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Drittes Kapitel

Sonia durchschritt den von Säulen flankierten Eingang zum Hotel Saint Louis und blieb unter der hohen Bleiglaskuppel der berühmten Rotunde stehen. Mondlicht fiel durch das riesige Glasgebilde in über sechzig Fuß Höhe und sorgte trotz der Gaslampen auf dem Marmorfußboden für ein farbenprächtiges Muster. Dutzende von Menschen eilten im Foyer umher – hauptsächlich Männer, auch wenn ein paar von ihnen in Begleitung von Ladys in Abendkleidern waren. Ihre Stimmen wurden von den ebenfalls mit Marmor verkleideten Wänden des großzügig geschnittenen Rundbaus zurückgeworfen und vermischten sich mit den Klängen eines Streichquartetts im ersten Stock, das eine solche Geräuschkulisse erzeugte, dass man kaum sein eigenes Wort verstehen konnte. Sonias Tante Lily flüsterte ihr etwas zu, während sie sich an ihrem Arm festhielt, doch obwohl ihr Atem über Sonias Ohr strich, hatte sie keine Ahnung, was ihre Tante da redete.

Vor ihnen lag die breite Treppe, die hinauf in den ersten Stock und damit zum Ballsaal führte, einem der schönsten in der ganzen Stadt. Sie bewegten sich auf diese Treppe zu und hielten sich ständig vor Augen, dass wegen des stützenden Krinolins in ihren Röcken ein breiter freier Weg vonnöten war, wenn sie vorankommen wollten. Im Foyer hing ein Geruch, eine Mischung aus kaltem Zigarrenrauch und Schweiß, die daran erinnerte, dass dieser Ort für gewöhnlich Schauplatz geschäftlicher Angelegenheiten war, an dem man jeden zweiten Samstag Auktionen veranstaltete. Gehandelt wurde dort alles von Aktien und Pfandbriefen, über Land und Eigentum bis hin zu Schiffsladungen und Sklaven. Sonia rümpfte darüber die Nase, gleichzeitig hob sie ihre Röcke weit genug an, um den Fuß auf die erste Stufe der Treppe zu setzen.

»Da drüben. Hast du gesehen?« Tante Lily zog ruckartig an ihrem Arm und redete hastiger auf sie ein. »Sieh jetzt nicht hin, aber ich bin mir sicher, das da ist dein Kaintuck.«

Der Wunsch, sich sofort umzudrehen, war fast übermächtig. Doch Sonia ging entschlossen Stufe für Stufe weiter nach oben und geduldete sich, bis die elegant geschwungene Treppe es ihr erlaubte, den Blick über das weitläufige Foyer in die von ihrer Tante angedeutete Richtung schweifen zu lassen.

Monsieur Kerr Wallace war schnell ausfindig gemacht. Er überragte die meisten Gentlemen um einen Kopf und war ein Riese von einem Mann, womit er zweifellos gut in die gewaltigen Gebirgslandschaften seiner Heimat passte. Seine Abendkleidung war dem Anlass angemessen, das Haar glänzte im Gaslicht wie poliertes Leder. Mit Blicken aus Augen so dunkel wie die Nacht verfolgte er wachsam ihr Vorankommen auf der Treppe.

Sonias Herz schien einen Schlag lang auszusetzen. Die Wärme in der Rotunde kam ihr auf einmal so intensiv vor, dass ihr die Luft wegblieb, und irgendwo tief in ihrem Inneren regte sich ein verworrenes Durcheinander aus Wut, Verzweiflung und Faszination.

Erst als sie von ihrer Tante angestoßen wurde, begriff sie, dass sie stehen geblieben war. Zum Glück hielt sie sich mit einer Hand am Geländer fest, sonst wären sie beide hingefallen, was peinlicher nicht hätte sein können.

»Pass auf, ma petite«, rief ihre Tante aus, als sie ihr Gleichgewicht wiedererlangte. »Aber ich habe doch recht, oder? Ist er das? Ich frage mich, was er hier zu suchen hat.«

»Wir sind in einem öffentlichen Hotel. Ich vermute, er darf besuchen, wen immer er möchte.«

»Da fällt mir ein, die Straße der Fechtmeister ist so gut wie um die Ecke. Zweifellos nutzen sie oft den Speisesaal des Hotels.« Ihre Tante beugte sich vor. »Ich muss sagen, er ist ein wunderbarer Mann. Und sieh dir nur den Gentleman neben ihm an. Magnifique, möchte ich sagen, wenn auch auf eine wilde Art.«

Ihre Tante neigte dazu, die meisten Männer auf die eine oder andere Weise als wunderbar zu bezeichnen, doch der Gentleman, der sich mit Monsieur Wallace unterhielt, war tatsächlich ungewöhnlich anzuschauen. Seine Haut hatte einen kupfernen Farbton, ganz im Gegensatz zu dem olivefarbenen Teint jener Gentlemen, die Sonia kannte, und anders auch als die gebräunte Haut des Mannes aus Kentucky, die sich am ehesten mit dem Parkettboden vergleichen ließ. Die Augenbrauen dieses Fremden waren buschig und ausdrucksstark, die Nase so schmal wie eine Klinge, das Kinn unerbittlich kantig, das Haar so schwarz, dass es einen bläulichen Schein bekam. Da er so groß war wie Wallace, ragten die beiden aus der Menge heraus wie zwei unerschütterliche Eichen, die von einer Flut umspült wurden.

»Es sieht so aus, als sei er …«, setzte Sonia nachdenklich an.

»Aber ja. Es heißt, in seinen Adern fließt das Blut der einstigen Führer des Stammes der Natchez, auch wenn er als Kind von Priestern getauft wurde. Man gab ihm den Namen Christien Lenoir, doch er wird Faucon oder Falke genannt, weil dies die Bedeutung seines Namens in seiner eigenen Sprache war.

»Du scheinst ja einiges über ihn zu wissen.«

Das Lächeln ihrer Tante war ein klein wenig betreten. »Ich holte gestern Morgen Erkundigungen ein, da mich das plötzliche Interesse gepackt hat, über alles und jeden Bescheid zu wissen, der irgendetwas mit Monsieur Wallace zu tun hat. Die Damen meines Stickkränzchens sind ein wahrer Quell an Informationen.«

»Das kann ich mir vorstellen.« Zu gern hätte Sonia erfahren, was man sich denn so über Wallace erzählte, doch das konnte noch warten. Im Augenblick zählte nur, nicht dazustehen, zu gaffen und zu tuscheln, als wäre sie eine Mademoiselle vom Lande. Auch wollte sie dem Gentleman aus Kentucky nicht die Genugtuung geben, seine Anwesenheit könnte für sie von Bedeutung sein. Sie griff nach den Enden ihres Schultertuchs und nahm sie zusammen mit ihrem Fächer in eine Hand, dann hob sie mit der anderen ihre Röcke aus blassblauer Seide an und drehte dem Mann den Rücken zu.

Was Monsieur Wallace tat und wohin er sich begab, war ihr wirklich egal, überlegte sie, als sie die Treppe weiter hinaufging. Von diesem Mann würde sie sich nirgendwohin eskortieren lassen. Sie hatte sich einen Plan zurechtgelegt, und nichts und niemand würde sich ihr in den Weg stellen können, schon gar nicht dieser Tollpatsch von Amerikaner, auch wenn er noch so Furcht einflößend groß war.

Der Gesichtsausdruck, mit dem er sie betrachtete, hatte etwas Besitzergreifendes an sich, als sei sie ihm über jeden Schritt Rechenschaft schuldig. Wohin sie ging und was sie tat, ging ihn nichts an. Ihr Vater mochte ihr Wohl in die Hände dieses Mannes gelegt haben, doch sie selbst hatte seine Vormundschaft nicht akzeptiert.

Aber auch wenn der Verstand ihr das sagte, hatte eine nervöse Spannung sie erfasst, und ein heftiges Unbehagen regte sich in ihrer Brust, als stünde sie am Rand einer Klippe. Sie konnte sich nicht daran erinnern, sich je so verwirrt gefühlt zu haben.

Der Ball an diesem Abend unterschied sich auf den ersten Blick in nichts von anderen derartigen Veranstaltungen. Auf dem Podest spielte ein Streichquartett, Rosenduft erfüllte die Luft, die Gentlemen trugen dunkle Abendanzüge, die Ladys bildeten ein pastellfarbenes Kaleidoskop aus Seidenkleidern. Dutzende solcher Bälle hatte es während der sich nun dem Ende zuneigenden saison des visites gegeben, einige davon in diesem, andere in den Ballsälen anderer Hotels hier im Vieux Carré ebenso wie im amerikanischen Viertel, für das sich allmählich der Name Garden District durchsetzte.

Eine Gruppe Gentlemen gab jeder einen gewissen Betrag, um den Ballsaal zu mieten, ließ ihn schmücken, sorgte für Erfrischungen und stellte Dienstpersonal ein, das sich um das Aufkommen an Kutschen ebenso kümmerte wie um das Wohl und die Sicherheit der Gäste. Diese Gäste wählten die einladenden Gentlemen nach ihrem Ermessen aus, wobei die nächsten Angehörigen auf der Liste zuoberst standen, gefolgt von Freunden und deren Ladys und schließlich von weiteren Bekannten. Eine solche Einladung wurde nur selten ausgeschlagen, weil ganz New Orleans geradezu verrückt nach Tanzen war, vor allem nach Walzern, von denen Woche für Woche neue Variationen aus den Ballsälen von Paris und Wien gespielt wurden.

Für gewöhnlich begegnete man auf jedem Ball den gleichen Leuten, da jeder die crème de la crème einlud. Doch als sich Sonia nun umschaute, musste sie feststellen, dass ihr kaum ein Gesicht vertraut war. Es war auffallend, aber wohl auch nachvollziehbar. Mardi Gras und Fastenzeit waren bereits vorüber, und die Palmenwedel, die vom Priester zu Ostern gesegnet und sorgfältig hinter Spiegel und Bilderrahmen gesteckt worden waren, sammelten sich längst auf dem Fußboden. Jetzt, da die Tage wieder wärmer wurden, waren einige Fälle von Fieber gemeldet worden. Viele Leute hatten ihre Sachen gepackt, um auf ihre Plantagen auf dem Land zurückzukehren oder um auf Reisen zu gehen und Kurorte wie Saratoga und White Sulphur Springs oder ferne Ziele wie Paris, Rom oder Wiesbaden zu erleben. Sogar ihr Vater plante eine Geschäftsreise nach Memphis.

Niemand trat vor, um Sonia und ihre Tante zu begrüßen, nicht eine Bekannte war in der Menge auszumachen. Die meisten Gäste um sie herum bewegten sich für gewöhnlich am äußersten Rand der besseren Gesellschaft. Sie erkannte eine geschiedene Frau wieder, die nur selten in ein Haus eingeladen wurde, das etwas auf sich hielt. Dort war ein Plantagenbesitzer, der wegen seiner Vorliebe für purpurrote Seidenhemden und gut aussehende Jungs viele Jahre im Exil in Havanna verbracht hatte. Und da drüben stand eine ältere Witwe, der man nachsagte, sie habe ihren zweiten Ehemann schockierend kurz nach der Eheschließung bereits zu Grabe getragen. Anwesend war auch der berühmte Fechtmeister und Duellist Pépé Llulla, gefällig und todbringend, sowie sein italienisches Pendant Gilbert Rosière. Wo immer diese beiden auftauchten, teilte sich vor ihnen wie durch ein Wunder die Menschenmenge, um eine breite Gasse zu bilden, und sobald sie hindurch waren, schlossen sich die Reihen wieder.

Eben erst hatte es Sonia zu dämmern begonnen, in welcher Situation sie sich hier befanden, da tauchten Monsieur Wallace und sein Freund mit der kupferfarbenen Haut am Eingang zum Ballsaal auf. Sie zeigten ihre Einladungen vor, dann nahm man ihnen Hut und Stockdegen ab und ließ sie eintreten, als würden sie hierher gehören.

»Tante Lily«, setzte Sonia an. »Ich glaube …«

»Ich weiß, chère, keiner von den Kreisen, in denen wir üblicherweise verkehren. Aufregend, nicht wahr?« In den Augen ihrer Tante sah sie ein freudiges Funkeln, während sie ihren Fächer aus schwarzer Spitze lässig hin und her bewegte.

»Papa wird außer sich sein.«

»Aber warum sollte er? Dein Beschützer ist ebenfalls anwesend. Wenn dein Papa einen solchen Mann engagiert, damit er dich zu deiner Hochzeit begleitet, dann kann er wohl kaum etwas dagegen einwenden, dass du einen Abend in seiner Gesellschaft verbringst.«

»Ich bezweifle, dass er so vernünftig darüber denken wird. Aber dich scheint das alles gar nicht zu überraschen.«

»Sagen wir, ich hatte eine Ahnung, wie dieser Abend verlaufen würde«, stimmte ihre Tante in verschwörerischem Tonfall zu. »Immerhin handelt es sich bei den Schirmherren um vier ehemalige, angesehene Fechtmeister. Es sind der Conde de Lérida sowie die Messieurs Pasquale, O’Neill und Blackford. Da sie französisch-kreolische Ladys heirateten, sind aus ihnen in den letzten Jahren respektable Gentlemen geworden. Aber so war es ja schon immer, musst du wissen. Selbst die Spanier, die vor Jahrzehnten als Eroberer herkamen, wurden erst von der Gesellschaft akzeptiert, nachdem sie eine Frau aus unseren Reihen geheiratet hatten.«

»Das war mir nicht bewusst … ich meine, wer liest auch schon die Auflistung der Schirmherren durch?« Sie erkannte jetzt auch die vier Gentlemen, nachdem ihre Tante sie auf sie aufmerksam gemacht hatte. Es waren eindrucksvolle Männer, die mit ihren Ladys zwanglos nahe dem Kamin beisammenstanden und ihre Gäste begrüßten. Die Gruppe lachte und unterhielt sich ausgelassen untereinander, was auf eine ausgeprägte Kameradschaft zwischen ihnen schließen ließ. Ein Grund für ihre Belustigung waren allem Anschein nach die raffiniert geschneiderten Kleider der beiden Frauen, die unübersehbar ein Kind erwarteten.

Mancher hätte gesagt, sie sollten in diesem Zustand besser zu Hause bleiben, doch die Meinung anderer schien ihnen gleichgültig zu sein, was sich auch an ihrer Wahl des Ehemanns und der Gäste zeigte.

Ihre Tante machte eine verwunderte Miene, als sie Sonias reglosen Gesichtsausdruck bemerkte. »Die ganze Saison hindurch hast du dich darüber beklagt, wie sehr dich die üblichen Bälle und die übrigen Veranstaltungen langweilen. Deshalb dachte ich, dieser Abend könnte dein Interesse wecken. Außerdem wirst du bald verheiratet sein, daher musst du deinen Horizont erweitern, chère. Ich hege starke Zweifel, dass Jean Pierre so nette Bekannte hat wie dein Papa.«

In dem Punkt musste Sonia ihrer Tante zwar recht geben, doch letztlich war egal, mit wem ihr Verlobter Umgang hatte, da sie ohnehin nicht an seiner Seite sein würde, um sie zu empfangen.

»Was glaubst du, wie wir auf die Gästeliste gelangt sind?«

»Ich habe keine Ahnung.« Ihre Tante hob die Schulter. »Vielleicht weiß einer der Gastgeber von deiner Verbindung zu Monsieur Wallace.«

»Meinst du nicht, wir sollten besser gehen?«

»Aber nicht doch. Das verspricht ein interessanter Abend zu werden, den ich für nichts in der Welt verpassen möchte. Und was die Frage des Anstands angeht – ich bin schließlich an deiner Seite, nicht wahr? Außerdem weiß ich, du wirst mich nicht allein lassen.«

»Selbstverständlich werde ich das nicht tun«, erklärte Sonia in treuer Ergebenheit. Um ehrlich zu sein, war es sogar recht aufregend, inmitten dieser schillernden Gesellschaft zu sein. Schon oft hatte sie sich gefragt, wie es fernab jener gesetzten Kreise sein würde, in denen sie sonst verkehrte. Ihre größte Sorge war, dass ihr Vater missbilligend darauf reagieren und ihr die wenigen Freiheiten, die ihr zugestanden waren, weiter beschneiden würde. Das käme ihr im Augenblick sehr ungelegen.

Was den Mann aus Kentucky anging, würde sie einfach so tun, als existiere er gar nicht. Das sollte ihr nicht weiter schwerfallen.

Tatsächlich erwies sich dieser Vorsatz als äußerst schwierig umzusetzen. Egal wohin sie auch sah, immer schien er sich irgendwo am Rand ihres Gesichtsfelds aufzuhalten, und seine tiefe Stimme überlagerte stets das allgemeine Gemurmel. Es war zum Verrücktwerden.

Insgesamt versprach dieser Abend aber kaum eine Abwechslung von den Dutzenden anderen Bällen, die sie in diesem Winter besucht hatte. Die Musik war genauso lebhaft, die Dekorationen waren ebenso verschwenderisch, und an Speisen und Getränken wurde gleichfalls nicht gespart. Trotz der ungewohnten Gesellschaft behandelte man Sonia nicht wie ein Mauerblümchen. Kaum hatte sie sich auf einen Stuhl gesetzt und ihre Röcke um sich herum ausgebreitet, da wurde sie auch schon von einer ganzen Schar Gentlemen belagert. Denys Vallier, der Schwager des Conde de Lérida und ein mustergültiger Gentleman, stand dabei in vorderster Reihe, begleitet wurde er von seinen speziellen Freunden Albert Lollain und Hippolyte Ducolet. Die beiden Tänze mit ihr, die jeder von ihnen erbettelte, machten sich gut auf der Tanzkarte, die man ihr beim Hereinkommen überreicht hatte. Doch nachdem sie notiert waren, wurde Sonia wählerischer. Eine solche Karte zu füllen erforderte große Sorgfalt. Zwar sollte eine Lady darauf Lücken vermeiden, dennoch konnte es sein, dass sie den einen oder anderen Tanz frei halten wollte für den Fall, dass ein besonders angenehmer Gentleman erst mit Verspätung an sie herantrat.

Ein paar Mal betrat Wallace auch die Tanzfläche, was ihr nicht entging, wobei er jedes Mal mit der Ehefrau des einen oder anderen Freundes den Walzer tanzte. Er war nicht so tollpatschig, wie sie angenommen hatte. Vielmehr schien es ihm sogar Spaß zu machen, vor allem wenn er seine Partnerin drehen und ihre Röcke wirbeln lassen konnte. Dabei sorgte seine körperliche Kraft dafür, dass sie nicht den Halt verlieren konnten. Insgeheim wünschte sich Sonia, er würde auch sie um einen Tanz bitten, aber natürlich nur, weil es ihr eine Freude gewesen wäre, ihm einen Korb zu geben.

Bei ihrem zweiten Tanz mit Hippolyte – einem Sportsmann, bekannten Possenreißer und Bonvivant, der nur wenige Fingerbreit größer war als sie und bereits die rundlichen Konturen ihres geschätzten Vaters annahm – bemerkte sie, wie sich ein Gentleman Monsieur Wallace näherte. Sie hätte davon keine Notiz genommen, jedoch war der vor Charme sprühende, ältliche Lebemann mit den spärlichen Locken nur Augenblicke zuvor mit ihrer Tante in ein Gespräch vertieft gewesen. Nun schien es so, als habe Tante Lily den Gentleman auf eine Mission geschickt. Der deutete auf den Alkoven, in dem die Lady sich aufhielt, deren Miene einen bittenden Ausdruck angenommen hatte.

Der Fluch, den Sonia murmelte, war so heftig, dass ihr Tanzpartner ein Stückchen zurückwich und sie ansah. »Ich bitte tausendmal um Verzeihung, wenn ich Ihnen auf die Zehen getreten sein sollte.«

»Nein, nein, es ist … ich wollte sagen, ich sah nur etwas sehr Überraschendes.«

»Nun, dann bin ich erleichtert. Ich weiß, ich kann ein rechter Tollpatsch sein, aber üblicherweise merke ich es, wenn ich einer Lady auf die Füße trete.« Er drehte sich so, dass er ihrer Blickrichtung folgen konnte, und sah den Fechtmeister neben dem Überbringer der Nachricht auf Tante Lily zugehen. »Sacre! Ihre Tante kokettiert mit Wallace. Weiß sie, wer er ist?«

»Da können Sie sich sicher sein. Zumindest dem Ruf nach weiß sie es.«

»Ihrer Tante gefällt es, neue Leute kennenzulernen«, meinte er höflich.

Das stimmte, vor allem wenn es sich dabei um Männer handelte. »Und es gefällt ihr auch, meinem Vater auf der Nase herumzutanzen.«

»Sie ist die Schwester Ihrer Mutter, richtig?«

»Sie sagen es.« Sonias Lächeln hatte einen ironischen Hauch.

Eine Zeit lang hatte sie geglaubt, ihr Vater und Tante Lily könnten heiraten. So etwas war keineswegs ungewöhnlich, wenn die Schwester einer verstorbenen Ehefrau in den Haushalt kam, um sich der Kinder anzunehmen, die ohne Mutter waren. Damit wurde man nicht nur den Konventionen gerecht, wonach es nicht gern gesehen wurde, wenn eine ungebundene Frau im gleichen Haus lebte wie der Witwer. Man nahm auch an, dass sie für ihre Schutzbefohlenen eine natürliche Zuneigung empfinden würde. Dazu war es jedoch nicht gekommen. Tante Lily hielt ihren Schwager distanziert und reserviert, was nichts anderes heißen sollte, als dass er sich nicht zu ihr hingezogen fühlte. Ihr Vater wiederum sah in Sonias Tante eine Frau, deren Ansichten über die Kindererziehung und über den Platz der Frau in der Gesellschaft beklagenswert überspannt waren. Allein wegen Sonia war er bereit, ihre Art zu tolerieren. Bemerkenswert war jedoch, dass beide gleichermaßen die Unschicklichkeit der bestehenden Situation ignorierten, da sie sich beharrlich weigerten, einem solchen Unsinn bindende Bedeutung beizumessen.

Hippolyte schaute abermals zum Alkoven. »Wenn sie sich vorgenommen hat, Ihren Herrn Papa zu verärgern, wird es genügen, Wallace in seinem Stadthaus ein und aus gehen zu lassen.«

»Ich bezweifele, dass sie so weit gehen wird«, antwortete Sonia. »Wahrscheinlich ist sie nur neugierig. Aber kennen Sie den Gentleman?« Ihr erschien es nicht notwendig, ihn sofort wissen zu lassen, dass sie mit Monsieur Wallace bereits Bekanntschaft gemacht hatte.

»Ich bin mit ihm in der Louisiana Legion marschiert, und ein- oder zweimal stand ich ihm schon auf der Fechtbahn in seinem Salon gegenüber.«

Letzteres sagte einiges über ihren Tanzpartner aus, denn nur die besten Fechter wagten es, sich mit einem maître d’armes zu messen – sofern ihnen dieses Privileg überhaupt gewährt wurde. Hippolyte selbst musste einige Erfahrung im Umgang mit dem Degen haben. »Dann hatten Sie einen guten Eindruck von ihm?«

»Oh, aber gewiss doch. Er ist stark wie ein Bär und gerissen wie ein Wolf, und durch seine Körpergröße stellt die Reichweite seiner Klinge den Inbegriff des Schreckens dar.«

Sie reagierte mit einem ironischen Lächeln. »Eine lehrreiche Beschreibung, dessen bin ich mir sicher. Aber meine Frage bezog sich auf sein Wesen.«

»Oh.« Hippolyte wurde vom Hals an rot, was seinen Wangen noch mehr Farbe verlieh als zuvor. »Ich hätte nichts dagegen, ihn an meiner Seite zu haben, wenn ich nachts auf einer dunklen Straße unterwegs bin.«

»Das sind lobende Worte.«

Er zuckte beiläufig mit den Schultern, zumindest aber gab er vor, dass es beiläufig war. »Er ist eine ehrliche Haut, da sind sich alle einig.«

»Sie finden nicht, dass er wenig geheimnisvoll ist?« Für einen winzigen Moment verharrte dabei ihr Blick auf dem Fechtmeister aus Kentucky, der den Kopf soeben über die Hand ihrer Tante beugte.

»Wie bitte?«

»Wegen seiner Herkunft, meine ich.«

»Er ist gewiss kein Barbar«, meinte Hippolyte gelassen. »Er scheint über die meisten Dinge so zu denken, wie man es von einem Mann erwarten sollte. Er ist ein Geschäftsmann, unser Monsieur Wallace. Obwohl er seinen Fechtsalon vor gerade mal zwei Jahren eröffnete, hat er so viele Kunden, wie er nur in seinem Terminplan unterbringen kann. Und erst heute Morgen sah ich ihn bei Hewlett’s Exchange, der von den Amerikanern bevorzugten Börse, wie Sie vielleicht wissen.«

»Und da sahen Sie ihn?«, fragte sie in einem auffordernden Tonfall. Ihr war zwar gleich, was sie von ihm zu hören bekam, doch es konnte nicht verkehrt sein, so viel wie möglich über den fraglichen Gentleman in Erfahrung zu bringen. Aber natürlich war sie nicht annähernd so neugierig wie ihre Tante.

»Es heißt, er habe die Legion verlassen, und das, nachdem er dort die meiste Zeit seiner vier Jahre in der Stadt gedient hatte. Jetzt, da sich die Lage zuspitzt und täglich mit einer Kriegserklärung gerechnet werden kann, macht er sich auf den Weg nach Vera Cruz.«

»Ist das so sonderbar?«

»Es ist schon eigenartig, da er immer so entschlossen wirkte, seine Waffe für eine gute Sache einzusetzen. Man möge verzeihen, wenn jemand auf den Gedanken kommt, die Entscheidung könnte durch eine wichtige Angelegenheit ausgelöst worden sein.«

»Zum Beispiel, weil er New Orleans verlassen muss?«, fragte sie in einem beiläufigen und scheinbar desinteressierten Tonfall, während sie weitertanzten.

»Oder weil er für irgendetwas nach Mexiko muss. Seit ich davon gehört habe, denke ich immer wieder angestrengt nach, ob mir vielleicht jemand etwas über Wallace gesagt hat, was mir entfallen ist. Wie es scheint, kam er in die Stadt, weil er einem Schurken auf der Spur war, mit dem er wohl noch eine Rechnung offen hatte.«

»Sehr interessant.«

»Natürlich kann es auch sein, dass ich da etwas durcheinanderbringe«, fügte er achselzuckend hinzu.

Es erschien ihr ratsam, für den Augenblick das Thema zu wechseln, bevor offensichtlich wurde, wie sehr sie sich dafür interessierte. »Wir hören schon seit einer Ewigkeit von einem möglichen Krieg mit Mexiko. Manche sagen, ein solcher Krieg sei unvermeidbar. Glauben Sie, es wird dazu kommen?«

»Es kann gar nicht anders kommen. Sehen Sie sich doch nur an, was geschehen ist, seit sich Texas im letzten Herbst der Union angeschlossen hat. Zuerst weigern sich die Mexikaner, unseren John Slidell als amerikanischen Gesandten anzuerkennen, und werfen ihm die angebotenen vierzig Millionen für Kalifornien und New Mexico vor die Füße. Und jetzt besetzt ihr General Ampudia mit über fünftausend Mann den Streifen Land zwischen Rio Grande und Rio de la Nueces und stellt sich General Taylor und seinen Bataillonen in den Weg, nachdem die zu einem Marsch von Fort Jessup aus gezwungen waren, um sein Vorrücken zu verhindern. Wenn es nicht zu einer Auseinandersetzung kommt, dann esse ich mein Halstuch. Sobald da ein Kampf ausbricht, wird sich der Kongress für einen Krieg aussprechen müssen.«

»Und die Legion wird in den Kampf einbezogen werden?«

»Naturellement. Es wird eine Massenversammlung bei Hewlett’s geben, um mehr Freiwillige zu rekrutieren, und ich rechne stündlich mit dem Marschbefehl. Texas liegt einfach zu dicht bei Louisiana, wie Sie wissen. Wenn wir ihnen nicht dort Einhalt gebieten, werden sie als Nächstes vor unserer Haustür stehen.«

»Papa sagt, die Scharmützel an der texanischen Grenze seien nichts weiter als ein Säbelrasseln, bei dem jede Seite ihre Degen und Gewehre präsentiert. Es werde nichts daraus entstehen, so wie auch nie etwas aus all dem Gerede entstand, seit Texas vor zehn Jahren unabhängig wurde.«

Hippolyte schüttelte den Kopf. »Diesmal ist es anders.«

»Aber diesen Krieg werden Sie ohne den Kaintuck-Fechtmeister austragen müssen.« Sie sah, wie Tante Lily blinzelte, als der Gentleman sie begrüßte. Die Billigung, die unter diesem leichten Kokettieren verborgen lag, versetzte Sonia einen Stich, weil es ihr wie ein Verrat vorkam.

»Das wird wohl so sein.« Hippolyte hielt kurz inne, dann fuhr er ein wenig schüchtern fort: »Ich frage mich, Mademoiselle Sonia, ob Ihr Interesse dem Krieg oder womöglich Monsieur Wallace gilt.«

Sie lächelte ihn schwach an. »Ich fürchte, Sie haben mich durchschaut. Was es mit diesem Gentleman auf sich hat, ist für mich insofern interessant, als dass er mich auf der Reise zu meiner Hochzeitsfeier als mein Beschützer begleiten soll.«

»Quelle dommage! Sie werden heiraten?«

»Ja, und zwar Jean Pierre Rouillard, wie es mein Vater arrangiert hat. Er befindet sich derzeit in Vera Cruz. Unser Gelübde werden wir ablegen, sobald ich mit Tante Lily eingetroffen bin.«

»Ihr Vater wird also nicht mit Ihnen reisen? Ich will sagen, ansonsten würden Sie niemand anders benötigen, der Sie eskortiert.«

»Leider ist er durch geschäftliche Angelegenheiten verhindert.« Wieder rang sie sich ein Lächeln ab. »Zweifellos ist es die Gefahr eines drohenden Krieges, die ihn glauben lässt, Monsieur Wallace’ Anwesenheit sei notwendig.«

»Dann erklärt das, warum er die Legion verlassen hat. Wer würde einer so erfreulichen Pflicht nicht den Vorzug geben?«

»Das haben Sie sehr nett gesagt, aber ich bin mir sicher, es hat nichts mit mir zu tun, dass er diesen Posten annahm.«

Ihr Tanzpartner erwiderte darauf nicht sofort etwas, stattdessen nahm seine Miene einen nachdenklichen Ausdruck an. »Rouillard«, überlegte er. »Wissen Sie, ich glaube fast …«

»Ja?«

»Ach, nichts. Es kann damit nichts zu tun haben, davon bin ich überzeugt.« Er schenkte ihr ein Lächeln, als die Musik verstummte. »Gestatten Sie mir, Ihnen zu Ihrer bevorstehenden Heirat zu gratulieren. Ich werde dafür beten, dass Sie sicher nach Mexiko gelangen. Ich wüsste zwar nicht, ob ich einer Lady aus meiner Familie gestatten würde, sich derzeit auf den Weg nach Vera Cruz zu begeben, aber ich bin mir sicher, dass Monsieur Wallace gut für Ihren Schutz sorgen wird. Und ich nehme nicht an, dass ich etwas Verletzendes über den Gentleman verlauten ließ.«

Das wäre ein Ding der Unmöglichkeit, dachte Sonia. Kerr Wallace hatte sie bereits dadurch auf das Äußerste beleidigt, dass er überhaupt existierte. Natürlich sprach sie das nicht aus, sondern nahm die Glückwünsche an und drehte sich zu ihrer Tante um, die mit dem Fechtmeister und dessen Freund zusammenstand. Tief in Gedanken versunken, ging sie wie von selbst in diese Richtung.

»Es ist eine wahrhaft traurige Angelegenheit, gegen den eigenen Willen verheiratet zu werden, Monsieur Wallace«, sagte ihre Tante, während Sonia sich näherte. »Ich spreche aus Erfahrung, müssen Sie wissen. Mein eigener Vater war so sehr davon überzeugt, es besser zu wissen als ich – aber reden wir nicht länger davon. Ma chère Sonia hat einen Hass auf diese Vorstellung entwickelt, der alles Vorstellbare übertrifft. Die Schuld daran gebe ich mir, weil ich sie mit den Romanzen von Monsieur Scott und seinesgleichen bekannt machte. Mit der Zeit wird sie sich damit abfinden, so wie es die meisten von uns machen. Bis dahin kann man es ihr nicht verübeln, wenn sie sich dagegen sträubt und seufzend von der wahren Liebe träumt. Sie mag ein wenig starrsinnig sein, aber sie hat das gütigste Herz, das man sich wünschen kann.«

Die mit tiefer und ungewöhnlich melodischer Stimme vorgetragenen Liebenswürdigkeiten des Mannes aus Kentucky waren nicht so gut zu verstehen wie ihre Tante, aber Sonia versuchte es auch gar nicht erst. »Ich glaube, du vergeudest deine Zeit damit, Monsieur Wallace meine Gefühle zu erklären. Daran kann er kaum Interesse haben, und erst recht kümmert ihn nicht mein Herz.«

»Oh, da irrst du dich bestimmt«, widersprach ihre Tante und griff nach Sonias Arm, um sie zu sich zu ziehen. »Er scheint mir ein durchaus vernünftiger Gentleman zu sein.«

»Jedenfalls für einen Kaintuck«, fügte Kerr an und lächelte breit.

Sonia stutzte und reagierte irritiert auf den neckischen Ausdruck in seinen Augen, der ihnen einen silbrigen Glanz verlieh, auf die strahlend weißen Zähne, die einen krassen Kontrast zu seiner von der Sonne gebräunten Haut bildeten, und auf das plötzliche Auftauchen eines Zuges in seinem Gesicht, der nahe an ein Grübchen herankam. Diese Verwandlung erschreckte sie, da sie den Mann für todernst gehalten hatte.

»Ganz genau«, erwiderte ihre Tante auf seine Bemerkung und strahlte ihn an. Es war nicht zu übersehen, dass sie mit ihm flirtete. Mit einem Kopfnicken in Richtung seines Begleiters sagte sie an Sonia gewandt: »Ma chère, darf ich dir einen Freund von Monsieur Wallace vorstellen? Monsieur Christien Lenoir. Sein Salon liegt gleich neben dem von Monsieur Wallace in der Passage de la Bourse, wenn ich das richtig verstanden habe.«

»Absolut richtig, Madame.«

Der dunkelhaarige Fechtmeister nahm die Hand, die Sonia ihm hinhielt, und verbeugte sich so knapp, wie sie ihren Knicks ausfallen ließ. Als er dann einen Schritt nach hinten trat, warf er ihr einen forschenden Blick zu, gab aber nicht zu erkennen, zu welchem Schluss er gelangt war. Seine Augenbrauen waren dunkle Streifen über den tief liegenden, fast schwarzen Augen, die Gesichtszüge waren schroff, doch auf eine antike Weise zugleich auch edel. Das Haar, das frei war von jener Pomade, mit denen die meisten Gentlemen ihre Locken bändigten, wies den Glanz von schwarzem Satin auf. Die Art, wie er seinen wohlgeformten Mund verzog, als er seinem Freund einen Blick zuwarf, schien etwas Mitleidvolles zu vermitteln.

Der Mann aus Kentucky bekam davon nichts mit, denn er war ganz auf Sonia konzentriert, wie sie feststellen musste. Sein Mund war ein wenig geöffnet, als wolle er etwas sagen. Sie vermutete, dass er sie um den nächsten Tanz bitten wollte. Das Gefühl, das sich daraufhin in ihrer Brust regte und ihr vorkam wie das Flattern von Schmetterlingen, war so beunruhigend, dass sie sich abrupt zu ihrem vorangegangenen Tanzpartner umwandte, der ihr gefolgt war und sich hinter sie gestellt hatte.

»Ich glaube, Sie kennen diesen Gentleman, Monsieur Ducolet.«

Tante Lily lachte leise auf. »Mon Dieu, chère, was für eine Vorstellung. Monsieur Wallace, Monsieur Lenoir, dies ist Monsieur Hippolyte Ducolet.«

Während man sich begrüßte und an frühere Fechtkämpfe erinnerte, setzte der nächste Walzer ein, womit die Gelegenheit verpasst war, sich wieder zu den anderen auf die Tanzfläche zu begeben. Monsieur Wallace schien den Impuls vergessen zu haben, obwohl er seinen Blick über Sonias Körper wandern ließ, ehe er sich erneut Tante Lily zuwandte. »Sagen Sie doch bitte Kerr zu mir, Madame. Auf Förmlichkeiten zu bestehen erscheint albern, wenn wir doch schon in wenigen Stunden auf engstem Raum zusammenleben werden.«

»Ich fürchte, mein Freund empfindet alles Förmliche als absurd«, meinte Christien Lenoir ironisch.

»Das ist es ja auch. Die Leute könnten hier genauso gut auf einen Vornamen verzichten. Ein Mann und eine Frau können seit vierzig Jahren das Bett teilen, ein Dutzend Kinder haben und sich gegenseitig bei Krankheit und Trauer Trost spenden, und trotzdem reden Sie sich gegenseitig immer noch mit Monsieur oder Madame an, wenn einer von ihnen bereits im Sterben liegt. Kann es etwas Lachhafteres geben?«

»Monsieur!«

Verwundert sah Kerr Tante Lily an. »Was habe ich denn gesagt? Ach so, den Teil über das Bett und die Kinder. Ich hoffe, Sie sehen mir das nach, doch ist das nicht der wesentliche Punkt? Man stelle sich nur vor, wie die beiden von der Leidenschaft erfasst …«

»Das werden wir uns nicht vorstellen, wenn ich bitten darf.« Tante Lily tippte ihm dabei auf den Arm, ihr Tonfall war bestimmend, doch in ihren Augen lag abermals dieses Funkeln. »Diese Höflichkeit, die Sie so verabscheuen, ermöglicht ein angenehmes Leben, n’est ce pas, vor allem in der Ehe. Wo wären wir, wenn jeder genau das sagen würde, was er denkt und fühlt, völlig ohne Manieren und ohne Rücksicht auf die Konsequenzen? Männer und Frauen könnten niemals zusammenleben, ohne sich zu streiten. Ich wäre sehr überrascht, wenn sie sich nicht schon eine Woche nach der Hochzeit gegenseitig an die Gurgel gehen würden.«

Kerrs Verbeugung war höflich, doch ihr fehlte es an der Tiefe wahrer Demut. »Ich ziehe meine Behauptung zurück, Madame. Ich bin mir sicher, auf diesem Gebiet haben Sie weit mehr Erfahrung vorzuweisen als ich.«

»Unverschämter Schuft.« Sie bedachte ihn mit einem entrüsteten Blick. »Aber Sie sprachen davon, wir müssten bald auf engstem Raum zusammenleben. Wie meinten Sie das?«

»Nichts Skandalöses, das versichere ich Ihnen. Ich wollte Sie damit nur wissen lassen, dass die Fracht des Dampfschiffs nach Vera Cruz gelöscht und neue Ladung an Bord genommen wurde. Man wartet jetzt nur noch auf den Befehl zum Ablegen.«

»O weh.«

»Sind Sie sich da sicher?« Sonia konnte sich ihren grimmigen Tonfall nicht verkneifen.

»Sehr sicher«, antwortete der Mann aus Kentucky äußerst liebenswürdig.

»Wenn alles reibungslos verläuft, werden wir morgen Nachmittag an Bord gehen, und am Morgen darauf wird das Schiff auslaufen.«

»Wie freundlich von Ihnen, uns das wissen zu lassen.« Vermutlich genoss er es, ihr diese Nachricht zu überbringen, weil er wusste, mit welchem Widerwillen Sonia sie aufnahm. Dennoch musste sie ihm zugutehalten, dass er die Ankündigung nicht an die große Glocke hängte, sondern es ihr mehr beiläufig sagte. Es änderte aber nichts an dem Mienenspiel rund um seine Mundwinkel, das ihr Blut zum Kochen brachte.

»Da ich von Ihrem Vater nichts Gegenteiliges gehört habe, werde ich zur verabredeten Zeit auf der Lime Rock eintreffen. Wenn ich Ihnen mit dem Gepäck helfen kann, so werden Sie mich das sicherlich wissen lassen.«

»Das wird bestimmt nicht nötig sein.«

»Wie Sie wünschen. Mit dem Ablegen werde ich meine Posten antreten. Sobald die Reise beginnt, werde ich zu Ihnen kommen.«

Er sprach ruhig und ohne irgendwelche Betonung, dennoch konnte sie sich gut vorstellen, dass er dankbar war, von ihrem Vater nicht abgelehnt worden sein. Aber sie würde ihm nicht den Gefallen tun, ihn erkennen zu lassen, dass sie es wusste. Also schwieg sie einfach.

»Wir freuen uns schon darauf, Sie dort zu sehen«, antwortete ihre Tante für sie in einem viel höflicheren Tonfall, als es nötig gewesen wäre. »Zweifellos wird die Reise so langweilig und ereignislos verlaufen, wie man es sich nur wünschen kann. Aber sollte das nicht der Fall, dann können wir beruhigt sein, dass Sie in unserer Nähe sind.«

»Ich werde alles tun, um nicht das Vertrauen zu enttäuschen, das Sie in mich setzen, Madame.«

Kerr Wallace’ Verbeugung mangelte es an wahrer Eleganz, dennoch war sie höflich und zurückhaltend – ganz im Gegensatz zum zynischen Leuchten in seinen Augen, in das sich Vorfreude zu mischen schien. Ein Leuchten, das sehr beängstigend wirkte.

Einen Moment lang fühlte sie sich an ihren Auftritt als zänkisches Weib wenige Tage zuvor erinnert, ebenso an die Situation kurz darauf, als sie Monsieur Wallace auf der Straße angesprochen hatte und der Regen ihre Schminke verlaufen ließ. Wie peinlich war ihr doch ihr Spiegelbild erschienen, als sie sich nach der Heimkehr im Spiegel betrachtete. Heute Abend hatte sie mit diesem Erscheinungsbild nichts mehr gemein. Zweifellos würde ihn der Eindruck, den sie bei ihm in ihrem Ballkleid hinterließ, jenes andere Bild vergessen lassen.

Und selbst wenn nicht, wäre es ihr auch egal gewesen. Sie würde nicht auf der Lime Rock sein, wenn die ablegte, sie benötigte nicht Monsieur Wallace’ Begleitung, und es konnte ihr gleich sein, wie er über sie dachte.

Sie würde woanders sein, wenn das Dampfschiff sich auf den Weg nach Vera Cruz machte und dem Fluss in Richtung Golfküste folgte. Sollte der Mann aus Kentucky darin Genugtuung finden, wenn ihm das gelang.

Duell der Leidenschaft

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