Читать книгу Duell der Leidenschaft - Jennifer Blake - Страница 8
ОглавлениеViertes Kapitel
Kerr saß auf einem Stuhl in einer Schenke nahe seinem Salon, ein Bein hatte er vor sich ausgestreckt, auf dem Tisch neben ihm stand ein Glas Bier. Missgelaunt und nicht zum Reden aufgelegt, trommelte er mit den Fingern auf die mit Kerben übersäte Tischplatte. Christien hatte ihm gegenüber auf einem Hocker Platz genommen. Männer aller Couleur füllten dieses Lokal, unterhielten sich lautstark, tranken und rauchten Stumpen oder selbst gedrehte Zigaretten, deren Qualm die Luft noch stickiger machte. Kerr nahm von alledem kaum Notiz. Stattdessen machte er eine verdrießliche Miene. Er vernahm nur zu deutlich die leisen Walzerklänge aus dem Hotel, wo der Ball noch bis zum Morgengrauen weitergehen würde. Sie beide hatten den Ball vor einer Stunde verlassen. Nun quälten ihn Bedenken, deren Ursache sich nicht näher bestimmen lassen wollte. Bedenken, die Mademoiselle Bonneval betrafen.
Sonia war an diesem Abend viel zu ruhig und zu beherrscht gewesen. Über ihren Augen hatte eine Art Schleier gelegen, und ihr Lächeln hatte er als zu einstudiert empfunden. Die bei ihrer ersten Begegnung zur Schau gestellte Abneigung hatte sie aufgegeben, zumindest vermittelte sie diesen Eindruck. Aber er war sich sicher, dass sie sich noch längst nicht in ihr Schicksal gefügt hatte.
Diese Lady plante etwas, darauf hätte er schwören können.
Beinahe hätte er sie um einen Tanz gebeten. Sie ein paar Minuten lang in seinen Armen halten zu können, während sie sich im intimen Kontakt des Walzers über die Tanzfläche bewegten, war eine Vorstellung, die in ihm diesen Wunsch geweckt hatte. Was ihn jedoch davon abhielt, ihn in die Tat umzusetzen, war ihre undurchschaubare Miene. Es wäre durchaus möglich gewesen, dass sie ihm, ohne zu zögern, einen Korb gegeben hätte, und ihm hatte der Sinn nicht nach einer öffentlichen Demütigung gestanden.
»Hast du schon gepackt? Und hast du alles für diese Reise nach Mexiko arrangiert?«
Christien blinzelte und betrachtete sein Gegenüber genau, wie Kerr feststellen musste. Christien war ein guter Freund, aber ein unangenehmer Gegner. Ganz in der Art derjenigen, die in den Wäldern aufgewachsen waren, entging ihm nur wenig von dem, was sich um ihn herum abspielte, und er spürte verdammt gut, woher der Wind wehte. Es kam ihm vor, als hätte sein Freund wahrgenommen, was ihm durch den Kopf ging. Am besten wäre es wohl, ihn von dem Thema wegzulotsen.
»Nur noch ein paar Kleinigkeiten«, bestätigte er nickend. »Habe ich mich eigentlich schon bei dir bedankt, dass du während meiner Abwesenheit auf meinen Salon aufpasst?«
»Mindestens ein halbes Dutzend Mal. Mach dir darüber nicht weiter Gedanken, sorg lieber dafür, dass du heil zurückkommst.«
»Das ist meine Absicht, das garantiere ich dir.«
»Und ich werde dich daran erinnern. Ich kann mit meiner Zeit Besseres anfangen, als deine Habseligkeiten zu verkaufen, um deine Miete zu bezahlen.«
»Dazu sollte es gar nicht erst kommen, aber falls doch
…« Kerr ließ den Satz unvollendet und zuckte fatalistisch mit den Schultern.
»Dann ist es eine Sache von Leben und Tod.«
»So kann man das sagen.«
Kerr war nicht der Typ, der über sich oder sein Geschäft redete. Je weniger Menschen wussten, was er wusste, desto besser. Diese wortkarge Einstellung lag in der Familie. Sein Vater war so gewesen, sein Großvater ebenso bis zurück zum Clan der Wallace’ aus den schottischen Highlands. Als starrsinnigen Stolz und als das Bedürfnis, die Zügel in der Hand halten zu wollen, hatte seine Mutter es immer bezeichnet. Vielleicht hatte sie damit ja recht gehabt.
»Die Lady schien nicht übermäßig erfreut, als sie erfuhr, dass die Lime Rock bald auslaufen wird.«
Das Licht der vom Ruß matten Laternen glitt über Christiens schwarzes Haar, als er den Kopf neigte.
»Das ist mir auch aufgefallen.«
»Ich kann nicht sagen, dass ich dich darum beneide, mit ihr diese Reise zu unternehmen.«
Kerr sah seinen Freund skeptisch an. »Wenn du meinst, ich glaube, dass …«
»Gott bewahre, ich schwöre es dir. Ich bevorzuge meine Frauen sanfter und fügsamer.«
»Vorsicht, mein Freund. Den alten Göttern macht es Spaß, einem Mann seine eigenen Worte zum Nachtisch zu servieren und mit einer gehörigen Portion Problemen zu versalzen.«
»Das erfährst du gerade am eigenen Leib, nicht wahr?«
»Wie meinst du das?«
»Warst du nicht der Mann, der jedem Versuch der Ehefrauen seiner Freunde aus dem Weg ging, für ihn eine Frau zu finden? Der unerschrockene Fechtmeister, der mit einer verwöhnten Kreolen-Schönheit nichts anfangen konnte und keine Zeit für solche Spielereien hatte? Und nun sieh dich an, was aus dir geworden ist.«
»Ich habe mich verpflichtet, eine Lady zu ihrer Hochzeit zu begleiten, weiter nichts.«
»Aber du wirst auf sie aufpassen, nicht aus den Augen lassen und dafür sorgen, dass ihr nichts zustößt. Ehe du es dich versiehst, wirst du ihr wie ein kranker Welpe hinterherlaufen.«
Kerr sah ihm in die Augen und hielt dem Blick seines Gegenübers stand. »Ich würde darauf kein Geld wetten.«
Christien redete ungerührt weiter. »Oder du rennst hin und her und fluchst, während du dich fragst, wohin sie verschwunden sein kann, als du ihr einen Moment lang den Rücken zugedreht hast. Mademoiselle Bonneval wirkt auf mich wie eine Lady, die ihren eigenen Willen hat. Sie wirst du nicht wie ein Pferd an einer Stelle festbinden und erwarten, dass es sich bis zu deiner Rückkehr nicht von der Stelle gerührt hat.«
»Ich bin dir für diese weise Erkenntnis dankbar, da ich von selbst niemals auf eine solche Idee gekommen wäre.«
»Oh, ich zweifle nicht daran, dass du auf alles gefasst bist. Das Problem ist nur, die Lady ist ihrerseits zu allem bereit, und sie scheint über ihr Schicksal nicht sehr glücklich zu sein. Wenn du und ihr Vater einmal nicht hinsehen, wird sie auf und davon sein.«
Kerr verspürte ein Kribbeln im Nacken, dann lief ihm ein Schauer über den Rücken. Soeben hatte Christien das in Worte gefasst, worüber er selbst bereits die ganze Zeit nachgedacht hatte. Das war genau das gewesen, was ihn an Sonia Bonneval an diesem Abend so gestört hatte: ihre Stimmung, ihre gefasste Art, wie sie nach der ersten Überraschung die Nachricht von der bevorstehenden Abfahrt der Lime Rock aufnahm.
Sie hatte gar nicht vor, an Bord zu sein, wenn das Schiff ablegte. Sie wollte vor der Hochzeit und vor ihm davonlaufen.
Die Stuhlbeine schabten über den Steinboden, als Kerr plötzlich aufsprang. Aus seiner Hosentasche zog er einige Münzen, warf sie auf den Tisch und wandte sich zum Gehen.
»Augenblick, wohin willst du denn?«, rief Christien ihm nach.
»Nach meiner Schutzbefohlenen sehen«, antwortete er über die Schulter hinweg.
»Du hast sie vor uns den Ball verlassen sehen. Sie wird längst im Bett liegen.«
»Davon will ich mich ja überzeugen.«
Hinter ihm murmelte Christien irgendetwas, aber Kerr machte sich nicht die Mühe nachzufragen. Er glaubte allerdings etwas in der Art gehört zu haben, dass Götter was zu lachen hatten.
Stunden später ging ihm die Unterhaltung in der Kneipe immer noch durch den Kopf, als er sich gegenüber dem Stadthaus der Bonnevals an die Hauswand lehnte. Durch das Gespräch mit Christien war er auf die richtige Fährte gebracht worden. Er war sich so sicher gewesen, dass Mademoiselle Bonneval sich absetzen wollte und sie ihre Siebensachen packte, um sich aus dem Haus zu schleichen und bei einer Freundin oder einer Verwandten Unterschlupf zu finden. Zumindest hatte er das geglaubt.
Jetzt war er sich da längst nicht mehr so sicher. Die Nacht war fast vorüber, und er stand immer noch da und beobachtete wie ein liebeskranker Dummkopf ihr Fenster. Jetzt fehlte ihm nur noch eine Gitarre, und er hätte in bester kreolischer Manier ein Lied anstimmen können wie jemand, der um seine Geliebte warb. Allerdings konnte ihm so etwas nicht widerfahren, da er nicht in der Lage war, eine Melodie zu halten. Vielleicht hätte er sich dennoch besser eine Mundorgel oder Geige beschafft, damit er eine Ausrede hatte, wenn die Gendarmen das nächste Mal auf ihrer Runde bei ihm vorbeikamen.
Würde er nur einen Funken Verstand besitzen, dann hätte er sich in seine Räumlichkeiten über dem Salon begeben, um etwas Schlaf zu bekommen. Noch eine Stunde, und dann würde er genau das machen. Bis dahin war der neue Tag angebrochen, und es war zweifelhaft, dass sie dann noch die Flucht antreten würde.
Womöglich war das aber ohnehin nie ihre Absicht gewesen. An wen sollte sie sich auch wenden? Wer würde sie bei sich aufnehmen, wenn er wusste, er würde es mit Monsieur Bonneval zu tun bekommen?
Was war ihr Vater doch für ein altmodischer Kerl. Es war schon schlimm genug, sie mit einem Mann zu verheiraten, den sie kaum kannte, aber er musste sie auch noch unmittelbar vor dem Ausbruch eines Kriegs in ein fremdes Land schicken. Alles Mögliche konnte ihr zustoßen. Armeen waren dafür bekannt, mit Zivilisten nicht allzu freundlich umzuspringen, wenn die ihnen in die Quere kamen – erst recht nicht mit solchen, die aus dem Land des Gegners kamen. Und Sonia mit Rouillard zu verheiraten stellte ein weiteres Risiko dar. Wer wusste schon, wie er eine Frau behandeln würde? Seine Frau saß bei ihm in der Falle und konnte sich an niemanden wenden, der ihr helfen würde, sollte sich ihr Gemahl von seiner brutalen Seite zeigen.
Allerdings war nicht anzunehmen, dass es überhaupt dazu kommen würde. Ginge es nach Kerr, dann wäre die Ehe vorüber, noch bevor sie geschlossen worden war – und sein Entschluss stand fest, dass es nach ihm ging.
Zu schade, dass er ihr nicht sagen konnte, sie müsse sich keine Sorge machen, weil sie noch vor der Hochzeitsnacht Witwe sein würde. Das Problem daran war, er konnte es ihr nicht garantieren. Womöglich würde Rouillard derjenige sein, der die Konfrontation überlebte. Ein anderer Grund für sein Schweigen war der, dass Frauen unberechenbar waren. Vielleicht war sie ja nur beleidigt, weil ihr Zukünftiger sich nicht die Mühe gemacht hatte, angemessen um sie zu werben. Wenn sie nun erfuhr, dass sein Leben in Gefahr war, könnte sie sich ihm gegenüber verpflichtet fühlen und es ausposaunen, sobald sie ihn zu sehen bekam. Was würde ihm das einbringen?
Zumindest unternahm sie die Reise nicht allein. Ihre Tante Lily würde da sein, um ihr beizustehen und Trost zu spenden. Ob sie bei ihrer Nichte bleiben oder nach New Orleans zurückkehren würde, wusste er nicht, auf jeden Fall fühlte er sich durch sie nicht ganz so schuldig.
Ein Schatten bewegte sich über die Jalousien vor der Doppeltür des Schlafzimmers im ersten Stock. Er wusste, es war Sonias Zimmer, weil er sie zuvor beobachtet hatte, wie sie dort die Vorhänge zugezogen hatte. Über ihrem Nachthemd hatte sie einen Überwurf getragen, und ihr Haar war zu einem langen Zopf geflochten, der ihr bis zu den Hüften reichte. Obwohl er sie nur einen winzigen Moment zu sehen bekommen hatte, erschien es ihm, als sei dieser Anblick in sein Gedächtnis eingebrannt worden. Allein der Gedanke ließ in seinen Lenden eine solche Hitze entstehen, dass er unruhig von einem Bein aufs andere trat.
Welche Art von Nachthemd mochte sie wohl tragen? Etwas Hauchdünnes, mit Spitze besetzt und mühelos auszuziehen – so wie die Handvoll Seide, das er einer ihm zugetanen Schauspielerin des St. Charles Theater abgestreift hatte? Nein, das war nicht zu hoffen. Er vermutete eher einen zweckmäßigen Baumwollstoff, etwas, das bis zum Hals zugeknöpft werden konnte – mit jener Art von Verschluss, die einen Mann zum Fluchen bringen konnte. Und das um Hals und Handgelenke herum mit diesem kratzigen weißen Zeugs besetzt war, das von Nonnen gestickt wurde. Ja, so etwas musste es sein.
Aber warum sorgte dieses Bild dann dafür, dass sein Herz so laut in seiner Brust hämmerte?
Während er nach oben sah, bemerkte er, dass das Licht im Zimmer dunkler wurde und verlosch. Endlich ging sie zu Bett. Es hatte auch lange genug gedauert. Nur weil sie sich nicht schlafen legte, hatte er so lange in der Dunkelheit ausharren müssen. Er fragte sich, ob sie wohl damit beschäftigt gewesen war, ihren Koffer zusammenzustellen und das Abendkleid sowie andere, unaussprechliche Kleidungsstücke einzupacken, die sie auf dem Ball getragen hatte. Ihr Schatten war wiederholt über das Fenster gehuscht, wobei sie jedes Mal etwas in den Armen gehalten hatte.
Oder war sie rastlos im Zimmer auf und ab gegangen, während sie fieberhaft überlegte, wie sie ihm entkommen konnte? Diese Möglichkeit tat ein Übriges, dass er keine Ruhe finden wollte.
Er holte seine Taschenuhr hervor, warf einen Blick darauf und steckte sie wieder weg. Er würde ihr genug Zeit lassen, um einzuschlafen, und dann würde er sich auf den Heimweg machen, um sich ebenfalls ins Bett zu legen. Was für eine Schande, dass er allein schlafen musste. Die vor ihm liegende Reise drohte zu einer langwierigen Tortur zu werden, wenn er sich bei jedem Geräusch und jeder Bewegung von Sonia Bonneval gleich nach ihr verzehrte.
An diesem Abend war sie ihm recht blass vorgekommen, was bei ihm Unbehagen ausgelöst hatte – bis ihm klar geworden war, dass sie nicht geschminkt war.
Wie eigenartig, dass sie zu Hause zu Schminke griff, nicht aber, wenn sie zu einem Ball ging. Ihm drängte sich die Frage auf, ob sie für gewöhnlich auf Schminke verzichtete und sie an dem Abend in ihrem Haus nur so aufgetreten war, um ihm einen Gefallen zu tun. Wenn sie glaubte, ihn auf diese Weise aus der Reserve locken zu können, dann befand sie sich auf dem Holzweg.
Aber Moment … nein, das wäre das Letzte, was sie bei ihm erreichen wollte. Folglich musste sie das genaue Gegenteil angestrebt haben. Doch auch damit war sie einem Irrglauben erlegen, denn ob sie nun geschminkt war oder nicht, löste sie bei ihm immer die gleiche unerfreuliche Reaktion aus. Obwohl er ihren Vater kennengelernt hatte, konnte er sich nicht vorstellen, dass sie je die Gelegenheit bekommen haben sollte, etwas anderes zu sein als ein mustergültiges Beispiel an Tugendhaftigkeit.
Ohne jeden Zweifel schlief sie den Schlaf der unerfahrenen Jungfrau, frei von allem brennenden Verlangen, frei von jeglicher Versuchung. Ihr zukünftiger Ehemann würde ihr diese Unschuld nehmen, ein Gentleman, den sie kaum kannte. Was für eine Schande, und was für eine Vergeudung. Aber wenn es nach Kerr gehen sollte, dann würde dieser Mann nicht Rouillard sein, so viel stand fest.
Bislang war er in seinen Grübeleien nie zu einer solchen Entschlossenheit gelangt. Warum es ihm mit einem Mal so wichtig war, die Hochzeitsnacht zu verhindern – das war eine Frage, der er sich lieber nicht zu eindringlich widmen wollte.
Er hatte sich in der Lady getäuscht, denn offenbar verschwendete sie gar keinen Gedanken daran, sich gegen ihr Schicksal zur Wehr zu setzen. Warum er so sicher war, dass sie etwas im Schilde führte, konnte er sich nicht recht erklären. Es handelte sich wohl um eine Mutmaßung, einen Instinkt. Und vielleicht war auch Angst im Spiel gewesen. Er war so weit gekommen, da konnte er es sich nicht leisten, dass sie ihm entwischte. Eigentlich hätte er sich bei ihr entschuldigen müssen, weil er ihr so misstraut hatte, aber dafür wäre es erforderlich gewesen, ihr seinen Argwohn zu gestehen. Das war natürlich völlig undenkbar, also würde er es auf eine wortlose Weise erledigen. Mehr konnte er sich selbst nicht zugestehen, denn nur deswegen war er auch engagiert worden.
Plötzlich bemerkte er eine Bewegung an der Doppeltür, die er die ganze Zeit über so unverdrossen beobachtet hatte. Die Tür ging auf, eine schlanke Gestalt trat nach draußen auf den Balkon. Sie trug einen dunklen Mantel und eine Hose, in einer Hand hielt sie einen Zylinder.
Die Lady hatte also mitternächtlichen Besuch empfangen.
Dann war sie also gar nicht so unschuldig, wie er angenommen hatte.
Kerrs Mundwinkel verhärteten sich. Er hätte es wissen sollen. Das erklärte Mademoiselle Bonnevals hartnäckigen Widerspruch gegen ihre arrangierte Heirat ebenso wie die Suche ihres Vaters nach einem Bewacher, der sicherstellen sollte, dass sie auch bei ihrem Bräutigam ankam. Ihr Liebhaber musste schon etwas Skandalöses auf dem Kerbholz haben und für sie gänzlich ungeeignet sein, dass solche Maßnahmen erforderlich wurden, die Tochter zu verheiraten.
Kerr hatte fast schon Mitleid mit dem armen Teufel, der gezwungen war, sich mit einem letzten heimlichen Besuch von ihr zu verabschieden. Seine Geliebte würde am Nachmittag an Bord der Lime Rock gehen, und damit war das Ende dieser Affäre gekommen.
Es konnte nicht schaden, dem Gentleman diese Tatsache vor Augen zu halten, überlegte Kerr. Es durfte kein hysterisches Lebewohl geben, auch keine Rettungsversuche in letzter Minute oder andere zum Scheitern verurteilte Heldentaten.
Kerr stieß sich von der Hauswand ab und überquerte lautlos die Straße. Als er das Stadthaus erreichte, hörte er auf dem Balkon über sich leise Schritte. Den Mann konnte er nicht länger sehen, da der genauso wie er selbst von dem Balkon verdeckt wurde. Vermutlich bewegte er sich zu dem geriffelten Metallpfeiler gleich neben Kerr. Der ging genau dort in Position und wartete ab.
Das Balkongeländer knarrte, als der Unbekannte darüberkletterte, dann konnte Kerr die Stiefel des Gentlemans sehen, der langsam an dem metallenen Pfeiler nach unten glitt. Etwas an der schlanken Statur des Mannes irritierte Kerr für einen winzigen Augenblick, doch es blieb keine Zeit, sich damit zu befassen, da er bereits zum Angriff überging. Er bekam den Schurken zu fassen, umklammerte ihn mit den Armen und wollte ihn mit sich zu Boden ziehen.
Seine Hände ertasteten sanfte, rundliche Formen, ein Duft nach Seife und Veilchen hüllte ihn ein. Im gleichen Moment stieß sein Opfer einen gellenden Schrei aus, der ihn so erschreckte, dass er seinen Griff ein wenig lockerte und zurückwich, stolperte und zu Boden fiel, den mysteriösen Gentleman aber mit sich riss. Die Luft wurde ihm aus den Lungen gepresst, als Mademoiselle Bonneval auf ihm landete und er zusätzlich den Druck ihrer Hüften auf seinen Lenden spürte.