Читать книгу Versprich mir, mich nie zu heiraten - Jeanette Sanders - Страница 7

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Draußen war Oktober und damit Herbst. Die Blätter färbten sich vorschriftsmäßig bunt und begannen abzufallen.

Doro fand in ihrem Kleiderschrank ein letztes Überbleibsel von Eberhard. Seine Strickjacke, die immer ein wenig nach nassem Hundefell roch. Sie packte das Ding ein und schickte es ihm mit der Post zurück. Als er sich auch daraufhin nicht bei ihr meldete, strich sie seine Adresse und Telefonnummer aus ihrem Notizbuch. Fall Eberhard abgeschlossen.

Manchmal träumte sie im Büro ein bißchen vor sich hin. Wie es wohl wäre, einmal im Leben so richtig Schwein zu haben und im Lotto zu gewinnen? Oder im Spiel 77. Oder wenigstens bei einem Preisausschreiben eine Kreuzfahrt in die Karibik ...

Aber nichts Aufregendes passierte. Auch das Telefon klingelte kaum. Nicht mal Doros Mutter oder ihre Schwester Sabine meldeten sich. Das letzte Lebenszeichen war ein Päckchen von beiden gemeinsam zu Doros Geburtstag gewesen, und der lag ja nun auch schon ein Weilchen zurück.

Doro mußte sich eingestehen, daß Alleinsein auch seine Schattenseiten haben konnte. Die Sache mit dem Ölwechsel an ihrem Auto zum Beispiel. In der Werkstatt hatte man gleich noch einige Mängel behoben und Doro 800 Mark abgeknöpft. Hätte Eberhard sich der Sache angenommen, wäre es mit 45 Mark 69 getan gewesen. Genausoviel, wie er im Großmarkt für fünf Liter Öl zahlen mußte. Aber sie hatte es ja nicht anders gewollt!

Eines Abends rief wie aus heiterem Himmel Sebastian an.

Er werde sich nun doch nicht verloben, meinte er, und damit fände auch keine Party statt.

«Schade», sagte Doro und freute sich klammheimlich, «und was treibst du sonst so?»

«Arbeiten, Geld machen. Und du?»

«Dasselbe ...»

«Wir könnten vielleicht demnächst essen gehen zusammen, was meinst du? Ich habe zwar im Moment viele Termine, aber ...»

«Oh, ich auch», rief Doro schnell, «aber irgendwann wird es sicher klappen.»

«Sicher. Ich rufe dich wieder an, Doro, bis bald.»

Ein paar Termine zuviel sind das gewesen, Doro! sagte sie sich ärgerlich. Andererseits schien Sebastian auch nicht gerade irrsinnig darauf versessen zu sein, sie zu treffen. Sonst hätte er einen Vorschlag und eine Alternative dazu und noch eine Alternative zur Alternative auf Lager gehabt, oder etwa nicht? Ein rasend interessierter Mann hätte das jedenfalls gehabt. So was konnte frau mindestens erwarten!

Doro tröstete sich, indem sie sich rasch mal wieder an ihr Gelübde erinnerte. Wenn sie sich mit Sebastian traf, würde sie am Ende bloß doch noch in Versuchung geraten. Er war kein Typ wie Ivan, mit dem sie einfach nur so in einer Kneipe oder sonstwo hocken konnte, ohne das leiseste Kribbeln in der Magengegend zu verspüren. Obendrein hatte Sebastian zumindest früher immer behauptet, Freundschaft zwischen Mann und Frau könne es nicht geben. Es funke immer der Sex dazwischen. Was in Doros Augen nichts anderes hieß, als daß Sebastian von keiner Frau die Finger lassen konnte. Was der Wahrheit, wie sie mittlerweile wußte, ziemlich nahe kam.

Das Dumme war nur, daß sie schon ganz gerne gewußt hätte, warum er sich jetzt doch nicht verloben wollte. Und wenn sie sich nicht mit ihm traf, würde sie kaum eine Chance haben, das herauszufinden. Vielleicht konnte sie Ivan auf die Sache ansetzen? Es war zwar nur eine vage Hoffnung, aber immerhin.

Bei Ivan lief der Anrufbeantworter, auf dem er irgendeinen Schwachsinn von sich gab ... Er habe sich eben in der Badewanne die Pulsadern geöffnet und könne deshalb leider nicht ans Telefon kommen. Ivan fand so etwas witzig!

Doro donnerte den Hörer auf die Gabel.

Kurz darauf klingelte der Apparat los.

«Ich wollte nicht stören», sagte die leicht zittrige Stimme von Frau Geiermann, «aber mir ist aufgefallen, daß Sie zur Zeit auch viel alleine zu Hause sind an den Abenden, Fräulein Wassermann. Da dachte ich mir, ich frage Sie mal, ob Sie vielleicht Lust hätten, zu mir herunterzukommmen. Auf ein Glas Wein.»

«Gerne», hörte sich Doro zu ihrer eigenen Überraschung antworten, «ich bin in zehn Minuten unten.»

«Ich freue mich, daß wir uns endlich ein bißchen besser kennenlernen, Kindchen!» sagte die alte Dame zur Begrüßung.

Doro verstand nicht allzuviel von Antiquitäten, aber daß dieses Wohnzimmer, in das sie jetzt geführt wurde, mit Kostbarkeiten ausgestattet war, entging ihr nicht.

Sie wurde gebeten, in einem bequemen Sessel Platz zu nehmen, bekam ein Glas Rotwein in die Hand gedrückt und einen Teller mit Buttergebäck zugeschoben. Im Hintergrund lief Chopin. Doro fing an, sich wohl zu fühlen. Zehn Minuten später hatte sie ihrer Gastgeberin in groben Zügen bereits einiges aus ihrem Leben berichtet. Die Trennung von Eberhard und daß sie sich beruflich gerne weiterentwickeln würde.

«Das finde ich gut», rief Doros Nachbarin, «wissen Sie, meiner Ansicht nach machen sich manche jungen Frauen heutzutage schon wieder viel zu abhängig von den Männern. Als ich jung war, hatten wir ja kaum eine andere Wahl, aber ihr könnt heute euer Leben frei und ungebunden genießen.»

«Mit Freiheit muß man aber auch umgehen können. Weibliche Singles fühlen sich jedenfalls angeblich meistens ziemlich alleine und sehnen sich nach einem Partner» – diese Weisheit hatte Doro aus einer Frauenzeitschrift.

Frau Geiermann nickte. «Mag sein. Aber man kann mit Freiheit und Alleinesein tatsächlich umgehen. Ich war zwanzig Jahre verheiratet und lebe heute völlig alleine. Ohne Kinder oder nahe Verwandte. Und doch gab es Zeiten in meinem Leben, in denen es mir viel schlechter ging, gefühlsmäßig!»

Doro horchte auf. «Waren Sie glücklich verheiratet?»

Ein leises Lachen erklang. «Nur am Anfang! Später hatte ich drei Jahre lang einen Geliebten und hätte gerne mit ihm gelebt. Aber mein Mann machte mir klar, daß ich keinen Pfennig eigenes Geld und keinen Beruf hätte. Was ich auch wußte! Außerdem argumentierte er, daß ich selbst im Falle einer Scheidung von ihm keinen Pfennig zu erwarten hätte. Da ich ja schuld hätte am Scheitern der Ehe. Damals galt Ehebruch noch als schwere Verfehlung. Und dann gab es da das Schuldprinzip bei einer Scheidung. Das alles zusammen nahm mir schließlich den Mut zu gehen. Denn alleine auf die Liebe mochte ich nicht zählen. Dazu kannte ich das Leben zu genau.»

«Aber der andere Mann! Wenn Sie ihn geheiratet hätten, wären Sie doch wieder versorgt gewesen, oder nicht?»

«Ich wollte aber nicht von einer Abhängigkeit in die nächste taumeln, Kindchen. Was ich wollte, war eine freie, unabhängige Beziehung zwischen zwei erwachsenen Menschen. In der nur die Liebe, das große Gefühl zählen sollte. Für damalige Zeiten eine reichlich verrückte, realitätsferne Einstellung. Außerdem gab es da noch ein Problem – » Frau Geiermann lächelte, als sie das sagte –, «der Mann war Kapitän zur See. Und ich wurde bereits seekrank, wenn wir nur am Wochenende einen Bootsausflug auf einem größeren Tümpel unternahmen. Ich hätte ihn also nicht begleiten können und hätte monatelang alleine in Athen gesessen. Wovon hätte ich denn da leben sollen? Von seinem Geld vielleicht? Nein, das niemals!»

«Athen!» Doro war hörbar beeindruckt.

«Ja, mein Mann war Archäologe. Wir lebten einige Jahre in Griechenland. Und mein Kapitän war ein schöner Grieche ...» – Frau Geiermanns Stimme klang plötzlich brüchig.

«Und da hatten Sie also drei Jahre ein Verhältnis.»

«Mit Unterbrechungen, wenn er auf See war. Alles in allem haben wir nur wenige Monate zusammen verbringen können.»

«Und Ihr Mann?»

«Der machte mir zwischenzeitlich die Hölle heiß! Dann sind wir nach Deutschland zurückgekehrt, der Krieg brach aus. Er wurde eingezogen, und ich erlebte wieder friedlichere Zeiten. Obwohl das in dem Zusammenhang zynisch klingt, aber so war es! Mein Mann geriet in Gefangenschaft und kam erst Jahre nach Kriegsende schwerkrank wieder heim. Die Episode war da kein Thema mehr zwischen uns. Er war auf mich und meine Pflege angewiesen. Das Thema Griechenland blieb tabu.»

Doro murmelte: «Ich hätte nie geglaubt ...»

Frau Geiermann fiel ihr ins Wort: «... daß die alte Frau, die unter Ihnen wohnt, auch mal jung gewesen sein und ein Liebesleben gehabt haben könnte mit allen Höhen und Tiefen?» Sie lachte leise, während Doro prompt verlegen wurde.

Schließlich rappelte sich Frau Geiermann etwas mühsam aus ihrem Sessel hoch. Und da wurden Doro urplötzlich zwei Dinge bewußt: Ihre Nachbarin war eine alte Frau an der Schwelle vom Leben zum Tod. Sie hatte kaum mehr eine Zukunft zu erwarten, während Doros halbes Leben noch wie ein offenes Buch vor ihr lag. Und es war ganz alleine ihre Sache, etwas daraus zu machen!

Frau Geiermann holte aus ihrem Schlafzimmer ein dikkes Fotoalbum. Den Rest des Abends guckten die beiden so unterschiedlichen Frauen, einträchtig nebeneinander auf der Couch sitzend, die alten Bilder durch.

Sogar vom Griechenkapitän fand sich ein Foto, vergilbt und ziemlich zerknittert zwar, aber immerhin noch aussagekräftig. Und Doro staunte schon wieder. Der Kapitän war nämlich wirklich ein äußerst ansehnlicher Mann gewesen und hätte Doro auch gefallen können. Und die junge Frau Geiermann erst – Donnerwetter! Die beiden gaben ein schönes Paar ab, damals in Athen!

Der Abend war schnell um. Frau Geiermann erzählte noch ein bißchen von ihrer Arthritis und den Einschlafschwierigkeiten. Sie jammerte nicht dabei, und Doro hörte ihr mit wachsender Sympathie zu. Jetzt verstand sie auch, warum Frau Geiermann nächtlichen Lärm im Haus so haßte. Doro nahm sich vor, in Zukunft mehr Rücksicht zu nehmen. Unter der Tür sagte die alte Dame noch: «Versuchen Sie herauszufinden, was Ihnen im Leben wirklich etwas bedeutet, Kindchen! Und lernen Sie, darum zu kämpfen. Das ist der Weg zum Glück.»

Versprich mir, mich nie zu heiraten

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