Читать книгу Die Stalkerin - Jens Brambusch - Страница 3
Kaş, 25. April (Apartment)
ОглавлениеAusgerechnet am Po! Und das kurz vor dem Rückflug. Sie steht vor dem Spiegel im Schlafzimmer und hadert mit dem Sonnenbrand, den sie sich am Nachmittag eingefangen hat. Wie Feuer brennt er unterhalb der knappen Bikinihose. Vorsichtig cremt sie die roten Stellen ein. Immerhin lindert die kühlende After-Sun-Lotion den Reiz ein wenig und entspannt die gestresste Haut. Kurz macht sie sich Gedanken über die möglichen Folgen. Typisch Hypochonder eben. Dabei sind ihre Sorgen vollkommen unbegründet. Sie wird sicherlich nicht an Hautkrebs zugrunde gehen. Die Uhr zeigt 18.53 Uhr und in spätestens einer halben Stunde ist sie tot. So will es die Person, die gerade in der kleinen Abstellkammer, nur wenige Meter entfernt, das Mordwerkzeug sortiert und dabei versehentlich eine leere Weinflasche umstößt.
„Hallo?“
Stille.
„Hallo, ist da wer?“
Die letzte Chance, ihrem Schicksal zu entgehen, hätte sie vielleicht gehabt, wenn sie dem Geräusch mehr Bedeutung geschenkt hätte. Aber an diesem herrlichen Frühlingsabend sind ihre Sinne beflügelt von Liebe. Und von dem neuen Kapitel ihres Lebens, das sie gerade erst aufgeschlagen hat. Wie sollte sie auch ahnen, dass es ein sehr kurzes wird.
„Bist Du das?“, ruft sie noch einmal durch die Wohnung. Keine Antwort. Sie geht vom Schlafzimmer in den lang gezogenen Flur, ihre Flip-Flops schmatzen bei jedem Schritt auf dem weißen Kalkstein. Der Blick schweift durch das Wohnzimmer und die offene Küche. Auf der Anrichte neben der Spüle trocknen noch ein paar Gläser und Teller auf einem ausgebreiteten Handtuch. Nichts scheint umgefallen. Nur der Vorhang an der Balkontür weht im warmen Wind, der vom Meer auf das Land drückt. Hatte sie die Tür nicht vorhin zugezogen? Sie schüttelt den Kopf. Offensichtlich nicht. Wahrscheinlich ist nur wieder eine der umherstreunenden Katzen durch die Wohnung geflitzt, wie in ihrer ersten Nacht in Kaş, als sie im Schlaf erschrak und dann den rötlich-weiß gestreiften Kater auf dem Kopfkissen neben ihr entdeckte, der sie vorwurfsvoll anschaute, als sie ihn auf den Balkon scheuchte. Es war ohnehin eine verschenkte Nacht. Jetzt, im Nachhinein betrachtet. Aber sie wollte nichts Überstürzen, damals, direkt nach ihrer Ankunft. Sie wollte sich erst ihrer Gefühle sicher sein. Außerdem war sie ermattet gewesen von der langen Anreise. Also schickte sie ihn nach dem Abendessen zurück auf sein Boot.
Sie schaut auf ihre Armbanduhr. Noch knapp drei Stunden bis das Taxi kommt. Sie stellt sich an die Schwelle zwischen Wohnzimmer und Balkon, genießt noch einmal die Brise, die ihre nackten Beine föhnt. Sie muss lachen. Verrückt, dass sie hierhergekommen ist. Sie hatte keine Ahnung gehabt, wie er wohl reagieren würde, wenn sie sich plötzlich wieder gegenüberstehen. Nach all der Zeit, weit weg von Deutschland. Nach all den Irrungen und Wirrungen. Aber sie war sich ziemlich sicher gewesen, dass alles so kommen würde, wie es nun wirklich gekommen ist. Genauso, wie sie es sich gewünscht hatte. Um sicher zu gehen, dass der nächste große Schritt auch der richtige ist, musste sie ihn aber vorher noch einmal sehen. Dabei ahnte sie schon, als sie ihn das erste Mal getroffen hatte, dass es eines Tages so kommen würde. Wie oft hatte sie sich seitdem vorgestellt, dass sie ein Paar wären? Sie gehörten einfach zusammen. Auch wenn diese Erkenntnis erst reifen musste.
In Deutschland hätte sie noch dieses eine schwere Gespräch. Aber dass es schon lange nicht mehr richtig zwischen ihnen lief, das würde auch er einsehen. Oh Gott, wie lange waren sie jetzt schon zusammen? Ewigkeiten. Und am Ende wollte er doch immer nur das Beste für sie. Er würde Verständnis haben und sie ohne Drama ziehen lassen. Das hoffte sie zumindest. Bitte keine Szene. Aber er muss es ja ohnehin geahnt haben, dass etwas nicht mehr stimmte in ihrer Beziehung. Immer mehr hatte sie sich zurückgezogen.
Sie schlendert zurück ins Schlafzimmer, streift ihr weißes Trägerhemd ab, zieht die Bikinihose aus, die immer noch nach Meer riecht, wirft die Klamotten auf das Bett, neben den kleinen Stapel mit den warmen Kleidern, die noch nach Weichspüler duften, und die sie für ihren Flug nach Deutschland bereitgelegt hat. Den Koffer hat sie schon gepackt. Dann geht sie ins Badezimmer, schaltet das Radio an, betrachtet sich zufrieden im Spiegel. Sie dreht sich, erst nach links, dann nach rechts. Sie sieht erholt aus. Glücklich, wie schon lange nicht mehr. Und braun ist sie geworden. Mal abgesehen von dem Sonnenbrand. Der ist knallrot. Kurz hadert sie mit den Bikinistreifen. Dann schüttelt sie amüsiert den Kopf. Die Abdrücke auf ihren Brüsten erinnerten ihn an Kaffee mit Schaum. Oder was hat er noch mal gesagt? Angeblich irgendeine Liedzeile. Was für ein Kitsch! Sie lacht.
Die Tür zur Dusche quietscht beim Aufschieben. Schon wieder blockiert eines der kleinen Rädchen in der Schiene. Es stört sie nicht. Sie dreht den Hahn auf und streckt ihr Gesicht dem kräftigen Strahl entgegen, als stünde sie unter einem Wasserfall in den Tropen. So verharrt sie. Sekundenlang. Sie denkt an den Sex, den sie hier unter der Dusche hatten. Und an das abrupte Ende, als sie sich mit den Händen an der Duschwand abstützte und die Kabine plötzlich aus den Angeln brach. Unwillkürlich schaut sie zu seiner provisorisch ausgeführten Reparatur und schüttelt den Kopf. Es ist eben noch kein Handwerker vom Himmel gefallen.
Der Dampf der heißen Dusche verwandelt den kleinen Raum in ein türkisches Hamam. Im Radio läuft wieder dieses Lied. Ihr Lied: ‚Unuturum Elbet‘. Sie ist aufgekratzt wie ein verliebter Teenager. Wann hatte sie das letzte Mal in ihrem Leben dieses Gefühl? Sie versucht die Schnulze mitzusingen. Jeden Tag haben sie das schmachtende Duett gehört, egal auf welchem Sender, es schien unentwegt zu laufen. Bei ihr klingt es wie ‚Unuturururururururum‘. Viel zu viele Vokale bei zu wenig Konsonanten. Wer hat sich nur diese Sprache ausgedacht?
Als sie sich nach dem Shampoo bückt, presst sich ihr weißer Po mit dem roten Rand gegen die beschlagene Scheibe. Aus diffusen Schemen werden scharfe Konturen. Sie spürt die kalte Hand in Latex nicht, die sich hinter der Glasscheibe auf ihren Hintern legt.
Während sie noch summt, abgeschirmt hinter der Duschwand, verwandelt sich das Badezimmer in eine Folterkammer. Auf dem Klodeckel, rechts neben der Duschkabine, liegen fein säuberlich präpariert wie OP-Besteck ein japanisches Kochmesser, eine kleine Metallsäge und ein Wantenschneider, so etwas wie eine gigantische Zange, scharf genug, um mühelos Stahlseile auf Schiffen zu kappen. Daneben steht eine große Flasche mit einem chlorähnlichen Gemisch, ein Mittel, das auf Yachten den Fäkalientanks beigemischt wird, um sie zu desinfizieren. Ätzend und beißend. In der Ecke, neben dem Karton mit den Einweghandschuhen, liegen säuberlich zusammengelegt zwei grüne Segelsäcke und zehn Quadratmeter Malerplane aus dem Baumarkt, noch gefaltet auf die Größe eines DIN A4-Blattes. An der Wand lehnt ein hölzerner Bootshaken mit einem Dorn aus Messing.
Nach zehn Minuten verstummt das Plätschern in der Dusche. Die Tür quietscht im Nebel, eine Hand tastet blind nach dem Handtuch an der Wand, kann es aber nicht sofort finden. Die Finger greifen ins Leere. Im Wasserdampf sind die schweren Scheren des Wantenschneiders kaum zu erkennen, die sich wie ein geöffnetes Maul ihrer Beute nähern und dann blitzschnell wie ein hungriger Hai aus der Tiefe des Ozeans zuschlagen: Klack! Der kalte Stahl knackt den Knochen des kleinen Fingers mühelos. Wie in Zeitlupe fällt das abgetrennte Glied zu Boden, dreht sich und bleibt blutverschmiert auf den feuchten Fliesen liegen. Der spitze Schrei aus der Kabine ist eine Mischung aus Überraschung und Schmerz. Aber er verstummt schlagartig, als der Wantenschneider mit voller Wucht auf ihre Schläfe hämmert. Die Augen weit vor Schreck aufgerissen, nah der Ohnmacht, fällt ihr Körper wie ein nasses Handtuch auf den Boden, bleibt auf der Schwelle zwischen Kabine und Kachelboden liegen. „Das hast Du davon. Warum hast Du Dich auch in mein Leben gemischt!“, zischt eine dämonische Stimme.
Wie sie da so liegt, benommen im Nebel, versucht sie zu verstehen, versucht zu erkennen. Sie windet sich, versucht rücklings aus der Dusche zu robben, aber ihre Hände finden keinen Halt auf dem Boden, nass von Wasser, besudelt von dem Blut, das aus ihrem Fingerstumpf rinnt. Mit dem Kopf stößt sie gegen die Wand. Endstation. Sie blickt erschrocken auf den kleinen Finger, der neben ihr liegt. Sie braucht einen Moment, um zu realisieren, dass es ihrer ist. Sie wimmert und weint, dann bohrt sich der Bootshaken mit einem brachialen Knacken durch ihr rechtes Auge. Kurz ist sie starr vor Schmerz und Schreck, dann weicht die Spannung aus ihrem Körper. Noch einmal zuckt sie zusammen, als der Bootshaken sich mit einem kräftigen Ruck um seine Achse dreht. Als er herausgerissen wird, blutet die leere Augenhöhle erstaunlich wenig. Stattdessen klebt weiße Hirnmasse an dem Messinghaken.
Ihr Herz muss noch schlagen, als die Klinge des japanischen Kochmessers durch die Kehle wie durch rohen Thunfisch gleitet. Blut pulsiert in kleinen Fontänen auf die Kacheln. Erst viel, dann immer weniger. Nur die Halswirbelsäule leistet noch Widerstand. Das feine Messer kann sie nicht durchtrennen. Ohne die Säge geht es nicht. Und auch die tut sich schwer. Zwanzig, dreißig Mal schiebt sich die Reihe der kleinen Zähne durch das Mark, bis nur noch ein paar Sehnen und Stränge Rumpf und Schädel zusammenhalten. Der Wantenschneider befreit den Kopf endgültig vom Körper. Knack, Knack, Knack. Das Haupt poltert über die Kacheln, eiert auf die andere des Badezimmers und bleibt neben der Malerplane liegen. „Brav!“, lobt die Stimme.
Zeit für Maniküre. Erst ist die rechte Hand an der Reihe, dann die linke, an der bereits der kleine Finger fehlt. Mühelos trennt der Wantenschneider auch die restlichen Glieder ab. Sie plumpsen auf den Boden, blutig und rot wie der verführerische Nagellack an ihren Fingerspitzen. Einzeln hebt die Latexhand mit Daumen und Zeigefinger die Glieder auf und lässt sie in ein verschließbares Einwegglas mit Formaldehyd plumpsen. Alles läuft wie geplant. Doch dann macht das Zerlegen des Rumpfes mehr Schwierigkeiten als gedacht. „Typisch, selbst tot macht die Alte noch Zicken“, schimpft die Stimme.