Читать книгу Wenn der Prophet nicht zum Berg kommt... - Jens-Jörg Plep - Страница 8
Unverständliche Zeichen
ОглавлениеIch betrachte morgens die Bilder in unserem Wohnzimmer. Wenn man die Bilder durch Linien verbindet, erhält man ein umgekehrtes Kreuz - das Zeichen des Satans. Es sind kleine Reproduktionen großer Bilder: die Sixtinische Madonna, ein Selbstbildnis Rembrandts, die Schlummernde Venus und ein nacktes Mädchen von Renoir. Ich nehme die Bilder von der Wand, wickle sie in eine Decke. Irgendwann werde ich sie wieder aufhängen, in anderer Anordnung.
Mein Blick schweift über die Anbauwand im Wohnzimmer. Da steht ein goldfarbener mechanischer Wecker - ein Souvenir von irgendwem, irgendwoher. Seine Feder ist ausgeleiert, er tickt nur noch für wenige Stunden. Ich nehme den Wecker, gehe damit in die Küche. Das linke Küchenfenster ist angeklappt, ich schiebe den Wecker durch den Fensterspalt und lasse ihn einfach zwei Stockwerke hinunterplumpsen. Es scheppert unten - wahrscheinlich ist der Wecker auf ein Auto gefallen.
Ich begebe mich in mein Arbeitzimmer, wo zwei Computer auf mich warten. Ich zünde mir eine Zigarette an und blicke dem Rauch hinterher. In diesem kleinen Raum wird schnell die Luft eng, wenn man raucht. Draußen ist es ziemlich kühl, ich habe also wieder das Problem mit dem Fenster. Dieses Fenster ist nämlich nicht korrekt eingebaut worden, es lässt sich nicht anklappen. Stattdessen kann man es nur ganz öffnen - zu kalt an diesem Morgen! Ich starte meinen Internet-Rechner, beim Hochfahren erhalte ich einen Systemfehler. Mensch, ist das ärgerlich mit den ganzen kaputten Fenstern! Den Computer bekomme ich schnell wieder in den Griff, aber die Luft wird mir jetzt wirklich sehr eng.
Ich balle die Hand zur Faust und zerschlage mit voller Wucht die Verbundglasscheibe. Klirrend fallen Glasscherben zu Boden, ich schaue meine Faust an - wie durch ein Wunder ist sie völlig unverletzt, nicht einmal ein kleiner Kratzer ist zu sehen. Jetzt ist wenigstens genug Frischluft zum Durchatmen im Zimmer. Ich setze mich wieder vor meinen Online-Rechner und tippe:
microsoft.com.
Dort müsste doch irgendwo die Service-Nummer vom Super-Fensterbauer Bill Gates zu finden sein. Soll der doch mit seiner Truppe anrücken und hier mal alle Windows in Ordnung bringen - schließlich habe ich für das neueste Windows-Update ganz schön geblecht! Ich schreibe dem Mann jetzt eine Email:
Windows-CRASH! Send a service team - now!
Nun reicht es mir aber schon wieder - ich bin mit den Nerven am Ende. Ich schalte den Rechner ab und gehe ins Schlafzimmer. Ich werfe mich auf mein Bett und bleibe dort liegen - fieberartig fantasierend.
Angela kommt von der Arbeit, sie sieht sich kurz um und geht dann auf mich los: "Was ist denn hier los? Was hast Du da wieder angerichtet! Wer hat das Fenster kaputt gemacht?" Ich versuche sie zu beschwichtigen: "Mir geht es nicht besonders - ich brauchte einfach Luft.
Wegen dem Fenster kommt dann gleich jemand von Microsoft vorbei und repariert das. Lass mich jetzt bitte ausruhen!"
Meine Frau bekommt einen roten Kopf, sie schreit mich an: "Hör endlich auf, so einen Blödsinn zu machen. Und eins ist ja wohl klar: Microsoft repariert keine kaputten Glasscheiben!" Doch ich bin nur noch müde: „Entschuldige bitte Schatz, wenn ich ein bisschen durcheinander bin. Das wird schon wieder." Beim Sprechen fallen mir die Augen zu, ich lege mich auf mein Bett und schlafe ziemlich lange, aber mein Schlaf ist nicht sonderlich erholsam.
Morgens erwache ich beim Klingeln von Angela's Wecker. Nach der Morgentoilette frühstücken wir gemeinsam, auch unser Sohn sitzt mit am Tisch. Sie geht dann gleich zur Arbeit, etwas später muss Jean-Michel zur Schule. Gerade als ich es mir in der Stube gemütlich machen will, klingelt das Telefon. Es ist Frau Wolle: "Guten Morgen, Herr Plep. In einer Stunde kommt hier ein Kontaktmann in die Dienststelle - der Kommandeur hatte ja mit Ihnen darüber gesprochen.
Fühlen Sie sich gesundheitlich in der Lage, hierher zu kommen? - Ja? - Gut. Wir erwarten Sie dann hier. Auf Wiederhören."
Ich starte mein Auto in Richtung Dölitz, die Sterne sind schon nicht mehr zu sehen, so dass ich mich diesmal nicht von meinem Stern zur Dienststelle leiten lassen kann. Begleitet werde ich von einer losen Eskorte von ständig wechselnden Wagen. In der Dienststelle gehe ich schnurstracks zum Stabsgebäude, zum Vorzimmer des Kommandeurs. Frau Wolle begrüßt mich und schickt mich in einen kleinen angrenzenden Raum, wo bereits ein Herr im Smoking auf mich wartet. So sieht also ein "echter" James Bond aus. Er stellt sich vor: "Ich bin der Herr Meyer vom MAT. Wir können uns hier ganz ungestört unterhalten."
Es sprudelt gleich aus mir hervor: Ich erzähle ihm die ganze Geschichte, wobei ich manchmal nicht weiß, wo ich anfangen und aufhören soll - die Worte spulen sich einfach ab wie auswendig gelernt. Der Mann muss die ganze Story von Gott, dem Universum, von Krieg und Frieden sowie von Kämpfern und Ignoranten über sich ergehen lassen. Dennoch habe ich den Eindruck, dass der Geheimdienstmann nur sehr wenig mit meiner Geschichte anfangen kann. Aber ich habe einen Plan: Eine kleine Gruppe innerhalb der Bundeswehr könnte doch eine Mission durchführen. Wie das genau ablaufen könnte, ist mir selbst noch nicht klar, doch ich sage dem Mann schon mal: „Wenn hier einige führende Stellen im Krisenmanagement versagen, müssen die eben umgangen werden. Sprechen Sie bitte nur mit solchen Leuten über meine Aussagen, denen Sie in dieser Hinsicht voll vertrauen können." Wir verabschieden uns und ich fahre wieder nach Hause, denn ich bin noch für zwei Tage krankgeschrieben.
Am Nachmittag besuchen wir meine Eltern. Angela beschreibt mit vorsichtigen Worten mein Verhalten in den letzten Tagen. Meine Eltern sind darüber sichtlich besorgt, mein Vater fragt mich, wie das alles weitergehen soll. Ich erkläre, dass mein weiteres Vorgehen von der Entwicklung der politischen Lage abhängig sei. Mein Vater sagt nur: „Junge, denke an Deine Familie! Die ganze blöde Politik darf Dir nicht wichtiger sein als Deine Familie!" Wir diskutieren noch ein wenig hin und her, dann verabschiede ich mich: „Möge die Macht mit Euch sein!" Meine Eltern sehen sich verdutzt an, ich lächele beschwichtigend und wir verschwinden.