haben sich die Zigaretten mitgebracht. Bei uns gibt es sie jedenfalls nicht zu kaufen.“

„Interessant, sehr interessant“, murmelte Ewen vor sich hin. Hab vielen Dank Dustin, vielleicht hilft uns das weiter.“

Ewen legte auf und betrachtete den kleinen Zigarettenstummel. Dann rief er seinen Freund Dustin ein zweites Mal an.

„Dustin, ich habe noch eine Frage. Habt ihr bei dem Toten Zigaretten, Streichhölzer oder ein Feuerzeug gefunden?“

„Du überlegst, ob die Zigarette von unserem Toten stammen könnte? Daran habe ich auch schon gedacht. Nein, wir haben weder Streichhölzer noch ein Feuerzeug bei ihm gefunden. Auch hat er keine Zigaretten bei sich gehabt. Ich habe vorsorglich aber den Pathologen gebeten zu überprüfen, ob der Tote vor seiner Ermordung geraucht hat. Yannick hat gesagt, dass der Mann Nichtraucher gewesen ist. Er hat keinerlei Spuren von Nikotin gefunden.“

„Danke, Dustin, genau das wollte ich wissen.“

Erneut legte Ewen auf und sah sich die weiteren Fundstücke an.

Als es an der Tür klopfte, blickte Ewen auf und sah einen jungen Polizisten im Türrahmen stehen.

„Monsieur le Commissaire, ich habe den Bericht von unserer Suche für Sie.“

Der junge Mann trat an Ewens Schreibtisch.

„Haben Sie etwas gefunden?“, fragte Ewen und nahm den Bericht entgegen.

„Nein, Monsieur le Commissaire, der Zaun um das gesamte Anwesen ist in einem ausgezeichneten Zustand gewesen. An den weiter abseits gelegenen Stellen ist der Zaun sogar noch höher gewesen. Es hat keinerlei Spuren gegeben, die auf ein gewaltsames Eindringen hindeuten können. Meine Kollegen und ich haben gut achtgegeben und auf niedergedrücktes Gras oder frisch abgebrochene Äste geachtet. Aber wir haben wirklich nichts gefunden.“

„Vielen Dank Kollege“, sagte Ewen und legte den Bericht auf den Schreibtisch.

Wenig später betrat Paul das Büro und hielt ein Blatt Papier in der Hand.

Ich habe hier die Liste der als vermisst gemeldeten Personen der letzten Tage. Darunter sind zwei Männer und eine Frau. Der eine Mann ist von seiner Frau als vermisst gemeldet worden, der andere Mann von seinem Freund.

„Dann sollten wir die beiden sofort aufsuchen. Vielleicht ist ja einer der beiden Vermissten unser Toter.“

„Dann lass uns sogleich hinfahren. Die Adressen der Personen die die Anzeigen aufgegeben haben habe ich vorliegen.“

Ewen und Paul machten sich auf den Weg zu ihrem Dienstwagen.

„Wohin fahren wir zuerst?“, fragte Ewen Paul und startete den Motor.

„Nach Pluguffan sollten wir zuerst fahren. Die zweite Anzeige kommt aus Douarnenez.“

„O.k. Wo genau in Pluguffan?“

„Wir müssen in die Rue du Lavoir. Die dürfte ziemlich nahe am Flughafen liegen.“

Ewen gab die Adresse in sein Navi ein und fuhr los. Über die Voie Express waren sie rasch in Pluguffan.

Das weiße Haus hatte leuchtend blaue Fensterläden. Die Tür und die Fenster waren mit Granitsteinen umrahmt, es machte einen typisch bretonischen Eindruck. Die beiden Kommissare durchschritten den gepflegten kleinen Vorgarten und klingelten an der Haustür. Ewen vernahm, wie eine Person eilig zur Tür gelaufen kam. Die Haustür wurde regelrecht aufgerissen und Ewen und Paul sahen in das enttäuschte Gesicht einer Frau, die jetzt vor ihnen stand. Sie hatte bestimmt gehofft, dass ihr Mann vor der Tür stand.

„Bonjour, Madame Bihan, mein Name ist Ewen Kerber. Das ist mein Kollege, Paul Chevrier. Wir sind von der police judiciaire aus Quimper.“

Ewen zeigte seinen Ausweis.

„Madame, dürfen wir eintreten?“

Die Frau blieb stumm und trat zur Seite, um den Kommissaren den Zugang zu ermöglichen. Sie schloss die Haustüre hinter sich und zeigte auf eine offen stehende Tür.

„Bitte treten Sie ein“, sagte sie mit zittriger Stimme.

„Madame Bihan, bitte erschrecken Sie jetzt nicht Wir müssen Ihnen ein Foto zeigen und Sie bitten, uns zu sagen, ob es sich um Ihren Mann handelt.“

Madame Bihan wurde jetzt noch bleicher, wenn das überhaupt noch möglich war. Die Stimme schien es ihr auch wieder verschlagen zu haben. Sie nickte, als Ewen das Bild aus seiner Jackettasche herausholte und es ihr zeigte.

„Das ist nicht mein Mann!“

Erleichterung machte sich in ihrem Gesicht breit und ihre Sprache kam zurück.

„Den Mann habe ich noch nie gesehen.“ Sie blickte Ewen und Paul an.

„Dann bedanken wir uns bei Ihnen, Madame Bihan, und verzeihen Sie die Unannehmlichkeit, die wir Ihnen eventuell bereitet haben.“

„Wissen Sie noch nichts von meinem Mann, Guy?“

„Madame Bihan, wir sind nicht vor der Vermisstenstelle. Ich denke, dass die Sie umgehend informieren wird, wenn sich etwas Neues ergibt.“

Ewen und Paul verließen das Haus und gingen zu ihrem Wagen.

„Der Frau haben wir einen gehörigen Schrecken eingejagt.“ Paul sah seinen Kollegen Ewen an.

„Sie hat sicher ihren Mann vor der Tür erwartet. Als wir ihr dann noch gesagt haben, dass wir ihr ein Bild zeigen müssen, da hat sie wohl befürchtet, dass ihr Mann tot ist. Nun ja, manchmal müssen wir Menschen verunsichern. Wohin geht es jetzt?“

„Nach Douarnenez, in die Rue du Pont.“

„Dann los, hoffen wir, dass wir nicht umsonst dorthin fahren.“

Die Strecke von Pluguffan nach Douarnenez führte über die D 765. Für die knapp 18 Kilometer brauchten sie nur eine gute viertel Stunde.

Die westlich von Quimper gelegene Kleinstadt, mit ihren 15.000 Einwohnern und dem Fischereihafen, ist in der gesamten Cornouaille, wie die Bretonen den südlichen Teil des Finistères nennen, durch seine Sardinenfischerei bekannt.

Ein guter Freund von Ewen lebt als Fischer in dem Ort. Er ist mit seiner Frau Carla schon des Öfteren bei Claude Cornic und seiner Frau Michelle zum Essen eingeladen gewesen. Claude kocht leidenschaftlich gerne und zudem sehr gut. Seine Spezialität ist die Lotte mit seiner sauce à l‘amoriquaine. Eine Soße, in die er eine ganze Flasche guten Weißwein gibt. Ewen liebt die Lotte à la façon Claude.

Heute würde er nicht bei Claude vorbeifahren können. Abgesehen davon, dass sein Freund bestimmt noch auf dem Meer weilte.

Claude fuhr im Sommer gewöhnlich gegen 22 Uhr mit seinen Kollegen raus aufs Meer. Wenn der Fang gut war, und sie ihre sieben Tonnen Sardinen gefangen hatten, dann kamen sie manchmal schon nach sechs oder acht Stunden wieder zurück. Das war jedoch nur an wenigen Tagen der Fall. Meistens blieben sie für zwei bis drei Tage auf dem Meer.

Die Rue du Pont war erreicht und Ewen konnte vor dem Haus parken. An der Gartenmauer war ein kleines Messingschild angebracht, auf dem der Name Thierry Guillem, Architekt stand. Neben dem Briefkasten waren die Klingel und eine Sprechanlage.

Paul klingelte und sie warteten, dass sich Monsieur Guillem meldete.

„Sie wünschen?“

Eine kräftige Männerstimme tönte aus der Sprechanlage.

„Monsieur Guillem? Paul Chevrier und Ewen Kerber von der police judiciaire in Quimper, wir hätten Sie gerne gesprochen.“

„Kommen Sie herein.“

Die Kommissare vernahmen jetzt einen Summton und sie konnten das Tor öffnen und durch den Vorgarten zum Haus gehen.

Monsieur Guillem war bereits an der Tür, als Ewen und Paul das Haus erreicht hatten.

„Was kann ich für Sie tun?“

Herr Guillem sah die beiden Kommissare erwartungsvoll an. Ewen ergriff das Wort.

„Monsieur Guillem, dürfen wir eintreten? Es geht um ihre Vermisstenanzeige.

„Haben Sie meinen Freund gefunden? Verzeihen Sie, bitte treten Sie doch ein.“

Monsieur Guillem führte Ewen und Paul in seine kleine Bibliothek, die gleichzeitig auch als Büro diente.

„Bitte meine Herren, nehmen Sie doch Platz.“

Er zeigte auf zwei Stühle vor seinem eleganten Palisanderholzschreibtisch.

„Ewen und Paul setzten sich. Monsieur Guillem trat hinter seinen Schreibtisch und setzte sich auf einen schönen Ledersessel.

Ewen holte das Bild aus dem Jackett und wandte sich an den Architekten.

„Monsieur Guillem, ist das Ihr Freund, den Sie gestern als vermisst gemeldet haben?“

Monsieur Guillem nahm das Foto in die Hand und sah es an. Ewen bemerkte, wie der Mann blasser wurde.

„Ja, meine Herren, das ist mein Freund, das ist Robert. Das ist ja entsetzlich. Was ist passiert?“

Ewen nahm das Bild, das Monsieur Guillem ihm wieder zurückreichte.

„Monsieur Guillem, wir haben Ihren Freund gestern im Park von Trévarez tot aufgefunden. Ihr Freund ist eindeutig ermordet worden. Können Sie uns bitte seinen vollständigen Namen nennen und auch seine Anschrift, damit wir seine Angehörigen informieren können?“

„Selbstverständlich, sein voller Name lautet Robert Courtain. Er wohnt in Quimper, in der Rue Charles Chasse. Robert hat keine weiteren Angehörigen, er ist alleinstehend gewesen. Wenn ich mich richtig erinnere, dann hat er keinerlei Geschwister. Auch seine Eltern sind bereits verstorben.“

„Was hat Monsieur Courtain beruflich gemacht?“

„Robert hat eine eigene Immobilienfirma geführt. Wir haben schon seit Jahren sehr gut zusammengearbeitet. Sein Büro liegt in Quimper, in der Rue du Parc. Er ist bestens bekannt in der Stadt und hat den Ruf eines sehr seriösen Immobilienhändlers. Die Firma nennt sich Odet-Immo.“

„Ja, von der habe ich schon gehört.“

Ewen konnte sich erinnern, dass Carla vor einigen Jahren eine Wohnung für ihre Tochter Marie über die Firma gesucht hatte.

„Wissen Sie, was Monsieur Courtain in Trévarez wollte?“

„Ich habe noch nicht einmal gewusst, dass er dorthin gefahren ist. Nein, mir gegenüber hat er nicht von Trévarez gesprochen. Er ist allerdings ein Liebhaber von Blumen gewesen. Vor einigen Monaten ist er auf die Île de Bréhat gefahren, um dort einige Tage Urlaub zu verbringen. Er hat die Insel wegen ihrer Ruhe aufgesucht. Ihre Blütenpracht ist ein weiterer Beweggrund für seine Reise gewesen, wie er damals gesagt hat. Wir haben uns für den Sonntagmorgen verabredet gehabt, um gemeinsam zum Fischen zu gehen. Als Robert dann nicht erschienen ist, habe ich es seltsam gefunden. Er hat nie ein Rendezvous mit mir vergessen. Ich habe daraufhin umgehend eine Vermisstenanzeige aufgegeben. Der Beamte hat zwar gemeint, dass es noch etwas früh dafür sei. Ich habe aber darauf bestanden.“

„Hatte ihr Freund Feinde oder bekam er in letzter Zeit Drohungen?“

„Feinde? Richtige Feinde hat er meines Erachtens nach nicht gehabt. Wie ich schon gesagt habe, er ist als ein sehr seriöser Immobilienhändler bekannt und seine Kunden sind überwiegend zufrieden mit ihm gewesen. Neider dürfte es bestimmt gegeben haben, zumal er ein sehr erfolgreicher Geschäftsmann gewesen ist. Von Drohungen hat er mir nichts erzählt. Ich bin mir sicher, dass er mit mir darüber gesprochen hätte.“

Paul notierte sich immer wieder die eine oder andere Aussage von Monsieur Guillem. Auch der Hinweis, dass Monsieur Courtain auf der Île de Bréhat gewesen war, stand in seinem Notizbuch. Paul sah von seinem Büchlein auf und blickte Guillem an.

„Sie sagen, Monsieur Guillem, dass ihr Freund auf der Île de Bréhat gewesen ist. Wissen Sie noch, wann das genau gewesen ist?“

„Da muss ich nachsehen, ich habe es mir in meinem Kalender notiert, weil ich hin und wieder Termine mit zukünftigen Bauherren gemeinsam mit Robert gemacht habe.“

Monsieur Thierry Guillem zog eine Schublade auf und entnahm ihr ein schwarzes, in Leder eingebundenes Kalendarium und schlug es auf.

„Wie Sie sehen, bin ich noch altmodisch. Ich schreibe meine Termine immer noch in meinen Kalender anstatt alles in mein Smartphone zu tippen.“

„Kommt mir irgendwie bekannt vor“, sagte Ewen und grinste. Auch er war kein Freund der modernen Technik, obgleich er sie durchaus nutzte.

„So, da haben wir es ja schon. Robert ist vom 12ten bis zum 15ten April auf der Insel gewesen.“

Paul notierte das Datum in sein Notizbuch.

„Nachdem er von dort zurückgekommen ist, hat er Ihnen gegenüber von irgendeinem besonderen Ereignis berichtet?“

Paul sah sein Gegenüber an und wartete auf eine Antwort.

„Nein, er hat nur gesagt, dass die Tage zu schnell vorbeigegangen sind. Ich glaube, er wäre gerne noch einige Tage geblieben aber wir haben bereits Geschäftstermine verabredet gehabt.“

„Monsieur Guillem, Sie kennen doch bestimmt die Handynummer ihres Freundes, können Sie uns die geben?“

„Natürlich kenne ich seine Nummer.“ Thierry Guillem gab den Kommissaren die Nummer.

„Kennen Sie auch sein Autokennzeichen?“

„Sein Kennzeichen kenne ich nicht, aber Robert hat einen 530er BMW gefahren, schwarz metallic.“

Ewen sah Paul an, als wollte er ihn fragen, ob er weitere Auskünfte von Monsieur Guillem haben wollte. Als Paul den Kopf schüttelte, erhob sich Ewen von seinem Stuhl.

„Haben Sie vielen Dank für ihre Auskünfte. Wir werden uns jetzt erst einmal die Wohnung und die Büroräume ihres Freundes ansehen. Sollten wir weitere Fragen haben, dann rufen wir Sie an.“

Ewen und Paul reichten Thierry Guillem die Hand und verabschiedeten sich.

Im Dienstwagen fragte Ewen seinen Kollegen nach der Frage zu Bréhat.

„Du hast nach einem Ereignis auf Bréhat gefragt, gibt es einen besonderen Grund dafür, Paul?“

„Nicht wirklich, ich kann mich nur erinnern, dass im Ouest France vor einigen Monaten ein kurzer Bericht über den Tod eines jungen Mädchens gestanden hat. Ich muss nachsehen wann der Bericht genau erschienen ist. Der Bericht ist mir eingefallen, als Monsieur Guillem von der Île de Bréhat gesprochen hat. Es könnte ja vielleicht einen Zusammenhang mit dem verunglückten Mädchen geben, ist aber wahrscheinlich sehr weit hergeholt.“

„Ausschließen kann man nichts. Wir sollten uns das schon genauer ansehen.“

Paul Chevrier und Ewen Kerber fuhren zurück nach Quimper. Die Wohnung von Robert Courtain war ihr nächstes Ziel. Jetzt, da sie wussten, um wen es sich bei dem Toten handelte, war das weitere Vorgehen klar. Sie mussten sich die Wohnung und das Büro von Courtain ansehen, um eventuelle Hinweise oder Spuren zu finden, die auf den Mörder hindeuteten. Paul rief auf der Fahrt nach Quimper Dustin an und bat ihn, mit seiner Mannschaft in die Rue Charles Chasse zu kommen.

Nach zwanzig Minuten stellten die Kommissare ihren Wagen vor dem Haus von Robert Courtain ab und stiegen aus. Das Grundstück schien recht groß zu sein, Ewen schätzte es auf 3000 m2. Das Wohnhaus lag gute 60 Meter von der Straße entfernt. Ewen und Paul folgten dem Kiesweg bis zur Haustür. Sicherheitshalber klingelten sie und warteten, ob sich etwas im Haus regte. Alles blieb still.

„Guillem hat uns ja bereits gesagt, dass Courtain alleinstehend ist“, meinte Paul.

„Hast du dein Werkzeug in der Tasche?“

Ewen bezeichnete die Sammlung von verschiedenen Dietrichen, die Paul meistens in der Tasche seines Jacketts mitführte, als Werkzeuge.

„Klar, habe ich immer dabei.“ Er holte die kleine Sammlung aus seiner Tasche und versuchte, das Schloss an der Haustür zu öffnen. Paul war ganz geschickt darin und brauchte nicht sehr lange, bis das Schloss mit einem Knacken aufsprang. Die Haustür öffnete sich und die beiden Kommissare betraten den Hausflur von Robert Courtain.

Das Haus schien von außen nicht sehr groß zu sein. Jetzt, nachdem sie im Hausflur standen, erschien es Ewen deutlich größer. Der Flur war lichtdurchflutet. Nicht nur durch die große Scheibe der Tür, sondern auch durch ein bis zur Decke reichendes Fenster auf der gegenüberliegenden Seite, konnte das Tageslicht ungehindert eindringen. Links und rechts sah Ewen auf Zimmertüren.

„Ich übernehme die linke Seite und du die rechte?“, fragte er Paul, der bereits dabei war seine Latex-Handschuhe überzustreifen.

„Mach ich“, sagte er zu Ewen und ging sofort in das erste Zimmer. Ewen betrat das Zimmer vor ihm. Es schien eine Bibliothek zu sein. An drei Seiten des Raumes standen übervolle Bücherregale. Es schien keine besondere Ordnung zu herrschen. Romane und Sachbücher waren übereinander gestapelt. Dazwischen entdeckte Ewen Zeitschriften über französische Immobilien, und veraltete Nachrichtenmagazine. Der Raum machte keinen sehr gepflegten Eindruck. Ein großer Ohrensessel stand unmittelbar neben dem Fenster und daneben stand ein kleines Beistelltischchen, auf dem ebenfalls Bücher, Zeitschriften und allerlei Krimskrams lagerten. Ewen sah sich die verschiedenen Regalinhalte an, in der Hoffnung etwas Brauchbares zu finden, dass ihm einen Hinweis geben konnte, in welche Richtung er die Recherchen zu führen hatte. Aber er wurde nicht fündig. Er wollte den Rest der Spurensicherung überlassen. Vielleicht konnte Dustin ja Fingerabdrücke sicherstellen, die nicht von Monsieur Courtain stammten. Er verließ den Raum und ging auf den zweiten Raum direkt daneben zu. Der Raum schien sein Schlafzimmer zu sein. Ein großes Bett stand mitten im Raum. Das Fenster reichte bis zur Deck und ließ viel Licht herein. Für Ewen stand fest, dass Courtain sein Haus nach seinen eigenen Vorstellungen umgebaut hatte. Das Gebäude schien deutlich älter zu sein als die Fensteröffnungen. Ewen trat an den großen Wandschrank und schob die Schiebetür auf. Fein säuberlich hingen circa zehn verschiedene Jacketts und zahlreiche Anzüge auf der Stange. Entgegen seines ersten Eindrucks aus der Bibliothek war das Schlafzimmer in einem aufgeräumten und ansprechenden Zustand.

„Ewen“, rief Paul aus dem gegenüber liegendem Zimmer.

Ewen ging zu Paul, um zu sehen was er wohl gefunden haben konnte.

„Sieh dir das an! Im Papierkorb habe ich dieses Schreiben gefunden.“

Paul reichte es Ewen und der las:

Ich erwarte die nächste Zahlung von 10.000 € am Samstagabend. Ort der Übergabe erfahren Sie noch. Seien Sie pünktlich und keine Verzögerungen wie beim letzten Mal.

„Mir scheint unser Toter hat jemanden erpresst und der Erpresste hat sich des Erpressers entledigt“, meinte Paul, nachdem auch Ewen die wenigen Zeilen gelesen hatte.

„Könnte sein, aber wieso wirft der Mann den Erpresserbrief in den Papierkorb? Ich würde ein solches Beweisstück niemals behalten.“ Ewen war verunsichert über den Fund.

„Vielleicht war es nur der erste Entwurf, und er hat danach einen zweiten geschrieben der ihm besser gefallen hat und ist nicht mehr zum Entleeren des Papierkorbes gekommen.“

„Hast du seinen Computer gefunden? Der Brief ist auf einem Computer geschrieben und danach ausgedruckt worden.“

„Hier auf dem Schreibtisch steht ein Notebook. Wir nehmen es mit und lassen es untersuchen. Vielleicht findet sich ja die Datei. Robert findet bestimmt etwas, auch wenn es gelöscht worden ist.“

Robert Gallic war ihr Experte für alles was mit Elektronik zu tun hatte. Robert Gallic gehörte zum Urgestein der police judiciaire von Quimper. Er leitete die Abteilung seit 15 Jahren und kannte sich mit technischen Fragestellungen bestens aus. Wenn es etwas zu finden gab, dann würde er es finden.

Es klingelte an der Haustür, während die beiden Kommissare immer noch im Büro standen und den Brief aus dem Papierkorb betrachteten.

Paul ging zur Tür und öffnete den Kollegen. Dustin und seine Mannschaft waren eingetroffen und begannen mit ihrer akribischen Arbeit, der Suche nach Fingerabdrücken, verräterischen Unterlagen, Waffen und was eben sonst alles eine Rolle spielte bei der Lösung eines Mordes.

Ewen begrüßte seinen Freund Dustin Goarant.

„Dustin, so wie es aussieht, könnte unser Opfer ein Erpresser gewesen sein. Seht euch bitte alles an, was uns hier weiterbringen kann. Ich denke vor allem an Zeitungen, aus denen Buchstaben ausgeschnitten worden sind, Mails, Kontoauszüge und so weiter. Auch wenn dieser Entwurf“, Ewen hob den Plastikbeutel in den er den Brief gesteckt hatte hoch, „mit dem Computer geschrieben worden ist, so könnte es ja vielleicht auch andere Erpresserbriefe gegeben haben. Aber du weißt ja wonach du suchen musst.“

„Nett von dir, Ewen, dass du mir das zutraust. Ich habe schon gedacht, dass du vergessen hast, dass ich seit vielen Jahren meinen Beruf ausübe.“

„Ich kann es einfach nicht lassen, Dustin, immer wieder ertappe ich mich dabei dich belehren zu wollen. Nimm mich einfach nicht so ernst wenn ich dir solche Belehrungen gebe.“

Dustin musste grinsen, nickte Ewen aber zu und meinte dann nur noch:

„Das kostet dich beim nächsten Mal trotzdem ein Glas Wein, mein Lieber.“ Dann machte er sich an die Arbeit.

Paul hatte sich das Notebook unter den Arm geklemmt, nachdem er sich vorsichtig in den weiteren Räumen umgesehen hatte und verließ nun mit Ewen das Haus.

„Wenn Courtain wirklich jemanden erpresst hat, dann müssten wir doch entweder in seinen Mails oder in der Liste seiner gewählten Telefonnummern einen Hinweis auf die Übergabe finden und damit auf den, der von ihm erpresst worden ist, hingewiesen werden.“

„Könnte sein, Paul, was aber, wenn Courtain die Information von einer öffentlichen Telefonzelle aus, oder mit einem durch die Post übermittelten Brief, oder eine direkt in den Briefkasten des Empfängers eingeworfene Nachricht, dem Erpressten zukommen gelassen hätte? Dann würden wir nichts finden. Als Erpresser mit etwas Überlegung würde ich niemals eine solche Benachrichtigung elektronisch übermitteln. Es sei denn aus einem Internet-Café.“

„Du denkst schon wieder an deinen alten Möwenspur Fall?“

„Kam mir jetzt nur so in den Sinn. Ein Internet-Café wäre schon etwas anonymer, als das eigene Telefon oder der eigene Computer. Der Zufall müsste schon sehr groß sein, wenn dort jemand einem über die Schulter sieht und die Nachricht liest.“

Ewen und Paul trafen im Kommissariat ein und gingen in Ewens Büro. Paul machte noch einen Abstecher zu Robert Gallic und übergab ihm das aus dem Haus von Courtain mitgenommene Notebook. Als er zu Ewen ins Büro kam hatte der die Erkenntnisse des Tages bereits an seiner Pinnwand angebracht und das Kennzeichen des BMW von Robert Courtain herausgesucht.

„Was ist denn mit dem Hinweis von Thierry Guillem, dass sein Freund auf der Île-de-Bréhat gewesen ist? Ich habe mir das notiert, weil mir ein Bericht im Ouest France in Erinnerung ist. Wenn ich mich richtig erinnere, dann ist ein Mädchen auf der Insel vor einigen Wochen ums Leben gekommen. Die Polizei ist von einem Unfall ausgegangen. Wenn aber jetzt Courtain jemanden erpresst hat, dann könnte es schon sein, dass er etwas gesehen hat.“

„Wir können zweierlei machen“, meinte Ewen und schien zu überlegen.

„Wir sollten uns die Protokolle von dem Vorfall auf Bréhat kommen lassen und das Datum des Vorfalls mit der Zeit des Aufenthaltes von Courtain vergleichen. Schließlich wäre es noch interessant zu wissen wer sonst seinen Aufenthalt auf der Insel verbracht hat. Das werden zwar eine Menge Leute gewesen sein, aber wenn gleichzeitig mit Courtain andere Einwohner aus dem Großraum von Quimper auf der Insel gewesen wären, dann könnten wir uns diejenigen doch ansehen. Was meinst du dazu?“

„Finde ich grundsätzlich gut, aber du bist dir darüber im Klaren, dass wir vielleicht viele Personen überprüfen müssen?“

„Bin ich mir, Paul, aber das machen wir erst morgen. Ich mache jetzt Schluss für Heute.“

Paul sah auf die Uhr und stellte fest, dass sie schon wieder bis kurz vor 20 Uhr im Büro waren. Ihn erwartete niemand, aber Carla wäre bestimmt erfreut, wenn sie Ewen noch vor dem Schlafengehen zu Gesicht bekäme.

„Bis Morgen, Ewen“, sagte Paul und verabschiedete sich von seinem Kollegen.

Der Tote von Trévarez

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