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NOCH 51 TAGE NUR MIT EINER LEDERHOSE BEKLEIDET AUF DER STRASSE SITZEN UND WÜRFELN

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Majkens neuer Waschbärkumpel hatte uns jetzt mehrere Tage hintereinander beehrt. Der Nachteil war, dass er und Majken fast die ganze Zeit brüllend durch die Gegend rannten. Der Vorteil war, dass er mich an meine wichtige Aufgabe erinnerte: beliebt zu werden. Wenn meine Zukunft in Skärblacka hell werden sollte, musste ich jetzt anfangen, daran zu arbeiten. Obwohl Sommerferien waren, durfte ich nicht faulenzen. Ich setzte mich in meinem Zimmer aufs Bett und holte den Notizblock hervor, aber ich hatte noch nicht einmal angefangen zu schreiben, als aus dem Nachbarzimmer ohrenbetäubender Lärm drang. Es dauerte ein paar Sekunden, bis mir aufging, dass es Musik war. Rockmusik. Ich rannte aus meinem Zimmer und rüber zu Bobo.

Aus der Jukebox kam:

Let’s rock everybody, let’s rock, everybody in the whole

cell block, was dancin’ to the Jailhouse Rock.

»Bobo! Was hast du gemacht?«, schrie ich.

Bobo stand mitten im Zimmer und tanzte mit einem graubraunen ausgestopften Hasen, den sie im Arm hielt. Sie sah zu mir auf und sagte:

»Hallohallo!«

»Wie stellt man das leiser?«, brüllte ich und lief auf der Suche nach einem Lautstärkeregler um die Jukebox. Aber ich fand keinen.

The drummer boy from Illinois went crash, boom,

bang. The whole rhythm section was the Purple Gang.

Da musste ich eben abwarten, bis das Stück zu Ende war. Das konnte ja nicht allzu lang dauern, dachte ich. Nach einer Minute oder so verstummten die letzten Gitarrenklänge, und wunderbare Ruhe senkte sich über den Raum.

»Mach jetzt keine Musik mehr an«, sagte ich zu Bobo, aber in dem Lärm, der jetzt ausbrach, ging meine Stimme sofort unter.

Es war dasselbe Stück wie vorhin. Ich schaute durch die Glasscheibe der Jukebox auf die runden schwarzen Schallplatten. Eine Platte drehte sich. Es war Jailhouse Rock mit Elvis Presley.

»Wie viele Münzen hast du eigentlich reingesteckt?«, fragte ich und warf einen Blick auf den Fußboden. Dort stand die Gelddose. Nur dass es keine Gelddose mehr war, sondern nur eine Dose. Ohne Geld. Bobo machte ein zufriedenes Gesicht.

Also ehrlich. Manchmal hatte ich meine kleinen Geschwister ganz entsetzlich satt. Jetzt blieb mir keine andere Wahl, ich musste mich woanders hinbegeben. Ich verließ Bobo und wanderte durchs Haus, auf der Suche nach einem Ort, wo es ein bisschen still und friedlich wäre. Ich guckte in Majkens Zimmer hinein, aber genau da machte Mama dort den Staubsauger an, um die dicken Staubmäuse zu vertreiben, die sich in den Ecken versteckten. Nein, die versteckten sich übrigens überhaupt nicht, sie machten es sich gut sichtbar auf dem Boden gemütlich. Oma war nicht unbedingt eine Ordnungsfanatikerin.

Als ich in die Küche hinunterkam, sah ich, dass Oma gerade einen Stuhl reparierte. Die Hammerschläge brachten die Wände zum Erzittern und Omas Armbänder zum Klirren. Das Wohnzimmer war meine letzte Hoffnung, aber in dem Moment, als ich mich dort aufs Sofa gesetzt hatte, kamen Majken und der Waschbär hereingestürmt, dicht gefolgt von einem bellenden Einstein. Sie schrien im Chor:

»OHRWUSLER, HUMMEL, KÄFER UND BLINDSCHLEICHE! OHRWUSLER, HUMMEL, KÄFER UND BLINDSCHLEICHE!«

Es war echt total abartig, dass sich kein ruhiges Plätzchen in diesem Haus finden ließ, obwohl es so groß war! Ich öffnete die Haustür und trat hinaus auf die Garageneinfahrt. Sah mich um. Die Fliederlaube vielleicht? Ich machte ein paar Schritte auf die Büsche zu, aber … nein, das ging nicht, denn da saß Krille Marzipan mit aufgekrempelten Hemdsärmeln und schlürfte eine Tasse Kaffee. Garantiert war er ebenfalls aus dem Irrenhaus geflohen. Ich duckte mich hinter Omas roter Corvette, um nicht von ihm gesehen zu werden. Ich wollte meine Zeit nicht damit vergeuden, eine weitere »einmalige« Filmidee anzuhören.

Geduckt schlich ich hinter den Autos vorbei und musste fast eine ganze Runde ums Haus zurücklegen, bis ich einen möglichen Platz sah. Das Dach! Von einer Tanne aus, die direkt neben dem Haus wuchs, müsste ich hinüberklettern können.

Ich steckte mir den Block in die Shorts, packte einen Ast und begann zu klettern. Meine Finger wurden klebrig von Harz, und ich stach mich an spitzen langen Tannennadeln, aber schließlich klappte es. Ich war oben! Das Dach war leicht abschüssig, aber nicht allzu sehr. Hier würde ich ungestört sitzen können. Am liebsten hätte ich vor Erleichterung »JUHUUU!« gebrüllt, ich ließ es aber bleiben, weil mich dann womöglich jemand entdeckt hätte.

Ich holte meinen Block heraus. Schrieb: Beliebt! Wie wird man das? Und was bedeutet es eigentlich, beliebt zu sein? Auf dem Handy schlug ich das Wort bei Wikipedia auf. Da stand: Beliebtheit oder Popularität hat mehrere Bedeutungen, aber meistens meint man damit das Interesse und die Begeisterung, die gewisse Personen oder Sachen bei vielen Menschen wecken.

Interesse und Begeisterung! Das musste ich also bei den anderen wecken. Eigentlich gar nicht so schlecht. Ich wusste, dass ich die Fähigkeit hatte, bei den anderen Interesse zu wecken. Dieses Interesse war bisher jedoch meistens negativ gewesen. Die anderen fanden zum Beispiel oft, dass ich was Durchgeknalltes gesagt oder getan hatte oder dass ich irgendwie bescheuert aussah. Aber trotzdem. Interesse hatte ich geweckt. Jetzt fehlte nur noch die Begeisterung.

Ich beschloss, Lehren aus meiner bisherigen Schulzeit aufzuschreiben. Dinge, die nicht gut ankamen:

–Beim Reden auf keinen Fall mit Armen und Händen herumfuchteln. Beim Gehen nicht trippeln. Alle Körperteile unter Kontrolle haben! Sich langsam und ein bisschen steif bewegen.

Eventuell mit der ganzen Hand auf etwas deuten.

–Nicht schreien oder hüpfen, auch wenn man sich noch so sehr freut. (Sich am besten vielleicht gar nicht erst so sehr freuen?) Cool bleiben.

–Nicht verraten, dass man Eiskunstlauf toll findet.

Okay. Damit hatte ich drei Dinge aufgeschrieben, die ich nicht tun sollte. Das war an und für sich gut, half mir aber nicht dabei, herauszufinden, was ich eigentlich tun sollte. Ich kaute so lange am Bleistift, bis ich Bleigeschmack in den Mund bekam. Ich zwinkerte in die Sonne. Die Sonne war gelb wie Eigelb und heizte das Dach so auf, dass ich mir fast meine Schenkel verbrannte. Nächstes Mal musste ich daran denken, eine Sitzunterlage mitzunehmen.

Um hinter das Geheimnis zu kommen, wie ich mich verändern sollte, musste ich Informationen sammeln. Ich konnte googeln, andere beobachten (so wie neulich mit Majken und dem Waschbären) und Leute interviewen, die beliebt waren oder gewesen waren. Und dann brauchte ich bloß anzufangen und an Sigge 2.0 zu arbeiten!

Ich rief Google auf und suchte unter Wie wird man beliebt? WOW! Ich war offensichtlich nicht der Einzige, der das hatte wissen wollen! Es gab eine wahre Flut von YouTube-Clips und Texten! Alle mit den verschiedensten Tipps. Manche waren echt krass. Zum Beispiel, um beliebt zu werden, solle man sich mit nacktem Oberkörper und nur mit einer Lederhose bekleidet auf die Straße setzen und um Geld würfeln. Also echt. Das konnte doch wohl nicht wahr sein???

Wenn ein Tipp öfter als fünfmal bei meiner Google-Suche vorkam, nahm ich ihn als allgemeingültig in meine Liste auf. Folgende Ratschläge müsste ich demnach befolgen:

Mich gut anziehen. Am besten mit Markenklamotten.

Eine coole Frisur haben. (Vielleicht sollte ich trotz allem zulassen, dass Oma mir die Haare schnitt. Mir war nicht so ganz klar, was eine coole Frisur eigentlich war, aber jedenfalls waren das nicht Haare, die einfach so auf dem Kopf wuchsen. Nein, das waren irgendwie gestylte Haare. Hoffentlich durfte es auch zu einer coolen Frisur gehören, dass einem lange Stirnfransen übers Auge fielen.)

Keine Brille tragen. (Kontaktlinsen anschaffen und bis dahin Sonnenbrille tragen, um das Schielen zu verbergen.)

Durchtrainiert aussehen.

Schlechten Mundgeruch vermeiden. Die Zähne sorgfältig putzen und Kaugummi benutzen. (Kaugummikauen hatte auch den Vorteil, dass man damit cool aussah, außerdem konnte man den anderen Kaugummi anbieten und auf die Art beliebt werden.)

Sozial sein! Fragen stellen und alles Mögliche über sich selbst erzählen. Mit Leuten reden, mit Lehrern und mit anderen Schülern. Witzig sein und die andern zum Lachen bringen. (Aber gleichzeitig nicht vergessen, immer schön cool zu bleiben.)

Ein Problem bei all diesen Punkten war ja ganz klar das Geld. Wie kauft man Markenklamotten, wenn man eine Mutter hat, die als Krankenschwester arbeitet und drei Kinder hat? Antwort: Man kauft keine, weil sie es sich nicht leisten kann. Und jetzt gerade war sie außerdem arbeitslos.

Als ich jünger war, hatte ich solche Wünsche manchmal geäußert. Aber in letzter Zeit habe ich gemerkt, dass Mama davon nur traurig und mitunter auch verärgert wird. Außerdem führte es sowieso fast nie dazu, dass ich das bekam, was ich brauchte. Einmal kaufte sie mir eine Adidas-Jacke, aber danach mussten wir einen halben Monat lang Haferbrei essen, weil die Jacke so teuer gewesen war, und dadurch ging es mir noch schlechter.

Oma würde ich auch nicht überreden können. Im Supermarkt kaufte sie uns gern alles, was wir wollten, aber Markenklamotten kaufen, das war in ihren Augen idiotisch. »Warum willst du Klamotten anziehen, die fünfmal so viel kosten, wie sie wert sind, und die außerdem alle anderen auch anhaben?« war ihre Frage.

»Gerade weil sie fünfmal so viel kosten und weil alle anderen sie haben!« war meine Antwort.

Nein. Dieses Problem würde ich alleine lösen müssen.

Mein geniales Leben

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