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Zeit für Veränderungen

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Die Tage vergingen. Die Tage vergingen sehr schnell, viel zu schnell. Ich saß auf der Couch und zappte von einem Schrottsender zum anderen. Was mache ich hier eigentlich, dachte ich fassungslos. Soll das jetzt die nächsten Jahre so weitergehen? Morgens aufstehen, allein Frühstücken, ins Büro fahren und abends die wenige Freizeit vor dem Fernseher vergeuden? Ich fühlte mich echt elend. Allein und elend. Der Grund für diesen Zustand war klar. Ich kannte die Ursache schon lange.

- Ich hatte kein Ziel. -

Viele behaupten, Menschen benötigen eine Aufgabe. Das ist, wenn überhaupt, nur die halbe Wahrheit. Konfuzius sagte ja auch »Der Weg ist das Ziel«, nicht »Der Weg ist deine Aufgabe.« Laotse brachte es ebenfalls auf den Punkt, »Nur wer sein Ziel kennt, findet den Weg.« Auch im Koran steht sinngemäß, »Wenn man das Ziel nicht kennt, ist kein Weg der richtige.« Ich weiß nicht, wie vielen meiner Freunde ich diese höchst weisen Zitate mit auf den Weg gegeben und ihnen geraten hatte sich ein Ziel zu setzen. Ich selbst hatte das jedoch völlig aus den Augen verloren und besaß kein ernsthaftes Ziel. Somit konnte ich weder einen sinnvollen Weg einschlagen, noch den Weg bewusst beschreiten. Ich schaltete den Fernseher aus und den Rechner ein. Im Internet suchte ich Literatur über Meditation. Das Angebot erschlug mich fast. Deshalb entschied ich mich für die traditionelle Methode. Der kleine Buchladen etwas abseits der Fußgängerzone mit der belesenen Verkäuferin. In diesem Laden verbrachten meine damalige Freundin und ich so ziemlich jeden zweiten Samstagvormittag.

»Guten Tag, haben Sie kurz Zeit?«, fragte ich die nette Buchhändlerin, die mich wohl wiedererkannte.

»Wie kann ich ihnen helfen? Suchen sie ein bestimmtes Buch?« Die schlanke Frau kam einen Schritt näher und schleuderte durch eine kleine ruckartige Bewegung des Kopfes ihren geflochtenen Zopf nach hinten.

»Nein. Ich suche ein Buch über Meditation. Mit Übungen, ohne große Theorie.«

»So nach dem Motto, quadratisch, praktisch, gut«, antwortete sie schmunzelnd. »Ja, da weiß ich schon, welches Buch passen könnte.«

Sie ging zielstrebig den langen Buchreihen entlang und blieb unvermittelt vor einem Regal stehen. Ich hätte sie fast umgerannt, konnte aber gerade noch mit einem Schritt seitwärts ausweichen. Sie war so in Gedanken, dass sie mein Ausweichmanöver gar nicht registrierte. Zielsicher zog sie das gewünschte Buch aus dem Regal.

»Zum Einstieg bringt ihnen das Buch anschaulich und sehr praktisch das Thema Meditation näher«, sagte sie und übergab mir das unscheinbare Werk.

Und tatsächlich. Nach nur wenigen Seiten Theorie, stellten massenhaft Übungen und praktische Hinweise den Hauptteil dar.

»Vielen Dank für ihre Empfehlung«, bedankte ich mich bei der Buchhändlerin an der Kasse, kaufte genau dieses Buch und trat gut gelaunt den Heimweg an.

Da stand sie. Rehbraune Augen. Ich könnte mich darin verlieren, eine Ewigkeit hineinschauen. Ihre braunen, schulterlangen Haare waren etwas gewellt und eine Strähne fiel locker in ihr ebenmäßiges Gesicht. Ihr Lächeln war magisch und steckte alle in ihrer Umgebung an. Ihr positives Wesen erfüllte den Raum, niemand konnte sich dem entziehen. Die schmale Taille unterstrich ihre weibliche Figur. Wenngleich sie nicht zur Size-Zero-Generation gehörte, erkannte man am Top und am knielangen Rock ihren sportlichen, wohlgeformten Körper. Der Standard des Taille-Hüfte-Index wurde mit Sicherheit ausgehend von dieser Frau definiert. Die dezenten, abgestimmten Farben ihrer Kleidung, ihre Mimik, jedes Wort und jede Bewegung waren Ausdruck vollkommener Harmonie. Würde man ein Beispiel für ›perfekt‹ suchen, hätte man es in dieser Frau gefunden. »Hey, passen Sie doch auf«, knurrte mich der Mann an, den ich beinahe über den Haufen gerannt hätte.

Ich war wieder in der Realität angekommen und schaute mich um. Sie und alle anderen sahen zu uns beiden auf die Empore hoch. Unweigerlich schoss mir das Blut in die Birne und auch ohne Spiegel wusste ich, dass eine Tomate gegen meinen hochroten Kopf vor Neid erblassen würde.

»Entschuldigung, Herr Schmid-Edermann. Ich habe Sie gar nicht gesehen.«

»Schon okay, nichts passiert«, antwortete er schmunzelnd. »Tatjana ist schon ein hübsches Ding, oder?«

»Ja, sicher. Es passt gut, dass ich Sie hier treffe«, wechselte ich schnell das Thema.

»Wie ist denn der Stand der offenen Punkte aus unserem Gespräch letzter Woche?«

»Ja, einige sind bereits erledigt und bei einer Position brauche ich noch etwas Input«, meinte er.

»Perfekt, dann lassen Sie uns heute Nachmittag die Themen in meinem Büro besprechen. Bis 15 Uhr dann«, sagte ich, ging den Gang weiter zu meinem Wirkungsbereich und schloss die Tür.

Noch voll in Gedanken setzte ich mich vor den Bildschirm und versuchte an meiner Präsentation weiterzuarbeiten. So richtig wollte dies jedoch nicht gelingen. Ich war froh, dass Herr Schmid-Edermann anklopfte und die aktualisierte Version mitbrachte, die eigentlich nur noch den letzten Schliff benötigte.

»Sehr gut, Herr Schmid-Edermann, das sieht jetzt wirklich positiv aus. Alle Aspekte, die wir diskutiert hatten, sind inkludiert. Die wichtigsten Ziele und die Alternativ-Szenarien mit Chancen-Risiken-Analyse sind deutlich dargestellt. Das Kostenthema ist mit den Wirtschaftlichkeitsberechnungen ebenfalls zur Genüge beleuchtet, sodass Sie nun den Weber-Auftrag weiterbearbeiten könnten.«

»Okay, bis wann brauchen Sie den?«

»Der Endtermin ist in 5 Wochen.«

»Gut, also bis morgen«, Herr Schmid-Edermann stand auf und ging zur Tür.

»Mmh, kennen Sie eigentlich die Frau von vorhin, wie hieß sie noch gleich?«, fragte ich ihn beiläufig und versuchte so gleichgültig wie möglich zu wirken.

»Meinen Sie Tatjana Thiel?«

»Ja, ich glaube schon…«

»Ja, meine Frau und Tatjana sind im gleichen Yoga-Kurs. Manchmal gehen die beiden danach noch etwas Trinken oder wir gehen alle zusammen essen. Wieso, kennen Sie Tatjana, soll ich ihr etwas ausrichten?«

Er genoss die Situation und kostete sie voll aus.

»Nein, nein, vielen Dank. Machen Sie auch Yoga?«, fragte ich ihn, um dem peinlichen Zustand einigermaßen unbeschadet zu entkommen.

»Ich habe es einmal probiert. Ich bin aber nicht dabeigeblieben.«

Bevor er noch irgendetwas hinzufügen konnte, verabschiedete ich ihn.

»Bis morgen dann, einen schönen Abend.«

»Danke, ich wünsche Ihnen ebenfalls einen schönen Abend.«

Samstagmittag nach dem Einkaufen nahm ich das Meditationsbuch zur Hand und blätterte darin. Ich überflog gerade das Inhaltsverzeichnis, als das Telefon klingelte, oder genauer gesagt das Intro von ›Wayward Child‹ von Kansas ertönte.

»Hallo Pascal, schön dich zu hören, wie geht es dir?«

»Mir geht es gut und bei dir alles im Lot«, antwortete er schnell.

»Ja, danke. Noch ein bisschen müde, aber sonst alles senkrecht«, war meine ehrliche Antwort.

»Hey, das passt ja perfekt. Ich bin gerade in der Stadt. Wie sieht’s aus, hast du Lust auf einen Kaffee?«, fragte er.

»Ja klar. Klasse Idee. Lass uns im Kahwa treffen, da kann man gut draußen sitzen«, antwortete ich.

Pascal bestätigte mit einem kurzen ›okay‹ und legte auf.

Im Kahwa angekommen, sah ich ihn schon entspannt mit einer Kaffeetasse in der Hand am Tisch sitzen. Pascal kannte ich bereits aus der Grundschule. Jetzt war er zwar über ein Meter fünfundachtzig, seine Braunhaarfrisur und sein Gesicht sahen jedoch immer noch so aus wie damals.

»Hallo Pascal. Du siehst richtig erholt aus«, begrüßte ich ihn.

»Ja danke. Ich war auch die letzten vier Wochen in Neuseeland.«

»Hey cool. Warst du auf beiden Teilen oder nur auf einer Insel.«

»Auf beiden. Aber nach einem kurzen Abstecher auf der Nordinsel mit Wellington und Auckland, habe ich die meiste Zeit auf der Südinsel verbracht. Da ist alles viel ursprünglicher und entspannter. Von Christchurch aus bin ich einmal um die Insel herumgefahren.«

»Cool. Das habe ich damals auch gemacht. Erzähl, was hast du alles gesehen?«, forderte ich ihn interessiert auf.

»Ich bin gleich einen Tag nach meiner Ankunft in Christchurch weiter in Richtung Hammer Springs gefahren. Dort bekommst du natürlich sämtliche Thrill seeking Aktivitäten geboten. Aber mit Bungee-Jumping oder Rafting hatte ich irgendwie nichts am Hut. Ich habe für mich das Wandern entdeckt. Und in Neuseeland kannst du das voll auskosten. Ein paar Tage später bin ich dann nach Punakiki, Punakaki, oder so. Auch hier wieder. Wandern im Nationalpark. Die Pancake Rocks sahen wirklich witzig aus. Bei Gelegenheit muss ich dir `mal ein paar Bilder zeigen. Aber auch die Führungen durch die Höhlen dort waren echt spannend. Ja, dann sicherlich unbedingtes Pflichtprogramm der Franz Josef Gletscher und der Milford Sound. War zwar ziemlich viel los, dort. Es hat sich aber absolut gelohnt. Dann war ich in ein paar kleineren Orten und bin an der Küste entlang in Richtung Nordinsel gefahren. Von Picton aus bin ich dann nach Wellington übergesetzt. Puh, was ein Schock. Die ganze Zeit absolute Ruhe und Gemütlichkeit und dann plötzlich absolute Hektik in der Stadt. So kam es mir zumindest vor. Deshalb bin ich sofort weiter nach Rotorua. Die Geysirlandschaft dort war sensationell. Wenn man `mal von dem Schwefelgestank absieht, einfach beeindruckend. Bevor ich jetzt großartig weitererzähle, lass uns das `mal mit meinen paar Tausend Fotos fortsetzen.« Pascal leerte fast sein ganzes Glas Wasser in einem Zug.

»Klar, warum nicht. Ich fand das Land bei meiner Reise ebenfalls genial«, bemerkte ich.

»Ja, und bei Dir. Wie läuft es denn?«, fragte Pascal, während er an seinem Kaffee nippte.

»Seit ein paar Monaten habe ich den Überblick über die offiziellen und inoffiziellen Wege, die Netzwerke und was geht und was nicht geht in diesem Unternehmen. Der Job macht jetzt richtig Spaß. Meine Kollegen sind okay und mein Team ist echt klasse. Aber das Ganze nimmt halt enorm viel Zeit in Anspruch. Abends bin ich dann oft so platt, dass ich mich immer öfters vor dem Fernseher ertappe.«

»Oh, ja das kenne ich. So ging es mir auch noch vor Kurzem. Ich habe vor ungefähr einem halben Jahr meine Arbeitszeit reduziert. Jetzt habe ich zwar ein bisschen weniger Geld aber so alle zwei Wochen ein Tag frei. Meistens freitags. Das ist genial. Alle paar Wochen drei Tage Wochenende. Zumindest theoretisch. Denn wenn viel los ist, komme ich nicht dazu die Stunden abzubauen. Aber auch wenn es nur ab und zu klappt, hat das meine Lebensqualität auf jeden Fall gesteigert.«

»Das hört sich gut an. Das ist sicherlich ein Weg, den Stress zu reduzieren und mehr Zeit für sich selbst zu haben. Und dein Chef hat das so ohne Weiteres akzeptiert«, fragte ich ihn.

»Hey, das war ein halbes Jahr Kampf. Erst `mal für mich selbst, bis ich mich endlich zu diesem Schritt durchgerungen habe. Und mein Chef, das Arbeitstier, war alles andere als begeistert. Der hat gar nicht verstanden, was ich eigentlich will. Irgendwie zieht er tierisch viel Energie aus seinem Job. Er ist morgens vor allen anderen im Büro und geht als Letzter. Wenn ich im Flieger sitze und penne, arbeitet er bereits Präsentationen oder Protokolle aus. Jetzt erklär `mal so jemanden, dass du weniger Stunden arbeiten möchtest. Na ja, nach zwei, drei Monaten hat es dann doch geklappt und ich bin so froh.«

Mit einem Klatschen auf seine Schenkel unterstrich Pascal seine Freude über die neue Lebensqualität. Ein mutiger, jedoch konsequenter Schritt, leider noch nichts für mich, dachte ich. Pascal unterbrach meine Gedankengänge.

»Was macht das Liebesleben?«

»Oh, ganz schlechtes Thema. Das macht leider gar nichts«, erwiderte ich schnell, da ich diesen Aspekt meines Lebens nicht weiter vertiefen wollte. Und schon gar nicht mit Pascal. Er pflegte zwar auch immer langfristige Beziehungen, aber keinen Monat, nachdem Schluss war, brachte er die nächste Freundin an.

»Ja, wie. Das gibt’s doch nicht! Wie lange bist du schon solo. Ein Jahr, oder?«, legte er den Finger in die Wunde.

»Ja, so ungefähr.«

»Jetzt erzähl mir nicht, dass unter den drei Milliarden Frauen auf dieser Erde nichts für dich dabei ist.«

»Doch, doch. Bei uns in der Firma ist eine wunderschöne Frau. Ein absoluter Traum. Ich glaube aber, dass sie in festen Händen ist«, sagte ich mit dem Bild von Frau Thiel vor Augen.

»Hast du sie gefragt?«

»Nein, noch nicht.«

Pascal rollte die Augen.

»Mann, Mann, Mann. Woher willst du das dann wissen. Meinst du, sie kann das erahnen oder deine Gedanken lesen?«

»Nein, natürlich nicht. Ich brauch halt ein bisschen länger bei diesem Thema. Wie geht es eigentlich Christine, war sie in Neuseeland dabei«, fragte ich ihn, um endlich von diesem leidigen Thema abzulenken.

»Ja, nach einer Woche ist sie nachgekommen, da sie nur drei Wochen Urlaub hatte. Die Woche allein war aber auch sehr angenehm, muss ich sagen. Apropos Christine, wir wollten dich nächste Woche zu uns einladen. Mal wieder gemütlich zusammen kochen, wie wär’s, hast du Zeit?«, fragte er, sah zuerst mich an und dann auf die Uhr.

»Ja, danke, gerne. Gute Idee. Am Samstag sieben Uhr?« »Ja, genau, das passt. Du ich hole Christine jetzt vom Friseur ab. Lass uns wegen Samstag noch mal telefonieren.«

Pascal bezahlte, stand auf und verabschiedete sich. Frisch gestärkt ging ich weiter in die Stadt.

Sonntags unternahm ich den nächsten Versuch mich dem Thema Meditation mit Hilfe meines neuen Buches zu nähern. Aber diesmal kam ich noch nicht einmal zur ersten Seite. Es läutete. Ich legte das Buch zur Seite und ging zur Tür.

»Hallo Benno. Gehst du Tennis spielen?«, fragte ich ihn schmunzelnd.

Die blau-weißen Tennisklamotten unterstrichen seinen sportlichen Körper und waren wie immer modisch perfekt auf einander abgestimmt. Seinen ursprünglichen Namen Benedikt, konnte er noch nie leiden. Deshalb nannten ihn alle Benno.

»Ja klar und du jetzt auch«, erwiderte er mit einem breiten Grinsen.

»Aha, da weiß ich ja noch gar nichts davon«, äußerte ich ungläubig.

»Siehst du, deshalb bin ich hier. Auf, hol deine Sachen, der Tennisplatz ruft.«

»Okay, okay, du hast recht. Bei dem genialen Wetter muss man ja spielen. Komm rein, ich hol kurz meine Tasche«, sagte ich und ging in den Keller.

Beim Packen der Tennissachen bemerkte ich, dass ich den Schläger sicherlich schon ein paar Monate nicht mehr in der Hand hatte. Auch sonst war ich die letzte Zeit eher weniger sportlich unterwegs. Und das, wo ich früher fast jeden Tag Sport gemacht hatte. Das kann ja heiter werden, dachte ich, bevor wir in Bennos Cabrio einstiegen. Die ersten paar Schläge waren dann auch ziemlich verkrampft. Aber nach einer Weile traf ich die Bälle immer besser. Die Ballwechsel wurden ebenfalls länger, sodass wir richtig Spaß hatten.

»Hey, Nikolai. Schön, dass du Zeit hattest«, sagte Benno noch ganz außer Atem, beim traditionellen Händeschütteln nach dem Match.

»Danke, dass du mich abgeholt hast. Das war jetzt echt klasse. Mal wieder so richtig `rumrennen und auspowern. Und das noch bei diesem herrlichen Wetter«, antwortete ich völlig nass geschwitzt.

Nach dem Duschen setzten wir uns auf die Terrasse.

»Na, wie läuft deine Praxis«, fragte ich ihn nach einer Weile.

»Du, sehr gut. Ich kann echt nicht klagen. Seit einem halben Jahr habe ich freitagmittags auch noch geschlossen, ohne wirkliche Einbußen. Wenn nicht gerade ein Notfall oder Monatsabschluss ist, habe ich jetzt mehr Zeit für mich und die Kids.«

»Das hört sich gut an. Apropos Kids. Was macht euer Leon, spielt er noch Tennis.«

»Ja, der spielt jetzt in der Mannschaft. So langsam hat er den Dreh raus«, antwortete er nicht ganz ohne Stolz.

»Und mit Julia, wieder alles im Lot«, erkundigte ich mich vorsichtig nach seiner Frau.

»Ja, das war natürlich auch noch ein Grund, den Freitagmittag zu schließen. Durch die Kids und die Praxis hatten wir eigentlich kaum noch Zeit für uns. Das schleift sich völlig unbemerkt ein und irgendwann lebt man nur noch neben einander her. Wir hatten immer mehr Streit, wegen nichts und wieder nichts. Ich war genervt, Julia war genervt. Selbst die Kids. Wir haben Gott sei Dank rechtzeitig die Reißleine gezogen. Julia hat auch ihre Stunden reduziert. Ja, was soll ich sagen. Uns geht es jetzt richtig gut.«

Sichtlich zufrieden über die geänderte Situation in seinem Leben sah Benno fast abwesend in die Ferne. Unvermittelt sah er mich an. »Und bei dir. Was macht das Malen.«

»Mmh, wenig, um nicht zu sagen, gar nichts. Ich finde in letzter Zeit nicht die Ruhe dafür. Leider.«

»Gibt es einen besonderen Grund dafür?«, hakte er nach.

»Nein, eigentlich nicht. Aber irgendwie kann ich mich nicht entspannen. Mein Magen meldet sich regelmäßig und wohltuender Schlaf ist auch anders.«

»Da habe ich neulich gerade etwas Interessantes gelesen. Über den Vagus-Nerv. Ich schicke dir ein paar Links zu den Büchern. Vielleicht passt das ja.«

»Okay, danke.«

Wir saßen, schwiegen und beobachteten die anderen Tennisspieler und vor allem Tennisspielerinnen, wie wir es schon Hunderte Male früher gemacht hatten. Ein Blick zwischen uns beiden sagte mehr als tausend Worte. Wir verstanden uns blind und wussten genau, was der andere gerade dachte.

»Du, dieses Jahr werde ich meinen Geburtstag `mal wieder feiern. Du bist natürlich eingeladen«, unterbrach Benno das Schweigen.

»Cool. Danke. Weißt du schon wo?«

»Nein. Ich bin noch am überlegen. Ich hätte gerne, dass gegen später getanzt wird. Das hat immer Stimmung gebracht. Was meinst du, kann man die Leute heute noch zum Tanzen bewegen?«

»Klar. Wenn die Atmosphäre passt, auf jeden Fall.«

»Was meinst du mit Atmosphäre?«, fragte Benno.

»Der Raum darf nicht zu hell sein. In diesem Raum sollte es nur Stehtische geben. Enorm wichtig ist einer, der die Musik auflegt. Hol dir ein DJ. Wenn jeder Musik auflegen will, kommt keine Stimmung auf. Optimal ist es, wenn der Raum nicht vollständig vom Rest abgetrennt ist. Die Leute wollen sehen und gesehen werden«, plauderte ich aus Erfahrung.

»Okay. Du musst es ja wissen. Auf deinen Feten ging es ja immer ab wie Lutzy. Gibt es noch was, was ich wissen sollte?«

»Frag’ den Besitzer der Räumlichkeiten, wie das mit der Lautstärke nach 12 Uhr ist. Nichts ist nerviger, als wenn alle paar Minuten einer rein rennt und die Musik leiser stellen will.«

»Das stimmt. Letztes Jahr bei der Party von Peter, kam der Wirt ab halb zwölf ständig an. Das war ätzend«, bestätigte er.

»Party, finde ich gut. Falls du irgendwie Hilfe brauchst, ruf mich einfach an.«

»Danke. Ich werde darauf zurückkommen. Wie viel Uhr ist es eigentlich?«, fragte er, nach einer Uhr suchend.

Vom Nachbartisch kam prompt die Antwort: »Fast halb eins.«

»Schon«, meinte Benno, »dann lass uns langsam die Hühner satteln.«

Nach dem Bezahlen packten wir unsere Tennissachen zusammen und Benno fuhr mich nach Hause.

Zeit der Klarheit

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