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PROLOG Mozart zu seiner Zeit

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Die Welt, in die Mozart geboren wurde und in der er aufwuchs, sich entwickelte und starb, hatte wenig Ähnlichkeit mit der vollkommenen Ordnung und durchdringenden Schönheit seiner Musik. Es war eine Zeit um sich greifender, oft gewaltsamer Veränderung, heimgesucht durch Kriege und blutige Revolutionen, die er jedoch nicht aus erster Hand miterlebte, obwohl die aus Salzburg eingezogenen Soldaten zweifellos im Siebenjährigen Krieg starben, der im Jahr seiner Geburt ausbrach. Soziale Unterschiede und politische Hierarchien, die seit Generationen vorherrschten, wurden stärker denn je in Frage gestellt; die alten Besitz- und Machtstrukturen, die die Herrschenden von den Beherrschten trennten, waren im Begriff zu zerfallen; und das Verhältnis von Kirche und Staat, das Mozart direkt betraf, war angespannt und von Unbeständigkeit bedroht. Es war damals kein Wunder, dass die musikalische Form, die das klassische Zeitalter Haydns, Mozarts und Beethovens dominierte (die sogenannte Sonatensatzform, die jene förderten und zu höchster Perfektion brachten), im Wesentlichen auf dem Wechsel von Beständigkeit und Wandel sowie auf der Spannung zwischen zwei verschiedenen Tonarten (siehe „Tonalität“ im Glossar) beruhte. Es war ebenfalls nicht verwunderlich, dass die Sonatenform mit ihrer idealistischen Struktur (in der Auflösung zweier Gegensätze gipfelnd) ein hauptsächlich deutsches Phänomen war: In den Ländern, die der Herrschaft der Habsburger unterstanden, vollzog sich der Übergang in das moderne Zeitalter, anders als in Frankreich, relativ langsam und friedvoll. Insofern war Salzburg, so kleinstädtisch es auf andere Weise auch war, unter den weiterentwickelten europäischen Städten dieser Zeit. Im Jahre 1764 begann Fürsterzbischof Sigismund von Schrattenbach eine Reihe von Reformen, die das Leben seiner Untertanen verändern sollten, bis hin zu einer immensen Spende an das städtische Spital, das Altenheim und sogar an die Irrenanstalt. Ein Jahr später schlugen die Kaiserin Maria Theresia und ihr Sohn Joseph II., die das Reich zusammen regierten, in Wien (der Hauptstadt des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, um den vollen, sperrigen Titel zu nennen) einen ähnlichen, jedoch weitaus ambitionierteren Kurs ein. Sie übergaben den städtischen Verwaltern der österreichischen Länder einen großen Teil ihres Privatvermögens, übertrugen königliche Gärten, Parks und Jagdgebiete in öffentliches Eigentum, führten zum ersten Mal öffentliche Schulen ein, erneuerten das Gerichtswesen (sogar bis hin zum Überdenken der Todesstrafe), richteten die standesamtliche Trauung ein, befreiten die Bauern in Böhmen von der Leibeigenschaft, stärkten die religiöse Toleranz und so fort. Dies konnte man jedoch nicht Demokratie nennen. Monarchie und Adel blieben fest bestehen, aber es war nicht mehr wie früher. Teils, um die Zahlen nach dem verheerenden Wüten des Siebenjährigen Krieges hochzuhalten, teils, um die Bedrohung des aufstrebenden Bürgertums zu entschärfen (von den Habsburgern scharfsinniger erkannt als von ihren französischen Amtskollegen), wendeten zunächst Maria Theresia und später ihr Sohn den zynischen, aber wirksamen Brauch an, bedeutende Offiziere, Staatsbeamte, Industrielle, Kaufmänner und Geschäftsleute offiziell in den Adelsstand zu erheben und so den herrschenden Adel um gut 40 neue Mitglieder pro Jahr zu verstärken: weniger ein „Wenn du sie nicht schlagen kannst, dann schließe dich ihnen an“ als ein „Wenn du nicht von ihnen geschlagen werden willst, lass genug von ihnen sich dir anschließen“. So war eine neue Art der Aristokratie geboren: Wenn „sie“ zu „uns“ werden, werden „wir“ stärker. Doch die Herrscher spielten ein gefährliches Spiel – und das Ergebnis war letztendlich ein maßgeblicher Einfluss auf Mozarts Karriere als auch der Niedergang des Heiligen Römischen Reiches innerhalb einer Generation.

Waren die von Maria Theresia angestoßenen Reformen fast gänzlich von politischer Zweckmäßigkeit geleitet, wurden die ihres Sohnes durch einen aufrichtigen, brennenden Idealismus erschwert. Sein Reformeifer erwachte 1780 mit dem Tod seiner Mutter, Joseph führte seine egalitären Tendenzen so weit, das Zeremoniell allgemein zu beschneiden, indem er kürzte, was er als verschwenderische Ausgaben für die offensichtlichen Verlockungen der Macht und Zurschaustellung feudaler Begräbnisse betrachtete. Er begann auch, sich frei unter das einfache Volk zu mischen. Das Klima des Freidenkertums in Wien und die damit nachlassende Zensur brachten ein Ausmaß an intellektueller und politischer Auseinandersetzung hervor, das zum Gespräch von ganz Europa wurde, auch wenn es unvermeidliche Rückschläge gab. Aber für Mozart, der als junger Mann gerade erst in der Hauptstadt angekommen war, bedeutete dieses Klima nichts als Optimismus, und er zählte diese Jahre zu den glücklichsten seines Lebens.

Sein Vater konnte es sicher schwer fassen. Als er aufwuchs, waren Musiker außer umherziehenden Spielmännern und anderen Vagabunden, wie in längst vergangenen Generationen, per definitionem Diener, entweder am Hofe eines Adeligen oder eines Geistlichen (in Mozarts Fall traf beides zu). Sie trugen die Livree eines Dienstboten, wie Lakaien und Kutscher (dies traf auf Haydn für den größten Teil seines erwachsenen Lebens zu), und sie aßen in der Gesindeküche zusammen mit den Köchen und Küchenmädchen. Auch innerhalb des Dienstboten-„Haushalts“ hatten sie keinen hohen Rang. Sie durften ohne ausdrückliche Erlaubnis ihres Herrn nicht reisen. In einigen Fällen (wie bei Haydns erster Anstellung beim böhmischen Grafen Morzin) war ihnen sogar das Heiraten verboten. Von den meisten wurde erwartet, dass sie gleichzeitig auch Kammerdiener waren, wenn dies erforderlich war (bei J. S. Bachs erster Beschäftigung am Weimarer Hof wurde er offiziell so benannt). Die meisten Musiker, auch die begabtesten, hatten keine Chance, als unabhängiger Freischaffender zu arrivieren. Lange bevor sich Mozart selbst in dieser Richtung bemühte, hatte Haydn dies in Wien versucht und war kläglich gescheitert. Die Kluft zwischen herrschendem Adel und dem Rest der Gesellschaft war fast unermesslich, und einen Dialog zwischen ihnen gab es praktisch nicht.

Merkwürdigerweise berührten die liberalen Reformen Josephs II. die Gruppe der Hofmusiker kaum. Sie trugen jedoch zu einer Stimmung bei, in der ein talentierter Komponist, besonders wenn er sich auf die italienische Oper spezialisierte, zu Recht hoffen konnte, eine Wanderkarriere zu genießen, frei von der Bindung an Hof, Kirche oder Stadt. Das Risiko war jedoch nach wie vor hoch. Komponisten erhielten kein Honorar. War das Werk einmal dem Auftraggeber übergeben worden, war es für seinen Schöpfer außer Reichweite. Da es nur wenige Fälle gab, in denen das ursprüngliche Honorar gewinnbringend angelegt werden konnte, waren sogar die erfolgreichsten Komponisten dazu verdammt, von der Hand in den Mund zu leben, wiewohl auch manchmal auf großem Fuß.

Der andere Weg, der sich dem entschlossenen Freiberufler öffnete, war der des Virtuosen. Diese Rolle erfüllte Mozart einige Jahre lang bis zur Perfektion, betrachtete sie aber als Verschwendung seines größten Talents, das natürlich das Komponieren war. Es bedeutete zudem, fast ständig unterwegs zu sein, und war weder dem Komponieren noch dem Familienleben, das Mozart schätzte, zuträglich. Andererseits konnten die besten Künstler, vor allem Sänger, nun außerordentliche Honorare verlangen. So konnte ein erfolgreicher Sänger mit einem einzigen Engagement das Zweifache von Mozarts jährlichem Gehalt in Salzburg verdienen.

Welchen Weg auch immer er wählte, Mozarts Interessen und die des Kaisers waren nicht dieselben. Und in einer besonderen Sache waren sie vollkommen gegensätzlich. Wie ein Jahrhundert zuvor die deutschen Pietisten, aber aus anderen Gründen, befürwortete der Kaiser die radikale Vereinfachung der Kirchenmusik. Die in seinen Augen opernhafte Fülle der Musik wie in Mozarts großen Messen war ein verschwenderischer und unangebrachter Luxus. 1786 veröffentlichte er einen Erlass, der „lautes“ Singen in der Kirche untersagte. Mozarts Karriere als Komponist von Kirchenmusik war beendet. Nur die entschieden bescheidene Motette Ave verum corpus und das Requiem sollten noch folgen, beide in seinem letzten Lebensjahr: jene wurde außerhalb Wiens komponiert; Letzteres war für den privaten Gebrauch eines trauernden Adligen bestimmt sowie für eine mögliche folgende konzertante Aufführung.

Es muss betont werden, dass Josephs finanzielle und zeremonielle Einsparungen nicht nur die Frucht seiner „aufgeklärten“ Philosophie waren. Genau genommen war der Titel des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation ein vereinfachender Euphemismus, der die Tatsache verhüllte, dass es sich weit über das Reich deutscher Muttersprachler hinaus erstreckte, es umspannte auch (um weitere Euphemismen zu verwenden) bedeutende Stücke von Italien, den Niederlanden, der Balkan-Länder und alles, was wir heute als Rumänien und Ungarn kennen. Ein solches Reich zusammenzuhalten, ist auch in den besten Zeiten teuer; umso teurer in einer Zeit wie der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, voller politischer und militärischer Unruhen, die durch revolutionäre und demokratische Gedanken bestärkt wurden, welche die gesamte soziale Ordnung eines Kontinents ins Wanken brachten. Der Ausbruch des Krieges führte während der kurzen Lebenszeit Mozarts (das erste Mal im Jahr seiner Geburt) zu einer enormen Aufstockung des bereits großen stehenden Heeres des Kaisers (im Bayerischen Erbfolgekrieg 1778–1779 wurde es fast verdoppelt). Neben den finanziellen Kosten solcher Vorgänge gab es wirtschaftliche Entbehrungen. Diese bekamen alle zu spüren, da gelernte Handwerker und viele andere Fachleute zum Militärdienst einberufen wurden, und spezielle Kriegssteuern von bis zu zehn Prozent wurden Staatsdienern, Kaufleuten, Juristen etc. auferlegt. Auch Bauern und Landwirtschaft litten darunter, 1788 erreichten die steigenden Ausgaben für Brot aufgrund der unzureichenden Getreideversorgung solche Höhen, dass es Krawalle in Wiens Straßen und Raubüberfälle auf Bäcker und Kornspeicher gab.

Zu dieser Zeit war das mutige Experiment des Kaisers an allen Fronten fehlgeschlagen. Der Grundadel hatte seine Reformen von Anfang an abgelehnt, da er zu Recht um seinen Reichtum und folglich auch um seine Macht fürchtete. Das Proletariat, bei Weitem der größte Teil der Gesellschaft, hatte von den Umgestaltungen von vornherein nie viel profitiert. Intellektuelle und Gelehrte wurden wegen der zunehmenden Vernachlässigung der Künste und Wissenschaften unzufrieden; und die Lockerung der Zensur resultierte gegen Ende der 1780er-Jahre in immer stärkeren Angriffen auf die Monarchie und ihre Politik seitens Rednern und Flugblattschreibern, die sich als begabte Manipulierer der öffentlichen Meinung erwiesen. In Teilen Ungarns und der Niederlande gab es offene Rebellion. Mit dem Ausbruch des Türkenkriegs 1788 und den folgenden Steuererhöhungen und bedingten Rekrutierungs- und Kriegsausgaben waren Josephs Reformen so gut wie tot. Der entscheidende Umschlag kam 1789 mit dem Ausbruch der Französischen Revolution und der Hinrichtung von Marie Antoinette, Josephs Schwester und Königin von Frankreich. Viele seiner aufgeklärtesten Gesetze wurden widerrufen, es gab eine schonungslose Razzia bei der Presse, und Inhaftierungen ohne Anklage oder Gerichtsverfahren wurden alltäglich. Wien als Bollwerk der intellektuellen und künstlerischen Freiheit verschwand – im langen Rückblick der Geschichte – beinah von heute auf morgen. Die Musik war als einzige der Künste zunächst kaum betroffen, obwohl das Geld, sie zu fördern, immer knapper wurde. Mozarts Beziehung zum Kaiser, die niemals besonders eng war, blieb herzlich. Nach seiner Ernennung als Kammerkomponist Ende 1787 zu einem enttäuschenden Gehalt wurde jedoch deutlich, dass von dieser Seite keine weitere Unterstützung zu erwarten war. Bis zum Frühjahr 1788 wurden Opernensembles aufgelöst und Theater geschlossen. Trotz schwindelerregender Schulden war es Mozart, wie vielen Freischaffenden davor und seitdem, wichtiger denn je, den Anschein von Wohlstand zu bewahren. Folglich überstiegen die Ausgaben das Einkommen, mit desaströsen Auswirkungen.

Bei Josephs Tod im Jahre 1790 im Alter von 48 Jahren waren sein „aufgeklärter“ Ruf ruiniert und sein Reich dem Untergang geweiht. Die Thronbesteigung durch Josephs Bruder als Leopold II. hielt für Mozart auch keinen Trost bereit. Seine Hoffnungen auf die Berufung als Zweiter Kapellmeister wurden bald zerschlagen, und trotz seiner Stelle als kaiserlicher Kammerkomponist wurde er bei der Krönung im September in Frankfurt vom Hofstaat ausgeschlossen. Weniger als zwei Jahre später starb er im Alter von 35 Jahren.

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