Читать книгу Mein geniales Leben - Jenny Jägerfeld - Страница 10
EIN HOFFNUNGSLOSER TYP
ОглавлениеMama traf meinen biologischen Vater, als sie in Australien und Neuseeland als Backpackerin unterwegs war. Backpack bedeutet Rucksack auf Englisch, und Backpacker sein handelt eigentlich nur davon, dass man mit einem Rucksack durch die Welt reist. Da wohnt man nicht in irgendwelchen Luxushotels, sondern eher in Jugendherbergen, wo es Wanzen gibt.
Damals hatte Mama einen Job als Kellnerin in einem Lokal auf der Insel Kangaroo Island, und dort lernte sie meinen Vater kennen. Er war Koch, und sie verliebte sich bis über beide Ohren in ihn. Er hatte schulterlange schwarze Locken und die schönsten Augen, die sie je gesehen hatte. Sie behauptet, die hätte ich von ihm geerbt.
Sie waren genau sieben Wochen zusammen, dann musste Mama wieder nach Schweden zurück. Kaum hatte sie in Stockholm das Flugzeug verlassen, musste sie sich übergeben. Wie eine Fontäne kam alles hoch. Zuerst dachte sie, sie hätte sich den Magen verdorben, aber als die Kotzerei nach ein paar Tagen nicht aufhörte, sah sie ein, dass sie schwanger war. Mit mir!
Sie war zwar erst zwanzig, wusste aber gleich, dass sie mich behalten wollte, obwohl keine ihrer Freundinnen ein Kind hatte.
Außer wie seine Haare und Augen aussehen, weiß ich genau fünf Dinge über meinen Vater. 1. Er heißt Jonathan Taylor. 2. Er ist ein hoffnungsloser Typ (das hat Mama mir nicht so direkt gesagt, aber ich hab gehört, wie sie am Telefon über ihn geredet hat). 3. Er hat ein Piercing in der Zunge, das sieht von oben aus wie ein blaues Bonbon und von unten wie eine runde Metallkugel. 4. Er ist nicht sehr groß. 5. An einem Tag, als das Lokal geschlossen war, hat er ein märchenhaftes Gericht für Mama gekocht. Sie durfte auf der Terrasse sitzen, mit Blick aufs Meer, während die gelben, roten und blauen Lampions im Wind schaukelten. Er tischte das beste Hühnchen auf, das sie je gegessen hatte (das war, bevor sie Vegetarierin wurde), und als Nachtisch gab es einen Apfelkuchen, den er mit ihrem Namen, »Hannah«, aus lauter Apfelstückchen verziert hatte, dazu ringsum ganz viele Herzen. Also scheint er ja auch ziemlich verknallt in sie gewesen zu sein.
Mein Vater weiß, dass es mich gibt. Das hat Mama mir gesagt. Aber er hat nie den Wunsch geäußert, mich kennenzulernen. Klar, er wohnt ja auf der anderen Seite der Welt, da kann man sich natürlich nicht alle zwei Wochen sehen, aber man könnte vielleicht skypen, mal eine Mail schicken oder so. Aber dazu hat er sich nie aufgerafft. Mama sagt, ich soll mir nichts daraus machen. Sie habe Liebe genug für zwei Eltern und sogar mehr.
Meine Lehrerin hat einmal gesagt, das, was man nie gekannt hat, kann man nicht vermissen. Sie erzählte, sie sei ohne Mutter aufgewachsen. Die sei nämlich gestorben, als sie selbst noch ein kleines Baby war. Aber mir war sofort klar: Das stimmt nicht. Ich habe meinen Vater vermisst. Oder, vielleicht nicht direkt meinen Vater, weil ich ja nicht weiß, wie er ist (bis auf diese fünf Dinge). Aber einen Vater habe ich auf jeden Fall vermisst. Zwar war Svedrik da, aber das ist nicht dasselbe. Wir haben nicht die gleichen Augen. Wir sind uns in keiner einzigen Sache ähnlich.
Vielleicht irre ich mich total, aber manchmal denke ich, wenn es in meinem Leben einen Vater gegeben hätte, hätte ich nie solche Probleme mit Freunden und so gehabt. Vielleicht hätte ich mich dann nicht so komisch gefühlt? Nicht so verkehrt. Vielleicht hätte er mir beibringen können, wie man alles richtig macht? Vielleicht.