Читать книгу Wenn der Prophet nicht zum Berg kommt... - Jens-Jörg Plep - Страница 9
Der Plan
ОглавлениеDie nächsten Tage verbringe ich größtenteils mit Tagträumen, Götter und Außerirdische bevölkern meine Fantasie. Und ich denke weiter über den „Plan" nach. Man könnte doch zum Beispiel eine Transall der Bundeswehr mit Hilfsgütern von einem Flug nach Jugoslawien umleiten über die Türkei mit dem Ziel Irak. Dazu braucht man natürlich ein paar Leute innerhalb der Bundeswehr, die eingeweiht sind und voll mitspielen. Es wäre jedenfalls eine deutliche politische Geste - schließlich haben die Deutschen noch etwas gutzumachen...
Am Montagmorgen fahre ich wieder zum Dienst. Nach der Frühstückspause bittet mich Hauptmann Wolk zu einem Gespräch in sein Dienstzimmer, lässt mich dort noch einige Minuten warten. Letzte Woche war Prinzessin Diana tödlich verunglückt und jetzt sehe ich ihr Bild auf dem Schreibtisch des Hauptmanns. Wolk stürmt zur Tür herein, wendet sich an mich: „Sie betrachten da recht intensiv das Bild..." Ich drehe mich herum: „Ja, die Prinzessin Diana war eine interessante Frau..." Wolk ist verdutzt: „Das ist doch meine Frau!" Da hatte ich wohl wieder voll ins Schwarze getroffen: „Verzeihung, aber es gibt schon eine gewisse Ähnlichkeit mit der Prinzessin..." Wolk erklärt: „Ich wollte mal mit Ihnen sprechen wegen Ihres Verhaltens in den letzten Wochen. Ich habe mit dem Kommandeur gesprochen - falls es hier irgendwelche Missverständnisse geben sollte, will ich diese gleich ausräumen." Ach du liebes Bisschen, denke ich bei mir, schon wieder eine Grundsatzdiskussion!
„Herr Hauptmann, es ist einfach so, dass ich mir über einige aktuelle politische Entwicklungen Gedanken mache und nicht beabsichtige, alles tatenlos hinzunehmen." Wolk hakt nach: „Wie meinen Sie denn das?" Ich erkläre: „Die Entwicklung im Golfkrieg gefällt mir überhaupt nicht, da muss jetzt endlich mal eine Wende eintreten!" Der Hauptmann scheint nicht richtig zu verstehen: „Und was wollen Sie da machen?" Ich sage, dass ich schon etwas unternommen habe und jetzt Verbündete für Aktionen im Interesse eines dauerhaften Friedens am Golf suche. Und ich erzähle ihm noch etwas über meine gegenwärtigen Befindlichkeiten. Wolk bietet mir eine Zigarette an, wir rauchen und reden dabei weiter. Plötzlich fragt er mich: „Herr Plep, halten Sie sich etwa für Jesus?" Ich kontere sofort: „Nein, auf gar keinen Fall - doch ich glaube, man kann auch von Jesus lernen..." Was ich ihm nicht sage: Ich denke, dass ich wesentliche Züge und vor allem Ziele von Jesus verinnerlicht habe.
Ich fahre fort: „Aber das Bild ist gar nicht so falsch: Wie Jesus versuche ich jetzt, Jünger um mich zu scharen. Damit das sinnlose Töten endlich aufhört - auch das sehe ich als meine Pflicht." Wolk lehnt sich zurück, diesen Verlauf des Gesprächs hatte er wohl nicht erwartet. Nun frage ich ihn: „Und wie steht es eigentlich mit Ihnen - sehen Sie lieber tatenlos zu, wenn unschuldige Menschen getötet werden?" Wolk muss überlegen, für mein Gefühl etwas zu lange, denn diese Frage zielt doch klar auf sein Selbstverständnis als deutscher Soldat. Er sagt dann: „Aber die Amerikaner sind doch unsere Freunde und Verbündeten, Herr Plep!" Ich erkläre kurz: „Da haben Sie aber Glück, dass im NATO-Vertrag nichts von Bombardements am Golf steht - sonst müssten Sie jetzt vielleicht auch unschuldige Menschen abknallen..." Wolk räuspert sich: „Ich bin Soldat und gehorche Befehlen." Solche Sprüche mag ich vielleicht leiden: „Sie wissen genau, dass man Befehle nicht ausführen darf, die gegen die Menschenrechte verstoßen!" Noch als ich das sage, fällt mir das Paradoxe dieser Formulierung auf: In welchem Krieg gab es denn nun Befehle, die nicht gegen die Menschenrechte verstießen?
Wie auch immer: Wenn die Amerikaner wieder mal Weltgendarm spielen, muss man da als Deutscher noch lange nicht mitspielen...
Außerdem hält eine echte Freundschaft auch mal harte Kritik aus. Doch der Hauptmann schien schon begriffen zu haben: „Nun gut, Herr Plep, aber denken Sie immer daran: Die Bundesregierung verhält sich in diesem Konflikt fast neutral und unser Auftrag besagt auch nichts anderes!" Ich lächle: „Ich habe auch nicht vom Auftrag geredet, was ich meine, ist eher eine moralische Stellungnahme. Und als verantwortungsbewusster Staatsbürger hat man auch ethische Verpflichtungen." Ich merke schon, dass es jetzt für meinen „Plan" nicht der richtige Zeitpunkt ist - dazu müsste ich noch ganz anders auf den Hauptmann eingehen...
Ich gehe auf mein Dienstzimmer, erarbeite Statistiken, schreibe eine Service-Anforderung und verleihe Videokassetten. Morgen wird der polnische Oberbefehlshaber in unserer Dienststelle zu Besuch sein und ich muss noch Einiges vorbereiten. Die Computer-Ausbildung wird morgen früh die erste Station des Besuchs sein, ich richte alles so ein, dass nur noch ein Knopfdruck je Arbeitsplatz nötig ist. Ich weiß auch, dass der Hauptmann Welschkopf morgen einen Vortrag hält, bei dem er die Tafel benutzen muss. Jetzt grübele ich vor mich hin: Waren die Polen nicht mehrheitlich erzkatholisch? Ich klappe die Tafel auf und schreibe mit großen Lettern darauf: WELCOME, GENERAL WOJTYLA! (das ist der Nachname des Papstes). Ich klappe die Tafel zu - auf die Reaktion morgen früh bin ich schon gespannt. Auf dem Parkplatz setze ich mich in meinen Corolla und begebe mich auf die Heimfahrt, dabei werde ich von Geheimdienstfahrzeugen eskortiert. Um so viel Personaleinsatz hatte ich doch gar nicht gebeten...
Zu Hause sieht mich meine Frau besorgt an: „Du siehst richtig gehetzt aus - was ist denn nur mit Dir los?"
Ich versuche abzulenken, aber das gelingt mir nicht wirklich. Ich frage Angela: „Und was wäre eigentlich, wenn es gar keine Indianer mehr gibt?" Sie entgegnet verständnislos: „Was redest Du wieder für ein dummes Zeug?" Ich versuche, den Gedanken zu erläutern: „Na ich meine, wenn Kolumbus und Co wirklich alle umgebracht haben - Männer, Frauen und Kinder. Die hätten das sicher nie zugegeben - so könnte dann das Märchen von noch existierenden Indianerstämmen entstanden sein. Und wenn es Amerika - so wie wir es zu kennen glauben - gar nicht gibt?" Jetzt reicht es meiner Frau: „Jens, hör bitte auf, so ein konfuses Zeug zu reden - das ist ja wirklich krank!" Sie versteht mich einfach nicht, sie denkt eben nicht weiter über Gott und die Welt nach. Das ist schon in Ordnung - warum sollte denn jeder philosophieren? Aber sie könnte mich ruhig meine Gedanken spinnen lassen - das schadet doch niemanden.
Wieder ist ein neuer Tag angebrochen und mein Stern geleitet mich zum Dienst. Hauptmann Welschkopf empfängt mich schon an der Treppe, wir warten auf die hochrangige polnische Delegation. Unterdessen füllt sich der Unterrichtsraum mit speziell instruierten Unteroffizieren, alle warten. Dann kommt schließlich auch die Besuchergruppe die Treppe hinauf. Hauptmann Welschkopf begrüßt alle sehr formell und führt den Pulk in die Lehrklasse. Er beginnt seinen Vortrag mit der Erläuterung des Computereinsatzes in der inneren Führung. Er klappt die Tafel auf und wird nervös: „Gestern war doch noch ein Tafellappen hier..." Ich schaue in die Gesichter der polnischen Offiziere, sie schauen ernst auf die Tafel, in der zweiten Reihe bekreuzigt sich ein Adjutant.
Der Kommandeur schreit Welschkopf an: "Was ist das für eine Riesen-Schlamperei? Herr Hauptmann, bewegen Sie Ihren Hintern und besorgen Sie schleunigst einen Lappen und wischen Sie die Tafel ab!" Welschkopf wendet sich an mich, ich kann ihn aber nur weiter verweisen an einen Gefreiten, der mir zurzeit untersteht. Gefreiter Richtig ist ziemlich fix - so braucht er auch nur ein paar Sekunden, bis er dem Hauptmann einen Tafellappen reichen kann. Doch der Hauptmann hat sein psychisches Gleichgewicht längst verloren, er fängt an, einige Erklärungen dahin zu stottern; einen Vortrag kann man das kaum nennen. Währenddessen bemerke ich, wie der Kopf von Oberstleutnant Hoffmann knallrot wird: Gleich wird er explodieren - denke ich mir bei dem Anblick. Jetzt muss ich Welschkopf helfen, fährt es mir durch das Gedächtnis; ich hab da auch schon einen Einfall. Ich stelle ein Toshiba-Laptop auf den Lehrertisch, verbinde den Videoausgang mit dem lichtstarken LCD-Projektor an der Decke. Dann starte ich auf dem Rechner eine von mir erarbeitete Bildschirmpräsentation mit Statistiken und Studien zur computergestützten Ausbildung.
Der Hauptmann schaut mich kurz an, ich nicke ihm zu und er begreift sofort. Er übernimmt den Platz am Laptop und führt damit seinen Vortrag fort. Der Projektor wirft bebilderte Texte auf die Stirnwand des Raumes, Welschkopf findet seine Sicherheit zurück und die Dolmetscher sind wieder voll beschäftigt. Nach der Präsentation bedankt sich der Hauptmann bei mir für die Unterstützung, ich winke ab: „Ich mache mich doch gerne nützlich, Herr Hauptmann."
Noch zwei Klassen Unteroffiziere begleite ich durch die Ausbildung, nach dem Mittagessen gehe ich zur Truppenverwaltung und kläre mit dem Leiter den Beschaffungsbedarf für das nächste Haushaltjahr.
Danach kann ich noch ein paar persönliche Worte mit der Sekretärin führen.
Sie ist hellblond und recht hübsch, sie zieht öfter im Minirock die Pfiffe junger Soldaten auf sich. Aus früheren Gesprächen mit ihr weiß ich aber, dass sie daheim keine glückliche Beziehung führt. Dazu kommen noch kleinliche Anfeindungen neidischer Kolleginnen - sie ist nicht wirklich das strahlende Girl, das sie meist herauskehrt. Doch außer mir weiß das hier kaum einer, denn sie zieht nur selten jemanden ins Vertrauen. Ich helfe ihr nämlich immer, wenn mal ihr Computer streikt - obwohl das nicht in meine Zuständigkeit fällt. Das mache ich auch mit den Computer-Freaks unter den Offizieren so.
Dann ist endlich Wochenende - wie Ameisen krabbeln die Mitarbeiter über den Parkplatz, jeder setzt sich in seinen Wagen und fährt heimwärts. Wahrscheinlich ist das beim Geheimdienst nicht anders, denn auf der Heimfahrt werde ich diesmal anscheinend nicht begleitet. Jedenfalls kommen mir die Autofahrer um mich herum nicht wie Agenten vor. Die Agenten haben nämlich spezielle Autonummern; man erkennt die beauftragende Behörde an den Buchstaben nach dem Bindestrich: VN oder UN für die UNO, BN für BND, P für Polizei, BW für Bundeswehr, AA für Auswärtiges Amt, EU oder EG - na ihr wisst schon... Das ist nämlich so, weil die Konspirativen ein gestörtes Selbstwertgefühl haben, da sie über ihre Arbeit immer schweigen müssen - also kaufen die sich einfach passende Wunsch-Autonummern!