Читать книгу Duell der Leidenschaft - Jennifer Blake - Страница 9

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Fünftes Kapitel

Ein paar Sekunden lang lag Sonia wie benommen da, dann gewannen Wut und Entsetzen die Oberhand. Sie fuchtelte mit den Armen und trat nach ihm, wobei sie wieder und wieder versuchte, sich aus der unerbittlichen Umklammerung ihres Gegenübers zu befreien. Ihr Atem ging keuchend, und der Rand ihres Gesichtsfeldes wurde langsam schwarz.

Es war einfach nicht gerecht, dass sie unbemerkt das Haus verlassen hatte, um einem betrunkenen Seemann oder Gewohnheitssäufer in die Hände zu fallen, der heimwärts taumelte. Das war nicht gerecht …

»Hören Sie auf! Sonst schwöre ich, dass ich …«

Diese Stimme! Dieser verdammte Akzent!

Kerr Wallace. Das durfte doch nicht wahr sein, aber … er war es tatsächlich. Sie verstärkte ihre Anstrengungen, um sich von ihm loszureißen und schaffte es, ihm einen Ellbogen in die Rippen zu stoßen.

»Verdammt noch mal!«

Vor ihren Augen verwandelte sich die Welt in einen Wirbel aus Schwarz und Rot, Beige und Braun. Sie fiel auf den Rücken und konnte noch eben einatmen, bevor ein muskulöser Körper auf ihr landete. Lange Beine legten sich um ihre und drückten sie zu Boden, die Handgelenke wurden in einen stählernen Griff genommen und links und rechts von ihrem Kopf auf den Boden gepresst. Ein schwerer Körper legte sich auf ihre Brust und machte es Sonia unmöglich, sich zu rühren.

Sie kniff die Augen zusammen, da sie ihn nicht sehen wollte. »Sofort runter von mir«, fauchte sie ihn an. »Lassen Sie mich gehen!«

»Und wohin?«, wollte er wissen, während er sich hochdrückte, um sie anzusehen. »Was haben Sie vor, dass Sie wie ein Knabe gekleidet sind, der sich einen vergnügten Abend machen will? Eine Zielscheibe für jeden Schuft von hier bis zur Levee Street? Sie können von Glück reden, dass ich auf Sie aufgepasst habe.«

»Glück?« Sie warf dem Kaintuck einen zornigen Blick zu. »Wären Sie nicht gewesen, dann würde ich …«

»… nicht an Bord der Lime Rock gehen, nicht wahr?«, führte er den Satz zu Ende, den sie abrupt abgebrochen hatte. »Und wohin wollten Sie gehen, so ganz ohne Gepäck? Falls Sie durchbrennen wollen, schlagen Sie sich das gleich wieder aus dem Kopf.«

»Als ob ich das wollte! Das Letzte, was ich gebrauchen kann, ist ein Mann oder gar ein Ehemann.«

Plötzlich schien er zu erstarren, als liege ihm etwas auf der Zunge, was er besser nicht laut aussprechen sollte. Gleichzeitig wurden ihr seine Wärme und sein Gewicht bewusst, das auf ihrem Körper und vor allem am Ansatz ihrer Oberschenkel ruhte. Sein Geruch – eine Mischung aus gestärktem Leinenstoff, warmer Wolle und purer Männlichkeit – umgab sie, und sie fühlte sich unglaublich bereit zu allem, was er womöglich tun würde. Dabei kam sie sich auf eine Weise verwundbar vor, die ihr so fremd war, dass sie von Panik erfasst wurde. Ihr Herz schlug wild in ihrer Brust, die sich mit jedem angestrengten Atemzug hob und senkte. Ihr Busen drückte so sehr gegen seinen Oberkörper, dass sie sich fragte, ob er fühlen konnte, wie ihre Brustspitzen hart wurden. Wut, Trübsal und ungestümes Verlangen lieferten sich einen wilden Kampf in ihrem Kopf und ließen ihr Tränen in die Augen steigen.

Ein gehauchter Fluch trieb über ihr durch die Nacht.

Kerr Wallace richtete seinen Oberkörper auf und schob ein Knie zwischen ihre Beine, um sich aufstützen zu können, dann schließlich stand er auf, zog Sonia aber mit sich hoch, da er ihre Handgelenke nach wie vor umschlossen hielt.

Da sie völlig unvorbereitet auf die Füße gezogen wurde, schwankte sie im ersten Moment ein wenig und kippte gegen ihn. Er legte die Arme um sie, damit sie nicht hinfiel. Es war, als sei sie von einer dicken Mauer umgeben. Seine Brust war fest und muskulös, die Arme gaben unter Sonias Gewicht kein bisschen nach. Einen Augenblick lang fühlte sie sich behütet und geschützt, vor allen denkbaren Gefahren in Sicherheit. Der Wunsch, sich einfach nur gegen diesen Mann sinken zu lassen und sich keine Sorgen mehr machen zu müssen, war so überwältigend, dass ihr schwindelig wurde.

Dieser war jedoch erschreckender als alles, was zuvor geschehen war. Sie wich mit solcher Abscheu vor ihm zurück, dass sie mit dem Rücken gegen den Balkonpfeiler hinter sich stieß und die ganze Konstruktion erzitterte. Eine Hand an den Hals gelegt und die Augen zu schmalen Schlitzen verengt, atmete sie gereizt durch.

»Und jetzt?«, wollte sie wissen. »Werden Sie die Türglocke läuten und mich meinem Vater übergeben?«

»Warum denn das? Damit Sie wieder aus dem Fenster steigen, sobald er sich umgedreht hat?«

Genau das hatte sie sich überlegt. Es änderte nichts an ihrer Absicht, dass er sie durchschaute. »Sie könnten ihm ja auch empfehlen, mich zu fesseln, bis die Lime Rock ablegt. Überlegen Sie doch mal, wie viel Mühe Ihnen damit erspart bliebe. Morgen könnten Sie mich zum Hafen transportieren, wie man ein verschnürtes Schwein zum Markt bringt.«

»Keine schlechte Idee«, meinte er gedehnt.

Sie hatte gedacht, es könnte nicht mehr schlimmer kommen, aber das war ein Irrtum gewesen.

Unerwartet bückte er sich, als verfolge er irgendeine perverse Absicht, griff nach ihrem Handgelenk und zog sie an sich. Ihr Atem wurde ihr mit einem gar nicht damenhaften Grunzlaut aus den Lungen gedrückt, da sie mit dem Solarplexus gegen seine harte Schulter traf. Als er sich dann wieder zu seiner vollen Größe aufrichtete, lag sie auf einmal über seiner Schulter. Sie spürte, wie er seinen Arm um ihre Kniekehlen legte, sich mit ihr umdrehte und dann in Richtung Fluss die Straße entlangging.

Ein erstickter Schrei kam ihr über die Lippen, als eine nie zuvor gekannte Wut sie überwältigte. Sie schaukelte bei jedem seiner ausholenden Schritte hin und her, doch sein Arm war wie eine stählerne Klammer, und seine langen Finger bohrten sich in ihren Oberschenkel. Das Blut stieg ihr in den Kopf, ihre Schläfen begannen zu pochen, und sie musste schlucken, damit ihr der Mageninhalt nicht nach oben kam. Der Hut war ihr beim Sturz aufs Pflaster vom Kopf gerutscht, und nun lösten sich auch noch ihre Haarnadeln und fielen mit leisem Klimpern auf den Fußweg. Damit geriet die Fülle ihrer Haarpracht außer Kontrolle. Außer sich trommelte sie mit den Fäusten auf seinen Rücken, aber er schien davon nichts zu bemerken. Stattdessen brachte sie sich durch ihre heftigen Bewegungen aus dem Gleichgewicht und musste sich an seiner Jacke festklammern, wenn sie nicht kopfüber auf die Straße stürzen wollte.

»Was … tun Sie … da?«, brachte sie mühsam heraus. »Lassen Sie … mich runter. Mein Vater wird …«

»Was wird er? Mir einen Orden verleihen?« Er zog sie ein Stück weit nach vorn, sodass ihre Pobacke gegen seinen kantigen Kiefer drückte. »Rufen Sie ruhig nach Ihrem Papa, nur zu. Es sei denn, Sie wollen ihm jetzt lieber nicht gegenübertreten.«

Er hatte natürlich recht. Das Letzte, was sie wollte, war, von ihrem Vater so gesehen zu werden und ihm ihr Vorhaben gestehen zu müssen, wäre ihre Flucht nicht vereitelt worden. Dieser Gedanke war so unerträglich, dass er ihr die Kehle zuschnürte und sie keinen Ton herausbekam.

Seine Art, einfach wie eine unaufhaltsame Naturgewalt weiterzugehen, während er sie über die Schulter trug, ließ sie vor Wut kochen, aber zugleich machte es ihr auch Angst. Ein Schauer lief ihr über den Rücken, der ein Zittern am ganzen Leib auslöste. »Sie … Sie müssen mich anhören, Monsieur. Ich kann Sie … ich kann Sie bezahlen. Meine Großmutter …«

»Dorthin wollten Sie? Zu Ihrer Großmutter?«

»Sie … sie nimmt mich bei sich auf, wenn ich … wenn ich es bis zu ihr schaffe. Sie lebt in …« Mitten im Satz brach sie ab, da sie fürchtete, zu viel zu verraten.

»Nicht in New Orleans, möchte ich wetten, sonst hätten Sie längst bei ihr Zuflucht gesucht. Außerdem bräuchten Sie dann keine Tarnung, um zu ihr zu kommen, nicht wahr? Wo wohnt sie dann? Flussaufwärts? In Natchez? St. Francisville? Oder vielleicht flussabwärts Richtung Mobile?«

Gegen ihren Willen versteifte sie sich, als er Mobile erwähnte. Zwar hoffte sie noch, dass es ihm nicht auffiel, doch schon mit dem nächsten Satz machte er diese Hoffnung zunichte.

»Also in Mobile. Der Dampfer nach Mobile traf am Dock ein, kurz bevor die Lime Rock anlegte, und wird am Nachmittag losfahren, wie mir soeben einfällt. Ich vermute, darauf haben Sie gezählt. Zu schade.«

Niedergeschlagenheit erfasste Sonia. Ihre Großmutter mütterlicherseits war ihre ganze Hoffnung gewesen, ihre einzige Chance für eine Zuflucht. Ihr Brief, der mit dem Dampfboot eingetroffen war, enthielt das Angebot, ihr dort Unterschlupf zu gewähren.

Ma’mere war nie gut auf den Mann zu sprechen gewesen, der ihre Tochter – Sonias Mutter – geheiratet hatte, und sie hatte sich auch gegen die Heirat ausgesprochen, war aber an Sonias Großvater gescheitert, der nichts dagegen einzuwenden hatte. Sie gab Simon Bonneval auch die Schuld am Tod ihrer Tochter, weil er sich nie richtig um sie kümmerte, weil er von ihr erwartet hatte, sich binnen weniger Tage von jeder ihrer Fehlgeburten zu erholen, damit er mit ihr wieder ein Kind zeugen konnte. Aus seiner Enttäuschung darüber, dass sie ihm eine Tochter anstelle des begehrten Sohns schenkte, machte er auch keinen Hehl. Er war ein Ehemann gewesen, der an allem etwas auszusetzen hatte und der nie ihre Leistungen zu würdigen wusste. Er war derjenige, der ihrer Mutter die Lebensfreude nahm, so hatte Ma’mere es Sonia erzählt, und im zwölften Jahr nach Sonias Geburt verlor sie durch eine weitere Fehlgeburt des sechsten Sohns auch ihren Lebenswillen.

Sonia, die in den letzten Jahren den Platz ihrer Mutter als Haushälterin eingenommen hatte, mochten die Dinge, die sie von ihrer Großmutter hörte, durchaus der Wahrheit entsprechen. In der ganzen Zeit hatte sie selbst ihn ebenfalls kaum einmal mit ihrer Arbeit zufriedenstellen können.

»Monsieur Wallace, ich flehe Sie an«, flüsterte sie mit heiserer Stimme.

Für den Bruchteil einer Sekunde geriet der Mann ins Stocken, dessen war sie sich sicher. Doch er blieb nicht stehen und ließ auch durch keine andere Reaktion erkennen, dass er sie gehört hatte.

Ihre Wut von vor wenigen Minuten war nichts im Vergleich zu dem Zorn, von dem sie nun verzehrt wurde. Dieser Kaintuck war ein Ungeheuer, ein herzloser, ignoranter Barbar, und es war einfach nur dumm von ihr gewesen, etwas anderes für möglich zu halten. Für das, was er ihr antat, würde sie ihn hundertfach bezahlen lassen, das schwor sie beim Grab ihrer Mutter.

Sie erreichten das weitläufige Gelände des Place d’Armes vor der Kirche und dem Cabildo, dem Regierungsgebäude. Dort angekommen, bog Kerr Wallace ab und ging in Richtung Anlegeplatz weiter. In diesem Moment wusste sie, wohin er sie brachte.

Minuten später hatten sie das Dock erreicht, an dem die Lime Rock ruhig und friedlich vertäut lag. Wallace blieb stehen und beugte sich vor, damit ihre Füße zurück auf den Boden kamen, dann hielt er kurz ihre Unterarme fest, bis sie das Gleichgewicht zurückerlangt hatte. Schwindel befiel sie, als das in ihrem Kopf gestaute Blut zurückströmte, doch sie ließ sich davon nichts anmerken, sondern warf ihm einen trotzigen Blick zu, obwohl sie ihn noch gar nicht richtig wahrnehmen konnte.

Der Anlegeplatz erwachte kurz vor Tagesanbruch erst allmählich zum Leben. Flussabwärts und flussaufwärts wurde das lange, gewundene Ufer von Dampfbooten und Segelschiffen gesäumt, so weit das Auge reichte. Die Signalleuchten strahlten wie eine irdische Ausgabe der Milchstraße und bewegten sich leicht im Auf und Ab des Flusses, auf dessen Oberfläche ihr Schein reflektiert wurde. Güter in Kisten und Fässern sowie Berge von Baumwollballen lagen bereit, um im Licht des neuen Tages verladen zu werden.

Hinter ihnen lag die Stadt, deren präzise angelegtes Straßennetz von Lampen an jeder Kreuzung und Ecke gekennzeichnet wurde. Katzen und Hunde streunten umher, Schweine schnüffelten hier und da, und Männer patrouillierten durch die Stadt, um auf diejenigen ein Auge zu haben, die den Unachtsamen aufzulauern versuchten. Aus dieser Richtung wurden mit der morgendlichen Brise die blechernen, melancholischen Klänge einer Drehorgel herübergetragen.

Sie beide – Sonia und der Mann aus Kentucky – standen ganz allein hier im Halbdunkel. Diese Tatsache löste bei ihr ein sonderbares Kribbeln im Bauch aus. Sein Griff um ihre Handgelenke war nicht schmerzhaft, aber der ausgeübte Druck verriet ihr, dass sie besser nicht versuchen sollte, sich zu wehren. Die Macht seines Griffs wirkte auf sie wie eine Droge, sodass sie leicht schwankte.

Dieses fiebrige Bewusstsein machte sie wahnsinnig, wo sie doch eigentlich nichts anderes wollte, als vor ihm wegzulaufen … weit, weit wegzulaufen.

»Wir beide begeben uns jetzt auf das Dampfschiff«, erklärte er mit einer Stimme, die so rau klang, als würde man einen Schlitten über einen Kiesweg ziehen. »Wir können das nett und freundlich erledigen, wir können es auch zum Problem werden lassen. Sie können selbst über die Laufplanke an Bord gehen, oder ich trage Sie. Die Wahl liegt bei Ihnen, Mademoiselle Bonneval.«

Sie wollte sich weigern, seine Anweisung zu befolgen. Sie wollte ihm diese Weigerung ins Gesicht schleudern, sich aus seinem Griff losreißen und wie der Wind davoneilen.

Das Problem war nur, er hätte sie sehr wahrscheinlich viel zu schnell eingeholt. Und dann würde er seine Drohung wahr machen, sie über die Schulter legen und wie einen Sack Mehl an Bord tragen, mit ihrem Hinterteil nach oben, sodass jeder es sehen konnte. Der Gedanke war schlicht unerträglich.

Ihr Stolz verlangte von ihr, einen Kompromiss zu schließen, ganz gleich wie schmerzhaft der auch für sie war. Außerdem konnte er nicht die ganze Zeit bei ihr bleiben, bis das Schiff ablegte. Damit blieben ihr noch ein paar Stunden, ehe sie sich der Verzweiflung hingeben musste.

»Vielleicht lässt uns der Captain ja gar nicht an Bord«, warf sie ein. Im Angesicht ihrer Kapitulation klangen ihre Worte steif und würdelos.

»Ich muss ihm nur die Absichtserklärung Ihres Vaters zeigen, in dem ich zu Ihrem Begleiter auf dieser Reise bestimmt werde. Wenn es ein Problem gibt, kann er sich ruhig an ihn wenden.«

»Aber ich trage Männerkleidung. Das wird seltsam aussehen.«

»Das hätten Sie sich überlegen sollen, bevor Sie Ihre Unterröcke ablegten.«

Sie schaute zur Seite. »Lieber lasse ich mich für einen Jungen halten als für ein … ein leichtes Mädchen.«

»Da muss ich Ihnen zustimmen«, sagte er und nickte finster.

»Nicht, dass ich mich meinetwegen sorge, aber Ihr guter Name könnte darunter leiden, wenn man mich an Ihrer Seite in einer Hose sieht.«

Er nahm eine Strähne ihres Haars zwischen die Finger, die sich über ihre Schulter gelegt hatte. »Niemand könnte Sie für einen Knaben halten, solange das alles um Ihren Kopf weht. Und es wäre nur dienlich für meinen Ruf, würden Sie in voller weiblicher Pracht erscheinen.«

Es wäre als Kompliment aufzufassen gewesen, wenn sie das gewollt hätte. Doch das wollte sie nicht. Sie befreite ihre Haarsträhne aus seiner Hand und warf sie sich über die Schulter. »Das dürfte schwierig sein, wenn ich kein Gepäck bei mir habe.«

»Wollen Sie mir tatsächlich erzählen, dass Sie Ihre chère Tante Lily nicht darauf geschult haben, sofort mit Ihrer ganzen Garderobe angelaufen zu kommen, sobald Sie danach verlangen? Ich werde veranlassen, dass sie von Ihrem Meinungswandel erfährt.«

»Sie sind zu gütig«, brachte sie angestrengt heraus, da sie gleichzeitig versuchte, ihre Tränen zurückzuhalten.

»Dafür werde ich bezahlt.«

Seine Worte kamen ihm abrupt missverständlich über die Lippen. Es sollte heißen, ihr Vater hatte ihn damit beauftragt, dafür zu sorgen, dass sie an Bord der Lime Rock ging, aber auch auf ihre Sicherheit und einen vertretbaren Komfort zu achten – und sicherzustellen, dass sie so wie jede lebende Fracht in der gleichen Verfassung an Land ging, in der sie ursprünglich das Schiff betreten hatte. Kerr Wallace würde seinen Pflichten nachkommen. Mehr konnte sie von ihm nicht erwarten, und erst recht nicht weniger.

Er ließ einen ihrer Arme los, hielt aber den anderen Ellbogen weiterhin fest, als traue er ihr immer noch zu, sie könne bei der erstbesten Gelegenheit die Flucht ergreifen. Möglicherweise hatte er damit recht, überlegte sie. In ihrer gegenwärtigen Laune wusste sie selbst nicht so genau, wozu sie fähig war. Ihre Abneigung gegen diesen Mann war so groß, dass sie sich wünschte, sie hätte irgendeine Waffe zur Hand, um ihn außer Gefecht zu setzen.

Gemeinsam mit ihr drehte sich Kerr Wallace in Richtung der Lime Rock um. Nach wenigen Schritten stolperte sie und stieß einen erschreckten Aufschrei aus, da sie drohte hinzufallen. Wallace zog sie hoch, bevor ihr etwas passieren konnte, dann ging er langsamer weiter. Dennoch hatte sie Schwierigkeiten, in diesen Stiefeln von der Stelle zu kommen. Gefunden hatte sie die in einem Schrank in der Garçonniére, wo einer ihrer Cousins sie bei einem Besuch zurückgelassen hatte. Von da stammte auch der Gehrock, der so wie das Schuhwerk einige Nummern zu groß war, während die vom Sohn der Köchin ausgeliehene Hose gerade so passte. Insgesamt sah sie einfach schrecklich aus, doch dass sie sich überhaupt Gedanken darüber machen konnte, ärgerte sie fast noch mehr als alles andere.

An der Anlegestelle angekommen, grüßte Wallace den Wachposten und bat um Erlaubnis, an Bord kommen zu dürfen. Eine schier unendliche Wartezeit schloss sich an, bis endlich der Captain an Deck kam und die Erlaubnis erteilte. Das Seil an der Laufplanke hing locker, und sie überwanden die rutschigen Planken mit den festgenagelten Sprossen. Sonia ging voran und musste immerzu daran denken, welchen ungehinderten Blick man auf ihre Beine hatte. Umso erleichterter war sie, als sie auf dem Schiff waren und ein Schiffsmaat angewiesen wurde, sie unter Deck zu bringen.

An der Kabine, die vermutlich für ihre Tante und sie selbst reserviert war, blieben sie stehen. Der Maat nickte und zog sich zurück. Als Sonia nach dem Riegel griff und die Tür aufstieß, stellte sich ihr Kerr in den Weg.

Sie warf ihm einen wütenden Blick zu, doch er zog lediglich den Kopf ein und betrat den kleinen Raum. In der Mitte blieb er stehen, stemmte die Hände in die Hüften und musterte die düsteren Ecken, den Perserteppich, der für den einzigen Farbtupfer sorgte, die übereinander angeordneten Kojen mit den ordentlich eingesteckten Laken und Decken, der kleinen Kommode mit eingelassener Waschschüssel und Kanne sowie den Türen darunter, hinter denen das Nachtgeschirr verborgen war. Es war nicht weiter schwierig, die Kabine zu inspizieren, war sie doch so klein, dass er mit ausgestreckten Armen beide Wände gleichzeitig hätte berühren können. Sein Blick fiel auf eine kleine Reisetruhe auf dem Boden vor den Etagenbetten. Er packte sie an einem Griff und schleuderte sie hinaus in den Korridor. Nachdem das erledigt war, gab er Sonia ein Zeichen, zu ihm zu kommen.

»Was war das?«, fragte sie abfällig, während sie über die Schwelle trat. »Ist hier schon jemand untergebracht?«

»Ein Irrtum«, antwortete er. Wieder ließ er die Hände auf seinen Hüften ruhen. »Ich werde mich darum kümmern.«

Daran hegte sie keinen Zweifel. »Ein Irrtum, den Sie erwartet haben?«

»Auf manchen Schiffen läuft es nach dem Prinzip ab, ›wer zuerst kommt, mahlt zuerst‹. Ich glaube, mit dem Eigentümer der Truhe würden Sie sich nicht gern die Kabine teilen.«

Sie konnte kaum ein Schaudern unterdrücken. »Sicher nicht.«

»Das dachte ich mir. Auch wenn Sie sich neulich abends das Gesicht angemalt hatten.«

Dass sie jetzt diese Bemerkung zu hören bekam, hatte sie sich selbst zuzuschreiben, so ungern sie das auch einräumen musste. Sie drehte sich von ihm weg, hielt sich an der Tür fest und stand stocksteif da. »Ich hoffe nicht, dass Sie erwarten, den Platz desjenigen einzunehmen, dem diese Truhe gehört.«

»Das würde mir nie in den Sinn kommen.«

»So, nun haben Sie mich hier untergebracht. Sie müssen für mich weiter nichts tun, als mich allein zu lassen.«

Er schürzte die Lippen, widersprach jedoch nicht. Aber er versuchte auch gar nicht erst, sich das zynische Funkeln in seinen Augen zu verkneifen. Er ging an ihr vorbei, duckte sich wieder und deutete eine Verbeugung an, dann zog er die schwere Tür hinter sich zu.

Sie atmete seufzend aus, obwohl ihr nicht bewusst gewesen war, dass sie überhaupt den Atem gebannt angehalten hatte. Sie hatte befürchtet, er …

Was genau hatte sie eigentlich befürchtet? Dass er als ihr Bewacher bei ihr bleiben würde? Dass er es sich in einer der beiden Kojen bequem gemacht hätte? Dass er sich wegen der ungewöhnlichen Situation, in die sie sich selbst manövriert hatte, irgendwelche Freiheiten herausnehmen könnte?

Natürlich hätte er ihr nicht so deutlich zu verstehen geben müssen, dass er keinerlei Interesse an ihr hatte. Auch wenn keine seiner Handlungen Anlass zu der Vermutung gab, seine Überlegungen könnten in diese Richtung gehen, war sein Verhalten unpassend gewesen.

Mon Dieu. Sie konnte sich nicht daran erinnern, wann sie sich das letzte Mal der Kraft eines Mannes ebenso wie seiner überlegenen Größe so bewusst gewesen war. Wäre er zum Schluss gekommen, bei ihr zu bleiben, wie hätte sie ihn dann zurückweisen sollen?

Nun, er war nicht zu dem Schluss gekommen, und das würde auch in Zukunft nicht der Fall sein. Für ihn war sie lediglich jemand, für den er eine Zeit lang verantwortlich war. Bloß war es so, dass er sie angefasst und sie getragen hatte, als sei sie so leicht wie ein Päckchen getrockneter Bohnen. Er hatte sie so fest an sich gedrückt, dass ihre Wollhose sich an seinen Bartstoppeln rieb. Dabei konnte sie deutlich das Spiel seiner Kiefermuskeln spüren, als er die Lippen aufeinanderpresste. Warum er das machte, vermochte sie nicht zu sagen. Sie war eine solche Behandlung nicht gewöhnt, und noch nie in ihrem Leben hatte sie sich in einer so peinlichen Lage befunden.

Es war nicht so, als sei ihr die für Jungs so typische raue und übermütige Art völlig fremd. Einige Jahre lang war sie selbst so ein Wildfang gewesen, ehe sie begann, ihr Haar hochzustecken und sich in ihr Schicksal als Frau zu fügen. An vielen Morgen schlich sie mit ihren Cousins aus dem Haus, den Kindern des jüngeren Bruders ihres Vaters. Sie spielten im Straßenschmutz mit Murmeln, balancierten auf Backsteinmauern, sprangen nach dem Regen in morastige Abwassergräben und Pfützen und prügelten sich mit den Raufbolden von außerhalb des Vieux Carré. Sie lernte Schwimmen, indem sie wie wild mit den Armen ruderte, nachdem man sie in den Fluss gestoßen hatte, und sie lernte noch vieles mehr.

Natürlich war jeder ihrer ausgelassenen Späße vom alten Fonz beobachtet worden, der eigentlich Alphonse hieß und als Majordomus für ihren Vater arbeitete. Vor drei Wintern war er an Schüttelfrost gestorben. Er glaubte, um die achtzig Jahre alt zu sein, doch so genau hatte er das nicht sagen können. Als Junge war er von einem Onkel in die Sklaverei verkauft worden, der seinen Vater und den älteren Bruder ermordet hatte, um sich zum Stammesführer in seinem afrikanischen Dorf aufzuschwingen. Er hatte sich nicht beklagt, zumindest sagte er das. Als Sklave führte man kein einfaches Leben, doch es war immer noch besser, als tot zu sein. So hatte sie ihn auf seine alten Tage kennengelernt – sie als sein Küken, sein Kätzchen, als das kleine Mädchen mit den Zöpfen, das ihn verehrt hatte, weil er es auf seine großväterliche Art liebte.

Alphonse hätte ihrer Heirat mit Rouillard nicht zugestimmt, und er hätte alles daran gesetzt, sie zu verhindern, indem er notfalls ihren Vater gedroht hätte, Schande über ihn zu bringen, bis er von dieser Idee Abstand nahm. Fonz mit seinen weißen Haaren und seinem gebeugten Rücken war eine diskrete Macht im Haus gewesen, hatte seine schützende Hand über Sonia gelegt, sodass ihr eine deutlich rauere Kindheit erspart blieb.

All diese Überlegungen benötigten nur Sekunden, um ihr durch den Kopf zu gehen, und sie wurden jäh unterbrochen, als sie hörte, wie Metall über Metall kratzte und dann ein vernehmliches Klick folgte.

Sie drehte sich um und starrte ungläubig zur Tür, die nur einen einzigen Schritt weit von ihr entfernt war. Sie umfasste den Griff und versuchte ihn zu drehen. Auch beim zweiten Anlauf tat sich nichts.

Die Tür war verschlossen.

Mit der flachen Hand schlug sie so fest dagegen, sodass sich bis zu ihrer Schulter ein Brennen im Arm ausbreitete. Dann wandte sie sich von der Tür ab und lehnte sich mit dem Rücken dagegen.

Einen Moment lang stiegen ihr Tränen in die Augen, doch sie sagte sich mit wütender Entschlossenheit, dass sie nicht weinen würde. In ihr regte sich der Wunsch, mit den Fäusten gegen die Tür zu trommeln, zu brüllen und dem Kaintuck übelste Flüche hinterherzuschicken.

Aber das wäre ebenfalls vertane Zeit, und sie würde völlig sinnlos ihre Kraft und ihre Leidenschaft vergeuden. Beides brauchte sie noch dringend, wenn sie einen Ausweg aus diesem Dilemma finden wollte. Und wenn sich an ihrem Schicksal nichts ändern lassen sollte, dann würde sie beides benutzen, um Kerr Wallace so zuzusetzen, dass er sich wünschte, nie geboren worden zu sein.

Duell der Leidenschaft

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