Читать книгу Schwerttänzer - Jennifer Roberson - Страница 6
ZWEI
ОглавлениеOsmoon der Händler war nicht glücklich, mich zu sehen. Er starrte mich aus seinen kleinen schwarzen Schweinsaugen an und bot mir noch nicht einmal etwas zu trinken an, woran ich ganz klar erkennen konnte, wie ärgerlich er war. Ich fächelte den Rauch des Sandelholzräucherwerks, der zwischen uns hindurchschwebte, fort (und wünschte, er würde die Öffnung des Stangendaches seines safrangelben Hyorts erweitern) und wartete ab.
Der Atem zischte zwischen seinen goldenen Zähnen hervor. »Du schickst mir eine Bascha wie diese, Tiger, und sagst mir dann, ich soll sie für dich aufbewahren? Warum hast du dir die Mühe gemacht, sie zuerst zu mir zu schicken, wenn du sie für dich selbst wolltest?«
Ich lächelte ihn versöhnlich an. Es war selbst für den Sandtiger nicht ratsam, ehemalige und zukünftige Verbündete zu ärgern. »Diese Frau braucht besondere Behandlung.«
Er verfluchte den Gott der Sklavenhändler, eine unglaubliche Abfolge von Namen für eine Gottheit, die ich selbst noch niemals hatte anrufen müssen. Offengesagt denke ich, daß Old Moon sie erfunden hat. »Besondere Behandlung!« stieß er hervor. »Besondere Zähmung, meinst du. Weißt du, was sie getan hat?«
Da ich es nicht wissen konnte und er es mir bald erzählen würde, wartete ich erneut ab. Und er erzählte es mir.
»Sie schnitt fast ab, was von der Männlichkeit meines besten Eunuchen übrigblieb!« Moons beleidigter Blick forderte zu unterwürfigen Entschuldigungen auf. Ich wartete lediglich weiter ab und versprach nichts. »Das arme Ding rannte schreiend aus dem Hyort, und ich konnte ihn nicht vom Hals seines Geliebten wegbringen, bis ich schließlich versprach, das Mädchen zu schlagen.«
Das ersparte mir eine Erwiderung. Ich sah ihn an. »Du hast sie geschlagen?«
Moon sah mich etwas beunruhigt an und lächelte schwach, wobei der Reichtum an Gold zu sehen war, der in seinem Mund glänzte. Ich bemerkte, daß sich meine Hand zu dem Messer an meinem Gürtel bewegt hatte. Ich beschloß, sie dort zu lassen, und sei es nur, um Wirkung zu erzielen.
»Ich habe sie nicht geschlagen.« Moon sah auf mein Messer. Er wußte, wie tödlich genau und schnell ich damit umgehen kann, auch wenn es nicht meine beste Waffe ist. Diese Art Ruf kommt einem zugute.
»Ich konnte es nicht tun – ich meine, sie ist eine Nordbewohnerin. Du weißt, wie diese Frauen sind. Diese ... diese Nordbewohnerinnen.«
Ich überhörte den letzten Teil der Erklärung. »Was hast du mit ihr gemacht?« Ich sah ihn eindringlich an. »Du hast sie immer noch hier ...«
»Ja!« Seine Zähne schimmerten. »He, Tiger, denkst du, ich bin so vergeßlich, daß ich solche Dinge außer acht lasse?« Er war wieder beleidigt und runzelte die Stirn. »Ja, ich habe sie hier. Ich mußte sie festbinden wie ein Opferlamm, aber ich habe sie hier. Du kannst sie mir vom Hals schaffen, Tiger. Je eher, desto besser.«
Ich war etwas verdutzt über seine Bereitwilligkeit, einen so wertvollen Vorteil aufzugeben. »Ist sie verletzt? Willst du sie deshalb nicht mehr?« Ich starrte ihn an. »Ich kenne dich, Moon. Du würdest zweimal betrügen, wenn der Einsatz hoch genug wäre. Sogar bei mir.« Ich starrte ihn noch eindringlicher an. »Was hast du mit ihr gemacht?«
Er rang abwehrend die beringten Hände. »Nichts! Nichts! He, Tiger, die Frau ist unversehrt.« Das Händeringen hörte auf, und seine Stimme veränderte sich. »Nun ... fast unversehrt. Ich mußte sie auf den Kopf schlagen. Es war die einzige Möglichkeit, sie davon abzuhalten, meine Männlichkeit abzuschneiden ... oder mir einen Fluch aufzuerlegen.«
»Wer war so dumm, sie an ein Messer herankommen zu lassen?« Ich war wenig beeindruckt von Moons Erzählungen über ihre Hexenkraft oder dem Bild des Sklavenhändlers, der den Teil seines Körpers verlor, den er so bereitwillig von seinem Besitz fernhielt, um Temperament und Preis zu erhöhen. »Und außerdem sollte ein Messer in den Händen einer Frau keine große Bedrohung für Osmoon den Händler darstellen.«
»Messer!« schrie er erzürnt. »Messer? Die Frau hatte ein Schwert, das so lang war wie deines!«
Das machte mich stutzig. »Ein Schwert?«
»Ein Schwert.« Moon starrte mich jetzt auch an. »Es ist sehr scharf, Tiger, und es ist verhext ... und sie weiß, wie man damit umgeht.«
Ich seufzte. »Wo ist es?«
Moon murmelte etwas zu sich selbst, stand auf und schlurfte über die aufgeschichteten Teppiche zu einer messingbeschlagenen Holzkiste. Er lebte gut, aber nicht großspurig, denn er wollte keine übertriebene Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Die örtlichen Tanzeer wußten von seinen Geschäften, und weil sie einen guten Anteil von seinem Gewinn einheimsten, ließen sie ihn in Ruhe. Aber andererseits wußten sie auch wieder nicht genau, wie lukrativ die Geschäfte waren. Wüßten sie es, würden sie zweifellos einen größeren Anteil von ihm fordern. Vielleicht sogar seinen Kopf.
Moon hob den Deckel seiner Kiste und stand mit den Händen auf den Hüften darüber. Er starrte auf den Inhalt, beugte sich aber nicht hinab, um etwas herauszunehmen. Er starrte nur hinein, und dann sah ich, wie seine Hände über den Stoff seines Burnus rieben, braune Handflächen über schwere gelbe Seide, bis ich ungeduldig wurde und ihm sagte, er solle sich beeilen.
Er wandte sich um und sah mich an. »Es ... es ist da drinnen.«
Ich wartete.
Er machte eine ungeduldige Geste. »Hier. Willst du es haben?«
»Das sagte ich bereits.«
Eine fette Hand machte sich an der Kiste zu schaffen. »Nun ... hier ist es. Du kannst es dir holen.«
»Moon ... Hoolies, Mann, wirst du mir das Schwert der Frau jetzt bringen? Was ist denn so schwer daran?«
Er war ganz entschieden unglücklich. Aber einen Augenblick später sprach er ein Gebet für irgendeine andere unaussprechliche Gottheit und versenkte die Hände in der Kiste.
Er brachte ein in einer Scheide steckendes Schwert hervor. Schnell wandte er sich um und eilte durch den Hyort zurück, warf mir dann das Schwert zu, als sei er erleichtert, es loslassen zu können. Ich schaute ihn überrascht an. Und wieder rieben braune Handflächen über gelbe Seide.
»Hier«, sagte er atemlos, »hier.«
Ich runzelte die Stirn. Moon ist ein harter, gerissener Mann, ein Kind des Südens mit allen entsprechenden Eigenarten. Sein ›Handels‹-Unternehmen erstreckt sich in alle Teile der Punja, und mir war niemals zu Ohren gekommen, daß er so etwas Ähnliches wie Angst gezeigt hätte ... außer natürlich, wenn die Umstände eine Vorstellung rechtfertigten, die dieses Gefühl beinhaltete. Aber jetzt war es anders. Jetzt waren Unsicherheit und Begreifen und Nervosität im Spiel, alle zusammen eingebunden in einen großen Klumpen schreiender Angst.
»Wo ist das Problem?« fragte ich sanft.
Moon öffnete den Mund, schloß ihn wieder und öffnete ihn erneut. »Sie ist eine Nordbewohnerin«, murmelte er. »Das ist es.«
Er deutete auf das in der Scheide steckende Schwert, und schließlich verstand ich. »Ach so, du denkst, das Schwert sei verhext. Eine nordische Hexe, nordische Magie.« Ich nickte sanft. »Moon ... wie oft habe ich dir gesagt, daß Magie etwas ist, was Gauner gebrauchen, die andere Leute hereinlegen wollen? Vor allem glaube ich gar nicht, daß es Magie gibt ... aber das, was es gibt, ist kaum mehr als ein Spiel für leichtgläubige Narren.«
Sein fest zusammengepreßter Mund forderte mich heraus. Was das anging, konnte Moon niemals ein Verbündeter sein.
»Betrug«, erklärte ich ihm. »Unsinn. Überwiegend Illusion, Moon. Und das, was du über nordische Magie und Hexen gehört hast, ist nur eine Ansammlung von Geschichten, die von südlichen Müttern erfunden wurden, die sie ihren Kindern als Gute-Nacht-Geschichte erzählen. Glaubst du wirklich, diese Frau sei eine Hexe?«
Er war offensichtlich davon überzeugt, daß sie es war. »Nenn mich einen Dummkopf, Tiger. Aber ich sage dir, daß du einer bist, weil du die Wahrheit nicht sehen willst.« Eine Hand schoß vor, um auf das Schwert zu zeigen, das er in meinen Schoß hatte fallen lassen. »Sieh dir das an, Tiger. Berühre das, Tiger. Sieh dir diese Runen und die Umrisse an und sage mir, daß es nicht die Waffe einer Hexe ist.«
Ich sah ihn stirnrunzelnd an, aber plötzlich war er nicht mehr eingeschüchtert oder beeindruckt. Er ging einfach zurück zu seinem Teppich auf der anderen Seite des Weihrauchbehälters und plazierte sein Hinterteil darauf, wobei er seine Unterlippe schmollend vorschob. Moon war beleidigt: Ich hatte an ihm gezweifelt. Nur eine Entschuldigung würde seinen guten Willen wiederherstellen. (Einmal abgesehen davon, daß ich nicht viel Sinn darin sehe, eine Entschuldigung für etwas auszusprechen, das keinen Sinn ergibt.)
Ich berührte die Scheide und ließ die Finger prüfend über das harte Leder gleiten. Schlichtes, schmuckloses Leder, ähnlich dem meinen. Ein Harnisch, kein Schwertgürtel, was mich ein wenig erstaunte. Aber letztendlich erstaunte es mich noch mehr, daß Moon dieses Schwert als die Waffe der Frau bezeichnete.
Das Heft war silbern, von geschickten Händen in gewundenes Flechtwerk und bizarre Formen gebracht. Ich versuchte diese Formen zu erkennen, indem ich sie genau ansah. Ich versuchte, die Ausgestaltung zu verstehen. Aber alles verschmolz zu einer einzigen gewundenen Linie, welche die Augen verwirrte und nach innen auf sich selbst lenkte.
Ich blinzelte, kniff die Augen ein wenig zusammen und ergriff das Heft, um die Klinge aus der Scheide zu ziehen ...
... und fühlte das kalte, brennende Kribbeln auf meinen Handflächen, das sich in meinen Handgelenken festsetzte.
Ich ließ das Heft sofort los.
Moons Knurren, das durch seine Einfachheit überzeugte, drückte selbstgefällige Befriedigung aus.
Ich schaute erst ihn stirnrunzelnd an, dann das Schwert. Und als ich dieses Mal das Heft ergriff, tat ich es schnell und mit zusammengebissenen Zähnen. Ich riß die Klinge aus der Scheide.
Meine rechte Hand, die um das silberne Heft geklammert war, schloß sich. Sie schloß sich fast krampfartig fester um das Heft. Einen Moment lang dachte ich, daß meine Haut mit dem Metall verschmolzen, mit den gewundenen Formen eins geworden sei, aber fast augenblicklich zog sich meine Haut zurück. Als sich meine Finger lockerten und das Heft losließen, fühlte ich den alten, kalten Hauch des Todes meine Seele berühren.
Tipp, tipp. Ein Nagel gegen die Seele. Tiger, bist du da?
Hoolies, ja! Ich war da. Und hatte die Absicht dazubleiben, lebendig und gesund, dieser Berührung ungeachtet, dieses gebieterischen, fragenden Tones.
Aber fast unmittelbar nachdem ich das Heft losgelassen hatte, fiel das Schwert – das nun frei war – in meinen Schoß.
Kalte, kalte Klinge, die meine Oberschenkel verbrannte.
Ich stieß es sofort aus meinem Schoß auf den Teppich. Ich wollte ganz von ihm fortkommen und aufspringen, um noch mehr Distanz zwischen das Schwert und meine Haut zu bringen ...
Und dann dachte ich, wie dumm es wäre – bin ich nicht ein Schwerttänzer, der jedes Mal mit dem Tod handelt, wenn er den Kreis betritt? –, und ich tat es nicht. Ich saß nur da, trotzte der unerwarteten Reaktion meines Körpers und starrte auf das Schwert hinab. Ich fühlte die Kälte seiner Haut, als berühre sie noch immer die meine. Ich würde es mißachten, wenn ich könnte.
Ein nordisches Schwert. Und der Norden ist ein Ort des Schnees und des Eises.
Der erste Schock war vorbei. Meine Haut, die sich an die Nähe des fremdartigen Metalls gewöhnt hatte, zog sich nicht mehr über meinen Knochen zusammen. Ich atmete tief ein, um das Toben in meinen Eingeweiden zu beruhigen, und betrachtete das Schwert dann genauer. Aber ich berührte es nicht.
Die Klinge zeigte eine helle, perlmutterartige, lachsrosa Färbung mit einem leichten Hauch bläulichen Stahls – der eigentlich nicht wie Stahl aussah. Schillernde Runen zogen sich das gewundene Querstück hinab. Runen, die ich nicht entziffern konnte.
Ich nahm Zuflucht zu meinem Beruf, um mein Gleichgewicht wiederherzustellen. Ich riß ein dunkelbraunes Haar von meinem Kopf und zog es über die Schneide. Das Haar wurde problemlos geteilt. Die Schneide der eigenartig gefärbten Klinge war mindestens so scharf wie Einzelhiebs einfache Schneide aus bläulichem Stahl, was mir nicht sonderlich gefiel.
Ich nahm mir nicht die Zeit zum Nachdenken. Zähneknirschend hob ich das Schwert vom Teppich auf und ließ es mit starren, zitternden Händen in seine Scheide zurückgleiten – und fühlte die Kälte wegschmelzen.
Einen Moment lang starrte ich das Schwert nur an. Verborgen in seiner Scheide war es ein Schwert. Nur – ein Schwert.
Einen Augenblick später. Ich sah Moon an. »Wie gut ist sie?«
Die Frage überraschte ihn ein wenig. Und mich überraschte sie sehr. Ihr Können mochte Moon beeindruckt haben (der eher daran gewöhnt ist, daß sich Frauen lieber vor seine rundlichen Füße werfen und um Gnade bitten, als zu versuchen, in sein fettes Fleisch zu schneiden), aber ich kann mir etwas Besseres vorstellen als ein Schwert in den Händen einer Frau. Im Süden gebrauchen Frauen keine Schwerter und, soweit ich weiß, gebrauchen sie sie im Norden auch nicht. Das Schwert ist eine Waffe für Männer.
Moon sah mich ärgerlich an. »Gut genug, daß du noch einmal darüber nachdenken solltest. Sie zog das Ding hier drinnen heraus, und alles, was ich tun konnte war, sie festzubinden.«
»Wie hast du sie denn gebändigt?« fragte ich mißtrauisch. Er tippte mit einem rotlackierten Fingernagel kurz an seine goldenen Zähne und zuckte die Achseln. »Ich schlug sie auf den Kopf.« Er seufzte, als ich ihn stirnrunzelnd ansah. »Ich wartete, bis sie mit dem Versuch beschäftigt war, den Eunuchen zu verstümmeln. Aber selbst dann durchbohrte sie mir noch fast den Leib.« Eine ausgebreitete Hand liebkoste einen Teil des weichen, in Seide gehüllten Bauches. »Ich hatte Glück, daß sie mich nicht getötet hat.«
Ich grunzte geistesabwesend und erhob mich, wobei ich das nordische Schwert an seiner schlichten Lederscheide festhielt. »In welchem Hyort ist sie?«
»In dem roten«, sagte er sofort. Meine Güte, wie dringend er sie loswerden wollte, aber das kam mir gerade recht. »Und du solltest mir danken, daß ich sie hierbehalten habe, Tiger. Es wollte sie noch jemand anderer sehen.«
Ich blieb ruckartig an der Tür stehen. »Jemand anderer?«
Er tippte erneut gegen seine Zähne. »Ein Mann. Er hat keinen Namen genannt. Groß, dunkelhaarig – dir sehr ähnlich. Er klang wie ein Nordbewohner, aber er sprach gutes Wüstisch.« Moon zuckte die Achseln. »Er sagte, er sei hinter einer nordischen Frau her ... einer, die ein Schwert trägt.«
Ich runzelte die Stirn. »Du hast sie nicht herausgegeben ...?«
Erneut beleidigt, schraubte Moon sich hoch. »Du hast sie mit deiner Nachricht hierhergeschickt, und ich habe diese Nachricht respektiert.«
»Tut mir leid.« Ich sah den Sklavenhändler stirnrunzelnd an. »Er ging wieder?«
»Er hat hier übernachtet und zog weiter. Er hat das Mädchen gar nicht gesehen.« Ich grunzte. Dann verließ ich den Hyort.
Moon hatte recht: Er hatte sie wie ein Opferlamm verschnürt, die Handgelenke an die Knöchel gebunden, so daß sie halb gebeugt saß, aber zumindest hatte er dafür gesorgt, daß sich der Rücken richtig rundete. Das tut er nicht immer.
Sie war bei Bewußtsein. Ich war mit Moons Methoden eigentlich nicht besonders einverstanden (oder mit seinen Geschäften, wenn ich welche mit ihm machen mußte), aber zumindest war die Frau noch hier. Er hätte sie an jeden übergeben können, der hinter ihr her war.
»Der Sandtiger spielt mit«, sagte ich gelassen, und sie wandte den Kopf, um mich sehen zu können.
Ihr ganzes herrliches Haar war über ihre Schultern und über den blauen Teppich gebreitet, auf dem sie lag.
Osmoon hatte ihr den weißen Burnus abgestreift (denn er wollte sehen, was er bekommen würde, wie ich vermute), hatte aber nicht die knöchellange, gebundene Ledertunika entfernt, die sie darunter trug. Diese ließ ihre Arme und das meiste ihrer Beine unbedeckt, und ich sah, daß jeder Zentimeter ihres Körpers glatt und straff mit Muskeln durchsetzt war. Sehnen bewegten sich unter dieser hellen Haut, als sie sich auf dem Teppich regte, und ich erkannte, daß das Schwert wahrscheinlich trotz allem wirklich ihr gehörte, so unwahrscheinlich das auch schien. Sie hatte den Körper und die Hände dafür.
»Ist es Eure Schuld, daß ich so festgehalten werde?« fragte sie.
Das Sonnenlicht brannte sich seinen Weg durch den karmesinroten Stoff des Hyort. Es umhüllte sie mit einem unheimlichen karneolartigen Glanz und veränderte den blauen Teppich zu einer Farbe dunkelsten Weines, der Farbe von altem Blut.
»Es ist meine Schuld, daß Ihr so festgehalten werdet«, bestätigte ich, »denn sonst hätte Moon Euch schon längst verkauft.« Ich beugte mich hinab, zog mein Messer heraus und durchschnitt ihre Fesseln. Sie zuckte zusammen, als die steifen Muskeln protestierten. Daher legte ich ihr Schwert hin und massierte die langen, festen Waden und Schultern, die zart in abgehärtete Muskeln eingebunden waren.
»Ihr habt mein Schwert!« Vor Überraschung ließ sie meine Hände gewähren.
Ich dachte daran, meinen Händen zu erlauben, ein wenig tiefer zu gleiten, entschied mich aber dann dagegen. Sie mochte nach ein paar Tagen Gefangenschaft steif sein, aber wenn sie die Reflexe zeigte, die ich ihr zutraute, würde ich Schwierigkeiten bekommen. Es war unsinnig, mein Glück vorzeitig herauszufordern.
»Falls es Euer Schwert ist«, sagte ich.
»Es ist meines.« Sie stieß meine Hände weg und erhob sich, wobei sie ein Stöhnen unterdrückte. Die Ledertunika reichte bis zur Mitte der Oberschenkel, und ich sah die mit blauem, zu ihren Augen passendem Faden gearbeiteten seltsamen Runenglyphen einen Rand um den Saum und den Kragen bilden. »Habt Ihr es aus der Scheide genommen?« fragte sie, und da war etwas in ihrem Ton, das mich stutzig machte.
»Nein«, sagte ich nach einem Moment bedeutungsschwerer Stille.
Sie entspannte sich ganz offensichtlich. Ihre Hand liebkoste das seltsame Silberheft, und es gab kein Anzeichen dafür, daß sie dieselbe eisige Taubheit spürte, die ich erfahren hatte. Sie berührte es fast wie einen Liebhaber, als heiße sie einen Geliebten nach langer Zeit willkommen.
»Wer seid Ihr?« fragte ich plötzlich, denn ich war von einer eigenartigen Empfindung befallen. Runen auf der Klinge des Schwertes, Runen auf der Tunika. Diese gewundenen, verschwommenen Formen, die in das Heft eingearbeitet waren. Die Todesahnung, wenn ich es berührte. Was wäre, wenn sie eine Art Vertraute der Götter wäre, von diesen gesandt, um zu entscheiden, ob meine Zeit gekommen sei und ob ich es wert sei, einen Platz ewiger Ruhe – oder Qual – in Valhail oder Hoolies zu erlangen?
Und dann fühlte ich mich auf abscheuliche Art lächerlich, weil ich vorher nie viel über mein Ende nachgedacht hatte. Schwertkämpfer kämpfen einfach, bis jemand sie tötet. Wir verbringen keine Zeit damit, uns über nebensächliche Kleinigkeiten wie unsere letztendliche Bestimmung Gedanken zu machen. Ich tue dies bestimmt nicht.
Sie trug die gleichen Schuhe wie ich, über Kreuz gebunden bis zu den Knien. Die Schnürbänder waren golden und unterstrichen noch die Länge ihrer Beine, was sie fast auf eine Höhe mit mir brachte. Ich sah sie überrascht an, als sie sich erhob, denn ihr Kopf reichte bis an mein Kinn, und nur sehr wenige Männer erreichen diese Größe.
Sie runzelte ein wenig die Stirn. »Ich dachte, Südbewohner wären klein.«
»Die meisten sind es. Ich aber nicht. Aber immerhin – ich bin kein typischer Südbewohner.« Ich lächelte sanft. Helle Augenbrauen hoben sich. »Und schicken typische Südbewohner Frauen in eine Falle?«
»Ich habe Euch in eine wenig schlimme geschickt, um Euch vor einer schlimmeren zu bewahren.« Ich grinste. »Es stimmt, es war eine List und vielleicht eine etwas unangenehme, aber sie hat Euch vor den Klauen eines lüsternen Tanzeers gerettet, nicht wahr? Als Ihr Moon sagtet: ›Der Sandtiger spielt mit‹, wußte er genug, um Euch festzuhalten, bis ich hierherkam, anstatt Euch dem Meistbietenden zu verkaufen. Da Ihr so sehr darauf bestanden habt, ihn ohne meine persönliche Unterstützung zu sehen, mußte ich etwas unternehmen.«
Ein kurzes Glitzern in ihren Augen. Anerkennung. »Dann geschah es zu meinem – Schutz.«
»Auf umständliche Art.«
Sie warf mir einen scharfen, abschätzenden Seitenblick zu und lächelte dann leicht. Sie band sich eifrig das Schwert um und richtete es so, daß das Heft über ihre linke Schulter hinausragte, so wie Einzelhieb auch meine überragte. Ihre Bewegungen waren schnell und geschmeidig, und ich zweifelte keinen Moment daran, daß sie einen Eunuchen, der sowieso nur sehr wenig zu verlieren hatte, fast hatte verstümmeln können.
Meine Hände zitterten, als ich mir die innere Reaktion meines Körpers auf die Berührung des nordischen Schwertes in Erinnerung rief. »Warum erzählt Ihr mir nicht, welche Art Geschäfte Ihr mit Old Moon tätigen wollt, denn vielleicht kann ich Euch helfen«, sagte ich heftig in dem Wunsch, die Empfindung und das Wiedererleben zu bannen.
»Ihr könnt mir nicht helfen.« Eine Hand strich das Haar hinter ein Ohr, während sie die Lederriemen befestigte.
»Warum nicht?«
»Ihr könnt es eben nicht.« Sie verließ den Hyort mit schwungvollen Schritten und marschierte über den Sand zu Moons Zelt.
Ich holte sie ein. Aber bevor ich sie aufhalten konnte, hatte sie das Schwert mit dem silbernen Heft gezogen und den Türvorhang geradewegs vom Rahmen abgetrennt. Dann trat sie ein, und als ich hinter ihr hineinsprang, sah ich sie die tödliche Spitze der schimmernden Klinge in die Grube von Moons brauner Kehle legen.
»In meinem Land könnte ich Euch für das töten, was Ihr mir angetan habt.« Aber sie sagte dies lässig, ohne Gefühlsregung. Eine unvoreingenommene Beobachtung, fehlende Leidenschaft, und dennoch machte dies ihre Drohung um einiges realistischer. »In meinem Land würde ich Feigling genannt werden, wenn ich Euch nicht tötete. Nicht An-ishtoya oder auch nur einfach Ishtoya. Aber hier bin ich eine Fremde, die Eure Bräuche nicht kennt. Darum werde ich Euch leben lassen.« Ein Blutstropfen rann unter der in Moons Fleisch einschneidenden Schwertspitze hervor. »Ihr seid ein einfältiger, kleiner Mann. Es ist kaum zu glauben, daß Ihr bei der Beseitigung meines Bruders eine Rolle gespielt haben sollt.«
Armer, alter Moon. Seine Schweinsaugen waren aufgerissen, und er schwitzte dermaßen, daß ich überrascht war, das Schwert nicht von seinem Hals abrutschen zu sehen. »Euer Bruder?« quiekte er.
Das maisfasernfarbene Haar hing ihr über die Schultern. »Vor fünf Jahren wurde mein Bruder jenseits der Nordgrenze entführt. Er war zehn, Sklavenhändler ... zehn Jahre alt!« Ein Anflug von Gefühl schlich sich in ihren Ton ein. »Und wir wissen, wie sehr Ihr unser blondes Haar, die blauen Augen und die helle Haut schätzt, Sklavenhändler. Im Lande der dunkelhäutigen, dunkelhaarigen Menschen könnte es nicht anders sein.« Die Schwertspitze bohrte sich ein wenig tiefer hinein. »Ihr habt meinen Bruder entführt, Sklavenhändler, und ich will ihn zurückhaben.«
»Ich habe ihn nicht entführt!« Wütend schluckte Moon gegen den Druck des Schwertes an. »Ich handele nicht mit Jungen, Bascha, ich handele mit Frauen!«
»Lügner.« Sie war sehr ruhig. Für eine Frau, die einen Mann mit einem Schwert in Schach hielt, tatsächlich sehr ruhig. »Ich weiß von den Perversionen des Südens. Ich weiß, wie hoch der Preis ist, den ein Junge aus dem Norden auf dem Sklavenmarkt erzielt. Ich habe fünf Jahre lang Zeit gehabt, alles über dieses Geschäft zu lernen, Händler, also solltet Ihr mich nicht anlügen.« Sie streckte ihren sandalenbekleideten Fuß aus und stieß ihn in seinen fetten Bauch. »Ein blonder, blauäugiger, hellhäutiger Junge, Sklavenhändler. Mir sehr ähnlich.«
Moons Augen schnellten in stummem Flehen zu mir herüber. Einerseits wollte er, daß ich etwas unternahm. Andererseits wußte er aber auch, daß eine Bewegung von mir sie umstimmen könnte, die Klinge doch in seine Kehle zu stoßen. Also tat ich das Vernünftigere und wartete ab.
»Vor fünf Jahren?« Sein Burnus war bereits durchgeschwitzt und zeigte ockerfarbene Flecke auf gelber Seide. »Bascha, ich weiß nichts davon. Fünf Jahre sind eine, lange Zeit. Nordische Kinder sind tatsächlich beliebt, und ich sehe oft welche. Wie kann ich wissen, ob Euer Bruder dabei war?«
Sie sagte nichts Hörbares, aber ich sah, wie sich ihr Mund bewegte. Er formte ein Wort. Und dann färbte sich das helle Blut, obwohl das Schwert nicht tiefer in Moons Kehle eingedrungen war, zu einem dunklen Blaurot und glänzte an seiner Kehle.
Moon stieß erschrocken den Atem aus. Er entwich mit einem Zischen, und ich sah ihn eine eisige Rauchwolke bilden. Er antwortete sofort. »Es ... gab da einen Jungen. Vielleicht ist es fünf Jahre her, vielleicht auch länger. Es war bei einer Punjadurchquerung.« Er zuckte mit den Achseln. »Ich sah in Julah einen kleinen Jungen, aber ich kann nicht sagen, ob es Euer Bruder war. Es gibt viele nordische Jungen in Julah.«
»Julah«, echote sie. »Wo ist das?«
»Südlich von hier«, belehrte ich sie. »Eine gefährliche Gegend.«
»Gefahr ist nebensächlich.« Sie stieß Moon noch einmal in den Bauch. »Nennt mir einen Namen, Sklavenhändler.«
»Omar«, sagte er jämmerlich. »Mein Bruder.«
»Auch ein Sklavenhändler?«
Osmoon schloß die Augen. »Es ist ein Familienbetrieb.«
Sie nahm das Schwert fort und steckte es ohne nach der Scheide zu tasten wieder ein. Dazu gehörte Erfahrung. Dann fegte sie ohne ein Wort an mir vorbei und ließ mich mit dem zitternden, schwitzenden, jammernden Moon zurück.
Er legte seine zitternden Finger auf den Schwertschnitt an seinem Hals. »Kalt«, sagte er. »So ... kalt.«
»So sind viele Frauen.« Ich ging der Nordbewohnerin nach.