Читать книгу bOOk oF liFe - Jess Pedrielli - Страница 8

IV.

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Am nächsten Morgen wurde Mingus unsanft aus dem Schlaf gerissen, als sein älterer Bruder Rhun kurz den Kopf zur Tür herein streckte, sich mit geballter Faust und abgespreiztem Daumen gegen die Stirn schlug, dazu laut „Schulz!“ rief und wieder verschwand. Mingus rieb sich verschlafen die Augen und blinzelte ins helle Sonnenlicht, das durch das Dachfenster in sein Zimmer fiel. Dies war ihr gängiges Begrüßungs- und Abschiedsritual in jeder Lebenslage. An diesem Morgen allerdings beschlich Mingus beim Anblick seines Bruders ein komisches Gefühl. Wie ein Irrlicht, das er nicht einordnen konnte, flackerte am Rand seines Bewusstseins kurzzeitig eine vage Erinnerung auf, entglitt ihm aber sofort wieder.

Hm, war wohl nur Einbildung.

Er streckte gähnend die Arme von sich. Dann rollte er sich aus dem Bett, um zur Toilette zu gehen, als ihm erneut ein Erinnerungsfetzen durch den Kopf schoss. Er hielt inne und wartete ganz still. Er presste die Knie zusammen. Lange würde seine Blase sich das nicht gefallen lassen. Das Gesicht eines Krokodils blitzte plötzlich vor ihm auf. Sein Traum! Ja, er hatte von einem Krokodil geträumt, das sich so exzentrisch benahm wie der Rest seiner Familie! Das war es! Ein Schwall seltsamer Ideen ergoss sich schlagartig in sein Denken.

Jedes Detail des Traums trat aus der abgegrenzten Welt des Unterbewussten über die Schwelle hinüber in sein Wachbewusstsein - und zwei für gewöhnlich strikt getrennte Lager schüttelten sich die Hände. Er erinnerte sich. Den Traum fest gepackt, stürmte er mit ihm zum Klo.

Er war sich im Traum bewusst gewesen, dass er träumte und das Krokodil hatte lange zu ihm über Energie und das Leben gesprochen. Schwierige Sachen. Den genauen Wortlaut wusste er nicht mehr. Vielleicht war das auch nicht so wichtig. Vielleicht reichte es aus, dass ein verborgener, weiserer Teil von ihm die Informationen nun besaß, nach denen es ihn zuvor so heftig verlangt hatte.

Obwohl er nur ein Junge von sieben Jahren war, der nicht alles gänzlich begreifen konnte, hatte das Krokodil mit dem Traum einen Keim in seine Seele gepflanzt, der mit der Zeit mit ihm mitwachsen würde, sodass das neue Wissen eines Tages zu Mingus gehören würde wie seine Glieder. Hoffte er jedenfalls. Der bohrende Drang, Antworten finden zu müssen, der ihn stets begleitete, hatte an diesem Morgen zumindest zum ersten Mal nachgelassen. Als habe jemand einen Schalter in ihm umgelegt. Was blieb, war die Neugier.

Er wusch sich die Hände und spritzte kaltes Wasser in sein Gesicht, bevor er nach dem Handtuch griff und sich flüchtig damit abtrocknete. Im Traum schien er selbst umso vieles schlauer und erwachsener gewesen zu sein als sonst. Sein langsamerer Echtzeit-Verstand würde wohl erst mit den Jahren durchschauen, was das Krokodil ihm in dieser Nacht alles anvertraut hatte. Wie viele Jahre das wohl dauern würde?

Ihm stockte der Atem. Wie von der Tarantel gestochen preschte er aus dem Badezimmer. Im Eifer des Gefechts taumelte er gegen die Tür, schwankte kurz, wobei er einer betrunkenen Hummel gefährlich ähnlich sah, und stürzte auf den Flur hinaus. Dort stolperte er zu allem Überfluss auch noch über seine Schlafanzughose, die ihm über den Hintern gerutscht war. Ungeduldig riss er den Bund nach oben und donnerte in halsbrecherischem Tempo die Treppe hinunter. Das Poltern seiner Schritte ließ die Toten auf dem Friedhof um die Ecke allmorgendlich aus ihren Särgen purzeln, weshalb sie mittlerweile auch der festen Überzeugung waren, dass es einem Erdbeben und einem Poltergeist irgendwie gelungen sein musste, gemeinsam ein Kind zu zeugen, das sie gemeinhin nur ´den Polterknecht` nannten. Jener gellte nun lauthals durchs Haus.

„Meine GESCHENKE! Her damit! Und zwar ALLE! Mumins, Päpsmän, wo habt ihr meine Geburtstagsgeschenke versteckt?! Rückt sie SOFORT raus! Ich halte es keine Sekunde mehr länger aus!“

Da hätte er vor lauter Krokodil tatsächlich beinahe seinen siebten Geburtstag vergessen.

Es wurde ein recht schöner Tag für Mingus. Geschenke bekam er reichlich und die in verpackter Form. Darauf bestand er. Das Aufreißen der Pakete und die Spannung, was sich hinter ihrer Verpackung verbarg, interessierte ihn fast mehr als der Inhalt selbst, obwohl der auch nicht zu verachten war. Sein Entdeckerdrang machte sich auch hier bemerkbar. Zu schade, dass der Globus keine unbekannten Flecken mehr zu bieten hatte. Er wäre sonst gerne Kolumbus geworden, sobald er groß war.

Kurz darauf saß er auf dem Wohnzimmerboden, umgeben von Schachteln und zerknülltem Papier. Mit seinen Geschenken war Mingus zufrieden. Nur einmal war er sehr still und etwas blass geworden, als er ein Stofftier auspackte. Es handelte sich um ein grünes Krokodil, das ein quietschendes Geräusch von sich gab, wenn man es auf den Bauch drückte. Es erinnerte an ein Furzkissen. Mingus schluckte, als er es sah.

„Von wem ist das?“, hatte er heiser gefragt.

Doch niemand wusste, woher das Geschenk stammte. Es hatte zwischen den anderen Päckchen gelegen. Mingus schwante, von wem die großzügige Spende war, was ihm ein bisschen Gänsehaut verursachte. Dann schob er die Sache von sich und verbrachte den Rest des Tages mit seinen Eltern und seinem Bruder im Garten. Sie spielten zusammen auf der Terrasse das neue Spiel, das er von Rhun bekommen hatte. Es hieß ´Atlantis`. Sie frotzelten und alberten während der Spielzüge herum und lachten viel. Anschließend spielten die Brüder am Klavier eine Melodie aus einem ihrer Computerspiele. Abends wurden unten am See, der an den Garten angrenzte, ein paar Würstchen gegrillt, die sie mit den Fingern aßen, während ihre Mutter im Wohnzimmer Opernarien trällerte.

Sie war eine begabte Sängerin, doch keines ihrer Kinder liebte die Oper sonderlich, weshalb es für gewöhnlich höchstens eine Stunde dauerte, bis einer ihrer Söhne auftauchte, einen Finger in jedem Ohr, und flehte „Bitte, hör doch endlich auf mit deinem Gesänge!“. So auch heute. Nachdem sie Mingus noch dazu hatte überreden können, sie auf dem Klavier zu begleiten, während sie ihm ein Geburtstagsständchen sang, war es auch schon fast wieder Schlafenszeit.

Mingus zog sich den Pyjama an und setzte sich zu seinem Vater auf die Terrasse. Dieser war ein genügsamer Mann weniger Worte, der sich nie in den Vordergrund drängte und es gern friedlich hatte. Er besaß die Gabe, Zufriedenheit in den kleinen Dingen des Lebens zu finden und seine stille Kraft war das Fundament, auf dem die Familie ruhte. In seinem jüngsten Spross erkannte er ein nachdenkliches, aufrichtiges, kluges und geradliniges Wesen. Doch stand er dessen inneren Tumulten und tiefschürfenden Fragen genauso hilflos gegenüber wie seine extrovertiertere Frau. Obwohl beide Eltern es nicht immer leicht gehabt hatten, verstanden sie Mingus` Persönlichkeit nur bedingt. Er war sowohl ein Teil von ihnen als auch ein Fremdkörper in ihrer Mitte, was jedoch nicht bedeutete, dass sie ihn nicht liebten. Mingus war auf den Schoß seines Vaters geklettert, der auf seiner Gitarre geklimpert hatte, und in einträchtigem Schweigen blickten sie gemeinsam in den Sternenhimmel hinauf. Sein Vater nippte an einem Glas Rotwein und gab Mingus einen Kuss auf den Scheitel. Der lehnte sich gegen die Brust seines Vaters und ließ den Tag im Geiste Revue passieren. Es war gar kein so übler Geburtstag gewesen, fand er. Nur diese seltsame Geschichte mit dem Krokodil ließ ihm keine Ruhe ...

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