Читать книгу Versprich mir, mich nie zu heiraten - Jeanette Sanders - Страница 8

4

Оглавление

Mittlerweile war es November geworden. Es herrschte neblig-trübes und ungesund naßkaltes Wetter.

Doro erhielt eine Karte von dem Versandhandel. Das von ihr bestellte Gerät sei derzeit leider vergriffen. Sie möge sich ein wenig gedulden, man werde sich um baldige Lieferung bemühen. Gezeichnet war die Karte mit «Erwin Muntermann, stellvertretender Verkaufsleiter».

Vergriffen! Gingen die Dinger etwa weg wie warme Semmeln?

Doro bereitete außerdem die Vorstellung Unbehagen, daß ein männlicher Mensch mit dem unsäglichen Namen Erwin Muntermann jetzt genau im Bilde war, welche Freizeitaktivitäten eine gewisse Dame namens Dorothea Wassermann aus M. bevorzugte.

Am liebsten hätte sie ihre Bestellung storniert. Aber dann sagte sie sich, daß damit vermutlich noch mehr Angestellte des Betriebes erfahren würden, daß Dorothea Wassermann einen Vibrator zu besitzen begehre ... Sicherlich wurden Stornierungen in einer eigenen Abteilung bearbeitet. Und alle, alle wüßten dann Bescheid über ihre klammheimlichen Gelüste!

Allein bei der Vorstellung brach Doro der Schweiß aus. Sie genehmigte sich ein Gläschen Cognac, davon wurde ihr wenigstens inwendig schön warm. Und gleich noch ein zweites. Endlich fühlte sie sich so weit gefestigt, daß sie beschloß, die Bestellung laufenzulassen und einfach abzuwarten.

Doro hoffte nur, daß sie nicht aus einem dummen Zufall heraus gerade in Urlaub oder auf Geschäftsreise sein würde, wenn die Lieferung käme. Und Maria, die in solchen Fällen Doros Wohnung lüftete, Blumen goß und den Briefkasten leerte, ausgerechnet das verfängliche Päckchen in die Hände bekam. Sie würde hundertprozentig nachschauen, ob die Bestellung auch richtig mit Lieferschein und beiliegender Rechnung ausgeführt worden war – schon wegen der Rückgabefrist und der Garantie! Maria war da sehr genau.

Auf diese Eingebung hin brauchte Doro noch ein Gläschen. Prompt fielen ihr einige gute Sprüche ein, die sie der Freundin in dem Fall an den Kopf werfen würde.

«Selbst ist die Frau» etwa oder «Frau gönnt sich ja sonst nichts» oder vielleicht auch «Ich liebe mich eben selbst am allermeisten!»

Oder, nach dem Motto «Angriff ist die beste Verteidigung»: «Hast du etwa schon mal einen Liebhaber gehabt, der genau wußte, worauf es ankommt? Na? Siehste! Außerdem verschafft einem das Ding Lust ohne Reue. Du kriegst garantiert keine Babys davon, keinen Tripper, keine Hepatitis oder gar Aids ...» – letzteres Argument mußte sogar Maria überzeugen!

Deutlich beruhigt ließ Doro sich ein heißes Bad einlaufen. Ihr vom Alkohol leicht benebelter Kopf nahm ein angenehmes Ziehen im Unterleib wahr. Gewisse Gelüste meldeten sich da zurück ... Aber zum Glück gab es ja vorerst noch den prickelnd-warmen Strahl der Handbrause! Bis Erwin Muntermann vom Versandhaus endlich liefern würde.

Während Doro ihren Körper in das duftende Schaumbad gleiten ließ, überlegte sie, wie dieser stellvertretende Verkaufsleiter wohl aussehen mochte. War er groß oder klein, dünn oder dick, mit Glatze oder gar einem frechen Pferdeschwänzchen ausgestattet? Sie stellte fest, daß der Gedanke an einen gutgebauten, gutaussehenden Erwin Muntermann sie noch mehr antörnte. Sozusagen munter machte ...

Doro griff nach der Handbrause, legte den Hebel herum und drehte an der Wasserzufuhr. Bis der Strahl gerade richtig war – nicht zu lasch und nicht zu hart. Nicht zu dünn, weder zu heiß noch zu kalt ... Ein richtiger Wonnestrahl ganz einfach! Welcher Mann konnte das schon bieten?

Später, als Doro sich gerade genüßlich mit ihrem Badehandtuch trockenfrottierte, klingelte das Telefon.

«Hallo, Dorothea», rief die wie so oft gehetzt klingende Stimme ihrer Schwester Sabine, «gut, daß ich dich erwische! Ich versuche schon seit Tagen, dich zu erreichen.»

«Ich war abends meistens zu Hause. Tagsüber arbeite ich allerdings, falls du das vergessen haben solltest!» – Doro wußte; daß ihre um zwei Jahre jüngere Schwester, die ihre Mutter- und Hausfrauenrolle aus voller Überzeugung lebte, nur zu gerne vergaß, daß die arme ältere Schwester sich ihren Lebensunterhalt selbst verdienen mußte. In Sabines Freundeskreis gab es nur Frauen wie sie: Gut verheiratet, mit mindestens zwei Kindern, nicht berufstätig! Mit anderen Frauen – Karriereziegen – hatte Doros Schwesterlein keinen Umgang. Wollte sie auch gar nicht, wie sie oft ungefragt beteuerte. Dumm bloß, daß ausgerechnet die eigene Schwester auch irgendwie zu der Gattung Karriereziege zählte. Dabei ahnte Doro zumindest, daß Sabine sie manchmal glühend beneidete.

«Dorothea, ich habe mit Schrecken festgestellt, daß bald schon wieder Weihnachten ist», trompetete Sabine los, ohne auf Doros Hinweis weiter einzugehen.

«Richtig. Am 24. Dezember, wie jedes Jahr.»

Sabine lachte nicht, sie hatte keinen Sinn für Doros Art von Humor.

«Also, ich rufe wegen Mutti an!» erklärte sie ohne Umschweife.

«Ja? Es geht ihr doch gut, oder?»

«Sehr gut sogar. Ich wollte nur, sie hätte sich ein klein wenig von ihrer früheren Strenge für meine beiden Rangen aufbewahrt. Sie verwöhnt die zwei nach Strich und Faden.»

«Dafür hast du in Mutti aber auch einen verläßlichen Babysitter, Sabine. Wann immer du sie brauchst. Davon können viele Frauen hier in der Stadt bloß träumen.»

«Da hast du natürlich recht, Dorothea – » Sabine lenkte ein und zum eigentlichen Thema über –, «und wegen Weihnachten ... Also was ich fragen wollte, was machst du eigentlich an den Feiertagen?»

«Och, eigentlich habe ich mir das noch gar nicht überlegt», gestand Doro unvorsichtigerweise. Maria flog auf die Seychellen, Ivan feierte in irgendeiner Kneipe mit irgendwelchen Philosophen und Redakteuren von der Zeitschrift, Eberhard gab es nicht mehr in Doros Leben, mit Sebastian war wohl auch nicht zu rechnen, die anderen Freundinnen Doros hatten Familie, und wenn auch der Vibrator nicht mehr rechtzeitig geliefert werden konnte, sah es tatsächlich trübe aus. Was wohl Frau Geiermann machte an den Festtagen?

Sabines Aufatmen hätte man mit Händen greifen können.

«Könntest du dann Weihnachten zu Mutti fahren? Wilfried und ich würden nämlich gerne mit den Kindern zum Skilaufen gehen. Jonas wird ja schon bald fünf, und Katja können wir mit ihren drei Jahren auch schon in einen Kinderkurs stecken. Wir hätten dann endlich mal wieder Zeit für uns. Und im Hotel braucht man sich um gar nichts zu kümmern, nicht mal um den Weihnachtsbaum. Du verstehst das doch?»

«Aber sicher», gab Doro widerstrebend zu.

Und Sabine wurde ein Eckchen dreister: «Wilfried meinte, wo du doch zur Zeit sowieso alleine haust.» Sieh an! Es hatte sich in der Familie also herumgesprochen. Mit Doro und Eberhard, das wird auch wieder nichts! – «Kind, das war aber so ein netter Mann mit einem sicheren Beruf. Und du wirst auch nicht jünger!» hatte Doros Mutter zu ihr gesagt.

Sabine redete jetzt wie ein Wasserfall drauflos: «Und ich meine, sie ist alleine und du auch, und da könntet ihr euch es doch schön gemütlich machen! Einen Weihnachtsbaum und den Karpfen würde euch Wilfried gerne noch besorgen, dann habt ihr damit auch keine Laufereien und ...» »

«Ich werde es mir überlegen!» fiel Doro Sabine ins Wort. «Ich muß jetzt auflegen, ich erwarte noch einen Anruf. Wir können ja in ein paar Wochen noch mal telefonieren. »

«Sicher, überlege es dir in Ruhe», sagte Sabine zuckersüß, «wer ist denn der Glückliche, wenn man fragen darf?»

Das wüßtest du wohl gerne, dachte Doro gehässig, aber das wird nicht verraten! Ihr war nämlich eben die Idee gekommen – ein Phantasieliebhaber würde nicht nur das Vorstellungsvermögen von Doros Familie erweitern, sondern auch ihren eigenen Wirkungsradius. So konnte man etwa mit einem Phantomlover über Weihnachten nach irgendwo verschwinden, während man in Wirklichkeit gemütlich zu Hause vor dem Fernseher hockte, Cognac trank, las und ... Das verflixte Versandhaus! Hoffentlich lieferten die noch vor dem Fest ...

«Hallo?» rief Sabine, «bist du noch dran, hallo!»

Langsam legte Doro den Hörer auf. «Jetzt nicht mehr, Schwesterchen, jetzt nicht mehr!» murmelte sie.

Mit einem weiteren Gläschen Cognac als Seelentröster und Inspirator und bewaffnet mit Notizblock und Bleistift, machte es sich Doro auf der Couch bequem.

WEIHNACHTEN, schrieb sie groß auf das erste Blatt. Und dann Möglichkeiten, es herumzubringen:

– Zu Mutti fahren

– Mit Frau Geiermann feiern (erst fragen!)

– Alleine zu Hause bleiben.

Irrsinnig aufregend war die Auswahl nicht gerade!

Kurz bevor Doro Trübsal zu blasen anfing – und dabei war dieser Abend bis zu Sabines Anruf doch recht nett verlaufen –, hob sie ihren vom Alkohol etwas verschleierten Blick zur Zimmerdecke.

Da hockte sie – die zierliche schwarze Spinne. Sie schickte sich eben an, einen klebrigen Faden hervorzuwürgen. Die Geburt eines neuen todbringenden Spinnennetzes?

«Du bist wohl vor der Kälte hier hereingeflüchtet!» rief Doro. Sie spürte, wie sie eine Gänsehaut bekam. Sie erinnerte sich, wie ihr einmal, sie mußte etwa vierzehn gewesen sein, eine riesige fette Spinne unters T-Shirt gekrochen war. Doro glaubte noch immer die mit Widerhaken behafteten haarigen Beinchen auf der Haut zu spüren. Das zu Tode erschrockene Tierchen hatte schließlich durch den Halsausschnitt des T-Shirts die Flucht ergriffen.

Fasziniert beobachtete Doro heute, 21 Jahre später, wie diese Spinne in ihrem Wohnzimmer ein Netz spann ... Und plötzlich überkam es Doro! Wie unter einem inneren Zwang griff sie nach dem Notizblock und begann zu schreiben ...

Versprich mir, mich nie zu heiraten

Подняться наверх