Читать книгу Sex on the rocks - Jeanette Sanders - Страница 10

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Die Bar aus Schnee glitzerte einladend in der späten Nachmittagssonne.

Rings um den eiskalten Tresen herum standen – wie bunte Farbtupfer in einem surrealistischen Gemälde – die dick eingemummten Gäste.

Snowboards, Skipaare und vereinzelt auch ein Rodelschlitten lagen in der Umgebung der Bar nachlässig im Schnee Verstreut. Andere Sportsfreunde achteten mehr auf ihre teuer erworbenen Geräte und hatten sie fürsorglich und adrett gegen umstehende Baumstämme und Felsen gelehnt.

Alles trank, lachte, flirtete und amüsierte sich prächtig an diesem sonnigen Wintertag.

Diana kam als Letzte aus ihrer Gruppe mit erheblicher Verspätung den Hang heruntergewedelt. Beim Skifahren war ihr Tempo ausnahmsweise nicht wichtig. Sie genoss vielmehr in vollen Zügen die herrliche Aussicht in die verschneite Bergwelt, die gleißende Wintersonne auf dem Gesicht und die frische, kalte und glasklare Luft, die sie tief in ihre Lungen einsog.

Dies hier ist Erholung pur, Stress adieu. Solche Tage sollte ich mir öfter gönnen.

Sie bremste vor der letzten Hügelkuppe nochmals scharf ab. Dann stand sie ein Weilchen bloß da und stützte sich auf ihre Skistöcke, während sie eine letzte Rundschau für heute hielt.

Unter ihr lag romantisch in die Landschaft eingebettet der Grundlsee. In ihrem Rücken leuchteten schneebedeckte Berggipfel in der allmählich sinkenden Sonne auf und schienen ihr grüßend zuzuzwinkern.

Sie musste sich einen regelrechten Ruck geben, um nach dieser letzten Abfahrt für heute endlich doch weiter talwärts zu gleiten. Boris und seine Clique warteten dort drüben an der Bar sicher schon ungeduldig auf sie, die ewige Nachzüglerin. Dazu war sie heute auch noch die einzige »Dame« im Gruppenbild gewesen, hielt die Herren also durch ihre bloße Anwesenheit davon ab, sich ungeniert auszutoben.

Inga, Monika und Petra hatten es nämlich vorgezogen, im gemütlich warmen Hotel zu bleiben und sich einen Wellnesstag inklusive Ganzkörper-Kosmetikbehandlung zu gönnen.

Diana ließ die Skier gleiten und bremste dann in einem scharfen Einkehrschwung direkt neben einem Baum ab. Sie stieg aus der Bindung und lehnte die Bretter gegen den Stamm der Tanne.

Als sie sich suchend umblickte, entdeckte sie endlich auch Boris’ Saunaclub-Truppe am anderen Ende der Schnee-Bar.

Die vier Männer drehten ihr die Rücken zu, noch hatte keiner von ihnen Dianas Ankunft bemerkt.

Zögernd setzte sie sich in Bewegung, eigentlich hatte sie gar keine Lust, sich der Gruppe anzuschließen, wäre viel lieber ganz alleine bis hinunter ins Tal abgefahren.

Aber es musste wohl sein, seit Tagen schon tanzte sie viel zu offensichtlich aus der Reihe.

Lautes Gelächter und Wortfetzen kamen ihr entgegen, als sie sich langsam näherte. Sie hörte, wie Henning mit seiner dröhnenden Stimme gerade zu Boris sagte: »Na, mein Lieber, dann ist es mit deiner Junggesellenfreiheit ja wohl bald endgültig vorbei, was?«

Diana blieb unwillkürlich stehen. Ihr Herz klopfte spürbar schneller, als ahnte es bereits, was gleich kommen würde.

Der Angesprochene hob sein Glas mit dem dampfenden Jagertee hoch und lachte dem Freund ins Gesicht: »Nichts wird so heiß getrunken, wie es raucht, lieber Henning. Außerdem ist Diana-Schätzchen als Ehefrau absolut kompatibel zu mir. Mit ihrer Ausbildung und ihrem Talent passt sie perfekt in die Firma meiner Eltern. Die wiederum in naher Zukunft bereits in meine Hände übergehen wird. Genauer gesagt nach der Hochzeit. Ich brauche nach dieser Transaktion nur noch die Finanzen zu verwalten. Ein wahrer Traum-Job In diesem Sinne ... Prost, Freunde! Und auf mein ganz spezielles Wohl!«

Die Männerrunde lachte und johlte vor Vergnügen.

Dianas Herz tat einige kräftige, hämmernde Schläge, dann schien es für eine Sekunde oder zwei einfach stehen zu bleiben. Sie hörte nur noch das Blut kräftig in ihren Ohren rauschen, ein leichter Schwindel hatte sie erfasst. Alle anderen Geräusche schienen ausgeblendet zu sein, drangen nur noch wie aus weiter Ferne und sehr gedämpft zu ihr durch.

Schließlich raunte ihre innere Stimme, deutlich vernehmbar: Da hast du es! Dein Gefühl der letzten Wochen und Monate hat nicht getrogen. Was zwischen Boris und dir abgeht, hat nichts mit wahrer Liebe zu tun! Es ist nicht, was du wirklich brauchst, suchst und verdienst im Leben. Lass es endlich gut sein, Mädchen. Und geh deiner Wege, Diana. Wie viele Hinweise brauchst du denn noch?

»Hallo, allerseits!«, rief sie laut und betont munter in die Runde, die daraufhin wie auf Kommando mit den Köpfen zu ihr herumfuhr.

Diana wandte sich an Boris, die drei anderen Kumpane behandelte sie wie Luft, mochten die Kerle von ihr denken, was sie wollten, es zählte von jetzt an nicht mehr in ihrem Leben.

Unter Liebe stelle ich mir etwas anderes vor als bloße Kompatibilität, mein Lieber! Wenn du Computerzubehör brauchst, dann flieg doch einfach mal wieder nach London und statte CATs einen Besuch ab ...

»Ich werde jetzt ins Hotel zurückkehren, meine Sachen packen und dann heim nach München fahren. Versuch gar nicht erst, mich davon abzuhalten.«

Damit drehte sie sich um und ging davon.

Hinter ihr war jedes Gelächter endgültig verstummt. Sie hörte, wie Boris ihr mit langen Schritten nacheilte.

Diana drehte sich nicht um, sie schnappte sich ihre Skier, stieg so schnell wie noch nie zuvor in die Bindung und stob auch schon davon, während Boris ihr mit offenem Mund nachstarrte.

Schließlich jedoch kam auch in ihn wieder Bewegung, er griff verärgert und vor allem zu hastig nach den eigenen Brettern, die erst einmal umfielen. Dann kämpfte er auch noch mit der plötzlich widerspenstigen Bindung, ehe sie endlich einklickte.

Erst nach der Auffahrt auf die Autobahn Richtung München wagte Boris es, seine rechte Hand auf Dianas linkem Knie zu platzieren. Bis jetzt hatten sie beide beharrlich geschwiegen, und Boris fand es an der Zeit, die Situation endlich wieder unter Kontrolle zu bekommen.

Sie hatte ihm widerwillig den Platz am Steuer überlassen müssen, weil er darauf bestanden hatte und der schwere Geländewagen darüber hinaus ihrem zukünftigen Exschwiegervater in spe gehörte, Klaus Kammerer. Das Auto war quasi Familienbesitz der Kammerers, und zu dem Clan gehörte sie ja nun ab sofort nicht mehr.

»Diana-Schätzchen, was ist denn los? Kriegst du etwa schon wieder deine Tage?«

Das war zu viel!

Alles hätte er in diesem Moment sagen dürfen, und sie hätte ihm zumindest noch eine Chance gegeben, nur zum Reden, aber immerhin.

Aber das nicht! Das hättest du eben nicht sagen dürfen. Ausgerechnet das nun wirklich nicht, das ging eindeutig unter die Gürtellinie.

Mit einer heftigen Bewegung stieß sie seine Hand von ihrem Knie und nahm gleich auch noch die Beine demonstrativ zur Seite.

Gefährlich leise sagte sie dann: »Boris-Schätzchen! Es ist aus zwischen uns. Endgültiger geht es gar nicht, glaub mir das. Es ist dermaßen aus, wie es nur aus sein kann zwischen einem Mann und einer Frau.«

Den Rest der Heimfahrt redeten sie kein einziges Wort mehr miteinander.

Boris schien tatsächlich kapiert zu haben.

Seine Intelligenz habe ich immerhin an ihm geschätzt. Wenn es auch nur eine mit Cleverness gepaarte Intelligenz ist, die sich noch dazu oft mit emotionaler Kälte umgibt und sich in einer berechnenden Grundhaltung äußert. Gegenüber allem und jedem im Leben. Bis hinein in sein Verhalten der Familie und der Partnerin gegenüber. Ich habe es tief drinnen stets gespürt und gewusst. Und trotzdem immer irgendwie die Hoffnung gehegt, ich könnte mich irren. Oder er würde sich im Laufe der Zeit ändern. Wir Frauen träumen wohl gerne derartige Wunschträume, während solche Männer sich nie ändern und die Jahre verfliegen.

Vor Dianas Haustür in München-Schwabing bremste Boris den Geländewagen ab. Er sprang heraus, rannte um den Wagen herum, glitt dabei beinahe auf dem eisglatten Bürgersteig aus und fluchte leise.

Diana stieg ebenfalls aus, sie fühlte sich momentan leicht wie eine Feder. Die Autotür schob sie so sanft wie möglich zu, sie wollte und brauchte keine Szene mehr, keine Demonstration ihrer Unerbittlichkeit. Die Würfel waren gefallen. Punkt.

Wortlos nahm sie ihre Skier und die Stöcke aus Boris’ Händen entgegen. Ehe sie sich zum Gehen wandte, sah sie ihm ruhig in die Augen: »Du wirst deinen Eltern schon selbst erklären müssen, was passiert ist. Ich für meinen Teil werde jedenfalls die Firma nicht mehr betreten. Hiermit kündige ich meinen Posten. Vom alten Jahr steht mir noch jede Menge Resturlaub zu, den ich ab morgen antreten werde. Hinterher ist die gesetzliche Kündigungsfrist ohnehin abgelaufen. Das war’s! Du darfst mir jetzt viel Glück wünschen für mein neues Leben, Boris.«

»Herrgott noch mal! Viel Glück dann ...«

»Dem Herrgott brauchst du nicht viel Glück zu wünschen, der sorgt schon selbst für sich!«

Himmel, ich bin ganz schön unverfroren, was f Diana, du machst dich ... Sie lachte in sich hinein, ehe sie zum krönenden Abschluss noch eins draufsetzte: »Es muss heißen: Viel Glück, liebe Diana, für dein neues Leben. Ich wünsche dir von Herzen nur das Beste, wie du es verdienst.«

»Weißt du was?« Er trat rasch einen Schritt auf sie zu und wagte sogar, einen Arm nach ihr auszustrecken.

Der Ausdruck in ihren Augen stoppte ihn aber noch rechtzeitig. Boris ließ den Arm wieder sinken.

»Ach was! Rutsch mir doch einfach den Buckel runter, magst net?« – da war er doch aus Versehen glatt in den heimatlichen bayerischen Dialekt hineingerutscht, etwas, was er normalerweise tunlichst zu vermeiden suchte, der frischgebackene Herr Diplombetriebswirt!

Am liebsten würde ich ja jetzt laut lachen, mitten in sein vor Wut verzerrtes Gesicht hinein. Er macht gerade eine recht jämmerliche Figur, der Boris Kammerer. Wo habe ich bloß die ganze Zeit über meine Augen gehabt?

In diesem Augenblick drehte er sich brüsk um.

Ein bisschen zu heftig offenbar, denn nun rutschte er auf der eisigen Stelle auf dem Bürgersteig aus und schlug der Länge nach hin.

Als er sich laut fluchend wieder aufrappelte, war es um Dianas Fassung endgültig geschehen. Sie prustete einfach los – und entfloh anschließend vorsichtshalber rasch seiner Reichweite.

Dass sie dabei einen ihrer Skistöcke verlor, nahm sie in Kauf.

»Das wirst du sowieso bald bereuen, meine Liebe! Der Tag wird kommen, an dem du angekrochen kommst und um Wiederaufnahme ins warme Nest betteln wirst!«

Er schrie jetzt tatsächlich so laut, dass auf der anderen Straßenseite ein junges Pärchen stehen blieb und neugierig zu ihnen herübersah.

Boris schnitt ihnen eine wütende Grimasse, klopfte sich Schneereste und Schmutz aus dem Skioverall, in dem er noch immer steckte, und sprang wieder in den Geländewagen, den er in zweiter Reihe geparkt hatte.

Mit durchdrehenden Reifen fuhr er davon.

Diana schleppte die Skier gut gelaunt in den Keller und stellte dabei fest: Es ging tatsächlich und auch ohne eine helfende männliche Hand. Wäre ja auch gelacht.

Den Lift im Treppenhaus ließ sie links liegen. Sie fühlte sich von einer Riesenlast befreit. Also schwebte sie regelrecht die Stufen hinauf bis in den dritten Stock, wo ihr Apartment lag.

Oben angekommen, überlegte sie einen Moment, ob sie wieder runterlaufen und draußen nach ihrem verlorenen Skistock fahnden sollte.

Noch während sie darüber nachdachte, ob Boris auf der Suche nach einem Parkplatz vielleicht nur einmal um den Häuserblock gefahren und es deswegen zu riskant wäre, die Nase nochmals aus dem Haus zu halten, empfing sie urplötzlich eine Vision. Ein langer Sandstrand, Palmen und Sonnenschein. Sommerliche Wärme, eine leichte Brise. Schließlich eine Insel, von oben her gesehen, wie aus einem Flugzeug. Umgeben von tiefblauem Meer.

Eine Stimme wisperte leise: »In einer solchen Umgebung ist ein einzelner Skistock nun wirklich das Allerletzte, was du eventuell vermissen könntest, Diana!«

Am nächsten Morgen, mit dem Moment des endgültigen Aufwachens, stellte sich dann prompt die Erinnerung an die umwälzenden Ereignisse des Vortags wieder ein.

Ein leider ziemlich ernüchternder Vorgang.

Diana kannte das bereits aus ihrer Vergangenheit, hatte allerdings gehofft, dass es sich mit fortschreitendem Alter und zunehmendem Lebenserfolg vielleicht irgendwie besser anfühlte.

PUSTEKUCHEN!

Sie seufzte leise und etwas resigniert und versuchte es damit, dass sie sich einfach noch einmal im warmen Bettchen umdrehte.

Immerhin ist es mir vergönnt, endlich einmal wieder noch ein Weilchen mit dem weichen Kissen zu kuscheln. Ich muss weder gleich unter die Dusche noch anschließend sofort loshetzen, um in die Möbelfabrik zu kommen. Was für ein unerhörter Luxus. Zeit haben. An einem ganz gewöhnlichen Wochentag: Wie lange ist das her?!

Das Ablenkungsmanöver gelang. Für ein Weilchen.

Jede Sache im Leben hat bekanntlich zwei Seiten – an dem Spruch ist definitiv was. Wahres dran. Wenn einem die schlechte Seite ins Auge sticht, muss man den Blick eben entschlossen auf die gute Seite richten. Das ist einfach genug, verlangt nur ein wenig Konzentration! Und schon geht es einem viel besser.

Ein weiteres halbes Stündchen mentale Konzentrationsübungen.

Ich bin frei. Und allein.

Im Alleinsein liegt eine Chance, eine Riesenchance.

Ich kann endlich wieder tun und lassen, was ich will.

Ich bin keinem Rechenschaft schuldig.

Ich kann von jetzt an ein superintensives, superinteressantes, superbefriedigendes Berufs- und Liebesleben aufbauen.

Ich werde endlich wieder meinem eigenen inneren Rhythmus folgen, beim Arbeiten, beim Leben überhaupt.

Ich werde erfolgreich sein.

Ich werde trotzdem Spaß und mehr Zeit für mich haben.

Ich werde vielleicht sogar eines Tages der einen, einzigen großen Liebe begegnen.

Diese wunderbaren Aussichten beflügeln mich und geben mir die Kraft, jetzt sofort wie neugeboren aus dem warmen Bett zu steigen.

Eins, zwei, drei ... vier, fünf, sechs, sieben, acht, neun ... ABER JETZT!

Diana schwang beherzt die Beine aus dem Bett. Der Blick auf den Radiowecker verriet ihr: Sie hatte soeben ein halbes Stündchen konzentriert Gedankenübungen für ihre Zukunft betrieben.

Und das war phänomenal, weil es geistige Arbeit von höchstem Format bedeutete.

Du bist auf dem richtigen Weg, Diana! Kapier es endlich. VERINNERLICHE das Gefühl.

Sie tappte auf nackten Füßen hinüber zum Fenster und öffnete die Jalousie einen Spalt breit, um die Lage draußen zu peilen.

Ihr Blick fiel hinunter auf die Straße.

Grau in Grau.

Anfang Februar, folgerichtig ging ein völlig überflüssiger Schneeregen über der Stadt nieder.

Die Scheiben der geparkten Autos riefen nach einem Eisschaber.

Beim Anblick dieser Szene zog Diana unwillkürlich fröstelnd die Schultern hoch. Trotz der angenehmen Temperatur in der Wohnung. Dank der modernen Fußbodenheizung.

»Warme Füße, kühler Kopf« – schon ihre Großmutter hatte Diana dieses Rezept für einen erkältungsfreien Winter einst wärmstens ans Herz gelegt.

Es ist zweifellos angenehm, morgens auf bloßen Füßen über warmes Parkett zu schlurfen. Trotzdem verfehlt das ungemütliche Wetter da draußen seine niederdrückende Wirkung auf mein Gemüt nicht.

Hier steh ich nun, in der Stadt herrscht Winter, von Frühlingserwachen weit und breit nicht die geringste Spur.

Ich versuche es jetzt mal mit einer Mini-Bestandsaufnahme. Mal sehen: habe keinen Job mehr, und den Mann in meinem Leben bin ich auch gleich losgeworden – in einem Aufwasch, das muss mir erst mal einer nachmachen.

Super, Diana! Das sind doch wirklich mal Ergebnisse, auf die man aufbauen kann, was?!

Also, was ich jetzt brauche, und zwar sofort, ist eine VISION!!!

Vision, wo bist duf Komm raus, du bist umzingelt.

»Vision, ja klar!«, rief Diana jetzt laut und schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn. Wie hatte sie das bloß vergessen können?

Ich brauche doch bloß die von gestern Abend zu verwenden. Die von der Sonneninsel irgendwo im blauen Meer.

Mehr Vision gibt es nicht und braucht es auch nicht. Verwende einfach diese, Süße!

»Ja, klar! Das ist es doch. Lisa und Teneriffa. Warum hab ich da bloß nicht gleich daran gedacht.«

Sie schnappte sich das schnurlose Telefon vom Tisch im Wohnzimmer und kroch damit noch einmal zurück unter die Bettdecke.

»Sí!«, meldete sich die strenge Frauenstimme am anderen Ende der Leitung.

»Lisa?«, hakte Diana vorsichtig nach.

Sie hätte es eigentlich mittlerweile wissen sollen, konnte sich aber immer noch nicht daran gewöhnen: Die Freundin hatte seit ihrem Umzug nach Teneriffa auch die dortigen Gepflogenheiten mehr und mehr angenommen. Und auf der Insel meldete man sich am Telefon eben nicht, wie in Deutschland unter wohlerzogenen Mitmenschen immer noch üblich, mit dem Namen.

Es war die Pflicht des Anrufers, sich zu erklären.

»Sí?«

»Ich bin es ...«

»Diana!«

Lisa klang tatsächlich völlig überrascht, fast ungläubig.

»Was ist denn passiert? Ist alles okay bei dir? Los, erzähl schon. Es muss doch was passiert sein, wenn du an einem stinknormalen Montagmorgen und vor allem so früh hier anrufst.«

Lisa kannte Diana verdammt gut!

Und umgekehrt.

Das war meist großartig, manchmal aber auch nicht.

Wie fang ich bloß an? Wie erkläre ich ihr, ohne in Tränen auszubrechen, welch tolle neue Wendung mein Leben hier buchstäblich über Nacht genommen hat? Wie glücklich ich bin, der doppelten Tretmühle entronnen zu sein. Und wie heftig trotzdem das große Muffensausen mich gepackt hat. So sehr, dass ich heulen muss, obwohl ich doch eigentlich befreit lachen sollte.

Wie erkläre ich meiner besten Freundin, was für ein verdammter Feigling ich bin, jetzt am Morgen danach?

»Wie ist denn momentan das Wetter da draußen auf deiner Insel im Atlantik?«

Lisa lachte. Auf diese verdammt wissende Art. »Es langweilt mich, auch nur darüber zu reden, weißt du doch, Süße. Das Wetter ist hier kein Thema, es herrscht sowieso fast jeden Tag dasselbe.«

»Dann weiß ich Bescheid, du Glückspilz. Sonne, blauer Himmel, vielleicht ein paar unschuldige Wölkchen, so um die zwanzig Grad. Plus natürlich.«

»Bingo! Allerdings bläst uns seit einigen Tagen auch ein ziemlich heftiger Wind um die Ohren. Zumindest hier in El Medanó. Die Surfer freut’s natürlich. Wenigstens die männlichen. Die Mädels sehen dafür mit ihren windzerzausten Flattermähnen alle aus wie Sturmbräute. Jeder rennt in kurzen Hosen herum, aber obenrum warm verpackt. Am besten im Sweater mit Kapuze auf dem Kopf. Die Sonne gleißt, der Wind sticht, ohne Sonnenbrille im skifahrtauglichen Format läuft gar nichts. Überhaupt sind die Farben unglaublich intensiv im Moment. Das Meer ist blauer als blau und von appetitlich sahneweißen Schaumkronen geschmückt. Der Sand leuchtet golden, die Häuser abwechselnd schneeweiß oder pastellfarben, ein wunderhübscher Anblick, der schon fast an Kitsch grenzt.«

Diana hatte genug gehört.

»Hör auf, mir wird ja schwindlig beim Zuhören. Außerdem steigt grässlicher, brennender Neid in mir hoch. Ich kann schon die Galle auf der Zunge schmecken.«

Hör auf herumzusülzen, Diana, und komm endlich zur Sachet

»Sag mal, Lisa, was ich eigentlich fragen wollte, gibt es irgendeine Chance für mich, auf Teneriffa demnächst Geld zuverdienen?«

Kurzes, intensives Schweigen am anderen Ende der Leitung.

Gleich fängt sie an zu lachen, dann hält sie mir eine Fredigt, und peng – meine Seifenblase ist geplatzt.

»Die gibt es mit Sicherheit«, sagte Lisa in diesem Moment. »Hier leben genug Deutsche und Engländer, die Häuser, Villen oder Fincas besitzen. Und fast täglich werden es mehr. Die meisten der Neu-Insulaner würden sich auch gerne neu einrichten. Oder gar innen komplett umbauen. Ich nehme an, du denkst daran, etwas mit deiner Ausbildung und deinem Talent anzufangen?«

»Im Prinzip ja. Ja, klar. Natürlich, wenn es geht. Aber für den Anfang würde ich auch Gott weiß was machen. Nur um einen Einstieg zu finden.«

»Aha! Dann brennt es also wirklich, was? Also, dann erzähl endlich. Was ist passiert? Hast du etwa den selbstverliebten Boris Kammerer endlich in den Wind geschossen?«

Jetzt lachte Lisa tatsächlich, in ihrer herzlichen, warmen Art.

Sie hat es immer geahnt, sie hat es immer prophezeit, sie weiß es bereits. Sie konnte ihn ja von Anfang nicht leiden, was auf Gegenseitigkeit beruhte. Auch das sprach eigentlich Bände, aber ich wollte ja blind und taub sein.

»Du hast es erfasst. Ich bin seit dem späten Nachmittag gestern vogelfrei, ungebunden und arbeitslos. In dieser Reihenfolge.«

Lisa verschluckte sich jetzt fast vor Lachen, sie hatte Dianas Art von Humor immer gemocht. Nicht zuletzt deshalb waren sie über die Jahre so enge Freundinnen geworden.

»Bestens, Süße! Dann ist ja endlich wieder alles in Butter. Jetzt kann man mit dir wieder richtig was anfangen. Pass auf, du kommst so schnell wie nur irgend möglich hierher auf die Insel. Wohnen kannst du natürlich vorerst bei mir, wenigstens bis du etwas gefunden hast, was dir mehr zusagt. Ich brauche ohnehin dringend deine Mithilfe bei meinen Plänen, aber dazu später mehr. Da ich dir nicht viel zahlen können werde, gilt es also nicht als richtiger Job. Allerdings füttere ich dich gerne, deine Mahlzeiten hast du also schon mal, und ein Dach über dem Kopf. Alles Weitere wird sich finden.«

»Welche Pläne denn, Lisa? Bevor ich mich auf den Deal einlasse, wüsste ich schon gerne genauer, was du jetzt wieder ausgeheckt hast.«

Leises, ungeduldiges Seufzen am anderen Ende.

Jetzt verdreht sie sicher genervt die Augen! Lange Erklärungen hat Lisa noch nie gemocht. Dafür schreibt sie lieber einige hastige Stichworte auf ein Blatt Papier.

»Ich sage nur: Wellnessoase! Das Café Wolke besitzt einen bis heute weitgehend ungenutzten Anbau, Diana. Den möchte ich jetzt auch umgestalten, anstatt ihn weiter nur als eine Art Rumpelkammer zu missbrauchen. Du musst das Ganze mit eigenen Augen sehen, anders geht es nicht. Dann wird dir schon was zu meinen Plänen einfallen, davon bin ich überzeugt. Ich vertraue voll deiner kreativen Ader.«

»Lass mich raten: Kosten darf das Ganze sicherlich eher wenig?«

»Besser noch nichts! Um ehrlich zu sein. Ist das nicht eine großartige Herausforderung für dich?«

»Klingt fast zu schön, um wahr zu sein. Ich bin praktisch schon auf dem Weg zum Flughafen.«

»Halt, stopp!« Lisas Stimme hallte mit einer Lautstärke aus dem Hörer, dass Diana augenblicklich um ihr kostbares linkes Trommelfell fürchtete.

»Wie stopp?«, schrie sie zurück, um wenigstens etwas Druckausgleich herzustellen.

»Nicht du, Diana!« – zur Abwechslung raunte es jetzt nur noch aus dem Telefon.

Aber schon donnerte die nächste ohrenbetäubende Schallwelle durch den Hörer: »Halt! Kristoffer! Kris, so warte doch. Komm mal rein, ich muss dringend mit dir reden, zum Kuckuck noch mal!«

Dann klang die Stimme erneut gedämpft, als würde Lisa sich vom Telefon wegbewegen oder den Kopf vom Hörer abwenden.

Da dämmerte es Diana, dass Lisa wieder einmal – wie so oft – während des Telefonierens zugleich noch andere Dinge erledigte.

Jetzt sprach sie offensichtlich zu diesem Knaben namens Kris.

Ah, Moment mal, ist das nicht ihr Nachbar?!

Ja, sicher, sie hat doch öfter schon von ihm geredet, Kris mit K wie Knurrhahn, nicht mit Ch am Anfang ... wahrscheinlich ist sie verknallt in diesen Kris mit K wie Knurrhahn, so oft wie sie von ihm gesprochen hat, jetzt dämmert es mir wieder. Ich habe leider nie so genau hingehört, hatte immer gerade zu viel Stress und dies und das um die Ohren. Besser, ich stelle die Lauscher jetzt mal auf Empfang.

»Ich habe hier jemanden aus München am Apparat«, erklärte Lisa gerade. Es klang wichtig. Genauso gut hätte sie sagen können: »Ich habe hier den Ministerpräsidenten von Buxtehude an der Strippe.«

Diana musste kichern, unterdrückte es aber, da sie von dem folgenden Dialog nichts verpassen wollte. Es schien eindeutig um ihre Person zu gehen.

»Sie kommt in den nächsten Tagen hier an und wird deine Räuberhöhle endlich in ein wohnliches Heim verwandeln. Widerspruch zwecklos. Sie heißt Diana, ist gelernte Innenarchitektin und Einrichtungsberaterin«, erklärte Lisa gerade ihrem Gegenüber.

Der schien etwas zu brummen, vermutlich wollte er widersprechen, aber das lief natürlich nicht bei jemandem wie Lisa. Die gerade jetzt erst so richtig in Fahrt zu geraten schien.

»Knurr sie bitte nicht gleich an, sie will dir ja bloß helfen, genau wie ich. Okay?«

Von ferne drang eine Männerstimme bis zu Diana durch, sie verstand jedoch kein Wort von dem, was die Stimme sagte. Allerdings klang sie nicht gerade begeistert. Kein Wunder!

»So, ich reiche dich jetzt einfach mal an sie weiter. Dann kannst du ihr selbst erzählen, was sie erwartet. Diana ist schon ganz gespannt.«

Der arme Kerl! Ich möchte wetten, der hat nicht die geringste Lust, mit mir zu reden.

Ausgerechnet in diesem Augenblick läutete jemand an ihrer eigenen Wohnungstür Sturm. Sie beschloss nach kurzem Zögern, die Klingelei einfach zu ignorieren und dafür lieber mit Lisas Nachbarn und potenziellem Lover – oder welche Stellung auch immer er derzeit bevorzugt einnehmen mochte – zu reden.

Dieses verdammte Sturmgeläute macht mich rasend!

Welcher unverschämte Vollidiot kommt auf so eine Idee am frühen Montagmorgen?

»Hallo, Diana, bist du noch da?«, schallte aus dem Telefonhörer.

»Ja, klar!«

»Gut. Also, er kommt jetzt, Achtung! Kristoffer, von allen nur kurz Kris genannt. Seines Zeichens in erster Linie verrückter Hund, außerdem nebenbei frisch gebackener Philosophieprofessor, der sich hochtrabend Lebensberater nennt und höchst überflüssige Ratgeberbücher schreibt. Was hab ich noch vergessen? Ach ja, mein Nachbar ist er auch noch, was ein wichtiger Posten ist. Und er haust in einem alten Fabrikgebäude, das er aus mir völlig unverständlichen Gründen gekauft hat.«

»Lieber Himmel, Lisa, jetzt halt endlich mal die Luft an!«, sagte der Mann namens Kris deutlich vernehmbar.

Süßer, das hilft doch nichts! Kennst du meine Freundin Lisa denn wirklich noch nicht besser?

»Halt die Klappe, Kris, ich bin noch nicht fertig! Also, besagte Fabrik besteht aus einem einzigen, dafür riesigen Raum von circa achtzig Quadratmetern. Diana, wenn du das siehst – ein wahres Paradies zum Austoben für eine kreative Persönlichkeit wie dich! Ich kann es kaum erwarten, dich dort in Aktion zu erleben ... Äh, hör auf:, Kris, ich reiche dich ja gleich weiter.« Offenbar gab es jetzt ein kurzes, aber heftiges Gerangel am anderen Ende der Leitung.

Zu ihrem Leidwesen bekam Diana davon aber nicht allzu viel mit, weil ihre Türglocke soeben erneut heftig anschlug.

Verdammt noch mal! jetzt verpasse ich diese kleine Insel-Balgerei! Dabei spricht so etwas doch für sich: Was sich liebt, das neckt sich, so nach dem Motto.

Die penetrante Klingelei verstummte, dafür dröhnte jetzt Lisas Organ wieder aus dem Hörer: »Also, Diana, hier kommt er jetzt wirklich höchstpersönlich. Kris, der Knurrhahn, traraaa! Am frühen Morgen ist er meistens besonders unausstehlich, lass dich also nicht von ihm vergrätzen. Im Prinzip ist er nämlich ganz okay.«

Die Männerstimme lachte und klang auf einmal angenehm warm, besonders als sie nun direkt in den Hörer sprach.

»Hallo, Diana! Nachdem Lisa bereits erschöpfend meinen Steckbrief verlesen hat, bleibt mir eigentlich nur noch die neugierige Frage: Wann kommen Sie denn an? Ich hole Sie gerne vom Flughafen ab. Ihre Freundin hier besitzt nämlich derzeit nur ein ziemlich klappriges Fahrrad.«

»Und ich besitze noch nicht einmal ein Flugticket, Kris. Freut mich übrigens, Sie endlich kennen zu lernen.«

»Obwohl Sie eben gehört haben, was Lisa über mich denkt? Sie müssen ein schrecklich nettes Mädchen sein. Ich kann es kaum erwarten, Sie zu treffen. Und wegen des Tickets gucken Sie am besten gleich mal ins Internet, da werden Sie bestimmt fündig.«

Er hat eine verdammt sexy Stimme, dieser Kris mit K wie Knurrhahn. Donnerwetter!

Auch sein Steckbrief klingt irgendwie vielversprechend.

Lisa, du Glückshenne! Ist dir da etwa ein Goldei ins Nestchen geplumpst, so ganz nebenbei und eher unbeabsichtigt?!

»Melde dich, sobald du das Ticket hast!«, rief Lisa von irgendwoher aus dem Hintergrund.

Dann brach die Leitung plötzlich ab.

Diana warf ihren flauschigen Bademantel über und trabte in die Diele hinaus.

Das blöde Parkett knarzte natürlich leise unter ihren bloßen Fußsohlen, da konnte sie noch so vorsichtig daherschleichen.

Ob man das Geknarze draußen vor der Wohnungstür auch hört?

Ach was, und wenn schon! Schließlich schreibt einem kein Gesetz vor, die Tür zu öffnen, wenn es läutet. Wär ja auch noch schöner!

Sie reckte sich auf die Zehenspitzen und spähte vorsichtig durch den Türspion.

Da ist keiner! Was sagt mir dasf Entweder steht der frühe Besucher noch unten in der Kälte vor der Haustür, oder er hat mittlerweile aufgegeben und ist abgedampft!

Sie öffnete vorsichtig ihre Wohnungstür einen Spalt breit. Da fiel ihr der einsame Skistock entgegen.

Sex on the rocks

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