Читать книгу Schwerttänzer - Jennifer Roberson - Страница 8
VIER
ОглавлениеFür unerfahrene Augen ist die Grenze zwischen der Wüste und ihrem älteren, tödlicheren Bruder kaum erkennbar. Aber für jemanden wie mich, der dreißig sonderbare Jahre damit verbracht hatte, durch den veränderlichen Sand zu reiten, ist die Grenze zwischen der Wüste und der Punja so klar wie der Tag und zweimal so hell.
Del verhielt ihr Pferd genau wie ich und sah sich neugierig nach mir um. Ihr Zopf hing über ihre linke Schulter hinab, und das Ende kitzelte die Hügel ihrer Brust unter der karmesinroten Seide. Ihre Nase war vom Sonnenbrand rosa, und ich wußte, daß ihr übriges Gesicht auch bald so aussehen würde, wenn sie nicht die Kapuze des Burnus darüberziehen würde.
Ich zog meine eigene über den Kopf, obwohl ich sie weniger dringend brauchte. Einen Augenblick später folgte sie meinem Beispiel. Ich deutete nach vorn. »Das, meine nordische Bascha, ist die Punja.«
Sie schaute in die Ferne. Der Horizont verschmolz mit den Dünen zu einer einzigen Masse aus staubigem Beige. Hier draußen sind sogar die Farben des Himmels ausgetrocknet. Er ist ein Fleck hellen, gelblichen Graus, wie sehr heller Topas, mit einer Spur bläulichen Stahls, dem die Klinge des Horizonts entgegenkommt. In Richtung Süden, Osten und Westen gab es nichts, Meilen über Meilen des Nichts. Hoolies nennen wir es manchmal.
Del schaute den Weg zurück, den wir gekommen waren. Er war trocken und auch staubig, obwohl ein Versprechen in dem Land liegt, das einem sagt, daß es irgendwo enden wird. Auch die Punja gibt ein Versprechen, aber sie singt ein Lied vom Tod.
Ihr Gesichtsausdruck war verwirrt. »Es sieht nicht anders aus.«
Ich deutete auf den Sand zu Füßen des Pferdes. »Der Sand. Schaut Euch den Sand an. Seht Ihr den Unterschied?«
»Sand ist Sand.« Aber bevor ich sie für eine derart dumme Feststellung rügen konnte, rutschte sie von ihrem staubbedeckten graubraunen Wallach herab und kniete sich hin. Mit einer Hand nahm sie etwas Sand auf.
Sie ließ ihn durch ihre Finger rinnen, bis ihre Hand leer war bis auf ein Schimmern durchscheinender Silberkristalle. Sie machen das tödliche Geheimnis der Punja aus. Die Kristalle nehmen die Hitze der Sonne auf und speichern sie, verstärken und reflektieren sie und vervielfältigen dabei ihre Helligkeit und Hitze tausendfach, bis alles auf dem Sand entflammt.
Del rieb mit den Fingern gegen ihre Handfläche. »Ich sehe den Unterschied.« Sie erhob sich und schaute über die endlose Punja. »Wie viele Meilen?«
»Wer kann das sagen? Die Punja ist eine ungezähmte Bestie, Bascha, sie kennt keine Zäune, keine Pfähle, keine Grenzen. Sie reicht so weit sie will, wie der Wind, freier als jeder Nomade.« Ich zuckte die Achseln. »Ant einem Tag kann sie Meilen von einer Siedlung entfernt sein, aber innerhalb von zwei Tagen kann sie die letzten Ziegen und Babys verschlungen haben. Darum ist ein Führer so wichtig. Wenn man sie vorher noch nicht durchquert hat, kennt man ihre Zeichen nicht. Man kennt auch die Wasserstellen nicht.« Ich deutete mit der Hand südwärts. »Dort draußen, Bascha, ist der Tod der Oberherr.« Ich sah, wie sie den Mund verzog. »Ich dramatisiere nicht. Ich übertreibe nicht. Die Punja erlaubt keines von beidem.«
»Aber man kann sie durchqueren.« Sie sah mich an und wischte ihre staubigen Hände an dem karmesinroten, mit Quasten versehenen Burnus ab. »Ihr habt sie durchquert.«
»Ich habe sie durchquert«, stimmte ich zu. »Aber bevor Ihr über die unsichtbare Grenze den Silbersand betretet, solltet Ihr Euch der Gefahren schon bewußt sein.«
Der kleine Graubraune rieb seine Nase an ihr und forderte Aufmerksamkeit. Del legte eine Hand auf sein Maul und die andere unter seinen breiten, gerundeten Kiefer und kraulte die festen Muskelschichten. Aber ihre Augen und ihre Aufmerksamkeit waren bei mir. »Dann solltet Ihr mir besser sagen, welche es sind.«
Sie hatte keine Angst. Ich dachte, sie täusche es nur vor, obwohl ich sie nicht für eine schwache, dumme Frau hielt, die versuchte, sich wie ein Mann zu geben, aber das traf nicht zu. Sie war stark. Und, was noch wichtiger war, sie war bereit zuzuhören.
Der Hengst schnaubte, um den Staub aus seinen Nüstern zu entfernen. In der stillen, warmen Luft hörte ich das Klappern von Pferdegebissen, das Geräusch schwerer Quasten gegen Messingverzierungen. Ein Insekt summte vorüber und strebte einem buschigen, zuckenden, kastanienbraunen Pferdeohr zu. Der Hengst schüttelte heftig den Kopf, um sich von der Plage zu befreien, und stampfte in den Sand. Dadurch wurde Staub aufgewirbelt, noch mehr Staub, und er schnaubte erneut. In der Wüste bildet alles einen Kreislauf. Ein Rad, das sich in der sanften Rauhheit der Umgebung ewig dreht.
»Luftspiegelungen«, erklärte ich Del. »Tödliche Täuschungen. Man glaubt, man sähe endlich eine Oase, aber wenn man sie erreicht, entdeckt man, daß sie von Sand und Himmel verschlungen worden ist und in der Luft verschwimmt. Wenn man sich nur einmal zu oft irrt, hat man sich schon zu weit von einer wirklichen Oase, einer wirklichen Quelle entfernt. Man wird sterben.«
Sie wartete schweigend ab und kraulte noch immer das Fell ihres kleinen graubraunen Pferdes.
»Es gibt den Samum*«, sagte ich, »und den Schirokko. Sandstürme könnte man sie nennen. Und die Sandstürme der Punja klagen und schreien und heulen, während sie Euch die Haut von den Knochen ziehen. Und es gibt Cumfa. Und es gibt Sandtiger.«
»Aber Sandtiger kann man besiegen.« Sie sagte es sanft, so sanft, während ich sie stirnrunzelnd ansah und herauszufinden versuchte, ob sie es ernst meinte oder mich nur wegen meines Namens oder meines Rufes hänselte.
»Es gibt Borjuni«, fuhr ich schließlich fort, »Diebe, die nur um ein weniges besser sind als die Aasfresser der Wüste. Sie machen Jagd auf unbedarfte Reisende oder Karawanen. Sie stehlen alles, selbst den Burnus von Eurem Körper, und dann töten sie Euch.«
»Und?« sagte sie, als ich eine Pause einlegte.
Ich seufzte. Wann war bei ihr genug wirklich genug? »Und immer sind dort die Stämme. Einige sind friedlich, wie die Salset und die Tularain, aber einige sind es nicht. Die Hanjii und die Vashni sind gute Beispiele dafür. Beide sind Kriegerstämme, die dem menschlichen Opfer frönen. Aber ihre Rituale unterscheiden sich.« Ich machte eine Pause. »Die Vashni praktizieren die Vivisektion**. Die Hanjii sind Kannibalen.«
Einen Augenblick später nickte sie einmal. »Sonst noch was?«
»Ist das nicht genug?«
»Vielleicht ist es das«, sagte sie schließlich. »Vielleicht ist es mehr als genug. Aber vielleicht sagt Ihr mir auch nicht alles.«
»Was wollt Ihr hören?« fragte ich barsch. »Oder glaubt Ihr, ich erzähle Ammenmärchen?«
»Nein.« Sie schirmte ihre Augen mit einer Hand ab und schaute gen Süden, über den glitzernden Sand. »Aber Ihr habt nichts von Magie gesagt.«
Einen Moment lang sah ich sie scharf an. Dann schnaubte ich unfein. »Alle Magie, die ich benötige, ist jene, die dem Kreis innewohnt.«
Das Sonnenlicht verstärkte das strahlende Karmesinrot ihrer Kapuze und brachte die Goldquasten zum Glänzen.
»Schwerttänzer«, sagte sie sanft, »Ihr tätet besser daran, das, was solche Macht in sich trägt, nicht herabzusetzen.«
Ich fluchte. »Hoolies, Bascha, Ihr klingt wie ein Shukar. Als wolltet Ihr mich glauben machen, Ihr seid voller Mysterien und Magie. Seht, ich würde niemals behaupten, daß es keine Magie gibt, denn es gibt sie sehr wohl. Aber sie ist das, was man daraus macht, und bisher habe ich sie nur in der Form erlebt, daß Dummköpfe damit um ihr Geld oder ihr Wasser betrogen wurden. Sie ist in erster Linie ein betrügerisches Spiel. Bis das Gegenteil bewiesen wird.«
Del sah mich einen Moment lang ungläubig an, als fälle sie ein Urteil. Und dann nickte sie leicht. »Ein Skeptiker«, stellte sie fest. »Vielleicht auch ein Narr. Aber letztendlich ist es Eure Entscheidung. Und ich bin kein Priester, der versucht, Euch anderweitig zu überzeugen.« Sie wandte sich um und ging davon.
Automatisch streckte ich die Hand aus und griff nach den Zügeln des kleinen, graubraunen Wallachs, als er versuchte, ihr zu folgen. »Wo, zu den Hoolies, wollt Ihr hin?«
Sie blieb stehen. Sie stand auf der unsichtbaren Grenze. Sie antwortete mir nicht. Sie zog nur ihr glänzendes Schwert und trieb es in den Sand, als zerteile sie einen Menschen, und dann ließ sie das Heft los. Es ragte aus dem Sand heraus. Die runenbesetzte Klinge war halb bedeckt. Und dann setzte sie sich nieder, mit gekreuzten Beinen, und schloß die Augen. Ihre Hände lagen entspannt in ihrem Schoß.
Die Hitze quälte mich. Wenn man sich bewegt, ist es nicht so schlimm. Ich kann sie dann vergessen und mich auf den Weg konzentrieren. Aber noch immer auf dem Pferderücken sitzend, mit dem todbringenden Sand in nur einem Steinwurf Entfernung, konnte ich nur die Hitze fühlen ... und ein seltsames Erstaunen, das durch die Handlungen der Frau bedingt war.
Geschlossene Augen. Gesenkter Kopf. Still. Ein Umriß in scharlachroter Seide, mit gekreuzten Beinen im Sand sitzend. Und das nordische Schwert, das aus fremdartigem Stahl (oder etwas anderem) gemacht war, das Heft in die Luft ragend.
Ich fühlte den Schweiß ausbrechen. Er erschien auf den Brauen, auf dem Bauch, in den Hautfalten unter meinen Armen. Die Seide meines Burnus preßte sich gegen meine Haut und blieb dort kleben. Ich nahm einen beißenden Geruch wahr.
Ich schaute zu dem Schwert. Ich glaubte zu sehen, daß sich die Umrisse in dem Metall veränderten. Aber dazu wäre Magie erforderlich, eine mächtige, persönliche Magie, und es gibt davon nur sehr wenig auf der Welt.
Außer im Umkreis eines Schwerttänzers.
Schließlich erhob Del sich und befreite das Schwert aus dem Sand. Sie schob es über ihre Schulter in die Scheide zurück, ging zurück zu dem Graubraunen und streifte ihm die quastenverzierten Zügel über die zuckenden Ohren.
Ich runzelte die Stirn. »Was hatte das alles zu bedeuten?«
Sie stieg schnell auf. »Ich habe um Erlaubnis gebeten, weiterreiten zu dürfen. Das ist im Norden so üblich, wenn man eine gefährliche Reise antritt.«
»Wen habt Ihr gefragt?« knurrte ich. »Das Schwert?«
»Die Götter«, sagte sie ernst. »Wenn Ihr allerdings nicht an Magie glaubt, werdet Ihr auch kaum an Götter glauben.«
Ich lächelte. »Ein Volltreffer, Bascha. Nun, wenn die Götter – oder dieses Schwert – Euch die Erlaubnis erteilt haben, können wir genausogut weiterreiten.« Ich machte eine Geste. »Nach Süden, Bascha. Reitet nur nach Süden.«
Die südliche Sonne ist für jeden hart. Sie hängt wie ein unheilvoller Gott der Hoolies am Himmel und starrt mit einem einzigen Zyklopenauge herunter. Ein Burnus ist nützlich, um die Haut zu schützen, aber er hält die Hitze nicht gänzlich ab. Die Beschaffenheit der Seide, die sich überhitzt, produziert selbst Hitze und brennt auf der Haut, bis man sich darunter windet und kühlere Stellen sucht.
Nach einer Weile brennen die Augen vom Blinzeln in die Helligkeit, und wenn man sie schließt, sieht man nur karmesinrote Lider, durch die die Sonne hindurchbrennt. Der Sand der Punja glitzert grell. Zuerst erscheint er als hübscher grau-bernsteinfarbener Samt, der sich über Meilen erstreckt und mit durchsichtigen Edelsteinen übersät ist. Aber die Edelsteine brennen, und der Samt zeigt keine Sanftheit.
Und da ist die Stille, die bedrückende Stille, außer dem Geräusch von Hufen, die durch den Sand gezogen werden, und dem gelegentlichen Knarren von Sattelleder unter darüberliegenden Decken. Die Pferde des Südens werden für die Hitze und die Grelligkeit gezüchtet. Die lange Stirnmähne schützt ihre Augen und bildet eine Art Isolierung gegen die Hitze. Ihre Haut ist glatt wie Seide, ohne überflüssiges Fell. Manches Mal hatte ich mir gewünscht, daß ich mich so gut, und auch so klaglos, anpassen könnte wie ein gutes Wüstenpony.
Die Luft flimmert. Man schaut über den Sand und sieht den stumpfen Horizont, den stumpfen Himmel, die stumpfen Farben. Man kann fühlen, wie sie einem das Leben aussaugen, der Haut die Feuchtigkeit entziehen, bis man sich wie eine trockene Hülle fühlt, die bereit ist, bei der ersten Wüstenbrise in Millionen von Einzelteile zu zerfallen. Aber die Brise kommt niemals, und man betet, daß es so bleiben möge, denn wenn sie kommt, bringt sie den Wind mit sich und den Samum und den tödlichen Sand, der scharf ist wie Cumfazähne, die einem ins Fleisch schneiden.
Ich sah Del an, rief mir die Frische ihrer Haut in Erinnerung und wußte, daß ich sie niemals verbrannt oder zerrissen sehen wollte.
Wir tranken sparsam, aber der Wasserspiegel in meinen Botas sank erstaunlich schnell. Nach einiger Zeit ist man sich der Flüssigkeit überbewußt, auch wenn man sie sorgfältig einteilt. Zu wissen, daß man sie in Reichweite hat, ist fast genauso schlimm, als wenn man wüßte, daß man keine hat. Sie zu haben bedeutet, sie auch zu wollen, weil man sie sofort haben kann. Das ist ein guter Test für die Willenskraft, und viele Leute bemerken dann, daß diese nicht zu ihren Charaktereigenschaften zählt. Del hatte sie. Aber das Wasser wurde dennoch weniger.
»Dort ist eine Quelle«, sagte ich schließlich. »Vor uns.«
Sie wandte den Kopf, als ich zu ihr aufschloß. »Wo?«
Ich zeigte es ihr. »Seht Ihr diese dunkle Linie? Das ist eine Reihe Felsen, die die Zisterne bezeichnet. Das Wasser ist nicht das beste – es ist leicht brackig –, aber es ist naß. Es wird genügen.«
»Ich habe noch Wasser in meinen Botas.«
»Ich auch, aber hier draußen geht man niemals an einer Quelle vorbei. Es gibt in der Punja keine Anhäufung von Reichtümern. Auch wenn man seine Botas gerade aufgefüllt hat, hält man an. Manchmal kann ein Bad den ganzen Unterschied der Welt bedeuten.« Ich machte eine Pause. »Wie geht es Eurer Nase?«
Sie berührte sie und machte ein klägliches Gesicht. »Wund.«
»Wenn wir eine Allapflanze finden, werde ich eine Salbe bereiten. Sie wird die Schmerzen lindern und hält die Sonne von empfindlichen Körperstellen fern.« Ich grinste. »Es hat keinen Zweck, das abzulehnen, Bascha – Eure zarte nordische Haut ist einfach nicht für die Hitze der Punja geeignet.«
Sie verzog den Mund. »Aber Eure ist es.«
Ich lachte. »Meine Haut ist zäh wie Cumfaleder, erinnert Ihr Euch? Die Punja ist meine Heimat, Del ... genauso wie jeder andere Ort.« Ich schaute hinaus über den flimmernden Sand. »Falls es so etwas wie eine Heimat gibt, wenn man ein Schwerttänzer ist.«
Ich weiß nicht, warum ich das gesagt habe. Und warum gerade zu ihr. Frauen gebrauchen solche Dinge manchmal als Waffen, indem sie mit Worten statt mit Klingen kämpfen.
Aber Del hatte ein Schwert. Und es schien so, als äußere sie niemals ein überflüssiges Wort.
»Es gibt sie«, sagte sie leise. »Oh, es gibt sie. Es gibt immer eine Heimat im Kreis.«
Ich sah sie scharf an. »Was wißt Ihr über Kreise, Bascha?«
Del lächelte leicht. »Denkt Ihr, ich trage das Schwert nur, um damit Eindruck zu schinden?«
Nun, es hatte Erfolg. Selbst wenn sie nicht mit dem Ding umgehen könnte. »Ich habe gesehen, wie Ihr Old Moon damit bedroht habt«, gab ich widerwillig zu. »Ja, Ihr könnt damit umgehen. Aber im Kreis?« Ich schüttelte den Kopf. »Bascha, ich glaube nicht, daß Ihr versteht, was ein Kreis wirklich bedeutet.«
Ihr Lächeln verschwand nicht. Aber auch nicht ihr Schweigen.
Der kastanienbraune Hengst bahnte sich seinen Weg durch dunkles, umbrafarbenes Gestein hinab. Nach dem durch den Sand gedämpften Hufschlag war es seltsam, wieder Hufe auf Stein aufschlagen zu hören. Dels Graubrauner folgte mir hinab, und beide Pferde beschleunigten ihren Gang, als sie Wasser witterten.
Ich schwang mich vom Rücken des Kastanienbraunen und ließ ihn los, denn ich wußte, er würde nicht fortlaufen, wenn Wasser so nahe war. Del stieg von dem Graubraunen ab und wartete ruhig, während ich nach dem richtigen Platz suchte. Schließlich fand ich meine Richtung in den übereinandergetürmten Felsen, schritt die Entfernung ab, kniete mich dann hin und grub den eisernen Griff aus. Es war verbogen und rostig, aber meine Hand empfand ihn als glatt genug. Ich knirschte mit den Zähnen, zerrte daran und stöhnte vor Anstrengung, als ich dann den schweren Eisendeckel von der Zisterne zog.
Del kam bereitwillig heran und zerrte den Graubraunen hinter sich her. Das machte mich als erstes stutzig; das und die Tatsache, daß sich der Kastanienbraune weigerte zu trinken. Del sprach mit ihrem Pferd, flüsterte einschmeichelnde Worte in ihrem nordischen Dialekt und sah mich dann verwirrt an. Ich schöpfte etwas Wasser heraus, roch daran und tauchte dann die Spitze meiner Zunge in die Flüssigkeit in meiner Handfläche.
Ich spuckte aus. »Es ist verdorben.«
»Aber ...« Sie unterbrach sich. Es gab nichts weiter zu sagen.
Ich schob den Deckel wieder über die Zisterne und holte aus einer meiner Taschen ein Stück verkohltes Holz heraus. Del beobachtete mich schweigend, während ich ein schwarzes X auf das Metall malte. Der Sand würde es sehr bald bedecken und die Markierung abreiben, aber zumindest hatte ich getan, was ich konnte, um andere Reisende zu warnen. Nicht jeder würde so vorsichtig sein wie wir. Ich habe Männer gekannt, die schlechtes Wasser getrunken hatten, weil sie sich nicht selbst helfen konnten, sogar nachdem sie wußten, daß es verdorben war. Es ist ein schmerzhafter, scheußlicher Tod.
Ich nahm eine meiner Botas und goß reines Wasser in meine hohle Hand, die ich dann dem Kastanienbraunen unter das Maul hielt. Er schlürfte es auf, und es war nicht viel, aber genug, um seine Kehle anzufeuchten.
Einen Moment später versorgte Del auch ihren Graubraunen, wobei sie das Wasser aus ihrer letzten Bota verwendete. Wir waren nicht scharf geritten, hatten uns Zeit genommen, ohne die Pferde zu treiben, aber jetzt würden sie eine lange Strecke zu bewältigen haben, bevor sie richtig trinken konnten.
Ich schob Del meine letzte Bota zu, nachdem der Graubraune ihre geleert hatte. »Trinkt etwas.«
»Ich brauche nichts.«
»Ihr trocknet aus.« Ich lächelte sie an. »Es ist in Ordnung. Es hat nichts damit zu tun, daß Ihr eine Frau seid. Es ist diese nordische Haut. Sie ist hier draußen von Nachteil, so sehr ich sie auch bewundere.« Ich machte eine Pause und sah, wie sich ihre Mundwinkel nach unten zogen. »Trinkt, Bascha.«
Schließlich trank sie, und ich konnte sehen, wie gut es ihr tat. Sie hatte sich kein einziges Mal beklagt oder auch nur gefragt, wie weit es zur nächsten Wasserstelle sei. Ich schätzte diese Art Standhaftigkeit, besonders bei einer Frau.
Sie schob die Bota zurück. »Und Ihr?«
Ich wollte ihr sagen, daß ich zäh sei und die zusätzlichen Meilen gut ohne Wasser aushalten konnte. Aber ich tat es nicht, weil sie etwas Besseres verdiente. Also trank ich ein paar Schlucke und befestigte die Bota dann wieder an meinem Sattel.
Ich deutete gen Süden, wie immer. »Wir haben genug Wasser, um eine Oase zu erreichen, die ich kenne. Dort werden wir die Botas auffüllen. Und dann werden wir direkt zur nächsten Wasserstelle reiten, aber wenn auch die verdorben ist, müssen wir umkehren.«
»Umkehren.« Sie warf den Kopf herum, um mich anzusehen. »Ihr meint – nicht weiterreiten nach Julah?«
»Das meine ich.«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich werde nicht umkehren.«
»Ihr werdet es müssen«, belehrte ich sie einfach. »Wenn Ihr noch weiter in die Punja hineinreitet, ohne genau zu wissen, wo die nächste Wasserstelle ist, werdet Ihr es niemals schaffen.« Ich schüttelte den Kopf. »Ich werde Euch zu der Oase führen, Bascha. Und dann werden wir entscheiden.«
»Ihr werdet nichts entscheiden.« Ihre Wangen röteten sich.
»Del ...«
»Ich kann nicht umkehren«, sagte sie. »Versteht Ihr nicht? Ich muß meinen Bruder finden.«
Ich seufzte und versuchte, die Gereiztheit aus meiner Stimme herauszuhalten. »Bascha, wenn Ihr ohne Wasser dort hineinreitet, werdet Ihr so tot sein wie der Rest Eurer Familie und Eurem Bruder nichts mehr nützen.«
Haarsträhnen, die sich gelöst hatten, umrahmten ihr Gesicht. Ihre Nase war rot und auch ihre Wangen. Ihre so sehr blauen Augen waren beständig auf mein Gesicht gerichtet. Sie beobachtete mich so eindringlich, daß ich mich wie ein Pferd bei der Abschätzung durch einen potentiellen Käufer fühlte, und ich war mir meiner selbst nicht mehr sicher. Sie beobachtete mich wie ein Schwerttänzer, der Schwächen in meiner Verteidigung suchte, um mich kurz darauf niederzustechen.
Ein Muskel an ihrem Kinn zuckte kurz. »Ihr habt keine Familie. Oder aber – Ihr schert Euch keinen Deut darum.« Es gab keinen Raum für Zweifel in ihrem Ton. Sie war zutiefst überzeugt davon.
»Keine Familie«, stimmte ich zu und sagte nicht mehr.
Verachtung flammte in ihrem Ton auf. Nicht deutlich genug, um als Beleidigung verstanden werden zu können, aber deutlich genug für mich. »Wenn Ihr Familie hättet, würdet Ihr vielleicht verstehen.« Sie sagte dies in einem schroffen Ton. Sie wandte sich um, schwang sich in den Sattel und richtete die Zügel. »Beurteilt nicht – und wertet nicht ab –, was Ihr nicht verstehen könnt, Sandtiger. Als Schwerttänzer solltet Ihr es besser wissen.«
Meine Hand schoß vor, bekam einen ihrer Zügel zu fassen und hielt den Graubraunen fest. »Bascha, ich weiß es besser. Und ich weiß es besser, als daß ich Euch abwerten würde.« Soviel gestand ich ihr zu. »Aber ich weiß auch, wann sich eine Frau zum Narren macht, indem sie sich Gefühlen überläßt, wenn sie sich besser auf das erprobte Wissen eines Mannes verlassen sollte.«
»Sollte ich?« fragte sie. Beide Hände waren um die Zügel gekrampft. Einen kleinen Augenblick lang dachte ich, sie würde mich mit irgendeinem abscheulichen Fluch belegen, aber sie tat es nicht. Sie zog sich lediglich so lange in Schweigen zurück, bis sie ihre Gedanken gesammelt hatte, und seufzte dann leicht. »Im Norden sind Verwandtschaftsbande die stärksten, die es gibt. Diese Bande beinhalten Macht und Stärke und Kontinuität, wie die Geburten von Söhnen und Töchtern für jeden Mann und jede Frau. Es ist schlimm genug, wenn ein einziges Leben verloren wird – ob das eines Jungen oder das eines Mädchens, das eines alten Menschen oder das eines Kindes –, weil es bedeutet, daß die Linie unterbrochen wird. Jedes Leben ist für uns wertvoll, und wir trauern darum. Aber wir bauen auch wieder auf, pflanzen neu an und ersetzen.« Der Graubraune schüttelte heftig den Kopf, und sein Geschirr klirrte. Automatisch gab sie ihm mit der Hand einen leichten Schlag auf den Hals. »Meine ganze Familie wurde getötet, Tiger. Nur mein Bruder und ich überlebten, und Jamail haben sie entführt. Ich bin ein Kind des Nordens und meiner Familie, und ich werde tun, was ich tun muß, um meinen Bruder wieder nach Hause zu bringen.« Ihre Augen blickten entschlossen, ihr Ton war es noch mehr, wenn sie auch ruhig gesprochen hatte. »Ich werde trotz allem weiterreiten.«
Ich sah zu ihr auf, zu ihr, die in ihrem Stolz und ihrer Weiblichkeit so großartig war. Und doch war da mehr als nur Weiblichkeit. Da war auch Willenskraft und die vollkommene Erkenntnis dessen, was sie zu tun beabsichtigte.
»Dann sollten wir losreiten«, sagte ich kurz angebunden. »Wir verschwenden Zeit, wenn wir hier draußen in der Hitze herumstehen und darüber reden.«
Del lächelte leicht und verzichtete für den Moment auf eine Antwort.
Außerdem war es nur ein Kampf. Nicht der vollständige Krieg.
* heißer Wüstenwind
** heißer Wüstenwind