Читать книгу Wenn der Prophet nicht zum Berg kommt... - Jens-Jörg Plep - Страница 6
Wegweisung
ОглавлениеNoch ziemlich übermüdet stehe ich am Montagmorgen auf, die Morgentoilette fällt mir echt schwer. Angela ist besorgt: „Du siehst nicht gut aus - wie willst Du es denn im Dienst aushalten?" Ich beschwichtige: „Es muss gehen, also wird es auch irgendwie gehen!" Während der Fahrt nach Dölitz fällt mir auf, dass ich immer genau in Richtung des hellsten Sterns am Himmel fahre. Es ist seltsam: Auch wenn ich durch eine Kurve fahre - der Stern steht immer „auf zwölf Uhr" voraus. Der Stern zeigt mir den Weg, ich achte schon nicht mehr auf Details der Straße, sondern fahre immer nur einfach auf den Stern zu. Nach einigen Abbiegungen bin ich völlig überzeugt: Dieser Stern ist nur für mich dort vorn am Himmel!
Aber sonst ist alles ganz normal und ich kann doch nichts dafür, wenn ein Stern verrückt spielt! Meine Logik hat nicht etwa ausgesetzt, ich kann es mir nur schwer erklären. Vielleicht waren da draußen ja wirklich Außerirdische und lenken unsere Geschicke von oben. Oder es gibt doch einen Gott, der alles nach seinem Willen gestaltet. Nur eines steht fest: Ich kann diesen Stern deutlich sehen und er weist mir - wie auch immer - den Weg. Aber darüber sprechen werde ich mit niemand. Seit diesem Tag bringt mich der Stern jeden Morgen zur Arbeit...
An den Stern von Bethlehem glauben schließlich auch viele Menschen, selbst wenn dessen Nichtexistenz astronomisch bewiesen zu sein scheint.
Jedenfalls komme ich gut in meiner Dienststelle an. Ich begebe mich gleich in mein Büro - heute würden erst später Unteroffiziere kommen. Am Fenster rauche ich eine Zigarette, ich kann im Gebäude schräg gegenüber den Dienststellenleiter hantieren sehen. Mit seinem Vollbart erinnert mich Oberstleutnant Hoffmann an den biblischen Abraham. Unteroffizier Bahnen aus meiner Abteilung kommt hereingeschneit. Wir unterhalten uns kurz über den Tagesablauf und über Neuheiten in der Computertechnik. Bahnen kennt mich gut und ermahnt mich, ich solle mir nicht schon wieder einen Kopf machen und den Dingen gelassen entgegensehen - gut gesagt!
Als Bahnen gegangen ist, rufe ich den Dienststellenleiter - der für die Soldaten „Kommandeur" heißt - mit dem Haustelefon an: „Guten Morgen, Herr Oberstleutnant Hoffmann! Ich möchte Sie gern einmal - beim Barte des Abraham - kurz in einer wichtigen Angelegenheit sprechen." Hoffmann stutzt erst einmal still vor sich hin, so als habe er sich verhört. Dann antwortet er: „Ja gut, Herr Plep! Ich habe gerade nichts Wichtigeres zu tun - Sie können gleich rüberkommen." Ich gehe zuerst ins Dienstzimmer von Unteroffizier Bahnen und kläre - für den Fall, dass mein Gespräch doch länger dauern sollte - den weiteren Tagesverlauf mit ihm. Dann steige ich hinauf in den „Olymp", das Dienstzimmer des Kommandeurs. Im Vorzimmer empfängt mich Frau Wolle, die Chefsekretärin. Wir unterhalten uns kurz, ich bringe dabei meine Besorgnis über die gegenwärtige Weltlage zum Ausdruck. Der Kommandeur ruft mich in sein Zimmer und bietet mir einen Stuhl an. Er sagt zu mir: "Guten Morgen, Herr Plep! Sie sehen aber ziemlich fertig aus - na dann erzählen Sie doch mal, was Sie zu mir führt!"
Ich hole tief Luft und fange an zu reden: "Ich habe zu Hause ein paar Experimente und Überlegungen auf dem Gebiet der Quantenoptik durchgeführt und dabei habe ich - es ist wirklich unvorstellbar- den Stein der Weisen gefunden."
Hoffmann ist verwundert: „Das kann ich mir aber nicht vorstellen - ich denke, dass es sich dabei nur um eine Legende handelt." Ich versichere ihm: „Nein, den gibt es wirklich. Bis vor Kurzem hab ich auch nicht daran geglaubt. Dieser Stein hat ganz vorzügliche elektro-optische Merkmale. Damit lassen sich binäre Logikschaltungen mit Licht realisieren - so genannte Lichtcomputer. Ein Orakel könnte man damit bauen, das ist keine Science Fiction mehr." Für den Oberstleutnant ist das alles sichtlich ein bisschen viel: „Nun gut - und was hat es mit der vorhin erwähnten Photonenwaffe auf sich?" Ich erläutere: „Im Detail will ich das hier nicht beschreiben, es ist noch gar nicht spruchreif. Es handelt sich dabei jedenfalls um Lichtbündelung ohne Linsen. Weil die verwendeten Materialien und Verfahren keinen größeren Aufwand erfordern, ist diese Art der Lichtbündelung besonders geeignet, auch sehr große Lichtmengen zu verarbeiten, was wiederum den Einsatz als Waffe denkbar macht."
Jetzt ist der Chef noch mehr erstaunt: „Und wie kommen Sie dazu, sich in dieser Form zu betätigen?" Ganz leicht wird mir die Beantwortung dieser Frage nicht fallen. Ich versuche es so: „Meine Gedanken, meine Wertvorstellungen und mein Verantwortungsbewusstsein haben mir diese Handlungsweise sozusagen auferlegt. Kürzlich habe ich erfahren, dass Sie ein sehr gläubiger Katholik sind und sich beispielsweise regelmäßig an Wallfahrten beteiligen. Also gehe ich mal davon aus, dass Sie fest im Glauben sind und sich auch öfter fragen, wie wohl Jesus in einer bestimmten Situation gehandelt hätte. Auf diesem Weg kann man - unter meinen konkreten Umständen - ganz schnell zu einer eher unkonventionellen Handlungsweise kommen. Da sich der Westen zur Zeit - nach dem aktuellen Medienbild - auf Konfrontationskurs mit dem Islam befindet, sollte man sich schon mal den Koran vornehmen, um sich wirklich ein objektives Bild darüber machen zu können. Als Ergebnis meiner Analyse habe ich festgestellt, dass unsere Medien tendenziös und populistisch berichten. Und im Analysieren großer Informationsmengen bin ich wirklich gut, auch wenn ich das nicht gern sage. Ich empfinde es als schlimm, was man mit einer wenig objektiven Berichterstattung in den Köpfen der Bevölkerung anstellt. Wir sind jetzt in einer ganz gefährlichen Phase auf dem Weg zur Superzivilisation..."
Der Kommandeur lehnt sich zurück: „Und wieso wenden Sie sich damit an mich? Mit meinem dienstlichen Auftrag hat das doch so gut wie nichts zu tun. Einiges von dem, was Sie sagten, habe ich verstanden, vieles ist mir noch unklar. Aber ich bin sicher in dieser Angelegenheit nicht der richtige Ansprechpartner." Ich finde es schon gut, dass er einiges verstanden hat: „Nun ja, Sie sind mein großer Chef, darum habe ich Sie ins Vertrauen gezogen. Vor kurzer Zeit hätte ich das nicht gemacht - ich habe Sie lange Zeit für ein absolutes Arschloch gehalten. Jetzt weiß ich aber, dass Sie ein frommer Mann sind und als solcher auch charakterliche Qualitäten haben dürften."
Hoffmann wird rot im Gesicht: „Na, das ist ja starker Tobak! Wie kommen Sie dazu?"
Ich erkläre: „Sie stehen kurz vor Feierabend immer am Fenster und registrieren die Leute, die ein paar Sekunden zu früh ihren Arbeitsplatz verlassen. Dann kommt die Abmahnung oder die Kündigung. Mich haben Sie übrigens noch nie unter diesem Kollegen gesehen und werden das auch in Zukunft nicht erleben. Jedenfalls würde so auch ein Sklaventreiber handeln. Und mir ist bekannt, dass Sie oft Ihre Offiziere völlig respektlos anschreien."
Hoffmann scheint peinlich berührt zu sein: "So habe ich das noch gar nicht betrachtet. Ihr Problem jedenfalls hat mit unserem dienstlichen Auftrag wohl nichts zu tun und ich weiß nicht, was ich in dieser Sache tun könnte. Ich werde mal beim MAT anrufen und Ihnen einen Kontakt zu einem Mitarbeiter verschaffen. Vielleicht finden Sie ja dort den richtigen Ansprechpartner. Aber Sie gehen jetzt nicht zurück an Ihren Arbeitsplatz, sondern teilen Ihrem Abteilungsleiter mit, dass ich Sie zum Arzt geschickt habe - Sie sehen doch völlig fertig aus! Weiterhin können Sie sich auch an Hauptmann Wolk wenden, ich werde mit ihm sprechen."
Ich fühle mich in der Tat völlig ausgebrannt, ich verabschiede mich und gehe ins Büro von Hauptmann Wolk. Dort melde ich mich krank und mache nur ein paar kurze Andeutungen zu meinem Gespräch mit dem Kommandeur. Den Dienstablauf für den Tag hatte ich ja schon mit Unteroffizier Bahnen geklärt. Hauptmann Wolk hat mich noch gefragt, ob ich in der Lage sei, mein Auto nach Hause zu steuern, was ich bejaht hatte.