Читать книгу Das Halbmondamulett. - Jens Petersen - Страница 9
Wegelagerer, Magier, Lustschlösser und die Lust der Sprachlosigkeit
ОглавлениеVor der Weiterfahrt nach Süden stiegen zwei mit Karabinern bewaffnete und Patronengurten umhangene Polizisten zu, zum Schutz gegen die Schiftas.
„Die Aussicht auf einen Schusswechsel an irgendeinem einsamen Hinterhalt finde ich ungemein beruhigend“,
kommentierte O-Chang. Noch jemand wachte über unser Heil, mit Argusaugen war Amhar dahinter, dass wir keinen Cent zuviel zahlen mussten, auf dass sich jeder korrekt verhielt, sei er nun Busfahrer, Kellner, Hotelier oder wer auch immer. Für unsere Verhältnisse ließ es sich äußerst preiswert hier leben. Gerade das aber wollten wir nicht zur Schau stellen, nicht zuletzt weil einfältige Ausländerfreunde Amhars Stolz ebensolche Pein verursacht hätten wie neppende Landsleute. In schier nicht enden wollenden Kehren ging es hinunter in das Tal des Terkazeflusses bis auf nur 500 Meter über dem Meeresspiegel. Auf der anderen Seite begann die Provinz Begemder mit einem noch längeren Aufstieg über Serpentinen bis zum 2800 m. hohen Wokefitpass. Die Berglandschaft wurde immer wilder und grandioser.
Hinter einer der zahllosen Kurven, von denen die dreiundfünfzigste ebenso aussah wie die erste, und die stets den gleichen Ausblick boten auf schroffen, erhitzten Stein mit ein wenig verdorrtem Gras und Gestrüpp dazwischen, welcher an der Felskante der nächsten Kurve unweigerlich endete, stoppte der Bus ruckartig und stellte sein Schnaufen ein. Alle sprangen auf und rannten nach vorn. Außer dem Summen von Fliegen war plötzlich nichts zu hören. Auf dem Schotter der Piste stand ein vom Rauch geschwärzter Bus. Eine Garbe Einschusslöcher im Blech oberhalb der Fensterreihe war als deutliche Perforationslinie zu erkennen. Am Straßenrand daneben hockten zwischen ihren Gepäckstücken einige Passagiere. Die ohne Gepäck oder mit nur wenigem, tragbaren hatten es vorgezogen zu Fuß weiter zu ziehen. Auch die Schiftas waren längst, wenn nicht über alle Berge, so doch über den nächsten, von wo ab es bereits ziemlich aussichtslos war, sie zu verfolgen. Sie waren diesmal politische, zum Glück der Passagiere. Niemand wurde beraubt, die Herren Wegelagerer gaben sich sogar zuvorkommend höflich. Jeder wurde über die hohen Ziele ihrer Bewegung aufgeklärt und Ortsfremde ermahnt, nicht mehr die Provinz Erithrea zu besuchen - jedenfalls solange sie noch nicht befreit wäre - durch die Vortragenden, versteht sich. Zum Abschluss durften alle dem Anzünden des Busses und dem Absingen einiger Befreiungslieder beiwohnen.
Die Passhöhe bot eine endlos anmutende Aussicht über die Semienberge bis auf den 4555 m. hohen Ras Dedschan. Wieder hinab ging es in eine weiträumige, liebliche Landschaft, eingefasst von den verschiedensten manchmal recht bizarren Bergformen wie Kegeln, Kuppeln, steil herausragenden Stiften und Zuckerhut ähnlichen Gebilden.
Wir waren seit dem Mittagessen in einem dieser kleinen Speiserestaurants noch nicht weit gekommen, als in einem kleinen Ort erneut ein längerer Aufenthalt angesagt wurde. Wegelagerer schieden als Ursache aus, diesmal war es einer der Passagiere, der, wie er überzeugt war, mit dem Recht an seiner Seite, sich weigerte zu zahlen. Aufs Ausgiebigste dargelegte Argumente standen in Aussicht, und man schickte nach einer Amtsperson. Die Wartezeit schien nicht in Betracht zu fallen, und ein Ende war bei weitem noch nicht abzusehen.
Vor einigen Häusern fiel uns ein Stab auf, gut sichtbar in die Erde gesteckt mit einem umgestülpten Becher darüber. Eher wissensdurstig näherten wir uns einer hinter Stab und Becher offenstehenden Tür. Eine Frau kam uns entgegen, Amhar brauchte nicht zu übersetzen, ihre Gesten waren unmissverständlich. Als wir den schlichten, weißgekalkten Raum betraten, sahen wir schon vier Männer an dem einzigen, langen Holztisch sitzen. Sie deuteten freundlich an, doch neben ihnen Platz zu nehmen. Der Becher auf dem Stab, übersetzte jetzt Amhar, bedeutete nichts anderes, als dass frischgebrautes Tedsch zum Ausschank bereit stünde. Der erzwungene Aufenthalt schien, wie so oft gerade das Unvorhergesehene, noch etwas bereit zu halten. Höchst verheissungsvoll funkelte das hereinfallende Sonnenlicht in der goldgelben Flüssigkeit der bauchigen, kleinen Flaschen mit dem engen Hals.
Tedsch sollte ein Honigwein sein, und seine Beschreibung erinnerte an die des alten, germanischen Mets. Neben den Flaschen standen kleine Emaillebecher. Ein Löwe war darauf abgebildet, der ein Kreuz schulterte und den unteren Balken mit der rechten Tatze umfasst hielt. Ein in den letzten Tagen häufig gesehenes Symbol, der "Löwe von Juda", Wappen des Landes und Titel seiner Kaiser.
Beim Anstoßen mit den vier Männern stellte sich heraus, dass einer Englisch sprach. Was als arglos gemütliche Plauderei angefangen hatte, sollte sich unerwartet zu einem immer fesselnderen Gespräch entwickeln. Anfänglich hatten wir sie, der sehr einfachen auf dem Lande üblichen Kleidung wegen, für schlichte Dörfler gehalten. Nun erschienen uns die Vier erstaunlich gewandt und von einer ungewöhnlichen Selbstsicherheit. So nahm das Unerwartete seinen Lauf, als wir beiläufig vermuteten, sie wären wahrscheinlich Kaufleute auf der Durchreise. Sie sahen sich kurz an mit sparsamen Lächeln, aber einem merkwürdigen Glitzern in den Augen. Anschließend musterten sie uns eine Weile nachdenklich, als gäbe es da irgendetwas zu überlegen.
„Nein“,
sagte gedehnt schließlich der Eine, immer noch mit diesem unerklärlichem Lächeln.
„Ich muss euch enttäuschen, ihr liegt mit eurer Vermutung weit daneben. Wir sind alle Vier Silberschmiede.“
Aller Augen richteten sich in diesem Moment auf Amhar, der von einem plötzlichen Unbehagen befallen, nervös auf der Bank hin und her rutschte. Die hereinbrechende Stille war ihm dabei alles andere als hilfreich. Bevor wir noch etwas zu seiner Beruhigung sagen konnten, setzte unser Gegenüber das argloseste Gesicht auf, um sich die Frage zu gönnen:
„Habt ihr eine Ahnung, warum euer Freund auf einmal so nervös wird?“
„0h ja“,
nahmen wir das Spiel auf,
„und wir wissen sogar noch mehr.“
„So, was denn?“
„Dass dazu absolut kein Grund besteht.“
„Und wieso nicht?“
wollte der Schelm unbedingt noch wissen.
„Weil es noch lange hin ist bis Sonnenuntergang“,
setzte 0-Chang drauf. In das allgemeine befreiende Gelächter konnte nun auch Amhar einstimmen.
„Aber das ist auch schon alles, was wir darüber wissen“,
mussten wir zugeben, nicht zuletzt in der Erwartung daraufhin mehr zu hören.
„Dann wisst ihr ebensoviel wie die meisten unserer Landsleute.“
„Wir würden gern so einiges mehr erfahren, wenn es euch nicht unangenehm ist?“
Wieder schauten sie uns eine Weile prüfend an.
„So, das würdet ihr? Das Problem ist nicht, dass es uns unangenehm sein könnte, sondern ob ihr bereit wäret ungewöhnliche Dinge zu hören. Ich meine auch solche, die sich schwer vertragen mit dem, was ihr zu glauben gewohnt seid, die sogar in der Lage sind den friedvollen Schlaf eures Weltbildes zu stören.“
Nach einer weiteren Musterung und kurzem Blickaustausch schienen sie zu dem Entschluss gekommen, uns solches zumuten zu können.
„Nun gut, dann fragt!“
„Wie kommt ihr zu diesem Ruf?“
Wollten wir als erstes wissen. Das wäre eine lange Geschichte und läge schon sehr weit zurück, aber wenn wir gewillt wären sie anzuhören, stünde dem nichts im Wege. Um diese Dinge Außenstehenden verständlich zu machen, müsste man folgendes vorausschicken:
„Die wahre Ursache“,
erklärte er,
„lag genau genommen darin, dass jeder der sich mit Dingen befasste, die seinen Mitmenschen unerklärlich waren, mit deren Spott, aber schlimmer noch mit deren Angst und Feindseligkeit rechnen musste. Daran hat sich bis auf den heutigen Tag nichts geändert. So wie die Dinge liefen, wurde eines Tages gemunkelt, die Schmiede wären Magier. Boshafte Nachrede allein war es nicht. Tatsächlich hatten einige von uns sich längst mit dem befasst, was man Magie zu nennen beliebt.“
So also sehen Magier aus, dachte ich, und betrachtete nachdenklich die braunen Gesichter, die mir jetzt auf einmal ganz andere zu sein schienen, als jene beim Eintritt in dieses Haus. Magier - so etwas gibt es doch nur im Märchen. Bislang hatten wir uns ebenso angestrengt wie vergeblich bemüht, Amhar an dieser fortschrittlichen Erkenntnis teilhaben zu lassen. Jetzt saßen wir selber gleich vieren gegenüber, die behaupteten solche zu sein, und waren unserer Sache nicht mehr so sicher. Noch vor kurzem hätte ich sie ohne weiteres für Bauern oder Hirten gehalten. Schlagartig wurde ich aus diesen Gedanken gerissen, überrumpelt von einer dräuenden Stille. Er hatte unvermittelt aufgehört zu erzählen, mitten in seiner Erläuterung. Dafür starrten alle Vier uns unbewegt an. Erst war ich verwundert, wohl auch etwas irritiert, wusste nicht, was das sollte. Meinen Freunden erging es offenbar ebenso. Dann schoss mir der Gedanke ein:
„Die haben doch nicht etwa vor, uns hier eine Vorstellung in Hypnose zu geben?“
Alles in mir bäumte sich auf dagegen. Ich wollte etwas sagen, wie:
„Was soll dieser Unfug?“
Oder ähnliches in gleicher Tonart. Warum ich es nicht tat, wusste ich selber nicht. Ich fühlte mich befangen. Das ganze war mir peinlich.
„Warum sagte von den Anderen niemand etwas?“
Ging es mir durch den Kopf. Immer noch war es totenstill im Raum. Alle Vier starrten uns unvermindert an, als wäre alles versteinert oder die Zeit angehalten. Unbehagen ergriff mich, nur in meinem Kopf rasten die widersprüchlichsten Gedanken hin und her, standen sich gegenseitig im Wege. Schließlich stieg Wut in mir auf, nahm immer mehr die Oberhand und verdrängte andere Gedanken. Was bilden die sich eigentlich ein, mit uns hier machen zu können? Erbost wollte ich gerade damit herausplatzen, als genau in diesem Moment alle arglos lächelten, und der Sprecher mit der ruhigsten Stimme, die man sich vorstellen konnte, fortfuhr, als wäre nie etwas gewesen.
„Ihr habt hoffentlich nicht erwartet, wir würden euch irgendwelche Tricks vorführen? Das war noch nie unsere Art, uns ging es schon immer um Wichtigeres. Seht ihr, soeben hatten wir uns von euch "entfernt", und ein jeder von euch hat erfahren, was das in ihm bewirkte. Es ist nicht nötig weitere Worte darüber zu verlieren, denn nichts anderes hatte unsere kurze Demonstration zu bedeuten. Denkt daran, niemand entfernt sich auf Dauer ungestraft von der Gemeinschaft seiner Mitmenschen. Was immer ihr unter Magie versteht, meist ist es nicht mehr als die eigene animierte Phantasie den Menschen vorgaukelt, aus Furcht vor ihren geheimsten Wünschen und verborgensten Ängsten. Zugegeben, es gab zu jeder Zeit solche, die sich für derlei Verirrungen hergaben. Das, was wir betrieben, nur soviel sei gesagt, hatte damit nichts gemein.“
„Und was bitte, habt ihr soeben mit uns gemacht?“
Wollte 0-Chang wissen.
„Gar nichts. Genaugenommen noch weniger, als was ihr unter gar nichts versteht. Wir haben die Leere zelebriert, und alles was geschehen sein mag, habt ihr selber getan.“
„Was ist denn nun Magie wirklich?“
Drängte Bernd. Unser Gegenüber tat, als müsste er erstaunt sein über diese Frage.
„Ihr habt doch nicht im Ernst geglaubt, wir würden euch das jetzt mal eben zwischen zwei Gläsern Tedsch erzählen? Einmal davon abgesehen, dass Jahre des intensivsten Lernens unvermeidbar sind. Das hat zum Ergebnis: Im Unterschied zu euch und den meisten Menschen sind wir frei. Das bedeutet weit mehr, als Ihr euch darunter vorstellt. Vielleicht werdet ihr das noch erfahren. Dann werdet ihr auch verstehen, warum wir euch einmal so erscheinen und bald darauf als ganz andere.“
Die peinliche Betroffenheit in uns registrierte er sofort und verstand es in kürzester Zeit durch seine Worte, aber wohl mehr noch unterschwellig durch Stimmlage und Mimik die anfängliche Atmosphäre der Vertrautheit wieder herzustellen.
„Aber eine der wichtigsten, unumgänglichen Voraussetzungen kann ich euch gerne verraten, vielleicht übt ihr euch darin. Ich spreche vom Abschütteln eines Zaubers, der alle Menschen zu allen Zeiten gleichermaßen betäubte. Ihr nennt ihn, glaube ich, den Zeitgeist. Lernt ihn zu durchschauen und ihm wenigstens immer einen Schritt voraus zu sein!“
„Wie gelingt einem das?“
„Zugegeben, es ist nicht einfach. Aber es gibt da einige Übungen. Fangt am besten damit an, nicht das zu tun, was alle tun. Stellt grundsätzlich alles in Frage. Das, welches ihr meint davon ausnehmen zu müssen, als erstes. Nur seid auf der Hut, mit dem Zeitgeist war noch nie spassen. Er wird nicht müde, sich jedes Mal aufs Neue für die unwiderruflich letzte aller Wahrheiten zu halten. Wer daran zweifelte, und unvorsichtig genug war, sich das anmerken zu lassen, der wurde zu jeder Zeit erbarmungslos als Ketzer verfolgt.“
„Aber wieso ausgerechnet Hyänen?“
Wollten wir wissen.
„Das genau geht zurück auf die Ereignisse bei der „Burg der Schande.“
„Wo liegt die, ist das hier in der Gegend?“
„Er übersetzte unsere Frage den drei anderen, deren interessierte Teilnahme bislang nur mit gelegentlich eingeworfenen Stichworten auf Amharisch bedacht wurde. Alle vier schienen sich beträchtlich zu amüsieren. Als das Gelächter wieder abebbte, erklärte uns der Englisch sprechende, diese Burg liege weit entfernt in einem Lande, welches den meisten noch nicht einmal dem Namen nach bekannt sei. Es hieße Hadramaut und läge am östlichen Ende der Weihrauchstraße. Unsere ungläubige Verblüffung war erneuter Anlass zur Freude. Ich erinnerte mich, von einer solchen Burg gelesen zu haben, die einst den Eingang zum Weihrauchland bewachte. Nur soviel war aus Büchern zu erfahren, dass irgendein Forschungsreisender - sein Name war mir entfallen - in der Ruine herumgestöbert hatte, ohne zu spektakulären Erkenntnissen zu gelangen. Was, fragte ich mich, sollten äthiopische Silberschmiede in jener fernen Burg in einem unzugänglichen Land zu tun haben?
„Kein Grund zum Lachen“,
protestierte ich.
„Dieses Land ist uns nicht nur recht gut bekannt, zufällig haben wir sogar vor, dorthin zu reisen.“
Kein bisschen erstaunt, wie ich heimlich gehofft hatte, eher besorgt schauten uns alle Vier an, nachdem er in wenigen Worten meine Antwort übersetzt hatte.
„Wisst ihr wirklich, was ihr da wollt?“
„Absolut!“
„Ich habe meine Zweifel. Gar zu viele Dinge tut man mechanisch, ohne zu wissen warum. Warum z.B. fahrt ihr in diese Richtung, wo doch euer Ziel in der entgegengesetzten liegt?“
„Da hast du recht, wir sind da einem plötzlich entstehendem Impuls gefolgt, etwas, was über uns kam. Übrigens“,
fiel mir rechtzeitig dazu ein,
„hätten wir das nicht getan, so wären wir euch nicht begegnet.“
„Da würde ich mir nicht so sicher sein.“
Schmunzelte er.
„Bis in den Hadramaut ist der Weg noch weit und mit vielen Hindernissen gepflastert, ganz zu schweigen von "plötzlichen Impulsen." Was wisst ihr z.B. über dieses Land?“
„Zumindest so ziemlich alles, was bei uns darüber zu erfahren war.“
„Auch wenn das, wie ich vermute, nichts Wesentliches berührt, so sehe ich doch eine gewisse Entschlossenheit. Trotzdem: Ihr solltet euch das gut überlegen. Nur sehr wenigen ist es bisher gelungen, und warum sollte es euch anders ergehen?“
„Nun, immerhin haben die Engländer uns schon ihre vorläufige Einwilligung gegeben.“
„Die Engländer, müsst ihr wissen“,
erläuterte er geduldig und dehnte dabei die Arme und Schultern zu einer Geste, die wortlos um Entschuldigung bat für die Unzulänglichkeit der Engländer,
„sie sind dort nur so etwas wie die Wachtposten vor dem Eingang. Selbst wenn es euch gelingen sollte, mit ihrer Zustimmung hereinzukommen, so hilft euch das noch wenig. Drinnen im Lande werdet ihr kaum einen von ihnen mehr antreffen. Ihr werdet ganz auf euch allein gestellt sein, so allein wie ihr mit Sicherheit noch nie in eurem Leben wart. Viele Dinge sind dort völlig anders, anders noch, als ihr euch nur vorstellen könnt. Ihr werdet eure Gewohnheiten, euren Stil zu leben total umstellen müssen. Vor allem aber wird niemand sich um euren Schutz, eure Sicherheit kümmern.“
„Das klingt alles, als hättet ihr Kontakte dorthin.“
„Die haben wir“,
nickte er.
„Könnt ihr uns einen Rat geben?“
„Ja, fahrt nicht dorthin!“
Ich schüttelte den Kopf.
„Wir sind fest entschlossen.“
„Dann hütet euch vor so manchen unreinen Geistern, die neuerdings wieder auferstanden sind, und auf die ich noch zu sprechen kommen werde. Ferner haltet die Augen offen nach den beiden gekrümmten Linien des bewussten Strebens, nach dem Kreis der Vollendung und nach der makellosen Geraden des Ziels.“
„Könntest du das bitte näher erläutern, so sagt es mit nichts.“
„Tut mir leid, ich habe eigentlich schon zuviel gesagt. Aber denkt trotzdem an diese Worte, ihr werdet sie verstehen, wenn ihr dem Beschriebenen begegnet. Und hofft, dass dieses geschieht, bevor es zu spät ist.“
Sein Gesicht drückte unmissverständlich aus, alles weitere Fragen wäre sinnlos.
„Ihr müsst wissen“,
fuhr er fort, als wollte er das Thema mit Worten endgültig vom Tisch fegen,
„wir als Volk der Habascha lebten ursprünglich jenseits des Meeres in der Nähe dieses Landes Hadramaut.“
„Davon habe ich ebenfalls gelesen“,
warf ich ein.
„Aber das war vor gar zu langer Zeit, noch bevor Äthiopien ein christliches Land war, und sogar noch vor dem Axumitischen Reich. Unmöglich,dass...“
„Du meinst, unsere Erinnerung könnte nicht bis dahin zurückreichen, weil eine so große Spanne von Zeit dazwischen liegt? Es würde zu weit führen, wollte ich euch jetzt auseinandersetzen, als was wir die Zeit betrachten. Nur soviel will ich sagen: Der Mensch ist der Narr der Zeit. Und es ist wichtig, mit der Vergangenheit sich zu befassen, weil wir mit ihr verbunden, ein Resultat von ihr sind und aus dieser Kenntnis großen Nutzen ziehen können. Schon immer war es in unserem Stand notwendig, alles Wissen genauestens weiter zu geben vom Meister auf den Lernenden. Dazu gehörten neben den beruflichen Kenntnissen auch die wichtigsten Geschehnisse von den frühesten Tagen an. Das verhalf uns mit der Zeit zu einem gewissen Durchblick, langfristige Entwicklungen als solche zu begreifen, die für andere Augen, die nicht das Ganze erfassten, nur wie einzelne Zufälle aussahen. Ihr fragtet, warum gerade Hyänen, ein Tier welches zwar gefürchtet, aber nie sonderlich geachtet war? Die Frage ist berechtigter, als ihr annehmen mögt, war doch ursprünglich die Rede von Löwen, und das in ganz anderer Bedeutung. Uns begann man aus einem ganz anderen Grunde, einem sehr ehrenhaften, die Löwen von Habascha zu nennen. Wie es dazu kam, und auch durch welche Verleumdung sich dieses hohe Ansehen umkehrte, das hat mit den Ereignissen bei der Burg der Schande zu tun. Solltet es euch wirklich gelingen, bis dorthin zu kommen, so werdet ihr erkennen, welch ein besonderer Ort das ist. Ich kenne keinen anderen Ort, an dem etwas so wichtiges so deutlich zu erfahren ist, die Quelle aller Dinge, der Schoß der Fülle der Erscheinungen, der Schlüssel zum Verständnis. - Aber es wäre unmöglich, euch dieses hier und jetzt erklären zu wollen. Entweder ihr gelangt dorthin und macht diese Erfahrung, oder nicht. Genaugenommen begann alles mit jenen, von denen es hieß, sie seien aus dem Gluthauch der Wüste erschaffen.“
Er sah unsere fragenden Gesichter und nickte:
„Ich hatte mir gedacht, dass ich euch auch dieses erklären müsste. Seht ihr, das ist es, was diese Art von Geschichten so ausschweifig macht. Also, über jene Wesen wäre zu sagen...“
Was darüber zu sagen wäre, und was weiter geschehen war, wir sollten es nicht erfahren, denn durch die offene Tür klang ungeduldiges Hupen. Hastiges Verabschieden, es widerstrebte uns sehr, aber offensichtlich waren wir noch nicht so weit, ein einmal gefasstes Programm kurzentschlossen fallen zu lassen. Mit ein wenig mehr Praxis, in "nicht das zu tun, was alle taten", hätten wir wahrscheinlich dem Busfahrer leichten Herzens zugewunken, er möge ohne uns weiterfahren. Später erfuhren wir noch so manches, was es uns umso mehr bedauern ließ, die Geschichte nicht zu Ende gehört zu haben. Die Silberschmiede winkten uns zum Ausgang nach mit eigenartigem Blick, so als müssten sie Nachsicht mit uns haben.
Die Nachmittagssonne hatte sich schon merklich gesenkt und überflutete die Landschaft mit einem weichen, goldenen Licht, als wir in eine ausgedehnte Talmulde fuhren, fast schon eine Ebene. Die Vegetation nahm zu, und wie in einer großen Oase lag die Stadt Gondar.
Obwohl verhältnismäßig groß, wirkte die Stadt ein wenig verträumt unter ihren vielen Bäumen. Das Zentrum war ein riesiger, verwilderter Park, eigentlich ein Wald mit den Lustschlössern der verschiedenen Kaiser. Welch ein Gegensatz nach stechender Hitze, Staub und Steinen waren laue Luft und von schattigem Grün gefiltertes Sonnenlicht. Tagelang streiften wir umher, kletterten über Baumwurzeln und umgefallene Mauern. Gerade das Halbzerfallene und überwucherte, die unretuschierten Spuren der Zeit machten diese Mischung aus Vegetation und Architektur so reizvoll. Stil und romantisches Flair erinnerten an mitteleuropäische Burgen, und doch war da eine wilde Fremdartigkeit. Exotische Bäume und gewaltige Luftwurzeln über den Mauern wechselten mit Lichtungen. Durch hohe Disteln und blühende Sträucher führten Zinnen gekrönte Bögen von Brücken zum nächsten Schloss. Alles war so belassen, wie es war, nichts geordnet oder geschönt, keine Hinweisschilder, keine Souvenirbuden, keine Straßen. Man ging auf natürlichen Wegen und Pfaden von einer Entdeckung zum nächsten Durchblick, den ein Bogen öffnete zu alleinstehenden Mauerteilen, die aus dem Gras oder zwischen blühenden Büschen herausragten, und endete manchmal abrupt vor einem Turm oder einem noch erhaltenen Stück Umfassungsmauer des weitläufigen Geländes. Treppen führten zu angebauten Terrassen, hinter die Zinnen von Dächern und Türmen oder endeten einfach zwischen den Wipfeln von Palmen und dem Laub mächtiger Bäume. Diese Tage in Gondar waren wohltuend und erholsam. Aber da war noch mehr. Wir erinnerten uns schon noch unseres zuvor so dringenden Zieles, das zu erreichen wir Risiken und Strapazen auf uns genommen hatten. Was hinderte uns jetzt eigentlich noch daran? Zwar erhielten wir wiederholt den wohlgemeinten Ratschlag Amhars, doch besser hier zu bleiben, untermauert mit dem Argument, im Jemen trieben ohnehin Dschinns und Dämonen ihr Unwesen. Der Versuch dieses als Gespinst zu entlarven, verursacht durch allerlei Gerüchte der Bürgerkriegswirren, scheiterte gründlich. Nein, das wären echte Dschinns und Dämonen, und die hätten es auf Menschen abgesehen, und überhaupt, alle sagen das. Diesem Argument war natürlich keine Vernunft gewachsen, zumal mir dabei wieder die Warnung des Mönches einfiel, vor den Gefahren in der "Stadt Sems". So fragte ich Amhar, ob irgendeine bestimmte Stadt in diesem Zusammenhang genannt würde. Nein, er wüsste nichts weiter, aber wir hätten besser die vier Magier danach fragen sollen, die hatten ja auch etwas von Geistern erwähnt. Die würden sicher mehr gewusst haben, und er hätte es gleich bedauert, dass wir solch eine günstige Gelegenheit, über dieses Thema Einzelheiten zu erfahren, verstreichen ließen.
Was also hielt uns hier? War es der Müßiggang, der jede Weiterreise nur immer ungewisser und strapaziöser erscheinen ließ? Da war das Funkeln goldener Sonnenflecken auf dem Boden, der Zauber verlassener Schlösser, ausgemalter Kirchen, naheliegende Besuche zu den Inseln des Tanasees oder den Felsenkapellen Lalibelas. Die Stunden der Nachmittage schienen immer bleierner zu werden, die Tage immer schneller dahin zu schrumpfen und das Ziel sich täglich in weitere Ferne zu entziehen.Eines frühen Morgens fanden wir uns, selbst überrumpelt im Bus nach Asmara sitzend. Unterwegs in Axum mussten wir uns von Amhar trennen, der uns längst ein Freund geworden war.
0-Chang, Bernd und Hermann fuhren gleich am folgenden Nachmittag nach Massawa weiter. Eine Schiffspassage für den Jemen zu finden, konnte noch eine Weile dauern. Im dringenden Fall wäre ich über das Hoteltelefon zu erreichen. Heimlich wünschte ich mir sogar, sie wären nicht so bald erfolgreich. Viel fehlte nicht und alle meine Pläne wären an diesem letzten Hindernis buchstäblich hängen geblieben. Ausgerechnet hier, der letzten Station vor dem Erreichen des Zieles, wo ich schon meinte alle Hindernisse längst hinter mir zuhaben. Nun, dieses war auch in keiner Weise zu vergleichen mit den bisherigen, selbst die Bezeichnung Hindernis war eigentlich recht unpassend. Ich hatte einen triftigen Grund, noch so lange wie möglich in Asmara bleiben zu wollen.
Es war am Morgen nach unserer Ankunft, irgendetwas wollte ich besorgen. Allzu wichtig konnte es nicht gewesen sein, denn ich hatte später völlig vergessen, worum es sich handelte. Die Sonne stand noch niedrig und fiel schräg in die belebte Hauptstraße, so dass die langen Schatten der Königspalmen ihre Muster auf das Pflaster warfen. Kaum einer hatte es eilig, die meisten Menschen schlenderten durch die Reihen der ausgestellten Tische von Cafees und Restaurants, ließen gemächlich ihre Blicke über die dort Sitzenden promenieren, oder auf den Auslagen der Geschäfte und ambulanten Stände verweilen. Ich selbst ließ mich mittreiben und tat nicht anders. Jedenfalls solange, bis mein Blick auf der gegenüberliegenden Straßenseite hängen blieb. Er hakte so fest, dass auch der mähliche Fluss meines Schlenderschrittes mit einem Ruck zum Stillstand kam. Am Fahrbahnrand standen, scheinbar etwas unschlüssig, zwei Stewardessen der Ethiopian Airlines. Soweit ganz und gar kein ungewöhnlicher Anblick, wäre nicht die eine von derart ausgefallener Erscheinung, von jener Art wie man sie so selten zu Gesicht bekommt, dass man leicht der Annahme erliegt, solche Wesen wären höchstens Ausgeburten männlicher Phantasie. Mehr noch als das Spektakuläre ihrer wilden, exotischen Schönheit, war da eine Ausstrahlung, die sehr vergesslich machte. Nicht nur ihr Äußeres war eine Provokation der Sinne, alles an ihr wirkte sinnlich in einer selbstverständlichen, stolzen Natürlichkeit. Als mir bewusst wurde, mit der darauf folgenden peinlichen Betroffenheit, dass ich, alles um mich her vergessend, dieses Wesen anstarrte, da war es bereits zu spät. Obwohl mit ihrer Kollegin im Gespräch vertieft, musste sie den Blick gespürt haben. Sie hielt inne, musterte mich die Ewigkeit von zwei, drei Sekunden, um dann quer über die Straße auf mich zuzukommen. Sie war nicht verärgert, im Gegenteil, sie lächelte. Oder war das nur boshafte Vorfreude auf einen Schabernack, den sie mit mir treiben wollte? Nein, nichts dergleichen, kein Zweifel, Irrtum ausgeschlossen, sie machte mich richtig an, flirtete aufs Unverfrorenste. Emanzipiert und selbstbewußt waren uns die äthiopischen Frauen schon begegnet. Und was ihre sexuelle Freizügigkeit betraf, so erfuhren wir die schon gleich im ersten Ort hinter der Grenze. Dunkle Augenpaare, die uns völlig unbefangen buchstäblich von oben bis unten abtasteten. Ein ganz neues Gefühl, selber das Objekt unverholenen Interesses zu sein. Ziemlich bald verloren wir uns danach aus den Augen, und ein jeder versank in der lauen Wärme der Nacht. Kein Wunder, wenn der Aufenthalt in Tessinei etwas länger währte. Nur gemessen an dem, was hier auf mich zukam, waren das Sandkastenspiele. Der Puls hämmerte mir bis in die Ohren. Ich wusste nicht mehr, was ich sagte, befand mich im dicksten Nebel auf fremden Gewässern. Mein verlegenes Gerede des ersten Augenblicks schien wenig bemerkt zu sein. Wie sich bald herausstellte, verdankte ich es einzig dem Umstand, dass sie nur sehr wenig Englisch verstand, und auch das waren mehr berufsspezifische Phrasen. Und wie man die Notausgänge öffnet oder die unter dem Sitz befindlichen Schwimmwesten aufbläst, interessierte uns beide im Augenblick weniger. Zumindest wusste sie bald meinen Nahmen nachzusprechen. Das er nur aus einer Silbe bestand, war ihr befremdlich, und sie behalf sich dahingehend, indem sie einfach zwischen das n und das s noch einen Vokal schob. Erheblich angenehmer, wie ihr das erschien, wiederholte sie das noch einige Male so vor sich hin und blieb in Zukunft dabei. Es klang wie Jenas, manchmal auch nach Jonas. Auch ich wusste inzwischen, dass sie Hagos hieß. Aber viel weiter waren wir noch nicht gekommen. Unmöglich zu sagen, wie lange wir schon unter gegenseitigem Bestaunen so am Straßenrand standen. Schließlich brachte ich so etwas wie eine einladend auffordernde Geste zustande. Tatsächlich, sie setzte sich in Bewegung und folgte der Richtung, die ich einschlug an meiner Seite. Ob das vielleicht nur ein Traum war oder nicht, wollte ich gar nicht wissen, Hauptsache dieses Wunderwesen zu meiner Rechten verschwand nicht wieder. Nur nicht den Faden abreißen lassen, war inzwischen der mich beherrschende Gedanke und, dass wir dazu irgendein Ziel benötigten. Am geeignetsten erschien mir, wenn wir uns in irgendein Lokal niederließen. Eines der italienischen Restaurants geriet in mein Blickfeld. Es war eines von der besseren Sorte, wie ich mich erinnerte und schien mir geeignet, was meine Schritte fester und zielstrebiger werden ließ. Vor dem Eingang blieb sie plötzlich stehen. Ich deutete an, dass ich sie gern einladen würde. Sie schüttelte den Kopf. Dann erfasste sie meine Hand, was allein mich schon bis unter die Haarwurzeln elektrisierte. Sie lächelte signalisierend, dass sie verstanden hätte, aber deutete mit dem Kopf in eine andere Richtung, dabei behutsam an meinem Arm ziehend. Sie schien eine eigene Idee zu haben - noch besser! Jetzt waren es ihre Schritte, die zielstrebiger wurden. Vieler davon bedurfte es nicht und wir landeten in einem der zahlreichen volkstümlichen Tedsch-Lokale. Zu dieser frühen Stunde war es noch völlig leer, aber an der intimen Begrüßung der Inhaberin war abzulesen, dass diese eine Freundin war. Nachdem sie die Getränke serviert hatte, zog sich die Freundin diskret zurück, und wir saßen uns allein im Raum gegenüber. Wieder blieb die verbale Kommunikation zwischen uns auf der Stecke trotz diverser Anläufe, beschränkte sich immer aufs neue bei der Suche nach dem passenden, zufällig von beiden identifizierten Ausdruck, wenn nicht auf Englisch so versuchsweise auf Italienisch oder Arabisch. Dafür verstanden wir uns sprachlos umso besser, wie uns immer deutlicher gewahr wurde. Als wir beide begriffen hatten, dass die sprachlichen Versuche auf einander zuzukommen eher geeignet waren uns davon abzulenken, und wir es nur noch mit Blicken, Gesten und Berührungen probierten, entwickelte sich eine rasant bis ins Unerträgliche ansteigende Spannung. Als ich schon dachte, es dauert nur noch Sekunden und ich verbrenne hier bei lebendigem Leibe, da rief Hagos etwas auf Amharisch in den Hintergrund, und kurz darauf erschien ihre Freundin wieder, nur um wortlos einen Schlüssel auf die Mitte des Tisches zu legen, genau zwischen uns.
Auch in den folgenden Tagen waren Hagos und ich, von bedeutungslosen Bemerkungen abgesehen, zur Sprachlosigkeit verdammt - nein ganz und gar nicht verdammt, eher sollte man sagen damit gesegnet. Denn dieser Sprachlosigkeit verdankten wir es, dass wir gezwungen waren, uns auf andere Ebenen der Kommunikation zu besinnen. Wir lernten Blicken, Gesten, Berührungen und Gefühlen weit mehr Beachtung zu schenken, und verirrten uns in immer weitere, wenn auch höchst lustvolle Tiefen der Sprachlosigkeit. Mir wurde erschreckend deutlich, um was alles ich mich bislang so einfach hinweggeredet hatte. Hagos und ich trafen uns, wann immer es ging, zur Konversation jenseits von Worten. Ich war verhext, für alles andere verloren, hoffnungslos gestrandet. Allein der Flugplan der Ethiopian Airlines verhieß Rettung, bestimmte das Datum meiner Weiterreise.
Viel zu schnell kam dieser Tag.
Niemand hatte eine Ahnung, wann ich in Massawa ankommen würde, erwartete mich, oder kannte mich hier. Und doch kam einer dieser vielen Jugendlichen, die an allen Bahnhöfen und Bushaltestellen auf Gelegenheitsjobs warteten, zielbewusst auf mich zu, um mich wissen zu lassen:
„Deine drei Freunde wohnen im Hotel Ras Alula. Ich bringe dich hin.“ Auf dem Weg durch die Stadt wechselte er ein paar Worte mit einem anderen, um sich auf den aktuellen Stand zukorrigieren:
„Im Moment sitzen sie gerade in Lisas Bar.“
Genau dort traf ich sie auch an. Soviel über den vortrefflichen Nachrichtendienst, und wieso wir uns unbesorgt trennen und in weit entfernten, uns unbekannten Orten verabreden konnten.
Wenn man sich nicht gerade duschte oder Siesta machte, war unter dem Ventilator einer Bar in Reichweite kühlender Getränke zu sitzen, das Beste was man tun konnte. Die Drei waren anfänglich nicht müßig gewesen, hatten den Hafen von einem Ende zum anderen auf der Suche nach Jemen-Passagen durchstreift. Seit gestern hatten sie einen dieser vielen jugendlichen Jobsucher mit einem kleinen Tagegeld und der Aussicht auf Erfolgsprämie zum "Agenten" ernannt, und ließen sich in Bars wohlsein. Davon gab es in Massawa reichlich. Erkundigungen im Hafenbüro über noch zu erwartende Schiffe brachten keinen Hoffnungsschimmer. Ungefragt hörten wir jedoch, was uns schon eher bekannt sein könnte, hätten wir nur in dieser Richtung gedacht. So unwahrscheinlich erschien es uns, dass wir nicht einmal danach gefragt hatten. Die Ethiopian Airlines hatte seit kurzem eine Verbindung von Asmara nach Sana'ā eröffnet. Sofortige Buchung und Rückreise nach Asmara, mir kam es sehr gelegen.
Bei aller Ausgelassenheit musste ich immer an den nächsten Tag denken, den ich endlich wieder aber auch zum endgültig letzten Mal mit Hagos verbringen könnte. Wieso eigentlich das letzte Mal? Warum konnte ich nicht einfach bei ihr bleiben? Die Versuchung war übermächtig, und was sprach so sehr dagegen? Die Barriere der Sprachlosigkeit ließe sich relativ bald ausräumen, ich würde Amharisch lernen und Hagos Deutsch, oder meinetwegen auch besser Englisch. Ziemlich problemlos könnten wir in Asmara eine zeitlang zusammen leben, und gewiss würden wir uns dann immer noch und auch auf anderen Ebenen so gut verstehen, könnten Pläne schmieden, wie es weiter gehen sollte.
„Wunschdenken!“
sagte mir da irgendetwas:
„Das ist nicht dein Weg, sondern einer auf dem du dich heillos verirren wirst. Fraglich, ob du je wieder zurückfindest. Noch sind deine Sinne so sehr in Aufruhr, dass sie deinen Verstand betäubt haben. Viel zu schnell wird das vergehen, verwirrt, verlassen und mit leeren Händen wirst du dasitzen und diesen Schritt bereuen. Da ist auf weite Sicht keine Zukunft für solch eine Beziehung zu erkennen.“
Diese Eingebung war von seltener Klarheit, unmissverständlich und sie ließ nicht mit sich handeln.
„No future“
verstand Hagos zufällig, und dass wir uns nie wiedersehen würden nahm sie auf, als hätte sie ohnehin damit gerechnet, die Affäre weniger ernst genommen als ich.
Durch Zufall erfuhr ich Jahre danach, was Hagos heißt: Freude!