Читать книгу Mehr vom Weniger - Jelena Weber - Страница 8

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HOMESTORYBESUCH BEI MINIMAL MIMI

Minimalismus ist inzwischen eine richtige Bewegung geworden. Ich kenne viele inspirierende Menschen, die diese Lebensform für sich entdeckt haben – und nun damit viel glücklicher und leichter leben als zuvor. Einige stelle ich dir in diesem Buch vor. Ich habe sie zu Hause besucht und mit ihnen über ihre Erfahrungen besprochen. Den Anfang macht Minimal Mimi.

MIMI, WARUM HAST DU ANGEFANGEN,

DEINEN BESITZ ZU REDUZIEREN?

Mimi: Als ich 25 war und noch studierte, war ich in einer Lebenskrise. Ich hatte eine Beziehung und war trotzdem mit allem total unzufrieden. Dabei sollte das doch eigentlich die schönste Zeit im Leben sein! Nur: Ich hatte kein richtiges Ziel. Sah im Leben keinen Sinn und fühlte mich innerlich leer. Es fehlte mir an Klarheit, was ich aus meinem Leben machen möchte. Mehr aus Zufall stieß ich damals auf die Idee des Minimalismus. Und stellte fest, dass ich mich mit lauter Dingen umgab, die ich gar nicht brauchte und die mich eher belasteten. Intuitiv fing ich an, auszumisten, und merkte dabei schnell, wie gut mir das tat und wie befreiend das war. Die Klarheit, die mir im Inneren fehlte, schuf ich damit zunächst in meinem äußeren Umfeld.

HAT DAS FUNKTIONIERT?

AUCH FÜR DEINE INNERE KLARHEIT?

Mimi: Auf jeden Fall. Es hat auch andere Bereiche meines Lebens verändert. Ich fing automatisch an, bewusster zu konsumieren. Schnell kam ich auch auf das Thema „emotionaler Ballast“. Begann zu hinterfragen, ob ich einen Vollzeitjob nur haben möchte, um mir Konsum leisten zu können. Und ob ich wirklich nur für die Arbeit leben möchte. Ich begann mich zu fragen: Was ist mir wirklich wichtig im Leben? Das ist doch der Punkt, um den es wirklich geht! Und ja: Damit wurde das Ausmisten auch zu einem Prozess, um mich selbst zu finden.

WAS SIND FÜR DICH DIE VORTEILE

EINES MINIMALISTISCHEN LEBENS?

Mimi: Also erst mal spart man viel Zeit. Es bringt einem eine gewisse Freiheit, je nachdem, wie weit man dabei geht. Es gibt ja auch die sogenannten „Rucksack-Minimalisten“. Das sind Menschen, die nur so viel besitzen, wie in einen Rucksack passt. Damit haben sie die Freiheit, zu reisen, ganz ohne Verpflichtungen. Dann habe ich auch ganz praktische Vorteile gespürt: Wenn man weniger hat, nimmt einem das viel Entscheidungsenergie im Alltag ab. Ich stehe nicht mehr morgens vor dem Kleiderschrank, unschlüssig, was ich anziehen soll, weil ich den Wald vor lauter Bäumen nicht sehe. Ich nehme einfach etwas aus dem Schrank, weil darin nur Sachen sind, mit denen ich mich zu hundert Prozent wohlfühle. Und auch im Haushalt hat sich vieles vereinfacht.

WIE STEHST DU HEUTE ZU KONSUM?

KONSUMIERST DU ÜBERHAUPT NOCH? UND WIE?

Mimi: Ich bin mit der Zeit immer bewusster damit umgegangen. Habe angefangen, mehr zu hinterfragen: Wo kommen die Sachen her? Wie werden sie hergestellt? Was für Auswirkungen hat das auf die Umwelt und die Menschen, die die Dinge produzieren? In der Regel sind damit ja viele, teils massive Umweltprobleme verbunden. Vor allem im Bereich Kleidung. In dieser Hinsicht habe ich mein Bewusstsein als Erstes geschärft. Gleichzeitig fing ich an, mich vegan zu ernähren. Weiter ging es dann mit dem Thema Müll. Wir alle produzieren viel zu viel Müll. Ich begann mich zu fragen, wie ich das reduzieren kann. Zum Beispiel durch müllvermeidenden Konsum. Wie kann ich da konsequenter vorgehen? Ich finde es wichtig, dass hier jede und jeder versucht, das Beste zu geben. In vielen Bereichen ist das auch gar nicht schwer. Und ja, Konsum an sich ist mir nicht mehr wichtig. Ich kaufe nur noch was, wenn ich wirklich etwas Neues brauche.

VERMISST DU NICHT MANCHMAL ETWAS?

Mimi: Shopping an sich vermisse ich überhaupt nicht. Mein jüngstes Shopping-Erlebnis war: Ich wollte für den Sommer kurze Hosen haben. Online war alles ausverkauft. Also dachte ich, ich gehe mal vor Ort gucken. Ich war in drei verschiedenen Geschäften und einem Vintage-Laden. Zwei Stunden war ich in der Hitze unterwegs. Danach war ich total frustriert, weil ich nichts gefunden hatte. Das kommt mir wie verschwendete Lebenszeit vor. Das ist für mich kein Vergnügen. Ehrlich: Von meinem früheren Leben vermisse ich überhaupt nichts.

WELCHE TIPPS WÜRDEST DU MENSCHEN GEBEN,

DIE AUCH MINIMALISTISCH LEBEN

MÖCHTEN? WIE FÄNGT MAN DAS AM BESTEN AN?

Mimi: Das Wichtigste, was man sich fragen sollte, ist: Warum möchte ich überhaupt ausmisten? Was ist mein Ziel? Viele denken, es ginge einfach nur darum, möglichst wenig zu haben. Es geht aber darum, sich von Ballast zu befreien. Das ist ein wichtiger Unterschied! Was als Ballast empfunden wird, ist individuell verschieden. Da hat jede und jeder ein anderes Ziel. Und dann würde ich mir als Erstes etwas vornehmen, das so einfach auszumisten ist, dass man schnell ein Ergebnis sieht. Zum Beispiel eine Schublade, in der sich Krimskrams angesammelt hat. Oder irgendein anderer Bereich, es muss nicht unbedingt gleich der Keller sein. Wirklich etwas, wo man schnell Ergebnisse sieht. Und das Ganze positiv angehen! Nicht darauf konzentrieren, wovon man sich trennen – sondern darauf, was man behalten möchte. Dann erst einmal alles ausräumen und anschließend die Dinge, die man behalten möchte, als Erstes wieder einräumen. Das finde ich immer ganz besonders motivierend.

„Von meinem früheren

Leben vermisse ich nichts.“

WIE FINDE ICH DIE PERFEKTE ANZAHL AN

DINGEN? BEDEUTET MINIMALISMUS, DASS MAN

WIRKLICH NUR NOCH DAS ALLERNÖTIGSTE

BESITZT? ODER GIBT ES EINEN MITTELWEG?

Mimi: Ich finde, es geht überhaupt nicht um eine wie auch immer gesetzte „Anzahl“. Es gibt ja diese plakativen Beispiele, wo jemand nur noch mit 100 Dingen lebt oder so. Da bin ich kein Fan von. Es vermittelt eine falsche Vorstellung von Minimalismus und verzerrt, worum es bei der Sache eigentlich geht. Ich habe aus Prinzip noch nie meine Besitztümer gezählt. Ich finde das unwichtig. Die Zahl ist irrelevant. Sie ist bei allen individuell. Jede und jeder braucht andere Dinge. Das Grundprinzip ist: Es geht darum, persönlichen Ballast loszuwerden.

WIE FINDET MAN DABEI SEINE EIGENE

WOHLFÜHLGRENZE? WIE WAR ES BEI DIR?

Mimi: Mit der Zeit habe ich immer weiter reduziert. Irgendwann hatte ich sogar mein Bettgestell aussortiert. Nur zwanghaft bin ich nie vorgegangen. Ich hinterfrage nicht akribisch jeden einzelnen Gegenstand. Sicher habe ich in der einen oder anderen Schublade irgendetwas liegen, was mich nicht unbedingt glücklich macht. Aber solange es mich nicht belastet, darf es ruhig bleiben. Mein Tipp: intuitiv und entspannt an die Sache rangehen.

BEKOMMST DU AUCH GEGENWIND FÜR

DEINE ART ZU LEBEN? WIE WIRD ARGUMENTIERT

UND WIE GEHST DU DAMIT UM?

Mimi: Zunächst aus dem privaten Umfeld. Meine Mutter zum Beispiel konnte das anfangs nicht so ganz nachvollziehen. Das hat auch damit zu tun, dass sie in der Sowjetunion aufwuchs. Da hat es überall am Nötigsten gefehlt. Deshalb hat sie ein anderes Verhältnis zu Dingen als ich. Sie versteht nicht, dass ich das freiwillig mache, mich freiwillig dafür entscheide. Sie selbst hatte, als sie noch in der Sowjetunion lebte, nicht die Wahl. Minimalismus bedeutet für mich nicht zwanghafter Verzicht – das ist so eines der gängigsten Vorurteile. Einige denken auch, Minimalismus sei nur etwas für Leute, die sich übermäßigen Konsum sowieso nicht leisten könnten. Ich finde aber nicht, dass dies eine Frage von Einkommen oder Vermögen ist. Auch wenn man wenig Geld zur Verfügung hat, kann man dennoch jede Menge Dinge anhäufen. Ein weiteres Argument ist, dass sogenannter überflüssiger Ballast ein Luxusproblem sei. Meine Antwort: Warum sollte ich zu viele Dinge besitzen, nur weil ich es mir finanziell leisten könnte?


WAS ENTGEGNEST DU LEUTEN, DIE DIR

SO ETWAS VORWERFEN? WIE WAR

DAS ZUM BEISPIEL BEI DEINER MUTTER?

Mimi: Ich musste sie davon überzeugen, dass ich das freiwillig mache. Dass das für mich nichts mit Verzicht zu tun hat, sondern mit Lebensqualität. Das hat eine Weile gedauert. Mittlerweile hat sie es, glaube ich, verstanden. Sie kommt jetzt eher damit zurecht, obwohl sie mir manchmal noch Sachen schenken möchte. Zum Glück hat sie damit aufgehört, mich immer wieder zu diesem Thema zu löchern. Über Jahre ging das so. Inzwischen hat sie es akzeptiert.

UND SIE DARF DIR AUCH

NICHTS MEHR SCHENKEN?

Mimi: Verbrauchsgüter schon. Seife oder Öle, solche Dinge. Sachen also, die ich tatsächlich gebrauchen kann.

DU HAST EINEN WUNDERBAREN YOUTUBE-

KANAL. WAS WAR FÜR DICH DIE MOTIVATION,

DAMIT ANZUFANGEN? WELCHE BOTSCHAFT

MÖCHTEST DU VERMITTELN?

Mimi: Das ging ziemlich schnell. Ein halbes Jahr, nachdem ich anfing, Ballast zu reduzieren, hatte ich das Bedürfnis, mich mit anderen auszutauschen. In meinem privaten Umfeld konnte ich das nicht so recht. Ich habe nicht zu meinen Freundinnen und Freunden gesagt: „Ach, übrigens, ich habe meinen Hausstand reduziert. Ist total super!“ Ich hatte vielmehr das Bedürfnis nach echtem Erfahrungsaustausch, auch, weil ich damals selbst online nicht viel fand. Mittlerweile gibt es viele Inhalte dazu. Ich hatte damals eine Kamera zur Hand und fing einfach an, Videos zu drehen. Ich merkte dann schnell, dass es ein Interesse daran gibt. Es wurde positiv aufgenommen. Also habe ich weitergemacht.

HAST DU THEMEN, DIE DIR

BESONDERS AM HERZEN LIEGEN?

Mimi: Generell ist es mir wichtig zu vermitteln, dass Minimalismus Lebensqualität schenkt. Und ich widme mich mittlerweile mehr auch emotionalen Aspekten. Digitaler Minimalismus beschäftigt mich ebenfalls. Ich merke selbst, wie krass die Digitalisierung uns alle vereinnahmt. Wie viel Zeit das frisst. Ich habe zum Beispiel auch WhatsApp gelöscht. Weil ich feststellte, dass ich meine Freunde gar nicht mehr getroffen habe, weil wir uns sowieso alles nur noch in Sprach- und Textnachrichten erzählten. Das wollte ich nicht mehr. Solche Mechanismen hinterfrage ich heute. Es geht also nicht nur ums Materielle.

IN DEINEM BUCH SPRICHST DU AUCH

DIE EMOTIONALE KOMPONENTE AN.

Mimi: Ja, unbedingt! Ich möchte alle Themen anschneiden.

Auch das große Thema des Loslassens an sich.

„Minimalismus bedeutet nicht Verzicht.

Sondern mehr Lebensqualität.“

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