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Zweites Kapitel

Kerr Wallace erhob sich von seinem Platz, als ein Wirbelwind aus Seide, Spitze und betörendem Parfümduft ins Zimmer gestürmt kam. Seine Geste war natürlich eine höfliche Reaktion gegenüber einer Lady, zugleich erhob er sich aber aus dem Sessel, weil der Auftritt dieser Lady ihn auf das Äußerste beunruhigte. Das konnte doch nicht die Tochter sein, die eine Begleitung zu ihrer Hochzeit benötigte. Nicht dieses Geschöpf mit rotem Haar, aufblitzenden Augen und zarten milchig weißen Brüsten, denen der Kerzenschein einen rosigen seidigen Glanz verlieh.

Falls ja, dann hätte er mehr als genug zu tun.

Warum in Gottes Namen konnte sie nicht nachlässig gekleidet und demütig sein, flachbrüstig und mit einem schielenden Auge? Mit einer solchen Frau wäre er wohl zurechtgekommen.

Aber er hätte es ohnehin wissen sollen. Ein Mann wie Jean Pierre Rouillard konnte keine schlichte Braut haben, sondern es musste einfach die schönste und feinste sein. Wenn nicht seine Eitelkeit, dann verlangte allein schon sein Stolz das.

Auch sein Gastgeber Monsieur Bonneval war aufgesprungen, jedoch zeigte sein Gesicht einen missbilligenden Ausdruck, so als würde er oft eine solche Miene aufsetzen, sodass die tiefen Falten wie eingemeißelt wirkten. »Sonia, ma chère, du störst eine geschäftliche Angelegenheit. Lass uns bitte allein.«

Kerr entging nicht, dass die Worte als Befehl gemeint waren. Die Lady ließ sich davon allerdings nicht beeindrucken, sondern trat einen Schritt vor und streckte ihm die Hand entgegen. »Aber wir haben einen Gast, Papa«, sagte sie und warf nur einen kurzen Blick über die Schulter. »Er muss willkommen geheißen werden. Willst du mich ihm nicht vorstellen?«

»Sonia!«

Unter dem Rot ihrer Wangen wurde sie ein wenig blasser, wie Kerr bemerkte. Er bedauerte, die Ursache für diese Reaktion zu sein, und er sah keinen Grund, warum es so weitergehen sollte. Außerdem missfiel ihm der Gedanke, so lange nicht würdig zu sein, Bonnevals Tochter vorgestellt zu werden, bis er für den fraglichen Posten endgültig ausgewählt worden war.

»Kerr Wallace, zu Ihren Diensten, Mademoiselle.« Er beugte sich über ihre Hand und hielt sie locker und recht ungelenk, da die junge Lady keine Handschuhe trug und er seine eigenen dem Butler übergeben hatte, der ihn ins Haus ließ.

»Sehr erfreut, Monsieur Wallace, und ich bin Sonia Blanche Amalie Bonneval. Ich glaube, Sie und mein Vater besprechen die Reise zu meiner Hochzeit, nicht wahr?«

»Das ist richtig.«

Ihre Finger fühlten sich kühl an und zitterten ein wenig, so als koste es sie große Mühe, die Fassung zu wahren. Er ließ es sich nicht anmerken, doch unwillkürlich überlegte er, was der Grund dafür sein mochte. Und genauso fragte er sich, welchen Hintergrund die angespannte Stimmung zwischen Vater und Tochter haben mochte. Nicht, dass es ihn etwas anginge, schließlich war er nur aus einem einzigen Grund hier. Was es mit den Menschen auf sich hatte, die damit im Zusammenhang standen, zählte letztlich nicht. Nicht einmal dann, wenn die Berührung der Lady wie betäubend durch seinen Arm jagte, als sei er vom Blitz getroffen worden.

Er hätte ihre Hand längst losgelassen, doch sie gestattete es ihm nicht. Sie klammerte sich an ihn und schien mit aufgerissenen Augen etwas in seinem Gesicht zu suchen. Ihre Wimpern leuchteten nahe dem Lid kastanienrot, während sie an den Spitzen sonderbarerweise schwarz waren. Die Augen selbst hatten den blaugrauen Farbton eines stürmischen, bewölkten Himmels, darüber lag ein trügerischer Hauch von Immergrün wie der von Bergastern im Herbst. Und so wie ein stürmischer Himmel kündigten auch diese Augen an, dass große Probleme folgen sollten.

»Ich befürchte jedoch, es könnte eine gefährliche Reise werden, wenn man bedenkt, dass über uns die schreckliche Bedrohung eines Krieges schwebt«, fuhr sie fort und hielt ihn fester, sodass ihre Hand von seiner schwieligen Handfläche allmählich gewärmt wurde. »Sie schrecken davor nicht zurück?«

»Unsinn«, warf Monsieur Bonneval mit einem gereizten Unterton ein. »Ein paar Scharmützel entlang der Grenze stellen schließlich keinen Krieg dar. Es gibt absolut nichts zu befürchten.«

Die Lady nahm ihren Vater kaum zur Kenntnis, was Kerr dazu veranlasste, vieles von der Strenge des Mannes als Wichtigtuerei abzutun. Ihre ganze Aufmerksamkeit galt ihm, dem Gast. »Und, Monsieur? Stimmen Sie dieser Ansicht zu?«

Kerr hatte Mühe, sich auf ihre Worte zu konzentrieren, da er nur noch diese Lippen wahrnahm, über die sie kamen – diese sanft geschwungenen, vollen Lippen. So verlockend waren sie, und so sehr wollte er ihre Süße kosten, dass ihm allein bei ihrem Anblick bereits das Wasser im Mund zusammenlief. Auf ihren Mund zu starren war sicher nicht das Klügste, was er in diesem Moment tun konnte, doch es schien ihm die bessere Lösung, da er sonst auf ihr verlockendes Dekolleté gestarrt hätte, das sie ihm so offenherzig präsentierte. Und obwohl er fortsah, spürte er, wie sein Körper reagierte und heißes Blut durch seine Adern schickte.

Gleichzeitig bemerkte er ein Kribbeln im Nacken, eine Warnung, von der er seit einigen Jahren wusste, dass er sie nicht ignorieren durfte. Auslöser dafür musste wohl der sehr abschätzende Blick sein, den er in den Tiefen ihrer Augen ausmachen konnte.

»Oh, es wird Krieg geben«, entgegnete er in ruhigem Tonfall, der jedoch eine Spur schroffer als beabsichtigt war.

»Dann ist die Situation gefährlich.«

»Das könnte sein.«

»Papa glaubt, es macht nichts aus. Er ist der Meinung, Zivilisten und vor allem Frauen werden in Sicherheit sein, ganz gleich, was kommen wird. Was denken Sie? Werde ich in Sicherheit sein?«

Kerrs persönliche Meinung war, dass Bonneval mexikanischem Edelmut zu große Bedeutung zumaß. Oder aber der Mann interessierte sich nicht weiter für das Wohl seiner Tochter. Diese Frage kümmerte ihn aber genauso wenig wie die Reibereien zwischen den beiden. Er wollte von Bonneval nur die Zusage bekommen, dass er die zukünftige Braut begleiten sollte. Er brauchte diesen Auftrag, um nach Mexiko zu gelangen und sich Zutritt zu Rouillards Haus zu verschaffen – weiter nichts.

»Ich bezweifle, dass Ihr Vater Sie vorsätzlich in Gefahr bringen würde«, antwortete er bewusst diplomatisch.

»Sind Sie sich denn sicher, dass Sie selbst diese Reise unternehmen wollen?«

»Ich hatte von vornherein die Reise geplant. Da kann ich diese Gelegenheit nutzen, die sich mir hier bietet.« Das waren klare und deutliche Worte, doch Kerr verscheuchte sie aus seinem Gedächtnis, kaum dass er sie ausgesprochen hatte. Eine Lady von diesem Schlag war zweifellos an eine gewähltere Ausdrucksweise gewöhnt, ebenso an anmutige Komplimente sowie an Beteuerungen, dass ihr Leben in seiner Begleitung nicht in Gefahr war. Doch so zu reden war nicht seine Art. Er sprach die Dinge so aus, wie sie ihm durch den Kopf gingen, und in der Mehrzahl der Fälle machte er sich auch keine weiteren Gedanken darüber.

»Es ist unwahrscheinlich, dass Monsieur Wallace Sorge verspüren wird, meine liebe Sonia«, erklärte ihr Vater mit einem Anflug von Ironie in seiner Stimme. »Immerhin ist er ein Fechtmeister.«

Die Lady zog die Hand zurück, als hätte sie glühende Kohlen angefasst. »Was?«

»Ein Fechtmeister mit einem eigenen Salon an der Passage de la Bourse, die von der Rue St. Louis bis zur …«

»Ich weiß, wo sie verläuft! Aber das kann doch nicht dein Ernst sein!«

»Aber bitte, ma chère, du wirst doch nicht geglaubt haben, ich würde dem erstbesten Mann den Auftrag geben, für deinen Schutz zu sorgen! Du solltest erfreut darüber sein, dass du einen Experten im Umgang mit der Klinge an deiner Seite hast, einen Gentleman, der mit der Gefahr vertraut ist, von der du ja so fest ausgehst, dass sie auf dich lauert.«

»Verspotte mich nicht, Papa! Wie kannst du nur glauben, ein solcher Mann wäre akzeptabel? Aber das glaubst du auch gar nicht, denn du weißt, er genügt nicht.«

Die Lady schien vor Kummer wie erstarrt, die geballten Fäuste drückte sie an ihre Seiten, und ihre Wangen waren so rot, als würden sie jeden Moment in Flammen aufgehen. Ihre Augen funkelten so sehr, dass man meinen konnte, Blitze müssten aus ihnen hervorschießen. Und ihre Lippen presste sie so sehr aufeinander, dass sie nur noch eine schmale, blasse Linie bildeten. Es war ein interessantes Spektakel, insbesondere mit Blick auf ihre Brüste, über denen die Seide ihres Mieders bis zum Zerreißen gespannt war.

Kerr trat einen Schritt zurück und verschränkte die Arme, während er abwartete, wie sich die Situation entwickeln würde. Über die Tatsache, dass ihre Ablehnung ihn auf eine sonderbare Weise schmerzte, wollte er dabei nicht nachdenken.

Ihr Vater beugte sich über den Schreibtisch, seine Fingerspitzen ruhten auf der polierten Tischplatte. »Er ist ein Gentleman, der die besten Referenzen vorweisen kann, darunter die persönliche Empfehlung des Conde de Lérida.«

»Der selbst auch einmal ein Fechtmeister war und deshalb mit seinesgleichen mitfühlte. Nein und nochmals nein! Wallace ist ganz offensichtlich ein flegelhafter Kaintuck ohne jegliche Manieren. Eine Stunde in seiner Gesellschaft wäre unerträglich, von mehreren Tagen ganz zu schweigen.«

»Beherrsch dich, Sonia. Der Gentleman ist Gast in diesem Haus.«

»Ich habe ihn nicht eingeladen, und ich ertrage den Gedanken nicht, von jemandem wie ihm auf meiner Reise nach Vera Cruz begleitet zu werden. Jean Pierre wäre so entsetzt wie ich.«

»Und was ist mit diesem Krieg, von dem du ständig redest? Meinst du etwa, ein Dandy, der gut Walzer tanzt und dein hübsches Gesicht lobt, würde etwas taugen, wenn es zu einem Kampf kommt? Da du es nicht kannst, müssen eben dein Verlobter und ich praktisch denken.«

»Ganz bestimmt gibt es jemanden mit besseren Manieren und mehr Stil – zumindest aber jemanden, der nicht so tölpelhaft ist und sich allein auf seine Muskeln verlässt.«

»Wie ich schon sagte, sind das Aussehen und das Benehmen deiner Eskorte nicht von Bedeutung. Ich muss dich ja wohl nicht daran erinnern, dass er dich zu deinem Vergnügen begleitet.«

Er sagte noch mehr, doch davon bekam Kerr kaum noch etwas mit. Zu ihrem Vergnügen. Die Bilder, die bei diesen Worten vor seinem geistigen Auge entstanden – ihre milchig weißen Oberschenkel, die sich ihm öffneten, zarte Hände, die nach ihm griffen, alles begleitet von leisen Seufzern und unterdrücktem Stöhnen –, sollten von der Kirche verboten werden, aber vermutlich waren sie das auch. Sie bewirkten, dass ihm sein Hemdkragen zu eng vorkam und sein Kopf anzuschwellen schien. Er atmete tief durch, um das in den Griff zu bekommen, was zweifellos unziemliche Reaktionen auf diese Frau und die Situation waren.

»Aber sein Französisch, Papa! C’est atroce! Einfach schrecklich! Ich würde verrückt werden, müsste ich ihm über längere Zeit zuhören. Und wie peinlich es für mich wäre, ihn an meiner Seite zu haben, sodass jeder sehen kann, er ist meine Eskorte. Ich kann dir gar nicht sagen, wie unangenehm mir das wäre.«

Im ersten Augenblick hatte die Lady Kerr tatsächlich noch leidgetan. Mit einem Mann wie Rouillard verheiratet zu werden und die eigene Familie zu verlassen, um in einem fremden Land zu leben, konnte für sie nicht leicht sein. Aber vielleicht gab es einen Grund dafür, dass sie noch nicht verheiratet war. Und möglicherweise war ein zänkisches Weib wie sie genau die Richtige für einen Bastard wie Rouillard.

»Dann sag es mir auch nicht. Sag mir einfach gar nichts mehr.« Monsieur Bonneval warf seiner Tochter einen missbilligenden Blick zu, während er sich mit vor Wut gerötetem Gesicht über seinen Schreibtisch beugte. »Da du kein akzeptables Verhalten an den Tag legen kannst, wirst du uns sofort verlassen.«

»Aber Papa!«

»Auf der Stelle, Sonia.«

Das war ein klarer Befehl. Die Lady presste die Lippen aufeinander, während sich ihre Brust bei jedem aufgebrachten Atemzug hob und senkte. Sie warf ihrem Vater und Kerr einen letzten zornigen Blick zu, dann wirbelte sie herum und stürmte wutschnaubend aus dem Arbeitszimmer. Hinter ihr fiel die Tür laut ins Schloss.

Die anschließende Stille hielt nur Sekunden an, erschien aber wie eine halbe Ewigkeit. Bonneval drückte Zeigefinger und Daumen auf seinen Nasenrücken und hielt die Augen geschlossen. Mit einem Mal wirkte er um zehn Jahre gealtert. Dann schüttelte er den Kopf und machte eine wegwerfende Geste.

»Sie müssen meine Tochter entschuldigen, Monsieur Wallace. Seit über fünfzehn Jahren ist sie ohne den besänftigenden Einfluss einer Mutter. Ich fürchte, ihre Tante, die den Platz meiner geliebten Frau als Sonias Anstandsdame einnahm, hat sie zu oft das tun lassen, wonach ihr der Sinn stand. Die Ehe mit Monsieur Rouillard wird diesem lachhaften Eigenwillen ein Ende setzen – ein Grund mehr, jede weitere Verzögerung zu vermeiden.«

Diese Lösung war nach Kerrs Ansicht maßlos übertrieben, und das fand er sogar trotz seiner verletzten Gefühle. Aber natürlich ging ihn das alles nichts an. »Sie scheint entschlossen, mich nicht als ihren Begleiter zu akzeptieren.«

»Sie scheint gegen jeden geeigneten Mann eingestellt zu sein. Nehmen Sie einfach keine Notiz davon. Ihre Aufgabe wird es sein, sie unversehrt zu ihrem zukünftigen Ehemann zu bringen, weiter nichts.«

»Ich hatte auch nichts anderes erwartet.«

Bonneval schürzte die Lippen. »Die Bemerkungen meiner Tochter könnten Sie zu der Ansicht gebracht haben, dass dieser Posten einen gesellschaftlichen Aspekt besitzt. Mich freut es, zu sehen, dass Sie sich der Grenzen bewusst sind.«

Mit anderen Worten, dachte Kerr ein wenig mürrisch, er sollte Mademoiselle Sonia Bonneval auf dem Schiff nicht zu nahe kommen. Aber da hatte ihr Vater nichts zu befürchten. Eher würde er mit einem Bärenweibchen flirten, bevor er sich dieser Lady zuwandte. »Heißt das, Sie bieten mir den Posten an?«

»Wenn Sie interessiert sind«, antwortete Monsieur Bonneval und nickte dabei ernst.

»Dann nehme ich an.« Kerr stand auf, streckte den Arm über den Mahagonischreibtisch hinweg, der sie beide voneinander trennte, und wartete, dass sein Gegenüber einschlug, um den Vertrag zu besiegeln.

»Exzellent.« Bonneval ergriff seine Hand, wenn auch erst nach einem kurzen Zögern, als sei ihm die Geste nicht vertraut – oder als überrasche ihn Kerrs prompte Zusage. Der hatte schon vor einer Weile festgestellt, dass diese aristokratischen Kreolen sich gern mit allen Dingen Zeit ließen.

»Wann fange ich an?«

»Sofort, wenn Sie möchten. Die Lime Rock hat am Morgen am Anlegeplatz festgemacht. Treffen Sie alle Vorbereitungen, die Sie für nötig erachten, und dann halten Sie sich zur Abreise bereit, wenn sich das Schiff auf den Rückweg nach Vera Cruz macht.«

Die Zeit, die ihm damit noch zur Verfügung stand, war begrenzt – es ging nur um die wenigen Tage, die nötig waren, um die mitgebrachte Fracht zu löschen und neue an Bord zu nehmen. Kerr würde dafür sorgen, dass er mit dieser wenigen Zeit hinkam, da sich eine solche Gelegenheit sehr wahrscheinlich nicht wieder bieten würde. Jahrelang hatte er in New Orleans gewartet, ohne auch nur ein Wort von Rouillard zu hören. Und dann auf einmal fiel ihm die Chance einer reifen Frucht gleich in den Schoß, indem er die Braut dieses Mannes zu ihm bringen sollte. Er hatte befürchtet, mit seiner Bewerbung um den Posten zu spät zu kommen, doch wie es schien, war der dank der Halsstarrigkeit dieser Lady noch nicht besetzt worden. Dafür war er ihr zu großem Dank verpflichtet, ganz gleich, wie betrübt sie darüber war. Nichts würde ihn noch davon abhalten können, zusammen mit Mademoiselle Bonneval an Bord dieses Dampfschiffs zu gehen.

Kerr verabschiedete sich mit jener Förmlichkeit, die die Herzen dieser Franzosen höher schlagen ließ, unter denen er nunmehr seit vier Jahren lebte. Der Majordomus brachte ihm seine Sachen, darunter auch den Stockdegen, und ließ ihn nach draußen, die in das größere schmiedeeiserne Tor der Durchfahrt eingefügt war. Kerr trat hinaus in die regnerische Nacht und sah nachdenklich drein, da er überlegte, was vor seiner Abreise alles noch zu erledigen war. Unter anderem musste er sicherstellen, dass er über genügend Hemden für die Seereise verfügte, ferner war es erforderlich, den Fechtsalon vorübergehend zu schließen. Er hatte fast die Häuserecke erreicht, an der die Gasflamme der kunstvoll verzierten Straßenlaterne hinter dem dicken Glas hin und her zuckte, als er plötzlich hinter sich Schritte hörte.

Abrupt drehte er sich um, seine kräftigen Muskeln bewegten sich geschmeidig, der aufgeknöpfte Mantel wirbelte um ihn herum. Der in seinem Stock verborgene Degen zischte, als Kerr ihn herauszog.

»Monsieur!«

Eine Mischung aus Wut und Erstaunen ließ Kerr einen Moment lang wie erstarrt dastehen, dann erst löste er sich aus seiner instinktiv eingenommenen Fechthaltung. Er steckte den Degen zurück in den Stock, nahm seinen Zylinder ab und hielt beides gegen seinen Mantel gedrückt.

»Es ist ein gefährliches Spiel, Mademoiselle Bonneval, wenn Sie sich um diese nachtschlafende Zeit von hinten einem Mann nähern. Das könnte leicht Ihren Tod zur Folge haben.«

»Das sehe ich.«

Ihr reizvolles, an die Form eines Diamanten erinnerndes Gesicht war blass, die Augen waren weit aufgerissen, doch sie schrak nicht vor ihm zurück. Sie hatte ein Cape über ihr Kleid gezogen und die Kapuze hochgeschlagen, damit sie ihr Gesicht vor dem Regen und vor den Blicken anderer Passanten verbergen konnte, doch sie machte keine Anstalten, sich unter dem Stoff zu verstecken. Mademoiselle Sonia Bonneval war eine kühne Lady, jedoch keine besonders vorsichtige.

»Sie wollten mich sprechen? Machen Sie’s am besten schnell, da es Ihrem guten Namen schaden dürfte, mit mir auf der Straße gesehen zu werden.«

»Dessen bin ich mir bewusst.« Als Reaktion auf seinen ironischen Tonfall wurde ihre Stimme noch ein wenig frostiger. »Ich wollte … das heißt, ich möchte Sie bitten, den Posten abzulehnen, den mein Vater Ihnen anbot. Ich bin mir sicher, diese Reise ist für Sie mit großen Unannehmlichkeiten verbunden, und um ganz ehrlich zu sein, Mexiko ist derzeit nicht der Ort, an dem sich ein Amerikaner aufhalten sollte.«

»Ein Kaintuck, meinen Sie, richtig?«

»Ich entschuldige mich, dass ich Sie mit dieser Bezeichnung beleidigt habe. Und ich werde es noch tausendmal tun, wenn ich Sie davon überzeugen kann, meiner Bitte nachzukommen.«

Er gestattete sich ein zynisches Lächeln. Die Regentropfen liefen ihm bereits von den nassen Haaren über seine Schläfen. »Ich habe es gar nicht als Beleidigung aufgefasst, da ich zufälligerweise aus Kentucky komme. Doch worum Sie mich bitten, das muss für Sie eine sehr wichtige Sache sein.«

»Sie können sich gar nicht vorstellen, wie wichtig. All meine Hoffnungen hängen davon ab. Bitte! Ich flehe Sie an, lehnen Sie das Angebot ab.«

»Verraten Sie mir, warum ich das machen sollte.«

Lange sah sie ihn schweigend an, und während die Straßenlaterne in den Tiefen ihrer Augen ein bläulich violettes Feuer aufleuchten ließ, konnte er dort zugleich die Zweifel erkennen, die diese Lady plagten. Einen Moment lang nahm Kerr überdeutlich wahr, wie der Regen auf die Erde niederprasselte, wie ganz in der Nähe das Schild über dem Eingang zum Geschäft eines Schuhmachers leise knarrte, wie die feuchte Nachtluft einen Geruch nach Schlamm, frisch gebrühtem Kaffee und regennassen süßlichen Olivenblüten mit sich trug. Auch das Aroma der Lady stieg ihm in die Nase – eine Mischung aus fein gemahlener Seife, Veilchen und dem Duft eines warmen, vom Regen durchnässten weiblichen Körpers. Seine Muskeln spannten sich an und zogen mit einer Gewalt an seinen Lenden, dass ihm Tränen in die Augen traten.

Endlich antwortete sie, doch es hörte sich an, als würde ihr jemand jedes Wort einzeln aus der Nase ziehen. »Ich will nicht heiraten, und vor allem verspüre ich nicht den Wunsch, die Ehefrau von Monsieur Rouillard zu werden.«

»Kann es sein, dass Sie ihn näher kennen?« Er wollte kein Mitgefühl mit ihr verspüren, er wollte sich davon nicht in seiner Entscheidung beeinflussen lassen.

»Ich bin ihm nur ein einziges Mal begegnet, und er machte auf mich einen äußerst unangenehmen Eindruck.«

»Eine eindrucksvolle Anklageschrift«, meinte er ironisch. »Es könnte doch sein, dass er sich geändert hat.«

»Das ist eher unwahrscheinlich.« Dann presste sie die Lippen aufeinander – eine untrügliches Zeichen für ihren Unwillen, mehr als das zu sagen. Ihr Blick schien den Regentropfen zu folgen, die ihm über die Wange und den Hemdkragen liefen.

»Aber Sie wissen es nicht mit Sicherheit.«

»Ich weiß, er versäumte es, sich mit seinem Heiratsantrag an mich zu wenden. Stattdessen ließ er lediglich meinen Vater wissen, er wünsche mich zu heiraten, und teilte ihm das Datum mit, wann ich bei ihm eintreffen solle.«

»Wie anmaßend.« Unwillkürlich umfasste Kerr seinen Stockdegen fester, als Erinnerungen wach wurden an die Machenschaften dieses Gentleman, die sogar noch arroganter und egoistischer waren. Untaten wie zum Beispiel Lügen, Betrügen, Stehlen und seine Freunde dem Tod zu überlassen.

»Er ist das übersteigerte Selbstbewusstsein in Person … »Mitten im Satz hielt sie inne, holte tief Luft und sah sofort zur Seite, als sich ihrer beider Blicke trafen. »Aber das ist es nicht, worum es mir geht. Ich werde nicht nach Mexiko reisen und den Mann nicht heiraten, also brauche ich auch keine Eskorte, keinen Beschützer oder wie immer Sie sich auch nennen mögen. Es gibt keinen Posten, der besetzt werden müsste. Sie können sich die Mühe sparen, sich reisefertig zu machen, nur um dann zu erfahren, dass Ihre Dienste nicht benötigt werden.«

»Ihr Vater scheint das anders zu sehen.«

»Mein Vater befindet sich im Irrtum.«

Sekundenlang schwieg er. Der Regen wurde heftiger. Kleine Sturzbäche sammelten sich im Rinnstein neben dem Bürgersteig, das Wasser ergoss sich von einem Balkon auf die Straße und schüttete schier endlos vom Himmel herunter. Der Regen durchnässte die Vorderseite ihres Capes, sodass sich der Stoff eng an ihre Brüste schmiegte, während die kalte Nässe bewirkte, dass sich unter der dunkelroten Seide ihre Brustspitzen versteiften. Der feine Stoff würde vom Regen ruiniert werden, doch das schien sie nicht zu kümmern.

Zumindest vermutete er, dass Kälte und Regen bei ihr diese Reaktion hervorriefen. Er hielt es für sehr unwahrscheinlich, seine Gegenwart könnte etwas damit zu tun haben.

Mit nachdenklicher, aber leicht bemühter Stimme sagte er: »Soweit ich das beobachten konnte, haben die wenigsten Töchter von Ihrem Schlag bei diesen Vereinbarungen etwas mitzureden.«

»Von meinem Schlag?« Sie reckte das Kinn und starrte ihn an.

»Die Franzosen, die hochrangigen Ladys und Gentlemen dieser schönen Stadt, die – wie nennen Sie sich selbst noch gleich? Ach ja, die crème de la crème. Oder vielleicht auch lieber die Sorti de la cuisse de Jupiter. Diejenigen geschaffen aus dem Oberschenkel des alten Jupiter persönlich, um sagen zu können, dass sie von den Göttern abstammen.«

»Sie verachten uns, und in Ihrer Arroganz halten Sie sich für etwas Besseres.«

»Zumindest für etwas Gleichrangiges.«

Sie warf den Kopf in den Nacken, wodurch die Kapuze auf ihre Schultern rutschte und der Regen ihre Haare durchnässte. »Es ist schon gut, dass Sie mit mir nirgendwohin reisen werden.«

In ihrer Geringschätzung war sie so herrlich, wie sie in ihrer Verachtung wundervoll war. In diesem Moment wünschte er sich nichts mehr, als sie in seine Arme zu nehmen und diese Geringschätzung und Verachtung von ihren Lippen ebenso zu vertreiben wie aus ihren Augen und dem Herzen. Er sehnte sich danach, sie zu berühren, zu fühlen, wie sie sich an ihn schmiegte und auf ihn so reagierte, wie sie ohne Zweifel auf jenen Gentleman reagieren würde, den sie heiraten sollte. Er wollte in ihren Augen würdig sein, er wollte von ihr als tapfer wahrgenommen werden, um selbst einen Platz zwischen den Göttern und Göttinnen einzunehmen.

Er wurde aus seinen absurden Träumereien geholt, als er sah, dass ihr schwarze Rinnsale über die Wangen liefen. Blinzelnd wollte er einen von ihnen mit dem Daumen wegwischen, doch als er sie berührte, sammelte sich die Schwärze an der schwieligen Außenseite seines Fingers. Ihre Haut … oh, ihre Haut war kühl und fest, zugleich aber so zart, dass seine Zunge sich danach verzehrte, über diese Haut zu streichen und sie zu kosten.

»Sie weinen schwarze Tränen«, sagte er und stellte fest, dass seine Stimme ungewohnt belegt klang.

»Ich weine nicht!«, gab sie zurück und schlug seine Hand weg, wobei die schwarze Farbe auf ihrer Wange verschmiert wurde. Fasziniert sah er sie an, bis ihm bewusst wurde, dass es sich um Schminke handelte, die sich im Regen aufzulösen begann. Er hatte davon gehört, dass französisch-kreolische Ladys sich schminkten, aber gesehen hatte er das bislang nur bei den Schauspielerinnen und Operndiven im Theater. Mademoiselle Bonneval dagegen musste nicht auf solche Kniffe zurückgreifen, das konnte er ihr deutlich ansehen. Dass nun diese Schminke zerfloss, wirkte auf ihn erheiternd, auf eine gewisse Weise aber auch anrührend, weil es ihn an einen traurigen Clown erinnerte.

»Hören Sie, es tut mir leid, dass Sie gegen Ihren Willen verheiratet werden sollen«, sagte er so sachlich, wie er konnte. »Aber ich kann daran nichts ändern. Ich wurde angeheuert, um einen Auftrag zu erledigen, mehr nicht.«

»Es tut Ihnen leid?«, wiederholte sie, wobei ihre Augen glühten. »Ich spucke auf herzloses Leid, auf ein Leid, das zu beenden Sie nicht einmal versuchen wollen.«

Den Teufel würde er tun. Seine Aufgabe war es lediglich, sie zu ihrer Hochzeit zu begleiten, und was dann kam …

Nun, was dann kam, da konnte er für nichts garantieren.

»Tun Sie, was Sie tun müssen, Mademoiselle Bonneval. Aber für mich ist nur Ihr Vater derjenige, der mich aus unserer Vereinbarung entlassen kann.« Er setzte seinen Hut auf und rückte ihn zurecht, ehe er eine knappe Verbeugung beschrieb. »Bis dahin freue ich mich schon auf unsere gemeinsame Reise.«

Mit diesen Worten machte er auf dem Absatz kehrt und ließ sie im Regen stehen. Die Versuchung, sich zu ihr umzudrehen, war groß und wurde mit jedem Schritt stärker, doch er blieb standhaft und ging weiter. Gleichzeitig wuchs seine Entschlossenheit, die Lady nach Mexiko und zu Jean Pierre Rouillard zu bringen – und wenn es das Letzte war, was er tun würde.

Und wenn das erledigt war …

Nun, wenn das erledigt war, würde er endlich seinen eigenen Weg gehen können. Dann wäre alles anders und die Lady wohl froh darüber, dass ein Ignorant aus Kentucky mit einem abscheulichen Akzent bereit war, ihr zu helfen.

Duell der Leidenschaft

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