Читать книгу Wenn der Prophet nicht zum Berg kommt... - Jens-Jörg Plep - Страница 3
Sternstunden
Оглавление„...und als sie nichts tun wollten, habe ich den Vereinten Nationen den Krieg erklärt." Dr. Liebling guckt ungläubig: „Wie denn das?" Ich entgegne forsch: „Über den Security-Server des UN-Sicherheitsrates im Internet." Der Doktor blättert in einem schmalen Buch. „Dann habe ich mich auf die Lauer gelegt und gewartet. Es war schon nach Mitternacht.
Ich lauschte, ob vielleicht auf dem nahen Feld ein Hubschrauber landen würde. Sie würden bestimmt kommen und mich holen. Als nach vier Stunden immer noch keiner kam, bin ich ins Bett gegangen". Der Psychiater legt das Buch beiseite.
Im Patientencafe der Nervenklinik reißt Günther Hausschuh ein nagelneues Skatblatt auf und legt die Karten aus: „Du kannst dir eine aussuchen, ich werde sie erraten." Ich suche mir Pik vier aus. Günther schaut mich an und hebt eine Karte hoch: Pik vier! Herr Kanngieß fragt mich: „Wie geht das?" Ich denke kurz nach: „Telepathie!" Kanngieß fragt: „Was ist denn das?" Ich meine: „Das ist Gedankenlesen. Ich weiß zwar nicht, wie das funktioniert, aber es geht wohl tatsächlich". Günther erklärt: „Jens hat Recht. Das kann jeder lernen, aber es dauert lange und ist schwer."
Psychologin Frau Dunkel studiert aufmerksam das Testergebnis: „Herr Plep, Sie haben einen Intelligenzquotienten von hundertneunundzwanzig. Das ist sehr gut. Die visuelle Kurzmerkfähigkeit ist nicht so gut. Insgesamt aber eine recht ordentliche Gedächtnisleistung". Ich hab' doch schon immer gewusst, dass ich nicht doof bin. Woher kamen dann aber die Halluzinationen? Und die komischen Gedanken? Am Ende dachte ich sogar, dass jede Glasscheibe ein 3D-Bildschirm von Silicon Graphics wäre...
Später versuchte ich, die Zeit am Funkwecker anders einzustellen. Als das nicht ging, habe ich einfach die Batterien verkehrt herum eingesetzt, um die Zeit zurückzudrehen. Aber die alberne Zeitmaschine wollte nicht funktionieren.
Leutnant Böttger sitzt neben mir am Frühstückstisch, es war die Zeit der Endphase des zweiten Golfkriegs. Er verkündet laut: „Diese Moslems sollte man alle erschießen!" Alle Kollegen lauschen jetzt gespannt. Der Abteilungsleiter, Hauptmann Wolk, grunzt: „Recht so! Die machen ja bloß Zoff". Ich bin entsetzt: „Hört mal her, Leute - ich war im Urlaub in Tunesien und in der Türkei. Da hab' ich viele Moslems kennen gelernt. Das waren alles freundliche, bescheidene Leute". Hauptmann Wolk zischt mich an: „Kümmern Sie sich mal bloß um Ihre Computer. Da haben Sie genug zu tun". Das passt zum BMW-Fahrer Wolk.
Die Bundeswehrkaserne in Dölitz zeigt ihre grauen Betonbauten gelangweilt in den kühlen Morgen. In der obersten Etage des Blocks Nr. 3 ziehe ich einen Interface-Stecker aus einem Computer, mache einen Testlauf, stecke den Stecker wieder ein. Ich hole eine Flasche Reinigungslösung aus dem Schrank, putze den Rechner, den Monitor und die Tastatur. In einer halben Stunde werden die Unteroffiziere kommen, die ich am Computerarbeitsplatz einweisen soll. Zu Hause würde ich solch ein altes Modell nicht einmal angucken, von der Software ganz zu schweigen. Trotzdem hat man zuerst mich verdächtigt, als neulich ein ganzer Rechner geklaut wurde - lächerlich! In meinem kleinen Büro rauche ich schnell noch eine Zigarette und gehe den Ausbildungsplan von heute durch. Oberfeldwebel Böger schneit ins Zimmer: „Hallo, Herr Plep! Ich hab' da ein größeres Problem mit meinem Rechner - der will überhaupt nicht mehr...". Ich sage ihm, dass ich mir seinen Computer ansehen werde, wenn ich mit den Unteroffizieren fertig bin. „Da bin ich aber froh. Danke, Herr Plep“. Auf dem Gang rumort es: Die Unteroffiziere kommen. Ich gehe hinaus und schließe das Computerkabinett auf. „Guten Morgen, meine Herren!" Vielstimmig hallt es über den Gang: „Guten Morgen, Herr Regierungssekretär!" Nun stürmt die Truppe das Kabinett. Nachdem alle ihren Platz gefunden haben, beginne ich mit meinem Kurzvortrag. Darin erkläre ich alles, was man für die erste Inbetriebnahme des Computers wissen muss. Nach der Einweisung gehe ich zum Mittagessen, danach in das Dienstzimmer von Oberfeldwebel Böger. Ich überprüfe seinen Rechner: „Na, das haben wir doch gleich!" Böger ist heilfroh über seinen nun wieder intakten Rechner und bietet mir Kaffee an: „Ich hatte schon selbst gefummelt, habe den Fehler aber nicht beseitigen können..." Jetzt gehe ich zurück in mein Büro und erstelle Statistiken. Darüber hätte ich beinahe den Feierabend verpasst, zügig gehe ich zu meinem Auto und fahre nach Hause.