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Die große Reise

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Zurück in Salzburg erkrankte Mozart, noch immer weit von seinem siebten Geburtstag entfernt, fast sofort wieder, diesmal an rheumatischem Fieber. Kaum war er genesen, überraschte er seinen Vater, der keine Worte fand. Auch Johann Schachtner war anwesend:

Wir spielten […] Trio, der Papa spielte mit der Viola den Baß, der Wenzl das erste Violin, und ich sollte das 2te spielen. Wolfgangerl bat, daß er das 2te Violin spielen dörfte, der Papa aber verwieß ihm seine närrische bitte, weil er noch nicht die geringste Anweisung in der Violin hatte, und Papa glaubte, daß er nicht das mindeste zu leisten im Stand wäre. Wolfgang sagte, Um ein 2tes Violin zu spielen braucht es ja wohl nicht, erst gelernt zu haben, und als Papa darauf bestand, daß er gleich fortgehen, und uns nicht weiter beunruhigen sollte, fieng Wolfgang an bitterlich zu weinen und trollte sich mit seinem Geigerl weg. Ich bath, daß man ihn mit mir möchte spielen lassen, endlich sagte Papa, geig mit H: Schachtner, aber so still, daß man dich nicht hört, sonst musst du fort, das geschah. Wolfgang geigte mit mir, bald bemerkte ich mit Erstaunen, daß ich da ganz überflüssig seye, ich legte still meine Geige weg, und sah Ihren H: Papa an, dem bei dieser Scene die Thränen der Bewunderung und des Trostes über die Wangen rollten, und so spielte er alle 6 Trio.

Das war gelinde ausgedrückt eine unerwartete Wendung. Lange, bevor er das Jugendalter erreichte, konkurrierte Mozart mit seinem Vater auf der Violine und würde wohl, in Leopolds eigenen Worten, „der erste Violinspieler in Europa“ werden.

Ein halbes Jahr nach ihrer Rückkehr aus Wien nach Salzburg waren die Mozarts wieder unterwegs, diesmal nicht nur einige Monate, sondern dreieinhalb Jahre. Sie besuchten alle Hauptstädte und Metropolen Süddeutschlands und des Rheinlands, verbrachten einige Wochen in Brüssel, den ersten Winter in Paris, fast eineinhalb Jahre in London, den Winter 1765/66 in Holland und gelangten über Paris, Genf, Bern und München wieder zurück nach Salzburg. Es war eine Zeit rauschender Triumphe, wachsenden Heimwehs für Maria Anna und Vorfällen ernster Krankheiten für alle, besonders für die Kinder, die mehr als einmal dem Tod nahe waren. Auch in Zeiten guter Gesundheit können die Umstände nur zu Nannerls Verwirrung und Sorgen beigetragen haben, die im Laufe der Reise vom Mädchen zur Frau heranwuchs. Zusätzlich zu den physischen und psychischen Belastungen der Übergangszeit wurde sie von Monat zu Monat und Jahr zu Jahr immer weiter an den Rand der Mozart’schen Konzertreise gedrängt. Während Nannerl merklich älter wurde, gab Leopold, der sich bewusst war, die Zeit nicht auf ihrer Seite zu haben, Mozarts Alter während des größten Teils der Reise mit einem Jahr niedriger an, sodass dieser wunderbarerweise zwei Jahre lang sieben Jahre alt blieb. Es war so viel Wunderbares an ihm, dass es niemand zu merken schien, und falls doch, kümmerte es niemanden. Aus den Berichten des deutschen Barons Friedrich Melchior von Grimm, eines Diplomaten und bewunderten Autors, der lange in Paris lebte, scheint es, das Leopold versuchte, ein Gleichgewicht zwischen wahrer Kunst und den billigen Werten einer Zirkus-Monstrositätenschau herzustellen. Grimm beobachtete zudem aufschlussreich, dass der Vater ein ehrenhafter, vernünftiger Mann von beachtlicher Intelligenz sei, der sein musikalisches Talent mit einem erstaunlichen Geschick im Umgang mit Geld vereinte.


Leopold Mozart mit seinen beiden Kindern Wolfgang Amadeus und Maria Anna, genannt Nannerl, in Paris 1763; Louis de Carmontelle

In England übertraf Leopold sich selbst. Unzufrieden mit dem Umwerben (und Erobern) des Königs und der Königin sowie der Crème de la Crème des Adels ging er zu den Leichtgläubigsten der Mittelklasse und appellierte schamlos an das Gesindel der Kneipen und Wirtshäuser. Eine sogenannte „Konzert“-Ankündigung gab bekannt, über seine erstaunliche Klavier-Virtuosität hinaus:

Der Knab wird auch ein Konzert auf der Violine spielen, bei Sinfonien mit dem Klavier akkompagnieren, das Manual oder die Tastatur des Klaviers mit einem Tuch gänzlich verdecken, und auf dem Tuche so gut spielen, als ob er die Klaviatur vor Augen hätte; er wird ferner in der Entfernung alle Töne, die man einzeln oder in Akkorden auf dem Klavier oder auf allen nur denkbaren Instrumenten, Glocken, Gläsern und Uhren u. anzugeben imstande ist, genauest benennen. Letzlich wird er nicht nur auf dem Flügel, sondern auch auf einer Orgel vom Kopf phantasieren.

Die Tuch-über-der-Klaviatur-Einlage wurde ein fester Bestandteil der Vorstellung. Die Tatsache ist jedoch, dass dies jeder geübte Pianist vollbringen konnte, und ein blinder Pianist hätte überhaupt keine Mühe. Eigenartigerweise wird es in der bizarren (und im Englischen grammatikalisch falschen) Ankündigung für das Konzert am 5. Juni 1764 nicht erwähnt:

Miss Mozart, elf Jahre und Master Mozart, sieben Jahre, Naturwunder, nehmen die Gelegenheit wahr, der Öffentlichkeit das größte Wunder vorzuführen, dessen sich Europa oder die Menschheit rühmen kann. Jedermann wird erstaunt sein, ein Kind von so zartem Alter das Cembalo mit solch einer Perfektion spielen zu hören – es übersteigt alle Fantasie und Vorstellung, und es fällt schwer, zu erklären, welches erstaunlicher ist, das Spiel auf dem Cembalo nach Noten oder seine eigene Komposition.

DIE ERST EREISE : 1763–1766


(Es werden die heutigen Ländergrenzen angezeigt)

Ausgangspunkt: Salzburg (1)

1763
Wasserburg (2) Wolfgang (7) kommt zum ersten Mal mit einem Orgelpedal in Berührung.
Nymphenburg (3) Er spielt Cembalo und Violine für den Kurfürsten von Bayern.
Augsburg (4) Die Kinder geben drei Konzerte während ihres zweiwöchigen Aufenthalts.
Ludwigsburg (5) Wie üblich vermutet Leopold ein Komplott, als Herzog Carl Eugen von Württemberg es ablehnt, die Kinder zu hören.
Schwetzingen (6) Der Kurfürst und Pfalzgraf Carl Theodor setzt ein vierstündiges Konzert der Kinder an unter Mitwirkung des berühmten Mannheimer Orchesters.
Heidelberg (6) Wolfgang verblüfft alle Anwesenden, als er die Orgel in der Heiliggeistkirche spielt.
Mainz (7) Die Kinder geben zwei Konzerte und nehmen, sehr zur Freude Leopolds, 200 Gulden ein.
Frankfurt (7) Die Kinder geben vier Konzerte, eines in Anwesenheit des 14-jährigen Goethe, der sich später „des kleinen Mannes in seiner Frisur und Degen noch ganz deutlich“ erinnert. Das letzte Konzert, von Mozart allein gespielt, hat den Charakter einer niveauvollen Monstrositätenschau.
Koblenz (8) Die Kinder geben ein Konzert.
Bonn (9) Sie passieren Beethovens zukünftigen Geburtsort ohne Engagements.
Aachen (10) Die Kinder spielen für Prinzessin Anna Amalie von Preußen, Schwester Friedrichs des Großen, die dort zur Kur weilt.
Brüssel (11) Nach Wochen ohne Engagement spielen sie schließlich für Prinz Karl Alexander von Lothringen und reisen weiter nach Paris.
Paris (12) Die Kinder geben viele Konzerte und werden die Lieblinge der Adligen. Wolfgang komponiert drei Violinsonaten.
1764
London (13) Die Kinder spielen für Georg III.; Wolfgang freundet sich mit J. C. Bach an; er komponiert seine ersten vier Sinfonien; viele Konzerte.
1765
Lille (14) Krankheit verzögert die Weiterreise der Familie um einen Monat.
Gent (15) Wolfgang versucht sich auf einer neuen Orgel. Antwerpen (16) Wolfgang spielt mit großem Erfolg in der Kathedrale. Den Haag (17) Die Familie wird freundlich von Wilhelm, Prinz von Oranien, empfangen. Man lässt Mozart, wie gehabt, zeigen, was er kann.
1766
Amsterdam (18) Wolfgangs neueste Sinfonie (Nr. 5 in H-Dur, KV 22) wird öffentlich aufgeführt.
Den Haag (19) Er komponiert sechs weitere Violinsonaten (KV 26–31) und das humorvolle Quodlibet Gallimathias Musicum, KV 32.
Paris (20) Zahlreiche Darbietungen im Schloss von Versailles; Wolfgang komponiert das Kyrie in F-Dur, KV 33, seine erste Kirchenmusik.
Genf, Bern, Zürich (21–23)
Donaueschingen (24) Die Kinder spielen bei neun Gelegenheiten von fünf Uhr nachmittags bis neun Uhr abends.
München (25) Die Kinder treten vor dem Kurfürsten auf.
Salzburg (26) Die Familie kehrt nach dreieinhalb Jahren am 29. oder 30. November zurück.

Als nach fast eineinhalb Jahren die eigentlichen Konzertstätten alle ausgeschöpft waren, entschied sich Leopold für freie Unternehmungen und kündigte auf Plakaten und in Zeitungen an, dass, wer auch immer interessiert sei, „die Familie täglich von 12 bis 2 Uhr daheim anzutreffen ist, wo man Gelegenheit hat, [Mozarts] Talente eingehender zu prüfen, indem man ihm beliebige Stücke zum Vorspielen gibt oder jegliche Musik ohne Bass, den er dann, ohne ans Cembalo zu gehen, dazu notieren wird“.

Bis zum 8. Juli 1765 hatte Leopold eine neue Veranstaltungsstätte entdeckt, wie eine Notiz im Public Advertiser zeigt:

Mr. Mozart, der von verschiedenen Damen und Herren gebeten wurde, seine Abreise von England für kurze Zeit hinauszuschieben, gibt sich die Ehre, das Publikum darüber zu unterrichten, dass er den großen Saal in der Swan and Harp Tavern in Cornhill gemietet hat, wo man die Möglichkeit hat, die beiden Wunderkinder täglich von 12 bis 3 Uhr zu hören: Eintritt ist 2s 6d pro Person.


Zeitungsausschnitt, der Mozarts erstaunliches Talent würdigt

Weit bedeutender als die Konzerte und Vorstellungen war jedoch die aufkeimende Freundschaft zwischen Mozart und Johann Christian Bach, dem jüngsten (und in England berühmtesten) Sohn von Johann Sebastian Bach. In London begann Mozart auch ernsthaft mit dem Komponieren: Unter J. C. Bachs Einfluss schrieb er seine ersten Sinfonien im Alter von nun – in Wirklichkeit – neun Jahren. J. C. Bachs musikalischer Stil formte mit seinem Einfluss Mozarts eigenen, und er war es möglicherweise auch, mehr als jeder andere, der in Mozart die Liebe zur italienischen Oper entfachte (seit vielen Jahren J. C. Bachs Repertoire).

Als die Mozarts nach ihrer dreieinhalbjährigen Reise schließlich nach Salzburg zurückkehrten, waren sie wahrscheinlich – außer dem kaiserlichen Hof – die berühmteste Familie Europas. Dank Leopolds fast rücksichtlosen Talents als Impresario waren sie darüber hinaus auch sicher die reichsten Musiker, obwohl Leopold sich beträchtliche Mühe gab, dies zu verbergen.

Leopold behielt seine Dienststellung am Hofe, aber nach einer fast vierjährigen Abwesenheit stand fest, dass er als reisender musikalischer Botschafter wertvoller war denn als Hofmusiker. Er und vor allem seine Kinder hatten Salzburg zu einem bekannten Namen in ganz Europa gemacht. Leopold war sich durchaus bewusst, dass die Marktfähigkeit der Kinder von ihrer Jugend abhing. Nach nur neun Monaten ging die Familie deshalb erneut auf Reisen, diesmal in Richtung Wien, wo sie fast ein Jahr lang blieb.

Als sie 1769 zurück nach Salzburg kamen, hatte Mozart, der nun fast 13 Jahre zählte, zehn Sinfonien, zwei Opern, 18 Sonaten für Klavier und Violine, drei Messen, etliche andere geistliche Chorwerke und vier Klavierkonzerte geschrieben. Der größte Teil des Jahres 1769 wurde zur Abwechslung zuhause in Salzburg verbracht, wo er weitere zwei Messen und Sinfonien komponierte. Ebenfalls in diesem Jahr schrieb er den ersten Brief, der uns überliefert ist. Es ist eine kurze Mitteilung an ein unbekanntes Mädchen in Salzburg:

Freundin!

Ich bitte um Verzeihung, daß ich mir die Freyheit nehme, ihnen mit etlichen Zeilen zu plagen; aber weil sie gestern sagten, sie können allen Sachen verstehen, ich mag ihnen lateinisch herschreiben, was ich nur will, so hat mich der Vorwiz überwunden, ihnen allerhand, lateinische worte, Zeilen herzuschreiben: haben sie die Gütte für mich, daß wenn sie selbige Worte aufgeleset, so schicken sie durch ein Hagenauermensch, die antwort zu mir, dan unser nandl kann nicht warten (aber sie müßen mir auch mit einen brief antworten). Cuperem scire, de qua causa, a quam plurimis adolescentibus otium usque adeo æstimatur, ut ipsi se nec verbis, nec verberibus, ab hoc sinant abduci.

Das kann man wie folgt übersetzen: „Ich möchte wissen, warum die Muße von den jungen Männern zu einem solchen Grad geschätzt wird, dass sie sich selbst weder mit Worten noch mit Schlägen davon lossagen.“ Der Gebrauch von zwei oder mehr Sprachen in einem Brief wurde bei Mozart fast zur Gewohnheit, vor allem wenn er seiner Schwester schrieb.

Nannerl war jetzt 18 Jahre alt und konnte nicht länger als Wunderkind vermarktet werden. Als Leopold das nächste Mal loszog, diesmal nach Italien, reiste er mit Mozart allein. Aus den kurzen Briefen, die der Junge während dieser ersten Italienreise nach Hause schickte, können wir einen Schatz an autobiografischen Belegen bergen, der uns das vielleicht am meisten abgerundete Porträt eines Komponisten der Geschichte bietet. Der erste Brief an seine Mutter wurde kurz nach der Abreise aus Salzburg geschrieben und lange vor der Ankunft in Italien:

Allerliebste mama.

Mein herz ist völig entzücket, aus lauter vergnügen, weil mir auf dieser reise so lustig ist, weil es so warm ist in dem wagen, und weil unser gutscher ein galanter kerl ist, welcher, wen es der weg ein bischen zuläst so geschwind fahrt. Die reis-beschreibung wird mein papa der mama schon erckläret haben, die ursache daß ich der mama schreibe ist, zu zeigen, daß ich meine schuldickeit weis, mit der ich bin in tiefsten Respect ihr getreüer sohn Wolfgang Mozart.


Mozarts Brief an seine Mutter, 14. Dezember 1769

In Italien erfüllte sich endlich sein Wunsch, den er seit der Begegnung mit J. C. Bach in London hegte. Wie Händel vor ihm hatte J. C. Bach in Italien selbst das Handwerk erlernt, italienische Opern zu schreiben. Aufregender als die beiden Konzerte, die er kurz nach ihrem Eintreffen in Verona gab, waren für Mozart seine zwei Opernbesuche. In Mailand traf er Graf Firmian, einen Mann von hoher Bildung und großem Einfluss, der ihm den Auftrag erteilte, ihm eine Oper für die kommende Wintersaison der bereits opernreichen Stadt zu schreiben. Vater und Sohn reisten daraufhin weiter nach Bologna und Florenz, machten dort jeweils wichtige und einflussreiche Bekanntschaften und erreichten im April 1770 Rom, ausgestattet mit gut zwanzig Empfehlungsschreiben an Aristokratie und Klerus. Bevor sie aber auch nur eines davon vorzeigen konnten, befanden sie sich, wie Leopold erzählt, nur wenig entfernt von der höchsten Persönlichkeit von allen:

den 11ten, da wir ankamen sind wir nach Tische in die St: Peterskirche und dann in die Metten gegangen, den 12 haben wir die Functiones, und da der Pabst bey der Tafl der armen aufwartete, denselben so nahe gesehen, daß wir oben an neben ihm standen. Es ist solches um so mehr zu bewundern, da wir durch zwey mit geharrnischten schweitzern bewachtete Thüren hineinkommen, und durch vielle 100 Menschen uns durchdringen musten, und NB noch keine Bekanntschaft hatten. allein die gute Kleidung, die Teutsche sprache, meine gewöhnliche freyheit mit welcher ich meinen Bedienten in Teütscher sprache den schweitzern zu ruffen ließ, daß sie Platz machen sollten, half uns aller orten bald durch. Sie hielten den wolfg: für einen teutschen Cavallier, andere gar für einen Printzen, und der Bediente ließ sie auf dem guten glauben; und ich ward als sein Hofmeister angesehen. Eben so giengen wir zu der Tafl der Cardinälen. da begab sich, daß derWolfg: zwischen die Sessel zwener Cardinalen zu stehen kam, deren einer der Cardinal Pallavicini war.

Später trafen sie den Papst selbst, aber vorher ereignete sich der berühmteste Vorfall der ganzen Reise.

In der Sixtinischen Kapelle hörten sie das berühmte Miserere von Gregorio Allegri, einem Komponisten des 17. Jahrhunderts, das nicht nur für seine Schönheit berühmt war, sondern auch dafür, dass es bei Strafe der Exkommunikation strengstens verboten war, auch nur eine Seite dieses vielgeschätzten Werks aus der Kapelle zu entfernen. Das kümmerte Mozart kein bisschen: Nach der Rückkehr zu ihrer Unterkunft setzte er sich hin und schrieb das ganze Stück aus dem Gedächtnis nieder.

In Rom verlieh ihm der Papst den nur selten vergebenen Orden vom Goldenen Sporn und ernannte ihn somit offiziell zum Ritter – das erste Mal, dass diese Ehre einem nur 14-Jährigen zuteilwurde. Mozart war natürlich nie „nur“ ein 14-Jähriger, aber er war erst 14 und in vielerlei Hinsicht blieb er trotz seiner musikalischen Frühreife und anmutigen Art doch ein Kind. Diese entwaffnende Mischung aus Reife und kindlicher Unschuld tritt in seinem ersten Briefwechsel deutlich hervor. Viele dieser frühen „Briefe“ sind nicht mehr als hingekritzelte Mitteilungen am Ende der Briefe Leopolds. Aus Neapel und Bologna berichtet er:

Ich bin auch noch lebendig, und bin beständig lustieg wie allzeit, und reise gern: nun bin ich auf dem Merditeranischen meere auch gefahren. […] Heunt raucht der Vesuvius starck, poz bliz und ka nent aini. […] heünt kam mir die lust auf einen eesel zu reitten, dan in italien ist es der brauch, und also habe ich gedacht, ich mus es doch auch probieren.

Unter diese schwatzhaften Bemerkungen mischen sich Hinweise auf seine scharfe Beobachtung von Charakteren, die ihm später dazu verhalf, der bedeutendste Opernkomponist zu werden, der je gelebt hat:

wir haben die ehre mit einen gewissen Domenicaner umzugehen, welcher für heilig gehalten wird, ich zwar glauebe es nicht recht, dan er nimmt Zum frühstück oft Eine tassa ciocolata, gleich darauf ein guts glas starcken spanischen wein, und ich habe selbsten die ehre gehabt mit diesen heiligen zu speisen, welcher praf wein und auf die lezt ein ganzes glas voll starcken wein bey der tafel getruncken hat, zwey gutte schnitz melooni, sperschig, biern, 5 schallen Caffé, ein ganzes deller voll Vögeln, zwey volle deller von milch mit lemonien; doch dieses könte er mit fleis thun, aber ich glaube nicht, dan dieses wäre zu Viel, und aber er nimmt vielle sachen zur Jausen auf nachmittag.

Zwischen den Ausflügen und Besichtigungen, dem Knüpfen von Kontakten und den Konzerten war Mozart unglaublich produktiv und schrieb in der Zeit zwischen den Briefen mehr Musik, als er im Überblick behalten konnte:

Gewiß über 6 mal habe ich die Ehre gehabt, allein in die Kirchen und prächtigen Funtiones zu gehen. Unterdessen habe ich schon 4 itallienische Sinfonien componirt, außer den Arien, derer ich gewiß 5–6 schon gemacht habe, auch eine Motetten.

Selbst als Kind schreckte Mozart nie vor Eigenlob zurück. Aber auch kein anderer Komponist wurde verschwenderischer gelobt oder seit frühester Kindheit von anderen bewundert. Auf den ersten Blick war es sicher nicht nötig, seine Mutter und Schwester mit Zahlen zu blenden. Unter der Oberfläche hat die unschöne Eigenschaft einen eindringlichen Aspekt in seiner anhaltenden, vermutlich unbewussten Ängstlichkeit, dass er sich Liebe durch Leistung und Erfolg verdienen musste. Diese Botschaft erhielt er sicher von seinem Vater – nie zuvor waren er und sein Vater so eng und so lange zusammen gewesen wie auf dieser Italienreise. Angst und Heldenverehrung, besonders wenn das Objekt beider der Vater ist, sind eng miteinander verbunden. An der Schwelle zwischen Kindheit und Adoleszenz übernahm Mozart selbstverständlich, was er für eine erwachsene Haltung hielt, und imitierte die Art und Einstellung seines Vaters. In einer Nachschrift zu einem Brief Leopolds nach Hause schrieb er seiner Mutter mit genau der gleichen Mischung aus Herablassung und selbstbewusstem Rat, die Leopold fast täglich austeilte:

mir ist von herzen leid wegen der so lang anhaltende krangkeit welche die arme Jugf: Martha empfinden und mit gedult übertragen mus., hoffe mit der hülf gottes wird sie schon wieder gesund werden, wo nicht, so mus man sich nicht zu starck betrüben, dann der willen gottes ist allzeit der beste, und gott wird schon besser wissen ob es besser ist zu seyn auf dieser welt oder in der andern, aber sie solle sich trösten, indem sie Jezt von den Regen in das schöne wetter kommen kan:

So belehrt ein 14-jähriger Junge seine Mutter über den Trost des Sterbens. Die besagte Martha war nur fünf Jahre älter als Mozart und starb, bevor er und Leopold zurück nach Salzburg kamen.

Mit der Sommersaison ließ der ständige Fluss an Konzerten und privat arrangierten Aufführungen nach, die das tägliche Brot der Mozarts gewesen waren. Mozart verbrachte den Rest des Jahres 1770 mit dem Schreiben der Oper für Mailand, Mitridate, rè di Ponto, nach der berühmten Tragödie von Racine. Die Premiere fand einen Tag nach Weihnachten statt. Mozart selbst dirigierte die ersten drei Vorstellungen der Oper, die von Anfang an ein Riesenerfolg war.

Nach der vielversprechenden Einführung seiner ersten wahrhaft italienischen Oper (seine frühere opera buffa – komische Oper – La finta semplice wurde für Wien komponiert) gab es keine dringenden Gründe mehr, in Italien zu bleiben. Leopold hatte es jedoch nicht eilig, nach Salzburg zurückzukehren, sodass sie noch ein paar weitere Monate zunächst in Turin, dann in Venedig verweilten. Mozart gab zahlreiche Konzerte, die alle spektakulären Anklang fanden, und Vater und Sohn schlugen langsam den Weg zurück nach Salzburg ein. Sie kamen dort Ende März 1771 nach einer Abwesenheit von 15 Monaten an. Im Gepäck hatten sie einen Vertrag für eine zweite Oper für Mailand, Lucio Silla; kurz nach ihrer Heimkehr kam ein weiterer Auftrag für eine dritte Oper, Ascanio in Alba, auch diese für Mailand. Und so brachen Mozart und sein Vater, nur fünf Monate nach ihrer Rückkehr, zu ihrem zweiten italienischen Abenteuer auf.

Ascanio in Alba sollte nur ein Teil der üppigen Festlichkeiten bis zur Hochzeit des Erzherzogs Ferdinand Karl mit der Prinzessin Maria Beatrice d‘Este sein. Diese sollten auch eine Menge anderer Theater- und Musikaufführungen, Pferderennen, Maskenbälle, eine Reihe opulenter Bankette am Hofe und eine Art Massenhochzeit umfassen, bei der 150 junge Paare öffentlich vermählt und eine Mitgift vom fürstlichen Paar selbst erhalten würden. Die ganze Stadt sollte wunderbar beleuchtet werden, Brunnen sollten mit Wein statt Wasser fließen, und Ascanio sollte der krönende Abschluss der Feierlichkeiten sein. Als der große Tag kam, war die Oper ein so durchschlagender Erfolg, dass sie auf allgemeines Verlangen zwei Tage später wiederholt wurde. Mit 15 war Mozart, Komponist von italienischen Opern, angekommen!

DIE ZWEITE REISE : 1769–1771


(Es werden die heutigen Ländergrenzen angezeigt)

Ausgangspunkt: Salzburg (1)

1769
Innsbruck (2) Mozart wird freundlich von Reichsgraf Spaur empfangen; er gibt ein Konzert mit einem Violinisten, einem Hornisten und einem Organisten.
Rovereto
(Italien) (3) Belagert von Bewunderern und Neugierigen, ist er kaum in der Lage, die Orgel für sein Konzert in der Hauptkirche zu erreichen.
Verona (4) Das Gleiche, in noch stärkerem Maße; Journalisten, Dichter und Maler reißen sich darum, den Wunderknaben zu besingen und zu porträtieren.
1770
Mantua (5) Mozart zieht ähnliche Aufmerksamkeit auf sich, diesmal meist von Frauen; zwei seiner Sinfonien werden aufgeführt, unterbrochen von „Varieté“-Kunststücken und -Tests.
Mailand (6) Konzert in Graf Firmians Palast führt zu Mozarts erstem Opern-Auftrag für nächste Weihnachten.
Lodi (7) Mozart komponiert sein erstes Streichquartett.
Bologna (8) Trifft und freundet sich mit dem großen Musiktheoretiker und Prediger Padre Giovanni Battista Martini (64) sowie dem berühmten Kastratensänger Farinelli an.
Florenz (9) Spielt mit dem berühmten Violinisten und Komponisten Pietro Nardini; komponiert mehrere Kanons und das Kyrie KV 89; freundet sich mit dem englischen Wunderkind Thomas Linley an.
Rom (10) Hört Allegris Miserere und schreibt es später aus dem Gedächtnis auf; erhält vom Papst den Orden vom Goldenen Sporn.
Neapel (11) Trifft den bedeutenden Komponisten Niccolò Jommelli (56) und den reisenden englischen Musiker und Musikhistoriker Charles Burney.
Bologna (12) Erhält Unterricht von Padre Martini und wird als Mitglied der Philharmonischen Gesellschaft gewählt, nachdem er ein kunstvolles Kontrapunkt-Probestück geschrieben hat.
Mailand (13) Vollendet seine Oper Mitridate, rè di Ponto und erlebt ihre erfolgreiche Aufführung; schreibt vier Sinfonien (KV 74, 84, 95, 97).
1771
Verona (14) Erhält den Titel Maestro di cappella der Accademia Filarmonica.
Salzburg (15) Mozart und sein Vater kehren über Padua, Vicenza und Verona zurück. Mozart hat einen neuen Opernauftrag für Mailand.
Mozart

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