Читать книгу Wenn der Prophet nicht zum Berg kommt... - Jens-Jörg Plep - Страница 5
Aktion
ОглавлениеIch werde durch meinen Sohn Jean-Michel geweckt: „Papi, machen wir jetzt Frühstück?" Noch ganz benommen sage ich: „Der Wecker hat ja noch nicht mal geklingelt - geh wieder ins Bett!" „Ach komm, Papa - in zehn Minuten klingelt der Wecker."
Meine Frau räkelt sich im Bett: „Seid ihr schon wieder auf? Ist es denn an der Zeit?" Ich streiche ihr zärtlich über ihr rötliches Haar und erkläre: „Ja, in ein paar Minuten. Komm schon hoch, wir haben heute viel vor." Zu dritt drängeln wir ins Bad. Beim Zähneputzen gibt es - wie jeden Morgen - Drängelei vor dem Spiegel. Ich schubse meinen Sohn beiseite: „...muss mich rasieren, brauch den Spiegel..." Angela geht in die Küche, bereitet das Frühstück vor. Sie fragt mich: „Was meintest Du eigentlich, als du sagtest, wir hätten viel vor?" Beflissen sage ich: „Es gibt da eine wichtige Friedensmission, in die ich eingebunden bin. Mehr dazu darf ich dir jetzt leider nicht sagen." Sie schaut mich befremdet an: „Was ist denn los - Du weißt genau, dass Du mir alles sagen kannst!" „Ich werde Dir im Auto alles erzählen, was Du wissen darfst..." Jetzt wundert sie sich noch mehr: „Wieso im Auto? Fahren wir denn weg?" Ich erkläre: „Ja. Wir fahren erst einmal nach Unterfahring bei München zu TeleSieben. Alles andere wird sich dann ergeben."
Jean-Michel kommt nun aus dem Bad. Wir setzen uns und frühstücken. Angela und ich rauchen anschließend noch eine Zigarette. Wir gehen hinunter zum Autostellplatz, ich setze mich hinter das Lenkrad, drehe den Schlüssel im Zündschloss. Jetzt rollt der rote Toyota Corolla durch den Torweg, auf die Zufahrtsstraße zur Autobahn A9.
Unser Sohn fragt: „Wohin fahren wir denn heute?" Ich entgegne: „In die Nähe von München, Papa hat dort ein bisschen zu tun." Der Kleine freut sich: „Oh schön, wenn wir danach noch Zeit haben, gehen wir dann zum FC Bayern München?" Da muss ich einhaken: „Ich befürchte, dass wir so viel Zeit nicht haben werden..." Wir fahren in einen Baustellenbereich ein, wo die linke Fahrspur nur ganz schmal ist. Ich trete auf's Gas, habe aber ein wenig Angst, wenn wir die breiten Laster mit sehr geringem Seitenabstand überholen. Doch langsamer will ich auch nicht fahren. Endlich ist die Baustelle beendet und ich kann wieder kräftig in die Pedale steigen. In der Nähe von Unterfahring kommen wir noch in einen kleinen Stau. Schließlich biegen wir ab und gelangen auf die Medienchaussee. Schon von weitem kann man die große blaue Sieben des TV-Giganten erkennen. Wir biegen in eine kleine Seitenstraße ein, ich parke den Wagen und wende mich an die Familie: „Ihr habt jetzt einige Zeit für Euch. Ich weiß nicht, was Ihr in dieser Zeit machen wollt. Ihr könntet beispielsweise spazieren gehen." Sehr begeistert sind die Beiden von meiner Rede nicht, aber so ist es nun mal. Ich ziehe mir meine Jacke über und steige aus. Lange muss ich nicht suchen, um den Haupteingang zum Sender zu finden. Der Pförtner schreckt auf und fragt mich nach meinem Begehr. „Guten Tag, ich bin Regierungssekretär Plep von der Bundeswehr. Ich möchte gern in einer wichtigen Angelegenheit mit dem verantwortlichen Nachrichtenredakteur sprechen." Dabei halte ich ihm meinen Dienstausweis unter die Nase. Irritiert sagt er: „Einen Moment, bitte. Ich muss erst mal telefonieren." Ich meine forsch: „Was gibt es denn da zu telefonieren? Meine Angelegenheit bringe ich schon selbst vor!" Verwirrt schaut mich der Pförtner an: „Ja, wenn Sie meinen..." Er lässt mich passieren. Im Foyer treffe ich auf den Empfangschef, er fragt: „Was wünschen Sie, bitte?" Ich lege meinen Dienstausweis auf den Tresen und antworte: „Guten Tag, ich bin Regierungssekretär Plep. Ich möchte gern persönlich mit dem verantwortlichen Nachrichtenredakteur sprechen." Er fragt zurück: „Und in welcher Angelegenheit, bitte?" Mit sicherer Stimme sage ich: „Es geht um die Bedrohung des Weltfriedens, Details möchte ich lieber mit dem Redakteur besprechen." Er nimmt meinen Ausweis vom Tresen und dreht sich um: „Ich mach mir da mal schnell eine Kopie." Nach ein paar Sekunden kommt er wieder auf mich zu: „Gut. Dann setzen Sie sich doch bitte hier drüben auf die Couch!" Mit der Hand weist er auf ein wunderschönes Ledersofa.
Ich lege meinen Aktenkoffer auf den kleinen Couchtisch, öffne ihn und nehme mein Notebook heraus. Danach klappe ich den Bildschirm hoch und schalte das Gerät ein. Kaum ist der Rechner hochgefahren, da erscheint der gewünschte Nachrichtenredakteur: „Guten Abend, Meyer ist mein Name - was kann ich für Sie tun?" Ich schaue ihm ins Gesicht und stelle mich vor. Ich frage ihn, ob ihm mein Fax bekannt sei, er weiß aber von nichts. Ich erkläre: „Sie sollen als Laufschrift den ersten Artikel der Charta der Vereinten Nationen senden, damit sich die Zuschauer ein objektives Bild von den Aktivitäten der UNO im Golfkonflikt machen können." Verwirrt fragt er: „Und warum gerade wir?"
Ich überlege kurz und meine dann: „Ihr Sender gehört zu den wichtigsten TV-Anbietern im Land. Die Symbolik ihres Senders: Die sieben Zeichen, das Blau der UN, die Glocken von Jericho als Kennmelodie - das alles spricht in diesem Fall für Sie." Dass der Sender einfach verkehrstechnisch günstig für mich liegt, sage ich ihm lieber nicht. Er fragt zweifelnd: „Und wie kommen Sie dazu, mir diese Nachricht zu überbringen?" Ich pariere: „Was glauben sie denn - man schickt ja wohl in einem solchen Fall einen Bundesbeamten..." Und er fragt weiter: „Und wer soll das bezahlen?" Diese Geier - außer ihrer Kohle haben die wohl nichts im Sinn; denke ich still vor mich hin. „Das ist alles im Rundfunkstaatsvertrag geregelt - bei Bedarf können Sie ja dort mal nachschlagen." Innerlich klopfe ich mir auf die Schulter - eine gute Improvisation. Ich lenke seinen Blick mit der rechten Hand auf mein Notebook: „Schauen Sie mal - hier ist der betreffende Text!" Er schaut nur kurz hin und erklärt dann: „Wir dürfen leider keine fundamentalistischen Bekennerschreiben veröffentlichen."
Nun bin ich perplex: „Das ist aber die Charta der Vereinten Nationen!" Unbekümmert meint der wichtige Mann: „Es ist ganz egal, wie Sie das nennen - wir werden es nicht veröffentlichen!" Mir fällt noch etwas ein: „Wo kann ich hier mal den Bundeskanzler anrufen? Und würden Sie das veröffentlichen, wenn Sie der Bundeskanzler persönlich darum bittet?" Der Redakteur überlegt kurz: „Ja, das wäre sicher möglich. Ich glaube aber nicht, dass das passieren wird. Telefonieren können Sie hier aber nicht." Da habe ich wohl Pech: „Ich habe draußen ein Mobiltelefon. Leider habe ich mein Notizbuch zu Hause liegen gelassen. Könnten Sie mir wenigstens die Telefonnummer vom Bundeskanzleramt heraussuchen?" Der Redakteur lässt aber nicht mit sich reden: „Nein, das ist unmöglich." Soll das etwa alles gewesen sein? „Aber ein Telefonbuch haben Sie doch?" Mit heuchlerischer Miene meint der Mann: „Tut mir leid, haben wir nicht." Ich packe meine Sachen zusammen und verabschiede mich - schon bin ich wieder draußen.
Ich werfe einen kurzen Blick auf mein klobiges Motorola-Handy - nein, die Auskunft anzurufen hat auch keinen Sinn. Außerdem würde ich so kaum den Bundeskanzler erreichen...
Ich steige aus, suche die Umgebung nach meiner Familie ab. Weit hinter einer Bahnschranke entdecke ich sie dann. Ich rufe laut und winke, doch die beiden bemerken mich nicht. Ich gehe zurück zum Auto und fahre in Richtung Bahnschranke los. Dort angekommen, blinkt erst einmal das rote Licht und ich stehe vor der geschlossenen Schranke. Ich schalte den Motor ab und das Radio ein - Peter Schilling singt da Major Tom. Nach langem Warten öffnet sich die Schranke endlich wieder, ich starte durch und presche zu meiner Familie. Nach einer scharfen Bremsung reiße ich die Beifahrertür auf: „Steigt ein, wir müssen noch wohin!" Angela und Jean-Michel klettern in das Auto, Angela fragt: „Und wo müssen wir hin?" Ich ziehe den Straßenatlas heraus und sage: „Nach Bonn, ins Bundeskanzleramt." Beide sind enttäuscht, ich füge hinzu: „Ja, wir müssen unbedingt dorthin, das lässt sich leider nicht vermeiden." Jetzt studiere ich die Straßenkarte: „Das ist noch eine ganz schöne Strecke."
Ich muss meinen Sohn enttäuschen, ich sage: "Mit dem Besuch beim FC Bayern München wird es heute wohl nichts werden." Angela verteilt Bratklopse und Coca-Cola in Dosen. Ich habe freie Fahrt und fahre ziemlich schnell, mein Toyota macht etwa 180 km/h Spitze. Ich denke noch einmal über das Erlebte nach - würde mein Gespräch mit dem Bundeskanzler wohl irgendetwas bewirken? Ich bin mir schon darüber im Klaren, dass mein Verhalten in dieser Angelegenheit nicht sehr gewöhnlich ist, doch ich verspüre einen starken inneren Drang, das zu tun, was ich jetzt eben tue.
Wir kommen an die Abfahrt Nürnberg und fahren die Ausfahrt hinunter - wir werden uns ein bisschen in der Stadt umschauen und zum Mittagessen gehen. Aber zuerst muss ich ein paar Runden durch das Stadtzentrum drehen: Ich finde keinen Parkplatz und alle Parkhäuser sind belegt. Endlich habe ich dann einen freien Platz vor einer Parkuhr erspäht. Wir schlendern durch eine Grünanlage, ein alter Mann sitzt auf einer Parkbank und füttert die Tauben. Als ich an ihm vorübergehe, schaute er auf und sagt: „Guten Tag, mein HERR!" Er sagt es wirklich so, als ob ich der liebe Herrgott wäre. Jean-Michel grinst mich an, als ob er sagen will: Wohl besoffen!
Wir finden ein kleines Restaurant und nehmen darin Platz. Die Preisliste ist wirklich üppig - im Gegensatz zur Portionsgröße. Doch was will man machen, wenn man unterwegs ist, Hunger hat und nur Geldhaie am Straßenrand lauern? Wir sind noch nicht richtig satt, als wir das Lokal verlassen und wir gehen gleich noch in einen Sparmarkt, um uns ein paar Happen Kaltverpflegung zu besorgen.
Dann sind wir wieder auf Tour - Richtung Bonn. Es wird schon dunkel, als wir schließlich am Frankfurter Flughafen vorbeifahren. Ich schaue nach rechts, parallel zu uns befindet sich ein größeres Passagierflugzeug im Landeanflug. Doch was ist das für ein Schatten davor? Der Schatten verdeckt einen Teil des Rumpfes der Maschine und bewegt sich mit ihr. Ich zeige auf das Flugzeug und sage, zu meinem Sohn gewandt: „Jean-Michel, sieh doch mal - das Flugzeug wird von einem UFO begleitet, man kann es deutlich an dem Schatten sehen. Siehst du es auch?"
Mein Sohn erwidert zögerlich: „Genau kann ich es nicht sehen. Ich hab auch noch nie ein UFO gesehen. Aber dieser Schatten wird schon von einem UFO sein - wenn du es sagst..."
Trotz des hohen Tempos, mit dem ich fahre, ist es schon sehr spät, als wir in Bonn ankommen. Die Stadt wirkt gediegen und sehr ruhig. Hier muss ich mich erst einmal zum Bundeskanzleramt durchfragen, was zu der späten Stunde nicht ganz einfach ist. Doch schließlich sind wir da und ich parke das Auto linkerhand vor der Einfahrt. Hinter dem Tor wachen zwei junge BGS-Beamte, ich lasse meine Familie im Auto und gehe auf den vorderen Beamten zu. „Guten Abend, ich bin Regierungssekretär Plep von der Bundeswehr. Ich möchte den Bundeskanzler Herrn Dr. Gohl in einer dringlichen Angelegenheit sprechen."
Der BGS-Mann geht in sein Wachhäuschen, er telefoniert kurz und spricht ein paar Worte mit dem anderen BGS-Mann. Als er wieder herauskommt, sagt er zu mir: „Tut mir leid, der Bundeskanzler ist in seinem Privatquartier, ich habe eben mit einem seiner Personenschützer telefoniert." Ich gehe zu meinem Toyota zurück und erkläre mit knappen Worten meiner Familie die Situation. Angela meint: „Dann müssen wir eben erst einmal zurückfahren. Du kannst ja noch am Montag telefonieren oder einen Brief schreiben."
Das mit dem Brief hatte mir der BGS-Beamte auch schon gesagt...
Ich glaube, die Herrschaften können sich gar nicht vorstellen, welcher Einfallsreichtum mich beflügelt, wenn es um den Weltfrieden geht. Denn vor einem Gespräch mit dem Kanzler habe ich überhaupt keine Angst - ich werde ihm meine Intentionen schon so rüberbringen, dass er mich versteht und handeln kann. In meinem Kopf fügt sich alles zu einer riesigen Gedankenkonstruktion, zu einem neuen Weltbild, zusammen - ich würde in dieser Angelegenheit jedem Beliebigen meine Gedanken schlüssig erklären können.
Später musste ich allerdings feststellen, dass mir einige der damaligen Gedankenbrücken abhanden gekommen sind. Möglicherweise ist das auch gut so, denn ich habe von einem Psychiater erfahren, dass man diesen Vorgang, den ich damals durchlebte, „Gedankenrauschen" nennt - und das ist ziemlich krank. Man muss sich das so vorstellen, dass ein Gedanke auf den anderen folgt, immer schneller, immer weiter. Man kann nicht mehr aufhören, angestrengt zu denken - nicht tagsüber, nicht nachts. Das geht nicht lange gut, irgendwann ist ein Teil des Gehirns überlastet und versagt den Dienst völlig.
Dabei sind durchaus klare und konstruktive Gedanken in meinem Kopf: Ich erarbeite mir ein Modell von Licht - wenn man sich etwas näher mit der Materie befasst, erkennt man, dass Licht eine ziemlich komplizierte Struktur aufweist, zumindest wenn man alle Aspekte von Licht verschiedener Wellenlänge im Modell betrachtet. Dann konstruiere ich im Kopf einen völlig neuartigen Licht-Computer: Er arbeitet auf der Basis von Interferenz, die Kohärenz wird dadurch sichergestellt, dass ein einzelner Laser das System zum Laufen bringt. Mit solch einem Gerät ist man in der Lage, den Zukunfts- und Vergangenheitslichtkegel zu manipulieren. Das kann dazu dienen, echte dreidimensionale Bilder im Raum zu erschaffen - Wunder der Technik!
Mein Sohn ist mittlerweile eingeschlafen, ich starte in Richtung Heimat. Die Fahrt zieht sich hin, ich werde furchtbar müde. Um nicht einzuschlafen, drehe ich das Radio voll auf - es stört niemanden, denn meine Frau ist auch schon eingeschlafen. Wie im Traum zieht die Landschaft draußen vorbei, ich schrecke jedesmal auf, wenn mir die Augen ganz zufallen. Ein Radarblitz reißt mich aus meiner Lethargie, ich kann mich dunkel erinnern, dass kurz zuvor eine Geschwindigkeitsbeschränkung angezeigt wurde. Meine Müdigkeit ist dadurch fast verflogen, ich lasse mir jetzt mehr Zeit beim Fahren. Als wir endlich zu Hause ankamen, nutzten wir den Rest des Tages zum Ausschlafen. Abends liege ich schlaflos im Bett und überlege krampfhaft, was wohl Jesus in einer solchen Situation getan hätte.