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Die Stadt der Dschinns

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Dschinns, das sind, wie hinlänglich aus den einschlägigen Geschichten bekannt, Geister und zwar keine guten. In den Tausend und einen Nächten wimmelt es nur so von ihnen. Sie sind jedoch nicht so fürchterlich wie Devs, vor denen man — wie ebenfalls dort nachzulesen — besser gleich auf Knie und Angesicht fällt, um sie respektvoll mit Dev-Effendi oder Dev-Hadratak je nach örtlichen Gepflogenheiten anzureden. Diese ausgewachsenen Dämonen scheinen, wie alle sonstigen unreinen Geister, besonders eitel zu sein und großen Wert zu legen auf bei jeder Gelegenheit entgegengebrachte Ehrfurchtsbezeugungen. An weiteren Fürchterlichkeiten gibt es da noch Ifrits, denen man teilweise nachsagt, sie wären auf Jungfrauen fixiert, oder Ghuls, die so abartig veranlagt sind, dass man besser gar nicht erst von ihnen redet. Wenn es einmal hart auf hart kommen sollte, so ist derjenige fein heraus, der in solch einem Augenblick das "Mu'auwidatan" zitieren kann. Aus glaubhaften Quellen wird versichert, wie daraufhin solchen Kreaturen ganz anders werde.

Von besagten Dschinns ist bekannt, dass sie nicht derart beängstigend übermächtig sind, sehr wohl aber in der Lage arglosen Reisenden einen fürchterlichen Schrecken einzujagen. Ja von Haus aus scheinen sie sich geradezu an allerlei Schabernack gegenüber Menschen zu ergötzen.

Über Suakin wussten wir bislang nur, dass es eine Geisterstadt war, nicht aber, dass dort auch Geister wohnten.

In den letzten Tagen hatte es starke Regenfälle gegeben, was in diesen Gegenden sehr selten war, und so wurde unsere Fahrt durch die nicht endenden Pfützen des ungepflasterten Weges auf beiden Seiten des Wagens von erhabenen Wasserspielen begleitet. Wir gelangten an eine Bucht, in der sich das Bleigrau des Himmels wiederholte, und mitten darin lag kalkig weiß Suakin. Auf der anderen Seite angelangt hielt der Weg direkt auf die Stadt zu, der wir jetzt schnell näher kamen. Nun sahen wir auch, was es war, das der Ferne auf uns so anders und befremdlich erschien. Die meisten Gebäude, besonders die an der Wasserseite gelegenen, waren teilweise eingefallen. Einzelne Mauern oder Reste davon standen herum wie Zahnstümpfe in unregelmäßigem Rhythmus und mit ausgefressenen Kanten. Die ganze Stadt schien auf einer Insel zu liegen. Ein paar Männer kamen hervor und begrüßten uns. Sie wohnten hier auf dem Festland gegenüber Suakin. Wahrscheinlich Fischer, waren sie gerade mit Instandsetzungsarbeiten an umgedrehten Booten beschäftigt. Von ihnen hörten wir zum ersten Mal, dass in der alten Stadt Dschinns wohnten. Niemandem in diesen Breiten braucht man zu erläutern, was Dschinns sind. Wird doch schon kindliches Wohlverhalten mit dem Hinweis auf diese reguliert. Sie warnten uns, dort hinüber zu gehen. Um uns zu vergewissern, dass es nicht nur Gerede sei, machten wir die Probe und boten ein verlockendes Backschisch für eine Führung. Nicht dass sie unwillig oder gar unfreundlich waren. Es war nur so, dass die Furcht vor irgendetwas größer zu sein schien.

Interessiert äugten wir hinüber. Drüben regte sich noch immer nichts. Nur eine Wasserstrasse trennte uns von der alten Stadt. Ein einziger Erddamm führte hinüber. Stumm und bewegungslos starrte uns ein Labyrinth von kalkweißen Mauerresten und Gebäudeteilen mit ihren leeren Fensterhöhlungen an, und spiegelte sich ebenso unbewegt im Wasser darunter. Nichts war daran, was an unsere Zeit erinnerte.

„Was sollte schon sein?“,

ermutigte O-Chang uns.

„Es ist helllichter Tag, wir zu viert, und Geister, die haben sich bei genauerer Betrachtung, noch allemal als Projektionen erwiesen.“

„Aber für alle Fälle“,

fügte ich bei,

„und falls die Natur der sogenannten Geister eine sehr diesseitige Erklärung haben sollte, bitten wir die Männer, wenn wir nicht bis zum Sonnenuntergangsgebet zurück sind, die Polizei zu rufen.“

Reglos schauten sie uns nach, bis wir auf der anderen Seite in die Strasse hineingingen und die erste Biegung uns ihren Augen entzog. Ohne dass es darüber einer Absprache bedurfte, blieben wir eng zusammen. Schweigend und angespannt wachsam bewegten wir uns nach allen Seiten äugend in der Straßenmitte.

Sobald wir von der Wasserfront fort waren, bemerkten wir mehr intakte Häuser. Alle jedoch hatten sie verschlossene Türen und Fenster. Außen an den Türen hingen große Vorhängeschlösser. Folglich mussten diese Häuser noch irgendwelche Besitzer haben, die aber nicht hier wohnten. Nirgends war auch nur ein lebendes Wesen auszumachen. Wir klopften an einige der Türen und riefen durch die Spalten im Holz hinein. Die einzige Antwort war manchmal der Widerhall unserer eigenen Stimmen von den nackten Wänden.

„Eigentlich ist es eine sehr schöne Stadt von eigenartigem Reiz und verdiente als ganzes erhalten zu werden“,

sinnierte ich. Unbeachtet blätterte der Putz von den Mauern, Risse bildeten sich und Teile der Wände stürzten ein. Manche mit Steinhaufen angefüllten Lücken zeigten, dass hier der Verfall schon vollendet war. Einstiger Reichtum war unverkennbar an den prächtigen, manchmal palastartigen Häusern. Die meisten besaßen schöne Ornamentverzierungen. Erlesene Muschrabien, von denen die schützende Farbe herabgerieselt war, überragten die Strassen, und die Sonne ätzte das Holz trocken und rissig. Die Strasse mündete in einen Platz.

„Hier waren ja wohl die Machthabenden zu Hause“,

deutete Bernd auf zwei kleine, dicke Eisenmörser auf Holzlafetten zu beiden Seiten eines Portals. Die gegenüberliegende Seite des Platzes nahm die Hauptsmoschee ein mit einem achteckigen Minarett. Dazwischen ragten an den Wänden Stangen ins Leere, die wohl einmal einen Balkon trugen und immer wieder Haufen von Bausteinen. Beißende Sonne, salzige Luft und der stete Wind vom Meer trieben ihr unaufhaltsames Zerstörungswerk. Nur die Moschee wirkte wie unberührt davon. War sie soviel solider gebaut, oder kümmerte sich doch noch irgendwer um ihre Erhaltung? Auch sie erwies sich als abgeschlossen und von allen Seiten unzugänglich.

Der große Reisende Ibn Batuta kam um 1350 mit dem Boot vom gegenüberliegenden Mekka hierher. Er schilderte die Gegend als ziemlich heiß und öde, in der nur Strauße, Gazellen und Wildesel hausten. Die Stadt Suakin hatte in ihrer Umgebung weder Wasser noch Getreideanbau, nicht einmal Bäume. Wenn die Wasservorräte in den Zisternen aufgebraucht waren, musste Nachschub von weit her auf Schiffen herbeigeholt werden. Dafür hatte die Stadt viele Ziegen und trieb Handel nach Mekka mit Fleisch, Milch, Gazellenfellen und Straußeneiern.

In manchen Gassen mussten wir über Berge von Mauersteinen steigen um weiter zu kommen. Sie waren dicker als die bei uns üblichen Ziegel und nahezu quadratisch. Einige Muschrabien lagen dadurch jetzt in Augenhöhe. Einst sehr fein gearbeitet waren sie eine kostbare Miniaturarchitektur in Holz, die sich nun langsam und unbesehen auflöste. Ihre zierlichen Gitter für sehnsüchtige Blicke auf die Außenwelt gedacht, Trost für eingesperrte weibliche Augen und Seelen, denen wenigstens das Plaisir der Neugierde und der Träumerei belassen bleiben sollte.

„Ich wollte schon immer mal wissen, was dahinter zu sehen ist.“

Bernd kletterte auf einen Steinhaufen und drückte das Auge gegen die engen Maschen im Ornament eines der hölzernen Gitter.

„Und? Was ist?“

„Nichts. Sonst war es immer verboten, und jetzt, wo man 'mal reingucken kann, - nichts als Dunkelheit.“

Ein idealer Naturhafen auf einer Insel in einer geschützten Bucht gelegen, war Suakin Jahrhunderte lang der Umschlagplatz für den Sudan, angelegt von den Arabern, ihren Händlern das Tor zu einem riesigen Hinterland. Ein Hinterland welches von ihnen zunehmend kolonisiert und auch missioniert wurde, lange vor den Europäern. Die frisch bekehrten Gläubigen pilgerten über Suakin gen Mekka. - Das heißt nicht alle sich hier einschiffenden Afrikaner waren Pilger und alles andere als freiwillig in Suakin.

„Ja natürlich“,

überkam es mich. Die anderen schauten mich verwundert an.

„Was ist?“

„Das Gerede von den Geistern. Wenn denn etwas Wahres daran sein sollte, an jenen Geistern, die man die Ruhelosen nennt. Jene, die so Grässliches erlitten, so unerträglich Grausames, dass sie weder unter der Erde noch auf dem Grunde des Meeres ihren Frieden fanden, dann allerdings hätte man Grund, an diesem Ort Geister zu fürchten.“

Das Geheimnis für den Reichtum Suakins beruhte auf einer Kalkulation für dessen Sollseite Andere mit Verzweiflung und Tränen aufkamen. Ganze Dörfer und Stämme zogen in Hand- und Fußeisen an Ketten geschmiedet durch seine prächtigen Strassen zur Verladung in die Schiffe, überfallen und wie Vieh zusammengetrieben oder auch von eigenen skrupellosen Fürsten verschachert. Die, die solches taten und auch am Ende unter dem Schlussstrich den Profit zusammenzählten, sie saßen in Suakin und jenseits des Roten Meeres.

„Biläd As-Sudan“,

Land der Schwarzen, wie die Araber es nannten, musste über die Jahrhunderte ein schier endloses Menschenopfer erbringen. Unvorstellbare, ohnmächtige Wut muss sich an diesem Ort angesammelt haben, Schicksale, die nicht zur Ruhe gelangen konnten.- Nur mit Dschinns hatte das nichts zu tun, die waren etwas ganz anderes. Doch davon wusste ich zu dieser Zeit noch nichts.

Winzige, kaum sichtbare Geister ganz anderer Art waren dazu bestimmt das vorgesehene Schicksal dieser reichen Stadt zu vollstrecken. Korallen mauerten langsam, aber unabwendbar die enge Passage zum offenen Meer zu. Immer kleinere Schiffe nur noch gelangten hindurch. Von 1904 bis 1908 wurde sechzig Kilometer weiter nördlich in einem bisher unbewohnten Küstenstreifen ein neuer Hafen und eine Stadt angelegt: Port Sudan. Eine Eisenbahnlinie von dort nach Khartoum machte die Entscheidung entgültig. Suakin war nur noch verblieben zu sterben. Nach und nach floh die Bevölkerung diesen offensichtlich verfluchten Ort. Lautlos und unaufhaltsam arbeitete die Zeit an seiner Auflösung.

Alle zugleich hielten wir im Schritt inne, wie festgefroren im Augenblick der Bewegung und blickten uns fragend an. Es bedurfte keiner Worte, jeder sah, auch die Anderen hatten es gehört: Ein schleifendes Geräusch, metallisch wie von Ketten und ein Tapsen wie von Schritten. Bildeten wir uns das nur ein? Gar zu prompt war es unseren Gedanken gefolgt. Ja, zugegeben, der Ort hatte etwas Unheimliches und das Gerede über Geister tat das seinige dazu. Aber so weit sollte es nicht kommen, dass wir uns gehen ließen und uns selber etwas vormachten. Diese Appelle an die Vernunft wurden unterbrochen durch eine erneute Folge der gleichen Geräusche. Nun ja, erklärten wir uns selber, wir waren wohl schon so an die Stille gewohnt, dass etwas so natürliches wie Schritte uns als unnatürlich erschienen. Gut, aber was war mit den Ketten? So sehr wir auch versuchten uns zusammen zu nehmen, das Geräusch setzte sich fort, zeigte keine Reaktion auf die plötzliche Stille unsererseits. Wir sprachen leise. Es schlurfte und tapste weiter, in einer bestimmten Folge, einer Art Rhythmus. Wir versuchten dem Phänomen auf den Grund zu gehen. Endlich hinter einer umgefallenen Mauer auf der Rückseite war uns ein Einblick in das Gebäude gewährt. Es war leer und nur mit einem Berg von Steinen in der Mitte angefüllt. Nach oben schaute man in den offenen Himmel. Die Ansätze ringsherum an den Innenmauern zeigten, wo Dach und Stockwerke durchgebrochen waren. Auf diesem Geröll stapften einige Ziegen herum und mümmelten an den unmöglichsten Materialien, immer drei, vier Schritte vorantapsend und eine Kette hinter sich herschleifend. Aber wie kamen diese Ziegen hierher, und wem mochten sie gehören? Unsere Rufe blieben wieder unbeantwortet. Die Ketten waren nicht angepflockt, möglich wäre also auch, dass sich die Tiere irgendwo am Festland losgerissen hatten.

Also wieder nichts mit Dschinns? Jedem ist dieses ganz bestimmte Gefühl im Nacken bekannt, beobachtet zu werden. Dreht man sich schnell genug um, so ertappt man den fixierenden Blick. Dabei folgt man mehr einer schwer zu beschreibenden plötzlichen Intuition als einer bewussten Wahrnehmung. Gleichwie es funktioniert. Hier blieb noch so rasches Umdrehen ergebnislos. Nur wurden wir dieses mulmige Gefühl im Nacken nicht los. Wir rätselten darüber:

„Gut möglich, dass hier Menschen Unterschlupf fanden, die Gründe haben, nicht gesehen werden zu wollen.“

„Wenn dem so ist“,

überlegte O-Chang,

„dann wäre gut denkbar, dass sie auch das ihre dazu getan haben, andere an Dschinns glauben zu lassen.“

„Das hieße für uns auf der Hut zu sein. Wenigstens wissen die Fischer Bescheid und würden die Polizei benachrichtigen.“

„Hast du schon ’mal überlegt, wo eine ist? Wahrscheinlich wäre die nächste in Port Sudan, und bis die hier ist, das kann dauern.“

Leere und Stille wollten auch uns glauben lassen, wir wären abgesehen von einigen Ziegen die einzigen Lebewesen in dieser Stadt. Nichts anderes war zu hören, als das gelegentliche Knacken alter Gemäuer und das Stöhnen des Windes, keinerlei Anzeichen, sei es von Mensch oder Dschinn.

„He, seht mal“,

rief Bernd aufgeregt. Als wir uns umdrehten, war nichts zu sehen, die Erscheinung offenbar schon verschwunden. Jedenfalls behauptete unser Freund eine nahe vorbeisegelnde Dhau gesehen zu haben, das Deck eng gedrängt voller Menschen. Sie wäre für einen Moment am Ende der Straße aufgetaucht, fast schon die Häuser streifend, hinter denen sie sofort wieder verschwand. Als wir dann endlich, über mehrere Steinhaufen kletternd, am Ende der Straße angelangt waren, sahen wir tatsächlich nur einen Steinwurf entfernt eine Dhau. Ruhig und verlassen dümpelte sie auf dem Wasser, am Kai vertäut, als läge sie hier schon lange. Nur, kein Mensch war zu sehen. Wir traten näher heran, riefen hinüber und in die gegenüberliegender Häuser, die ebenso fest verschlossen waren wie alle anderen. Nichts rührte sich, kein Laut war zu hören. Wir schauten Bernd an.

„Ich weiß doch, was ich gesehen habe! Sie war zumindest auf dem Deck brechend voll mit Menschen.“

Er ereiferte sich:

„Außerdem könnte die doch nie allein hier anlegen und festmachen. Da muss wenigstens einer am Ruder sein, einer mit dem Tampen an Land springen.“

„Ist gut, Bernd, wissen wir und glauben wir dir. - Nur wo sind die alle so plötzlich geblieben?“

Auch weiteres Suchen und Rufen brachte keine Lösung dieses Rätsels. An Bord unter Deck waren diese Menschen jedenfalls nicht mehr, soweit konnte man durch die Luken sehen. Die Dhau lag direkt am Ufer und man hatte an mehreren Stellen guten Einblick in den Innenraum. Es war keine Planke zum Kai gelegt. Die einzige Verbindung war das Seil, mit dem sie angetäut war. Wir hätten daran hinüber hanteln können, verzichteten aber auf diesen etwas akrobatischen Akt, denn wir waren uns sicher, dass sich niemand mehr an Bord befand. Schließlich würde man von so vielen Menschen auch irgendwelche Geräusche hören. Nur wo waren sie? Sie müssten alle in Windeseile an Land gegangen sein. Ja und, was dann? Und überhaupt, wozu diese ungewöhnliche Eile? Nach Bernds Schätzung müssten es etwa zwanzig Personen gewesen sein. Wir überlegten: Weggefahren könnten sie nicht sein, dazu waren die Gassen an vielen Stellen entschieden zu eng und teilweise auch noch durch Schutt und einstürzendes Mauerwerk blockiert. Außerdem hätten wir in dieser Stille jedes Motorgeräusch gehört. Das galt auch für ein eventuelles Motorboot. Selbst zu Fuß könnten sie kaum so schnell und geräuschlos verschwunden sein. Sie hatten sich einfach in Luft aufgelöst. Gut, wir werden auf alle Fälle bei unserer Rückkehr die Fischer fragen, schließlich haben die den einzigen Zugang im Auge. Seltsam, wir waren uns sicher, dass wir dort nichts erfahren würden. Eigentlich blieb allein die Möglichkeit, dass alle ziemlich hastig in einem der nächstgelegenen Häuser verschwunden waren. Nur warum diese Eile und dieses sich verbergen? Kein Laut drang aus den fest verschlossenen Mauern. O-Chang sagte, was wir alle dachten: „Genau betrachtet lässt dieses Rätsel nur eine Erklärung zu: Irgendwer hatte da etwas zu verbergen und nicht mit unserer Anwesenheit gerechnet, meinte vermutlich, wir hätten schon viel zu viel gesehen.“

„Ein Geisterschiff voll mit Dschinns, die sich jetzt schnell unsichtbar machen",

spottete Bernd.

„Sehr witzig! Vielleicht war es sogar unser Glück, dass wir nicht mehr gesehen haben. Lasst uns lieber eilen, dass wir weiter kommen!“

Dennoch die Dhau voller Menschen, die so unerklärlich schnell verschwunden waren, hatten wir damit nicht abgeschüttelt.

Am anderen Ende setzten wir uns auf die warmen Kantsteine der Kaimauer und ließen den Blick über das Wasser gleiten. Eine Durchfahrt zwischen zwei flachen, kargen Sandzungen war zu sehen, dahinter das offene Meer. „Tor der Tränen“,

wie immer noch der Ausgang des Roten Meeres genannt wurde, wäre für diesen ebenso zutreffend. Wir starrten auf das glasklare Wasser. Vermutlich hingen wir alle vier ähnlichen Gedanken nach, über das Auf und Ab des Schicksals, bei Städten nicht anders als bei Individuen. Was immer wir hier erwartet hatten, es trat nicht in Erscheinung.

„Wenn möglicherweise irgendwer hinter den Gerüchten stecken mochte, so hielt er sich gut bedeckt“,

sinnierte Hermann.

„Auch wenn wenn hier vielleicht seltsame Dinge vor sich gehen, Geister bleiben, zumindest vorerst und für uns, das was sie schon immer waren: nichts als Projektionen.“

„Es sei denn, man sieht sie weniger persönlich, dafür aber als Personifikationen von etwas ganz anderem“,

warf ich ein.

„So wie gewisse Projekte, bei denen man nicht umdenken kann?“

„Du sagst es.“

Derlei Gedanken kamen an diesem Ort ungerufen. Sie kamen auf leichten Füßen und scheinbar von nirgendwo, wie die kleinen Wellen unter herab baumelnden Beinen, die beschwingt und glucksend gegen den dicken Muschelbelag der Ufersteine schwappten. Es war dieses Stillsitzen, an nichts denken und nur die Bewegung des Wassers betrachten, was es diesen leichten Gedankenwellen ermöglichte mich zu erreichen. Der Zeitpunkt schien angebracht, die Suche nach einer gewissen Sorte anderer Geister fortzusetzen. Kindisch und nach einem nicht gerade bewährten Verhaltensmuster hatte ich mich in dieser Unternehmung festgefahren. Als sie nicht ablaufen wollte wie geplant, war ich mit geschlossenen Augen losgerannt und mit dem Kopf durch die Wand, nichts anderes in der Hand als die Hoffnung, diese Wand möge dünn genug sein. Daumen drücken allein hatte sich als nicht ausreichend erwiesen. Jetzt saß ich mit dem Kopf in der Wand fest. Die bewaffneten Kamelreiter hatten uns zu der Grenzstation Halaib gebracht. Auch wenn die anfängliche Aufregung sich bald gelegt hatte, so bestand kein Zweifel, dass wir wegen illegaler Einreise verhaftet waren. Nach Port Sudan gebracht und dem dortigen Kommandanten vorgeführt, drohte uns eine Anklage und womöglich ein Aufenthalt in hiesigen Gefängnissen, von denen es hiess, dass nur wenige sie wieder gesund verliessen. Anschließend würde man uns dorthin abschieben, wo wir vor vierzehn Tagen schon einmal waren. Höchste Zeit selber zu handeln!

Während der Wartetage auf eine Entscheidung hatte man uns diesen Ausflug gestattet, unsere Pässe in Verwahrung und wohl wissend, dass nach diesen sechzig Kilometern, ohnehin der einzige Weg zurück nach Port Sudan führte. Wir standen vor so etwas wie einem Wächter, dem wir nicht das richtige Losungswort präsentieren konnten. Bei ihm lag es, uns passieren zu lassen, zurückzuweisen oder auch einzukerkern. Gründe genug, den Mann, an dem wir vorbei mussten etwas näher in Augenschein zu nehmen. Erfreulicherweise konnte man sagen, wir waren uns eher sympathisch. Das würde die Sache angenehmer machen, aber keineswegs leichter. Schließlich hatte er keine Veranlassung Position und Karriere auch nur für einen Moment aus den Augen zu verlieren. Darüber hinaus schien er geleitet von ehrlichem Engagement für sein Land. Korrektheit und Fairness bedeuteten ihm offenbar etwas und ließen ebenso wie sein geschliffenes Englisch eine britische Ausbildung vermuten.

„Vor allem die Drohung einer Anklage muss vom Tisch“,

unterbrach 0-Chang meine Überlegungen, der offensichtlich gerade an das gleiche dachte.

„Wenn uns das nicht in den nächsten Tagen gelingt, sollten wir unsere Botschaft informieren und um die Vermittlung eines Anwalts bitten.“

„Übrigens“,

mischte sich Bernd ein,

„unser nicht mehr ganz neuer Wagen macht mir Sorgen. Die Strapazen des Wüstentrips haben ihre Spuren hinterlassen. Genaues kann ich erst sagen, wenn ich ihn in einer Werkstatt mit Hebebühne oder Arbeitsgraben gründlich angesehen habe. Nur eines möchte ich jetzt schon bezweifeln, solch ein Programm, wie wir es uns vorgenommen haben, wird er kaum bewältigen.“

„Das wäre ein Grund mehr zum Umdenken, aber auch, um das Ansinnen einer Rückfahrt über 350 Kilometer Wüste bis Marsa Alam mit ehrlicher Überzeugung zurückzuweisen.“

In Gedanken versunken schauten wir alle auf das sonnenbeschienene, türkisklare Wasser vor uns. Suakin: Elfenbein, Gold, Felle, Edelhölzer und immer wieder Sklaven gingen von hier übers Meer. Verzweiflung und unerträgliche Hitze in den überfüllten Schiffsbäuchen. Aber Suakin war nur der Exporthafen. Die vom rechten Glauben und seiner Überlegenheit durchdrungenen Eroberer kamen von Norden. Sie kamen immer wieder und stets von Norden. Wer sprach heute noch von der arabischen Kolonisation und dem arabischen Sklavenhandel? Gewiss wird seine Geschichte irgendwelche Bücherregale füllen, diskutiert wird nur über die europäische. Die Bedrohung kam noch immer aus dem Norden, nur saß sie heute tief und fest mitten im Land, fester und dauerhafter als die europäischen Kolonialherrschaften je waren, denn mit dem Lande verwachsen, hatte sie so etwas wie Unumkehrbarkeit. Ausgeschlossen davon war nur noch der afrikanisch-animistisch gebliebene Süden. Dieses Land, welchem einst die Araber den Namen "Land der Schwarzen" gaben, nannte sich heute selbst ein arabisches. Darum fürchtete man die Augen anderer Fremder. Es sah so aus, als müssten sie sich noch immer aus dem Norden bedroht fühlen, trotz lautstarker Freundschaftsbeteuerungen sollten die Grenzen scheibchenweise korrigiert werden. Unsere ägyptische Landkarte war dazu angetan, solche Befürchtungen zu bestätigen. Wie so manche Staaten, die statt der tatsächlichen, ihre Wunschgrenzen einzeichnen, war diese 300 Kilometer zu weit südlich, auf sudanesischem Territorium, kurz vor Halaib markiert. Wenn auch wenig glaubwürdig, konnten wir uns doch gut darauf ausreden. Demnach hätten wir noch keine Grenze verletzt.

„Die Initiationsnarben“,

stieß 0-Chang aus, wiederum bei dem gleichen Gedanken angelangt.

„Ja, das ist es! Der Mann, der über unser Schicksal in der nächsten Zeit entscheiden soll, ist höchstwahrscheinlich nicht in muslimischer Umgebung aufgewachsen. Für ihn müssen die illegalen Eindringlinge aus dem Norden eine ganz andere Bedeutung haben. Und damit meinte er nicht uns harm- und ahnungslose Globetrotter.“ „Wir sollten also nur unbeirrt weiter die “Ägyptische Karte“ spielen in der Vermutung, dass sie insgeheim auch die seine ist.“

„Wenn ich recht überlege“,

unterbrach Hermann das Thema,

„so war mir eigentlich etwas aufgefallen, was zu denken gibt.“

"

„Ja?“

„Das Haus gegenüber der Dhau, es war doch verschlossen?“

„Ja, genau wie alle anderen.“ „Nein,eben nicht wie alle anderen. Die hatten draußen ein Vorhängeschloss an der Tür. Dieses aber nicht und wenn ich mich recht erinnere, hatte ich auch kein Schlüsselloch gesehen. Es könnte also nur von innen abgeschlossen sein.“

Man könnte nun sagen: was soll es? Und wir täten besser daran, uns nicht weiter darum zu kümmern. Aber die Neugierde ließ uns einfach keine Ruhe. Als wir wieder vor dem Haus standen, konnten wir in der Tat kein Schlüsselloch entdecken, und unser Rütteln an der Tür bestätigte die Vermutung, dass sie von innen entweder mit einem Vorhängeschloss versehen oder verriegelt sein müsste.

Alle zugleich mussten wir wohl das Knacken über uns gehört haben. Es ist unfassbar, wie schnell der Körper reagiert, wenn man nicht erst nachdenkt. Eigentlich kam überhaupt erst ein Gedanke auf, als wir uns bereits circa fünf Meter weiter links wiederfanden. Selber vermochten wir nicht zu sagen, wie wir dorthin gekommen waren und auch nicht, wieso wir es vermieden hatten, uns dabei über den Haufen zu rennen. Zudem war unsere Aufmerksamkeit in diesem Moment restlos eingenommen von mehreren Tonnen Stein und Mörtel, die direkt vor unseren Augen sich in den Boden rammten. Allein der Luftdruck hätte uns fast umgehauen.

Dass hier hin und wieder Teile von Gebäuden einstürzen, war deutlich zu sehen gewesen. Wir waren ja zuvor über etliche solcher Trümmerberge hinweggestiegen. Nur dass ausgerechnet in diesem Augenblick, als wir davor standen, die ganze Frontwand des oberen Stockwerkes herunterkommen musste. Vor Schreck wie betäubt trollten wir uns davon, ohne das Haus weiter zu inspizieren, wie eigentlich vorgehabt.

Zurück gingen wir einen anderen Weg, vorbei an großen Lager- und Kaufmannshäusern. Mit kaum merklich leisem Zischen rieselte der Sand, oder war es der Mörtel von den Wänden. So viel Reichtum war zu sehen, der Drang ihn für alle Zeiten und alle Augen zu manifestieren, und jetzt kehrte er langsam, fast unbemerkt in die Erde zurück.

Eines Morgens wurden wir wieder in die Kommandantur gebeten. Eine Entscheidung lag in der Luft. Der Kommandant eröffnete uns, eine Anklage wegen illegaler Einreise würde nicht erhoben. Er bat darum die ägyptische Karte als Dokument endgültig in den Akten zu behalten. Im Übrigen müssten wir ausreisen auf dem gleichen Weg, auf dem wir gekommen waren. Wir schluckten kurz, dann betonten wir nochmals, jetzt weit überzeugter und eindringlicher:

„Bei allem Respekt, aber das wäre uns beim besten Willen nicht möglich. Unser Wagen, ohnehin zum Geländewagen wenig geeignet, hatte Schaden genommen. Diese Tour de force ein zweites Mal zu wagen, hieße das Schicksal herausfordern und könnte leicht in einer Katastrophe enden. Andererseits besaßen wir gültige äthiopische Visa, und die Strecke zu dieser Grenze war ungefährlich, sowie weit häufiger befahren. Wir ersuchten darum die sudanesischen Behörden ernsthaft, dieses Problem noch einmal in allen Konsequenzen zu bedenken.“

Mehr brauchten wir nicht zu sagen.

Am Nachmittag des nächsten Tages traf ich Karim, den Nachtportier unseres Hotels auf dem Markt von Port Sudan. „Na, noch ein paar Kleinigkeiten einkaufen für die Feier heute Abend.“

strahlte er wohlwollend.

„Von was für einer Feier sprichst du, Karim?“

„Na, die Wiedersehensfeier.“

„Was für eine Wiedersehensfeier?“

Ich wusste noch immer nicht, wovon er eigentlich redete und musste wohl einigermaßen perplex ausgesehen haben. Jedenfalls erschrak Karim und machte einen Rückzieher.

„Oh, tut mir Leid, ich hab' wohl schon zuviel erzählt.“

Natürlich wollte ich jetzt wissen, wovon er zuviel erzählt hätte.

„Nein, nein, ich hatte versprochen nichts zu verraten.“

Als auch weiteres Eindringen auf ihn immer nur eine Wiederholung der gleichen Beteuerung hervorbrachte, kam mir eine Idee.

„Wie viel hat er dir gegeben?“

„50 Piaster.“

Gestand Karim kleinlaut.

„So ein Geizhals! Manche Leute haben aber auch überhaupt kein Verständnis für einen schwer arbeitenden, schlecht bezahlten Nachtportier.“

Während ich ihm 100 Piaster in die Hand legte, sagte ich:

„Und jetzt will ich alles wissen, wer das war, wie er aussah, was er gesagt hat und so weiter.“

„Nun ja, da kam gestern Abend, es war schon spät und sehr ruhig im Hotel, weil schon alle Gäste schliefen, da kam so ein Typ, ob er einer von euch war oder aus irgendeinem anderen Land des Westens, das kann ich nicht sagen. Jedenfalls sagte er, er wäre ein guter, alter Freund und es wäre eine riesige Wiedersehensfreude. Er wollte sofort zu euch hinauf. Aber das durfte ich nicht zulassen, das hätte mich meinen Job gekostet. Denn da habe ich vom Chef strikteste Anweisung, unter gar keinen Umständen jemanden, der kein Gast ist, hereinzulassen. Als dieser Typ das denn endlich eingesehen hatte und aufhörte mich damit zu bedrängen, gab er mir die 50 Piaster und wollte alles über euch wissen. Wie ihr heißt, woher ihr kommt, wie lange ihr hier bleibt, was ihr im Sudan wollt. Was ihr von Beruf seid, schien ihn besonders zu interessieren, denn er fragte mehrmals nach, ob ihr vielleicht für irgendeine Zeitung daheim arbeitet, oder für eine Regierung, ob ihr viel fotografiert und Notizen macht und derlei Dinge mehr. Schließlich meinte er dann, er würde am nächsten Tag wieder kommen, aber ich dürfte auf keinen Fall etwas sagen, denn es sollte eine große Überraschung sein.“

„Karim, ich kann dich beruhigen, du hast nichts verraten. Im Gegenteil, es war richtig, dass du mir alles erzählt hast. Wenn er ein Freund von uns wäre, müsste er denn fragen, wie wir heißen, woher wir kommen und was wir von Beruf sind?

„Das passt zu dem, was ich beobachtet hatte“,

nickte Hermann.

„So Rumsteher gibt es ja hier an jeder Ecke, und das fällt nicht weiter auf. Dieser stand immer auf der anderen Strassenseite und hatte unseren Hoteleingang im Auge. Hätte mir auch noch nichts dabei gedacht, wäre er nicht prompt uns gefolgt bis vor den Eingang der Kommandantur.“

„Wenn der, oder sagen wir besser, wenn die wüssten, weshalb wir dort einkehren, könnten sie wahrscheinlich wesentlich ruhiger schlafen.“

Zwei Tage später kam wieder ein Sergeant am Morgen ins Hotel und bat uns höflich, ihm in die Kommandantur zu folgen. Sein Chef hieß uns Platz nehmen und fragte, ob Tee willkommen sei. Dann wurde er ernst und sagte:

„Wir haben uns entschieden und dieses ist jetzt endgültig. Es wird ihnen gestattet nach Äthiopien auszureisen mit der Auflage, dass sie mit der Eisenbahn bis zum Grenzort Kassala fahren und ihr Fahrzeug ebenfalls auf die Bahn verladen. Noch irgendwelche Einwände?“

Nein, ganz und gar nicht. Er schickte den Sergeanten mit unseren Pässen und der Anordnung hinaus, die entsprechenden Vermerke hinein zu stempeln, während er mit uns noch ein wenig über unsere sudanesischen Eindrücke plauderte.

Gleich hinter der Verladerampe der Bahnstation begann die Wüste. Schnurgerade durchteilten die beiden parallelen Linien der Schienen den Sand, bis sie sich am Horizont darin verloren. Erstmals seit längerer Zeit kam wieder diese erwartungsvolle Unruhe des Reisens auf.

“Wo bleiben denn unsere Freunde“,

sorgte sich O-Chang.

„Vielleicht haben sie sich jetzt beruhigt, wo offensichtlich ist, dass wir abreisen.“

„Jedenfalls sollten zwei von uns den ganzen Zug absuchen, sowie er in Fahrt ist.“

Bernd und ich blieben zurück im höhlenartigen Halbdunkel des Waggons.

„Kein weisses Gesicht im ganzen Zug“,

berichteten die Beiden, als sie zurückkamen.

Mit der Luft kamen bald nach der Abfahrt Unmengen von Staub herein, das Dämmerlicht noch mehr verdunkelnd. Schemenhaft nur waren die Umrisse der allernächsten Umgebung auszumachen. Gelegentliche tastende Erkundungsausflüge bis an die offenen Türen der Plattform, brachten keine neuen Erkenntnisse, es sei denn die, dass draußen nach wie vor gleißender Tag war. Nichts wies daraufhin, ob wir uns noch auf der gleichen Stelle bewegten oder vielleicht schon hundert Meilen weiter. Als Basis einer kilometerhoch in den Himmel aufsteigenden Staubsäule, schob sich der Zug durch endlose trockene Ebenen. Nur einmal, wie eine Einblendung von längst Vergangenem, oder auch von dem was uns noch erwartete, sah ich eine Gruppe von Bereschinje mit ihren Kamelen, die ersten wilden Nomaden. Diesen Staubgeborenen, ledrig dunkelbraun gegerbten konnte die Sonne nichts mehr anhaben. Marionettenhaft schwebten die eleganten Körper über den Sandboden, an der Holzstange über den Schultern wie aufgehängt, die Arme lose darüber geworfen. Staub hatte ihre krausen Haarwuschel eingepudert und war die Farbe ihrer losen Röcke. Lange Schwerter in roten Lederetuis baumelten an den Hüften, Relikte einer anderen Zeit.

Ein Gefühl des Versinkens in der Leere übermannte mich, in einer Wüste der Empfindungen und Wahrnehmungen. Es tilgte jedes Maß für Zeitabläufe. Waren inzwischen Stunden, Wochen, Monate vergangen, oder befand ich mich in einem zeitlichen Stillstand? Erlebte ich jetzt, was immer schon die Wirklichkeit ausmachte, und war alles andere nur Einbildung? Tatsächlich verfing ich mich in derart absurden Grübeleien, bis mir wie eine plötzlich auftauchende Orientierungsmarke der Gedanke kam, dass es inzwischen Nacht geworden sein musste. Das Dämmerlicht war mittlerweile völlig von der Dunkelheit aufgesogen. Außer den Stößen der Räder, der zunehmend härter werdenden Holzpritsche und einer dem Schweiß überdrüssigen Kleidung, konnte ich nichts wahrnehmen. Die Fahrt glich einem nicht enden wollenden Fiebertraum. Der üblichen Anhaltspunkte verlustig, gingen meine Sinne immer mehr dazu über, ihr eigenes Programm einer irrealen Welt zu kreieren. Die Trennwände zwischen Wirklichkeit und Phantasie weichten auf. In diesem Zustand weder wach noch schlafend, vermochten traumartige Bilder an die Oberfläche zu gelangen. Bilder von dem, was mich die letzte Zeit so beschäftigt hatte: Die Reise ins Ungewisse, in ein verbotenes Land, in eine andere Zeit. Visionen, unbekannte Erscheinungen aus fernen Epochen jenseits dokumentierter Geschichte. Zeitalter, die sich sonst im Flimmern der Legenden verloren, zeigten sich in ungeahnter Pracht, reich an Geschehnissen, die unser Bewusstsein auf anderen Wegen nur vereinzelt und zaghaft erreichten in der Sprache längst vergessener Symbole. Verleugnete Gestalten aus Mythen und frühen Kapiteln der Überlieferung nahmen Konturen an, wurden zu Lebenden mit all der Vorläufigkeit des Menschseins. Dunkle Berge an denen die Regenwolken anlegten, Täler chaotischer Urwälder dazwischen, Vulkane am Rande der Sandmeere und blühende Gärten zu ihren Füssen. Langhaarige, braune Menschen, die den Mond anbeteten, imposante Bäume mit allerlei Zierrat behangen und auserwählte Steine solange mit Öl einrieben, bis sie den Glanz der Sonne wiedergaben. Sich noch der Zeiten unfassbarer Fruchtbarkeit erinnernd, da sie arglos waren wie die Tiere, huldigten sie dem Steinbock. Sein Gehörn war ihnen Symbol der gleichermaßen geformten Sichel des Mondes, magischer Garant für Regen, Fertilität, für Leben. Die Strenge der Wüste gemahnte sie ständig an die Ungewissheit des Weiterlebens, ein immer aufs neue erlangtes Geschenk. Tief standen sie in der Dankesschuld. Auch noch so viele Opfer vermochten diese nie aufzuwiegen.

Voll Faszination beobachteten sie jene großen Tiere mit dem seltsamen Wuchs und den traurigen Augen, die immer wieder aus der Wüste auftauchten und als einzige Wesen Kenntnis zu haben schienen, von dem was jenseits diesem Ende der Welt vorging. Eines Tages waren diese Tiere gefangen, bezwungen und zugeritten, ihnen ein mürrisches Einlenken abgetrotzt, völlig unterwerfen sollten sie sich nie. Ausgerüstet mit zugenähten und abgedichteten Ziegenbälgen, die sich mit Wasser füllen ließen, hob die Zeit der großen Reisen an. Das geschah noch Hunderte von Generationen bevor andere im Norden begannen die Zeit aufzurechnen, ausgehend von dem fiktiven Geburtsjahr eines jener vielen Propheten. Jenseits der Wüsten entdeckten sie immer neue Länder, sogar neue Meere. Nach Monaten, manchmal Jahren kehrten die Karawanen zurück, beladen mit wundersamen Dingen, ohne die man sich schon bald ein Leben nicht mehr vorstellen konnte. Mit scharfem Blick spürten sie die Bedürfnisse und Begehrlichkeiten fremder Völker, entdeckten jenseits von Neugier und Abenteuer die Möglichkeiten des Lebensunterhaltes. Bislang unbekannter Reichtum an Gütern häufte sich an, aber auch Menschen in ungewohnter Anzahl und Nähe zusammenlebend in wundersamen Gebilden aus Lehm, Städte von denen nicht einmal mehr die Namen erhalten sind. Häuser wuchsen in den Himmel und Tempel aus kunstvoll behauenem Stein. Propheten, Magier erschienen und solche, die die Wahrheit suchten in der Beobachtung aller Dinge im Himmel und auf der Erde. Aber auch Hüter eines Wissens aus längst vergessenen Zeiten gab es, unsichtbare Bruderschaften, hoch geachtet, mit Dingen dieser Welt nicht zu verführen. Oft unverständlich ihr Sinn, jedoch von zweifelsfreier Reinheit, suchten nicht selten die Mächtigen ihren Rat, lenkten sie behutsam und weit vorausschauend so manchen Gang der Dinge.

Alte Besitzzeichen der Eigentümer auf den Tieren und magische Symbole formierten sich zu einer Ordnung, in der sich Mitteilungen festhalten und überbringen liefen, Ereignisse von Bedeutung, und die Namen der Mukarrib wurden so in den Stein geschlagen zur Erinnerung allen Nachfolgenden. Ein Netzwerk von Terrassen mit bewässerten Gärten wuchs an den Berghängen empor, hoch über die Täler hinaus. Reichtum und Kunde aus fernen Ländern häufte sich an. Alle Welt verlangte nach den duftenden Harzen aus dem Lande Hadramaut im Osten. In allen Königreichen und zu allen Göttern wurde damit geräuchert, um die Sinne zu betören, in religiöse Ekstase zu geraten und um den Gestank der Schlachtopfer zu vertreiben. Die mächtigen Könige im Lande am Nil benötigten es obendrein zu ihrer Einbalsamierung nach dem Tode. Einige Kaufleute waren bis dorthin gekommen und erzählten unglaubliche Dinge. Der große Karawanenweg, Hauptverbindung zur Außenwelt und Fluss allen Reichtums, die Weihrauchstraße genannt, führte aus dem Hadramaut kommend immer weiter nach Norden, zur Linken am Gebirge entlang, zur Rechten die Wüste neben sich, bis zur Niederlassung Gaza. Siebzig Tagesreisen fern am nördlichen Meer, wo man auf die Händler vieler Völker traf. Das waren siebzig beschwerliche Tage durch ödes Land, wo nur Dschinns die Sinne verwirrten oder Dämonen und andere Feuergeborene dem einsamen Reisenden auflauerten. Auch hatte der Reichtum der Karawanen sich nicht geheim halten lassen. Einige Beduinenstämme hatten sich ganz auf Raubüberfälle verlegt. Jederzeit konnten sie aus dem Nichts auftauchen.

„Im Namen Allahs, des Gnädigen, des Barmherzigen. Sprich: Ich nehme meine Zuflucht beim Herrn der Morgendämmerung“,

hörte ich es murmeln hinter meinem linken Ohr. Die weiteren Worte versanken in der Unkenntlichkeit, dem Gestammel eines Träumenden. Richtig, ich saß immer noch in einem Eisenbahnwaggon, der durch die Nubische Wüste rollte. Dieser Gedanke ließ sich nicht festhalten, war doch absolut nichts zu sehen, was ihn bestätigte. Wozu auch, ging es mir noch flüchtig durch den Kopf, und dann befand ich mich wieder in den blühenden Palmenhainen Südarabiens. Die Menschen kamen herbeigerannt um jene riesigen, gezähmten Tiere aus dem Lande Hind zu bewundern, deren bloßer Anblick auf dem Schlachtfeld den Gegner bereits in Panik versetzte. Ihre verspielte Seele war entzückt von dem unentwegt lockeren Schlenkern des Rüssels und schuf für diesen markanten Körperteil eigens den Namen „Mulamlilam“. Der Handel hatte unerschöpflichen Wohlstand gebracht, nicht nur durch die Karawanen, die durch die Lande zogen. Auch Schiffe überquerten jetzt das Meer und kehrten zurück mit Gold, Fellen, bunten Federn und Elfenbein aus den jenseitigen Ländern der schwarzen Menschen. Mehr noch, erfahrene Kapitäne studierten die regelmäßige Wiederkehr der Winde und fanden heraus, wie sie, zur rechten Zeit die Segel gesetzt, vor ihnen hertreiben konnten bis an die fernen Küsten des Landes Hind, und auf die gleiche Weise einige Monde später zurück. Manche gelangten noch weiter bis ins Reich der tausend Inseln. Exotische Gewürze, Gewebe, die so fein waren, dass sich ein ganzes Gewand durch einen Fingerring ziehen ließ und andere Wunderdinge brachten sie mit. Ungeheure Geschäfte mit den Ländern des Nordens taten sich auf, und auch die Duftharze wurden unvermindert begehrt. Seit jenen Tagen wähnten die Anderen Südarabien nicht nur als das Herkunftsland von Weihrauch und Myrrhe, Gold, Zimt und Seide, sondern auch als den Ursprung so mancher Wunder und Geheimnisse des Orients. In der Tat gelangte an seine Küsten aus Asien noch ganz anderes als nur Handelswaren.

Heimkehrend aus dem Norden brachten die Kaufleute große Mengen kleiner, runder Metallscheiben mit. Ihr Tauschwert war allgemein anerkannt und erleichterte den Handel erheblich, sodass auch auf den Märkten der eigenen Städte man rasch Gefallen daran fand. Bevor man jedoch anfing eigene Münzen zu schlagen mit dem Bildnis des Mondgottes Illumqu, benutzte man geraume Zeit jene mit dem Abbild einer Eule und auf der anderen Seite dem Namen einer Stadt jenseits des nördlichen Meeres. Deren Bewohner argwöhnten schon des längeren, dass Südarabien doch nicht das Ende der Welt war. Auch gingen ihnen die Augen auf über die wahre Herkunft von Seide, Zimt und anderem begehrten Luxus, als Agatharchides die Kunde verbreitete über ein Land Hind und die sabäischen Handelsniederlassungen an dessen westlicher Küste.

In den fruchtbaren Tälern und entlang der Weihrauchstraße reihten sich wie an einer Perlenschnur immer neue Städte auf. Die prächtigste unter ihnen war Marib, wo der König der Sabäer residierte. Schon lange waren diese kein Stamm mehr, sondern ein Volk, das andere in sich aufgesogen hatte, und statt wie zuvor von Raubüberfällen zu leben, den eigenen Handel betrieb. Seit sie sich aufs Verhandeln verlegt hatten, sahen sich die Minäer genötigt immer höhere Schutzgelder an sie zu zahlen für den unbehelligten Durchzug ihrer Karawanen. Den Sabäern gefiel es, immer näher in die Nachbarschaft der Minäer zu ziehen und ständig höhere Forderungen, die sie jetzt Zölle nannten, zu stellen. Eines Tages nahmen sie sich alles, die Karawanen, die Stadt Qarnaw, das Reich.

Unweit der Stadttore Maribs hatte König Summu-Alaja einen gewaltigen Staudamm erbauen lassen, mit einem verwirrenden System von Kanälen und Schleusen. Weit über die Landesgrenzen hinaus gerühmt als eines der Wunderwerke der Welt, verwandelte er die Umgebung der Stadt in eine riesige Oase. Nur wenige Tagesreisen östlich hatte das Königreich Hadramaut seine Hauptstadt Schabwa errichtet. Noch immer kontrollierte es den Anbau des Weihrauchs im entferntesten Winkel seines Landes. Wenige nur bekamen ihn zu Gesicht. Tödliche Düfte, hieß es, strömten die Gewächse aus, und nur Verdammte arbeiteten in den Plantagen. So gefährlich wären diese Ausdünstungen, dass selbst ein zu nahes Vorbeisegeln an der Küste elendiges Siechtum bescherte. Darüber hinaus gehörten dem Hadramaut die Häfen am südlichen Meer, in denen die aus Hind zurückkehrenden Schiffe anlegten.

Andere alte Königreiche wie Kataban und Ausan waren schon Saba untertan. Auch über das Meer im Westen hinaus ragte seine Macht bis tief in das Goldland Punt. Zuerst den Hafen Adulis, sodann etliche andere Städte in den Bergen hatte es errichtet. Viele waren dort geblieben, wie der Stamm der Habascha aus dem äußersten Osten Hadramauts, nahe den heiligen Weihrauchhainen. Nach ihnen wurde das ganze Land benannt. Andere Stützpunkte und Kolonien zogen sich bis weit nach Süden an der Küste des dunklen Kontinents entlang. Am nördlichen Ende der Weihrauchstraße, dem Umschlagplatz Gaza, im einstigen Reich Solimans, herrschten eines Tages die Rumi. Das ganze Land hatten sie nach dem kleinen Volk der Philister "Palästina" benannt, nicht zuletzt, um damit die aufsässigen Israeliten und Judäer zu demütigen. Der Handel florierte davon unvermindert, obwohl die Rumi neugierig geworden auf den legendären Reichtum der Südaraber ein Heer aussandten. Mit einiger Gelassenheit konnte man dessen Tun beobachten, wohl wissend, dass Entfernung und Logistikprobleme in dem endlosen Ödland für eine Invasion entschieden zu groß waren. Wie erwartet endete dieses Abenteuer in einem Fiasko, und die Rumi verzichteten auf ein weiteres solcher Art, trotz der verlockenden Schilderungen ihres Schreibers Strabo, die den tatsächlichen Reichtum und Luxus des "Arabia felix", wie er sich ausdrückte, noch übertrafen. Weit gefährlicher wurden die ehemaligen Brüder im Lande Habascha. Eines Tages kamen sie über das Meer, besiegten nach und nach ganz Südarabien. Vor ihren Heeren trugen sie silberne, in der Sonne glitzernde Kreuze. In den Stein der eroberten Tempel schlugen sie immer wieder die Worte „Im Namen des Erbarmers und seines Sohnes Krestos, des Siegers". Da waren viele, die ihren neuen Glauben annahmen, nur nicht jene, die nach den Lehren des Musa lebten. Auch das waren nicht wenige, denn seit den Zeiten des weisen Königs Soliman, der nicht nur über die Menschen, sondern in seinem Reich auch über die Tiere, Dschinns und Dämonen herrschte, und der so mächtig war, dass er Geister in Flaschen verbannen konnte, die er mit seinem Siegel verschloss, gab es zahlreiche Verbindungen zwischen Saba und dem Land der Judäer.

Das goldene Zeitalter hatte erstaunlich lange gewährt. Es ging zu Ende, als die Junan, die Kaiser des neuen östlichen Rum und Verbündete der Habascha, weil sie schon lange die Zusammenhänge ahnten, auch hinter das Geheimnis der Monsunwinde und des Seeweges nach Hind kamen. Ein Unglück erscheint bekanntlich selten allein: Der Weihrauch war auf einmal weit weniger gefragt, und die Perser besetzten die alten Reiche Südarabiens. Zumindest sollten sie nicht lange Freude daran haben. Im Norden auf halber Strecke der Weihrauchstraße, in der einst von den Minäern gegründeten Niederlassung Jathrib, die sich jetzt nur noch Medina - die Stadt nannte, sammelte der Prophet Muhammad seine Scharen. Sie trugen das Feuer der Gewissheit in sich, niemand sah sich in der Lage ihnen zu widerstehen. Die alten Götter, aber auch die alten Tempel, Städte, Inschriften und Überlieferungen verdammten sie als kufi, Machwerk des Unglaubens aus den Zeiten der Unwissenheit. Was davon nicht zerstört wurde, zerfiel oder wurde als Baumaterial verwandt. Der Welthandel ging nun andere Wege, auf Straßen, die weitab durch nördliche Länder führten. Auch die Zentren der Macht lagen Tausende von Kilometern entfernt und jenseits der Wüste in Damaskus und Baghdad. Südarabien war zur abgelegenen, bedeutungslosen Provinz geworden. Der neue Name für das ganze Land drückte genau dieses aus: Jemen, was hieß "rechts", rechts von Mekka, wovon sonst?

Es wurde jetzt zu einem sonderbaren Land am Rande der Welt. Jahrtausende von Kultur und Geschichte ließen sich nicht einfach in die Verbannung schicken. Heimliche Kultstätten, Relikte alter Riten und Bräuche hielten sich weit länger als irgendwo sonst. Große jüdische Gemeinden konservierten ihr Eigenleben, abgeschnitten von ihren Glaubensbrüdern in der übrigen Welt, bis sie getreu der Verheißung auf Adlerschwingen nach Israel heimgeflogen wurden. Unangefochten lebten christliche Minderheiten, bis sie auf noch ungeklärte Weise verschwanden. Der Reste alter Städte, Staudämme, Bergwerke, Opfersteine und Burgen waren weit mehr, als selbst Generationen abtragen konnten. Manche bedeckte der Wind mit dem Sand der Wüste. Die Bewohner hegten den Glauben an Geister oder an märchenhafte Schätze darin, und argwöhnten allen Fremden, die sich ihnen auch nur näherten. Überhaupt Fremde, besser sie blieben fern, brachten sie doch nur Probleme. Wie sollte man gemäß dem Gastrecht für ihre Sicherheit bürgen, wo man doch des eigenen Lebens nicht mehr sicher war? Das Land war zerrissen und in den Händen von unzähligen kleinen Herren, deren Macht meist nicht weiter reichte als der Blick von den Zinnen ihres Husn. Gar zu viele suchten ihren Lebensunterhalt im Raub. Die Geschichte war im Lande „Rechts von Mekka“ stehen geblieben. Den Imamen der Zaiditen, einer schiitischen Sekte, war es gelungen, für sich eine Erbmonarchie zu etablieren. Mit jenem religiösen Eifer, der sich stets so gern mit dem Abscheu gegen alles Fremde und Neue verbindet, bewahrten sie im Jemen nahezu unverändertes orientalisches Mittelalter.

Der Nimbus des mysteriösen, verbotenen Landes hatte die Vorstellung fremder Autoren und Leser mit diversen Geheimnissen bestückt. Von den tatsächlichen wurden einige durch Berichte bekannt, nur wenige näher besehen. Die meisten Fundorte waren nur nach dem Hörensagen in Karten eingetragen, bestenfalls flüchtig besehen, oft unter Lebensgefahr in Eile notiert und skizziert.

Jetzt hellwach, bemerkte ich, dass der Zug zum Stehen gekommen war. Der Staub hatte sich gelegt, und das Licht eines anderen Morgens drängte durch die Türen. Atbara hieß die Station, wie der Nebenfluss des Nils, an dem sie lag.

Was als Reiseziel immer noch sehr weit von der Verwirklichung entfernt lag, jenseits vielerlei Hindernisse und Unwägbarkeiten, bislang nur durch Lektüre angeheizte Phantasie, tauchte am Ausgang dieser Traumbilder als Gewissheit auf. Irgendetwas hatte sich verändert, folgte einem unsichtbaren Ablauf. Die Inhalte dieser Bilder bewegten sich auf mich zu.

Es sah so aus, als kämen auch die jüngsten Ereignisse meinen Plänen entgegen. Im September 1962 holte die Revolution den Jemen aus der Versenkung eines tausendjährigen Dornröschenschlafes. Es ging nicht allein um die Beseitigung einer despotischen Monarchie, es ging auch um den Anschluss an die Neuzeit und die Außenwelt. Lebte doch das Land Rechts von Mekka absichtlich völlig isoliert, betrieb kaum Außenhandel, und hatte nur in wenigen Hauptstädten der Welt eine diplomatische Vertretung. Es führte sein introvertiertes Eigenleben, der Weltpolitik abgekehrt. Lediglich die Engländer besetzten 1839 Aden, den wichtigsten Hafen und verhalfen einigen Dutzend kleiner Sultane und Scheichs im südlichen und südöstlichen Landesteil zu bevormundeter Unabhängigkeit.

Am Nachmittag erreichten wir Kassala, Endpunkt der Strecke. Die zackigen Berge über der Silhouette der Stadt gehörten schon zu Äthiopien.

Das Halbmondamulett.

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