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Kapitel 2

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Der Anfang ist so schön gewesen. Sie haben sich geküsst, wenn auch nur flüchtig, und sich wie zwei alte Bekannte bei einem Spaziergang im Sonnenuntergang unterhalten. Kayla ist an diesem Abend sehr glücklich gewesen, doch am nächsten Morgen ist alles wie zuvor.

Ray ist wieder verschwunden und Kayla muss oft an ihn denken. Kein gutes Zeichen, wie sie meint, aber sie kann nicht anders.

Sie fährt nach dem Frühstück zum wöchentlichen Training in die Kampfsportschule um im Profikurs, der von einer älteren Dame geleitet wird, zu trainieren. Ihr Name ist Penny.

Während Kayla trainiert, verbringt Kai seine Freizeit mit Freunden am Strand mit Volleyball, auf dem Wasser mit Surfen oder in seinem Stammcafé. Hier sitzt er mit seinen Freunden im Schatten und genießt die eisgekühlten Softdrinks des Hauses, während die Anderen die Mädels in ihren knappen Bikinis begutachten. Auch Kai kann sich hin und wieder einen prüfenden Blick nicht verkneifen, aber eines der Mädchen so frech anzusprechen, wie Rob es manchmal macht, würde ihm nie in den Sinn kommen. Rob Hanson scheint nichts peinlich zu sein. Die meisten Mädchen kommen eh nicht von hier, meint er nur jedes Mal. Auch an diesem Nachmittag sitzt die kleine Gruppe von Jugendlichen an ihrem Stammplatz. Während sich die Jungs über scharfe Mädels, Autos und sonst was unterhalten fragt Rob plötzlich an Kai gewandt: „Was macht eigentlich dein Kumpel Ray? Rennt er immer noch hinter deiner Schwester her?“

„Ich habe keine Ahnung. Wenn ich ehrlich bin, dann habe ich ihn an diesem Wochenende noch nicht gesehen“, murmelt Kai.

„Ich könnte mich jedes Mal totlachen, wenn ich daran denke, wie er ihr hinterher stiefelt. Als ob er eine ehrliche Chance bei ihr hätte, tzzz. Sie hat einfach zu viel Klasse für ihn“, entgegnet Rob belustigt und schlürft seinen Eistee.

„Du machst dich auch über alles und jeden lustig. Denk bitte daran, dass ich noch immer mit ihm befreundet bin“, meint Kai, legt etwas von seinem Taschengeld, unter sein leeres Glas und steht auf.

„Tolle Freundschaft“, brummt Rob, bleibt aber sitzen.


Ray hat ganz andere Sorgen. Er muss ständig an Kayla denken und möchte am liebsten jede freie Minute mit ihr verbringen, andererseits will er auch nichts überstürzen, denn jemand hat ihm einmal gesagt, dass eine echte Beziehung reifen muss. Was genau damit gemeint ist, weiß Ray allerdings nicht, außerdem muss er zusehen, dass er etwas Geld auftreibt, um seine Rückreise finanzieren zu können. Also bummelt er seit dem frühen Morgen durch die Innenstadt, klappert sämtliche Cafés und Restaurants ab, in der Hoffnung für ein paar Stunden einen Job zu bekommen. Leider ohne nennenswerten Erfolg. Dabei ist er doch nur hergekommen, um Kayla zu sehen. Für sie hat er seine gesamten Ersparnisse in ein Flugticket investiert, und auch wenn er für den Rückflug arbeiten gehen muss, so hat es sich schon jetzt für ihn gelohnt. Nun bleibt ihm noch ein kleines Straßencafé mit wenigen Gästen und unfreundlichem Personal. Ray ist kurz vorm Verzweifeln, als es auch hier keinen Job für ihn gibt. Zum Schluss versucht er sein Glück weiter unten, nahe dem Strand. Schließlich ist es Sommer und die meisten Gäste halten sich hier am Strand auf und demnach haben die Bars, Cafés und Restaurants viel zu tun. Nach scheinbar endloser Suche hat er schließlich Erfolg. Ein kleines Eiscafé in der Innenstadt bietet ihm doch noch einen Job an und das Beste daran ist: Er kann sofort anfangen.


Gegen Abend kommt Kayla endlich müde und erschöpft nach Hause. Ihre Arme und Beine sind mit blauen Flecken übersät und ihr Rücken macht sich auch schmerzhaft bemerkbar. Seufzend quält sie sich im Schlafzimmer aus ihren Klamotten, hüllt sich in ihren weichen Bademantel und schmeißt ihre verschwitzten Trainingssachen in die Wäsche, bevor sie sich ein wohltuendes Bad einlässt. Plötzlich hört sie aus der Küche Geräusche. Misstrauisch schleicht sie aus dem Bad ins Schlafzimmer zurück, um eine Schusswaffe aus dem Aluminiumkoffer im Schrank zu holen, die sie dort versteckt. Bewaffnet schleicht sie rasch zurück und pirscht sich an die Küche heran. Am Küchentresen steht ihr erstaunter Bruder, der dabei ist, Tomaten für ein Sandwich zu schneiden.

„Ach du bist das. Himmel, ich habe schon sonst was gedacht“, murmelt Kayla erleichtert und lässt die geladene Waffe sinken, die sie auf ihren Bruder gerichtet hat.

„Bist du verrückt? Wer soll denn sonst noch hier sein außer mir?“, entgegnet er, arrangiert die Tomaten auf beiden Brothälften und klappt sie zusammen.

„Entschuldige bitte. Ich habe gedacht, du kommst später. Hast du zufällig Ray heute gesehen?“, fragt sie.

„Ray? Nein. Ist er überhaupt hier?“, entgegnet Kai.

„Ja. Wir haben uns gestern Abend getroffen und …“, erwidert sie mit einer Haarsträhne spielend, bricht aber im Satz ab, um sich nicht falsch auszudrücken.

„Und?“, fragt Kai weiter, bevor er sich daran macht genüsslich sein Sandwich zu verputzen.

„Nichts und. Wir haben uns nur kurz unterhalten. Ich muss zu meiner Badewanne“, entgegnet Kayla hastig und verschwindet in Windeseile aus der Küche.

Ist die Zeit begrenzt, so vergeht sie einfach viel zu schnell. Das muss auch Kai feststellen, dessen erholsames Wochenende nun schon zur Hälfte abgelaufen ist. Das bedeutet, dass er schon bald wieder nach Phönix, ins noch heißere Arizona zurückkehren muss. Hier besucht er eine Highschool im letzten Semester und wohnt in einem Internat. Wenn er an die Schule denkt, dann vermisst er Santa Barbara, die Strände und seine Schwester bevor er überhaupt das Flugzeug bestiegen hat. Besonders schade findet er, dass Kayla bis jetzt kaum Zeit für ihn gefunden hat. Ihre Gegenwart fehlt ihm irgendwie, schließlich ist sie so ziemlich das letzte bisschen Familie, das ihm geblieben ist. Seufzend richtet er sich in seinem gemütlichen Bett auf und blinzelt in die Morgensonne, die durch das offene Dachfenster fällt. Der Gedanke, schon Morgen wieder nach Phönix fliegen zu müssen, stimmt ihn etwas missmutig, aber er hat seiner großen Schwester fest versprochen in der Schule alles zu geben. Und obwohl er, wegen seiner damaligen Schulschwänzerei, eine ganze Klassenstufe wiederholen musste, sehen seine Chancen auf einen guten Abschluss mit Empfehlungsschreiben sehr gut aus.

Während Kai also aufsteht und duschen geht, sitzt Kayla auf der Terrasse beim Frühstück und blättert lustlos in einem Lifestylemagazin. Dabei denkt sie mal wieder fast pausenlos an Ray. Warum lässt er sich nicht bei ihr blicken? Im nächsten Moment fragt sie sich aber auch, warum es ihr auf einmal so wichtig geworden ist, mit ihm in Kontakt zu bleiben. Ist sie wirklich so verliebt? Sie seufzt, leert ihre Tasse Kaffee, schlägt die Zeitschrift zu und schreibt ihrem Bruder eine Nachricht, die sie in der Küche zurücklässt, bevor sie das Haus verlässt.

„Ja verstanden. Wir kümmern uns darum.“ Sam beendet das Gespräch, lässt sein Handy mit grimmiger Miene in die Innentasche seines Jacketts gleiten und steckt sich eine Zigarette an. Während er seine Sonnenbrille abnimmt, den Rauch genüsslich durch Mund und Nase aus bläst und sich gegen seine Limousine lehnt, meint er: „Der Sir möchte, dass wir die Versammlung so schnell wie möglich einberufen, außerdem wird die Auswahl an potenziellen Neulingen nicht besser. Er will auf keinen Fall länger warten.“

„Hm, wie viele kommen denn für das Projekt bis jetzt infrage?“, erkundigt sich eine zierliche Dame mit harter Mine.

„Zwanzig. Von denen sollen wir die Besten acht auswählen. Ich hab` da schon meine Favoriten. Mach dir darum mal keine Sorgen, Penny“, entgegnet Sam schmunzelnd. Sie zieht die linke Augenbraue hoch, legt die Stirn in Falten und meint: „Gerade darum mache ich mir Sorgen, Sam. Wie viele von ihnen sollen denn das erste Jahr überleben? Zwei? Überlass die endgültige Auswahl bitte mir. Du solltest dich lieber um einen vertrauenswürdigen Ort kümmern, der sich für eine solche Versammlung eignet.“

„Hmm, kannst du das nicht machen? Du kennst dich da viel besser aus“, brummt Sam zurück.

„Nein und wir müssen vorsichtig sein. Der Sir will mit Sicherheit nicht noch mehr Leichen riskieren. Darum wähle ich diejenigen aus, die zumindest eine reale Chance haben“, sagt Penny. Der mahnende Unterton in ihrer Stimme entgeht Sam keinesfalls.

„Von mir aus. Hat der Sir an etwas Bestimmtes gedacht?“, fragt Sam beleidigt.

„Nein. Allerdings bin ich der Meinung, dass es unauffällig sein sollte. Viel Erfolg“, entgegnet Penny und geht raschen, erhabenen Schrittes zu ihrem nachtschwarzen Maserati zurück.


Am Abend steht Kayla wie gewohnt am Herd, neben sich ein brandneues Kochbuch aufgeschlagen, das auf der Arbeitsfläche liegt, als Kai leise, nahezu geisterhaft, die Küche betritt.

„Hi. Ich habe Ray heute in so einem Straßencafé gesehen“, verkündet er und setzt sich an den Esstisch. Seine Stimme klingt in dieser Stille erschreckend laut, wie er meint, da Kayla vor Schreck zusammenfährt und ihr dabei alles aus den Händen fällt. In einer fließenden Bewegung dreht sie sich finster blickend zu ihrem Bruder um, der sie mit unschuldiger Miene mustert.

„Verdammt noch mal, Kai“, flucht sie und fährt fort: „Musst du mich so erschrecken?“

„Entschuldige bitte, das war doch keine Absicht. Seit wann bist du denn so schreckhaft?“, entgegnet Kai, dem es wirklich leid tut, seine Schwester so erschreckt zu haben.

„Schon gut. Ich weiß es auch nicht, aber das gibt sich schon wieder. Und was Ray angeht, der kann von mir aus bleiben, wo der Pfeffer wächst. So und jetzt koche ich dir erst mal einen Tee, du siehst etwas weiß aus, so um die Nase herum“, sagt Kayla bestimmt. Ihr Bruder wagt es nicht, ihr zu widersprechen.

„Bist du so lieb und deckst den Tisch? Das Essen ist fertig“, fügt sie mit mildem Lächeln hinzu und bereitet einen Teekessel mit heißem Wasser vor.


Zeitgleich geht der Sir langsam durch die Reben seines Weingutes und begutachtet sorgsam die Pflanzen, deren Früchte langsam reif werden. Die Stille über den Weinhängen ist eine friedliche. Die langsam untergehende Sonne taucht das Gut in warme Orange- und Rottöne. Penny begleitet ihn.

„Ich mache mir große Sorgen um die Geschäfte und um die Neulinge. Violette drängt uns noch vom Markt, wenn das so weitergeht. Sie bringt damit noch unser ganzes Projekt in Gefahr. Ich hoffe, ihr kommt gut voran“, sagt der Sir bedächtig und nachdenklich. Dabei sieht er sie besorgt an.

„Ich weiß. Wir liegen zwar etwas hinter dem Zeitplan, aber die engste Auswahl steht. Und wegen der Aufträge brauchen wir uns noch keine allzu großen Sorgen zu machen, noch sind wir die besseren und mit der Elite werden wir das auch bleiben“, entgegnet sie.

„Wenn du das sagst, Penny. Was ist mit Kayla und Leutnant Colonel McChalsey?“, fragt der Sir und streicht sanft über eines der Weinblätter.

„ Kayla hat alles gut verkraftet, aber um McChalsey mache ich mir Sorgen. Sie zieht sich seit ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus immer weiter zurück und die psychologische Betreuung nimmt sie auch nur sporadisch in Anspruch. Im Augenblick befindet sie sich in ihrer Wohnung. Jupp ist in der Nähe“, meint sie und bleibt stehen.

„ Danke Penny. Ich erwarte deinen Bericht in 24 Stunden. Bereite bis dahin bitte alles vor. Sam soll die Versammlung leiten“, antwortet der Sir bestimmt. Penny nickt stumm und macht sich auf den Rückweg, denn es gibt noch sehr viel zu tun.


Das Wochenende vergeht so unglaublich schnell, dass man glatt das Gefühl bekommt, Tempus hätte an der Zeit gedreht. Besonders der letzte Tag ist für Kayla der schlimmste, da ihr das riesige Haus immer so furchtbar einsam vorkommt, wenn ihr Bruder nicht da ist und sie daran erinnert, dass sie am nächsten Morgen schon wieder arbeiten muss.

Noch vor dem Morgengrauen steht sie auf, um am Strand, in der aufschäumenden Gischt des Meeres joggen zu gehen, am Strand bei der aufgehenden Sonne zu meditieren, um anschließend gegen ihren eigenen Schatten im Sand zu kämpfen. Seit dem Angriff auf dem Parkplatz geht sie wieder regelmäßig zum Kampfsport und auf den Schießstand. Und damit tut sie genau das, was die Organisation will, ohne dass Kayla sich dessen überhaupt bewusst ist. Etwa zwei Stunden später kommt sie zurück. Es ist gespenstisch still, als sie die Haustür so leise wie möglich hinter sich schließt und ins Schlafzimmer geht.

Eine Etage über ihr liegt Kai frisch geduscht und angezogen auf seinem ordentlich zurechtgemachten Bett, die Arme hinterm Kopf verschränkt und starrt trübsinnig Löcher in die Decke. Dabei denkt er an Shelly. Sie hat einen Typen geküsst und in seinem Arm sehr glücklich ausgesehen. Er hätte es zwar besser gefunden, wenn sie ihn und nicht diesen anderen geküsst hätte, aber was hätte er tun können? Er hätte sich vielleicht mehr mit ihr unterhalten sollen, aber ein so bezauberndes Mädchen in ein angeregtes Gespräch zu verwickeln ist gar nicht so einfach. Worüber hätte er mit ihr sprechen können ohne sich vor ihr zu blamieren? Ergeben seufzend schließt er seine Augen, bis die Wasserleitungen anfangen zu rauschen, was bedeutet, dass Kayla endlich zurück ist.

Als sie schließlich frisch geduscht und umgezogen aus ihrem Schlafzimmer kommt, erwartet Kai sie schon sehnsüchtig am gedeckten Frühstückstisch bei Toast, Rührei und gebratenem Speck. An seinem Blick erkennt sie sofort, dass ihm etwas auf der Seele liegt, was er sofort loswerden möchte, aber sich kaum traut, es auszusprechen. Darum hilft sie nach.

„Guten Morgen. Na sag schon, was bedrückt dich?“, fragt sie mütterlich und setzt sich.

„Du kennst doch Shelly, das Mädchen aus der Tauchschule“, beginnt er zögerlich und schmiert sich langsam seinen Toast. Die richtigen Worte zu finden, fällt ihm schwer.

„Ja. Sie ist attraktiv, sportlich, herzlich, hat ein bezauberndes Lächeln und dazu soll sie eine sehr gute Taucherin sein“, entgegnet seine Schwester, während sie sich nebenbei einen Tee einschenkt.

„Ich weiß“, entgegnet Kai. Dabei seufzt er unbewusst.

„Ah, verstehe. Lade sie doch einfach zum Eis essen ein oder gehst mit ihr ins Kino“, entgegnet Kayla eine Spur zu locker.

„Danke, und wie soll ich das deiner Meinung nach anstellen?“, fragt er empört. Dabei schaut er seiner Schwester tief in die Augen und schließt seine Finger fester um sein Messer. Kayla versteht sofort, wie ernst er es meint und antwortet: „Ich weiß, dass es nicht leicht ist, den ersten Schritt zu machen. Nimm deinen ganzen Mut zusammen und frag` sie, wenn sie allein ist. Mehr als Nein sagen kann sie schließlich nicht, oder?“

Kai seufzt erneut: „Wenn das so einfach wäre, würde ich nicht hier sitzen.“

„Hmm, da hast du natürlich recht, aber willst du meine ehrliche Meinung zum Ganzen hören?“, fragt sie.

„Na?“, entgegnet er.

„Nimm es mir bitte nicht übel, aber Shelly wird noch dieses Jahr 20. Ich weiß, sie ist wirklich nicht zu verachten, aber ich glaube, sie passt nicht zu dir. Ich bin mir sicher, dass eine Menge Mädchen mit dir zusammen sein möchten und unter Garantie ist eins dabei, das besser zu dir passt“, meint Kayla.

„Kann sein, aber …“, entgegnet er.

„Glaube mir. Ich bin schließlich auch einmal in deinem Alter gewesen. Liebe kann man nicht einfach bestellen und erzwingen schon gar nicht. Sie kommt ganz unverhofft und ist dann einfach da. Versuche nicht sie zu finden, denn sie findet dich. Das hat meine erste große Liebe zumindest einmal zu mir gesagt“, erzählt sie mit einem verträumten Lächeln.

„Vielleicht hast du recht“, murmelt er ergeben und beginnt lustlos an seinem Toast zu knabbern.

„Hey, Kopf hoch. Wir haben noch ein paar Stunden Zeit, ehe ich dich zum Airport bringen muss. Was hältst du davon, wenn wir nach dem Frühstück einkaufen fahren. Du brauchst doch bestimmt noch ein paar neue Schulsachen und ein paar neue Hosen und Shirts können auch nicht schaden“, entgegnet sie und garniert sich einen Toast mit Käse und Tomaten, die sie sich während des Gespräches aus dem Kühlschrank geholt hat.

„Kann sein“, brummt Kai, allerdings stimmt ihn Kaylas Vorschlag etwas freundlicher, denn einige seiner Klamotten sind nicht mehr die besten und Großvater ist furchtbar geizig.


Kayla macht aus ihrem Vorschlag ein Versprechen und fährt mit Kai nach dem Frühstück tatsächlich in die Innenstadt von Santa Barbara, um in einer der teureren Einkaufspassagen shoppen zu gehen. Ihr kleiner Bruder gibt sich in den ersten Geschäften sehr zögerlich, obwohl ihm ein paar Sachen wirklich gut gefallen. Erst im vierten oder fünften Geschäft verliert sich seine Zurückhaltung und er findet eine helle Bermuda-Shorts, die ihm wirklich gut gefällt, aber als er zufällig den Preis erspäht, verfliegt sein Interesse sehr schnell. Seiner Schwester ist das natürlich nicht entgangen.

„Magst du sie nicht trotzdem einmal anprobieren?“, fragt sie.

„Warum denn?“, entgegnet er überrascht.

„Ich weiß, dass sie dir gefällt“, stichelt Kayla.

„Ich weiß nicht“, entgegnet er hin- und hergerissen.

„Komm schon. Da ist doch nichts dabei, und wenn du die schon einmal mitnimmst, dann kannst du das hier auch noch anprobieren“, meint Kayla und drückt ihm einen Bügel mit einem dunkelblauen Kurzarmhemd in die Hand.

„Okay“, antwortet er, sucht sich eine Hose in seiner Kleidergröße heraus und geht mit den beiden Kleidungsstücken und gemischten Gefühlen zu den Umkleidekabinen. Als er nach ein paar Minuten wieder herauskommt, ist Kayla plötzlich nicht mehr zu sehen. Er ist davon ausgegangen, dass sie ihm folgt, um ihr Urteil über das Outfit zu fällen. Stattdessen sitzt in einem Sessel, der vor den Kabinen steht, ein Mädchen in seinem Alter, mustert ihn rasch von oben bis unten, errötet und schaut schnell weg. Auch Kai bekommt etwas mehr Farbe auf den Wangen und lässt seinen Blick suchend durch den Laden schweifen. Kayla ist nirgends zu sehen.

Plötzlich sagt ihre vertraute Stimme neben ihm: „Sag mal, sieht das gut aus?“

Das Mädchen, das eben noch verlegen weggeschaut und Kai kurz darauf erneut einen bewundernden Blick zugeworfen hat, als dieser seine Schwester gesucht hat, blickt nun enttäuscht auf ihre eigenen Füße nieder. Kayla, die ihre Augen und Ohren überall zu haben scheint, fängt ihren enttäuschten Blick auf und sieht ihren Bruder fragend an.

„Ja, das Kleid steht dir. Wenn du nicht meine Schwester wärst, würde ich sofort mit dir ausgehen wollen“, entgegnet Kai.

„Danke. Du siehst auch nicht schlecht aus und ich glaube, das sehe nicht nur ich so. Allerdings ist das Kleid nicht ganz meine Preisklasse“, entgegnet Kayla und zieht sich in ihre Kabine zurück, aus der sie gerade gekommen ist. Kai sieht sich etwas verwirrt um und begegnet wieder dem Blick des Mädchens. Er wirft ihr ein zaghaftes Lächeln zu und zieht sich in die Kabine mit seinen Klamotten zurück, um sich umzuziehen. Draußen springt das Mädchen auf und beginnt aufgeregt, aber leise mit ihrer Freundin zu tuscheln.

Etwa drei Stunden später parkt Kayla ihren Geländewagen wieder vor ihrer Garage und holt drei volle Einkaufstüten aus dem Kofferraum. Kai, der ihr zwei Tüten bereits zur Haustür bringt, kann noch immer kaum glauben, wie viel Geld sie heute für ihn ausgegeben hat, fast 500 Dollar.

„Nochmals danke“, murmelt er, als sie ihm die Haustür aufschließt.

„Dafür doch nicht. Ich habe dir damals schon einmal gesagt, dass ich für dich da bin und das hier gehört für mich dazu“, entgegnet sie, während sie auf die Tüten deutet.

„Und jetzt rein mit dir. Du musst doch noch packen“, fügt sie mütterlich hinzu und schiebt ihn sanft durch die Tür.

Obwohl die Zeit langsam drängt, lässt Kai sich beim Packen seiner Reisetasche viel Zeit. Immer wieder starrt er trübsinnig aus dem Fenster, legt etwas in die Tasche und holt es wieder heraus. Er hat keine große Lust nach Phönix zu fliegen. Hier ist er schließlich zu Hause. Es ist schon später Nachmittag, als Kayla nach ihrem Bruder ruft: „Kai! Wie weit bist du? Wir müssen los!“

„Bin gleich soweit“, entgegnet er und zerrt mühsam den Reißverschluss seiner Reisetasche zu. Kaum zu glauben, aber so lange hat er noch nie gebraucht, um seine Sachen zu packen. Missmutig schleppt er sein Gepäck die Treppe hinunter durch den Flur zu Kaylas Wagen, der bereits vor dem Haus mit laufendem Motor steht.

„Hast du alles? Nichts vergessen?“, fragt seine Schwester.

„Ich glaube nicht. Du musst noch abschließen“, entgegnet Kai.

Sie nickt, verschließt die Haustür, setzt sich hinters Steuer und fährt los, zum Flughafen.


Während der gesamten Fahrt spricht Kai kaum ein Wort. Stattdessen starrt er aus dem Autofenster und hängt irgendwelchen Tagträumen nach, während die Landschaft an ihm vorbeifliegt. Hinzu kommt, dass der Abschied naht. Diesmal wird es wohl noch schwerer werden als sonst. Kayla hat zwar ihre Aufmerksamkeit brav auf die Straße gerichtet, wirft aber trotzdem hin und wieder einen prüfenden Blick auf ihren schweigsamen Bruder. Auch ihr fällt es jedes Mal schwer, ihn zum Flieger zu bringen. Sie sind noch genau im Zeitplan, als sie ihren Wagen auf einem Parkplatz abstellt, seufzt und sagt: „Wir sind da.“

„Hmm. Danke fürs Herfahren“, entgegnet er leise.

„Hier. Du kannst es sicher brauchen“, meint Kayla und reicht ihm ein kleines Bündel Geldscheine.

„Dein Taschengeld für die nächsten Wochen. Gut einteilen“, fügt sie zwinkernd hinzu.

„Danke“, murmelt Kai leise, steckt das Geld ein und steigt aus. Kayla folgt ihm, schließlich muss sie den Kofferraum öffnen. Wortlos wuchtet Kai sein Gepäck auf die Straße.

„Hey, komm mal her“, sagt Kayla und zieht ihn zu sich in die Arme, dabei wird ihr zum ersten Mal richtig bewusst, dass er zwar jünger, aber schon einen Kopf größer ist als sie selbst.

„Was ist los?“, fragt sie.

„Ich weiß nicht“, entgegnet er.

„Du solltest dich jetzt auf die Schule konzentrieren. Der Rest kommt von allein, okay? Ich habe dich lieb“, sagt sie.

„Okay. Ich dich auch. Muss los, das Ticket holen und die Tasche abgeben. Ich schreibe dir, sobald ich angekommen bin und wann ich wieder vorbei komme“, entgegnet Kai und drückt sie noch einmal ganz fest, bevor er sich abwendet, sein Gepäck schultert, kaum hörbar etwas zum Abschied murmelt und Richtung Eingangshalle verschwindet.

„Ciao“, murmelt Kayla etwas traurig, aber Kai ist schon verschwunden. Sie bleibt allein bei ihrem Wagen zurück, aber sie ist sich sicher, dass Tränen in seinen Augen geglänzt haben.


Dass Kayla nun wieder allein ist, bleibt nicht unbemerkt. Noch auf dem Parkplatz des Airport wird sie aus einer schwarzen Limousine mit stark getönten Scheiben und aus einem dunkelgrünen Minivan heraus genau beobachtet.

„Wir sind nicht allein“, meint Sam, der die schwarze Limousine gefahren hat, und deutet hinaus auf den Van.

„Ich weiß. Wir sollten Kayla nicht aus den Augen lassen und sicherstellen, dass sie unversehrt ankommt. Dass Violettes Leute hier herumlungern, macht mich irgendwie nervös“, entgegnet Penny, die neben ihm sitzt, besorgt. Sam wartet ab, bis Kayla wieder eingestiegen ist, den Motor anlässt und sich auf den Rückweg macht. Sobald sie an ihnen vorbeigefahren ist, lässt auch er den Motor an, um ihr zu folgen. Er schafft es gerade noch rechtzeitig vor Violettes Leuten den Parkplatz zu verlassen, um diese auf Abstand halten zu können. Ein weiterer Wagen der Hunter setzt sich hinter den Minivan, um darauf zu achten, dass Violettes Leute keine Probleme machen.


Die erste Woche, nach Kais Abreise, ganz allein in ihrem großen Haus ist Kayla sehr einsam vorgekommen, obwohl sie genug zu tun hat. Sam bombardiert sie mit E-Mails, in denen er sie dazu ermahnt das Fitnesstraining, die Stunden in der Kampfsportschule und seit Neuestem auch noch das zweimal wöchentliche Training an einem Schießstand einzuhalten. Ihr neuer Trainer würde sie dort schon erwarten. Darüber hinaus soll sie allerdings ihren normalen Job nicht vergessen. Und er weist sie mehrfach daraufhin, dass das alles kein Spiel mehr sei, sondern bittere Realität. Wenn sie abends endlich zu Ruhe kommt, denkt sie entweder an ihren Bruder, der ihr fast täglich schreibt, oder an Ray, der sich bisher nicht bei ihr gemeldet hat und von dem sie daher sehr enttäuscht ist. Sie hat ihn am Flughafen gesehen und er hat es nicht für nötig gehalten, sich von ihr zu verabschieden. Sie hätte ihn sogar zum Flugplatz gefahren, auch wenn er sie nicht darum gebeten hätte. Er ist ohne etwas zu sagen nach Philadelphia zurückgeflogen. Vielleicht hat sie sich in ihm getäuscht und er ist doch noch nicht so erwachsen, wie er ihr gegenüber vorgibt zu sein.


Die Nacht ist angenehm warm. Es weht kaum Wind. Und weil sie sich wieder über Ray aufgeregt hat und nicht schlafen kann, schlüpft sie nochmals in eine ihrer Lieblingsjeans, zieht sich eine weiße Baumwollbluse sowie eine Jeansjacke über und verlässt noch einmal das Haus, um etwas spazieren zu gehen. Auch wenn ihr die Muskeln vom letzten Training im Fitnesscenter schmerzen. Um wirklich ungestört zu sein, fährt sie mit ihrem Geländewagen aus der Stadt heraus, um den Wagen etwa eine Meile hinter dem Ortsschild abzustellen, damit sie zu Fuß weitergehen kann. Hier draußen findet sie ihre Einsamkeit, die ihr so heilig geworden ist. Wege gibt es hier draußen nicht. Nur mit Taschenlampe, einem Kompass und einem Jagdmesser bewaffnet, wird sie losgehen. Den Kompass braucht sie inzwischen kaum noch, da sie sich hier mittlerweile gut auskennt. Sie prüft ein letztes Mal ob der Wagen verschlossen ist, ob sie alles Notwendige dabei hat, atmet noch einmal tief durch und macht sich auf den Weg. Seit dem Angriff auf dem Parkplatz unternimmt sie solche Streifzüge nicht mehr unbewaffnet. Kayla schaut sich noch ein letztes Mal prüfend um. Der Wind trägt ihr von irgendwoher leise Musik entgegen. Findet irgendwo ein Fest statt? Sie ist schon lange nicht mehr ausgegangen. Als sie länger darüber nachdenkt, fühlt sie sich auf einmal sehr alt und einsam. Statt in Selbstmitleid zu versinken, strafft sie ihre Körperhaltung, steckt entschlossen ihre Hände in die Jackentaschen und marschiert los Richtung Musik.


Im Schutz der Dunkelheit, gut getarnt, wartet er auf den richtigen Moment, um sein Opfer endlich aus dem Weg zu räumen, genau so, wie Violette es von ihm verlangt hat. Schon seit Wochen haben er und seine Männer Kayla Parker fast rund um die Uhr beschattet und genug Informationen über sie zusammengetragen, um sicher zu sein, dass sie schon unter den Fittichen der „Canadian Hunter“ ist und in wenigen Monaten äußerst gefährlich sein wird. Und all das vor der Nase ihres Bodyguards Sam Fischer. Bei dem Gedanken gluckst er vergnügt vor sich hin. Ein letztes Mal checkt er durch sein Zielfernrohr die Lage. Von anderen „Hunter“ oder gar von Sam ist nichts zu sehen. Perfekt, denn sonst müsste er auch ihn töten und das würde nur unnötigen Mehraufwand bedeuten.

Jetzt hat er Kayla genau im Visier. Ein roter Punkt tanzt minimal genau zwischen ihren Schulterblättern. Es wird ihr wohl sämtliche Wirbel in diesem Bereich wegreißen und vielleicht das Herz zerfetzen. Wie auch immer, gleich wird sie tot und Violette sehr zufrieden sein.


Kayla bleibt plötzlich wie angewurzelt stehen. Da ist es wieder, dieses unangenehme Gefühl, genau beobachtet zu werden. Das hat sie schon gehabt, nachdem sie Kai auf dem Parkplatz des Airport abgesetzt hat. Die schwarze Limousine ist ihr im Rückspiegel sofort aufgefallen, aber wegen der hat sie sich keine Sorgen gemacht. Ganz gewiss nicht, aber jetzt ist ihr ganzer Körper in höchster Alarmbereitschaft. Die drohende Gefahr lässt ihr einen eiskalten Schauer nach dem anderen den Rücken herunter laufen, ihre Nackenhärchen sträuben sich. Dazu kommt plötzlich eine leichte, aber kalte Brise auf. Kayla fröstelt ein wenig, zieht den Kragen schützend fester um ihren Hals und geht langsam weiter, auf eine Baumgruppe zu. Dabei bemerkt sie kaum, wie sie eine Hand von ihrem Kragen löst und zum Jagdmesser greift.

Den aufkommenden Wind hat er unter seiner Tarnung gar nicht bemerkt. Somit sieht er auch nicht die Notwendigkeit, seine Schussbahn neu zu kalkulieren. Grinsend folgt er ihren Bewegungen, um sie im Visier zu behalten. Das Gefühl, die Macht über die Situation zu haben, erregt ihn bis aufs Blut.

„Das wird dir auch nicht viel nutzen“, murmelt er leise, als er sie zwischen den Bäumen Schutz suchen sieht. Dabei verzieht er das Gesicht zu einer hässlichen Grimasse und drückt ab.


Ein lautes Krachen und ein unbeschreiblicher Schmerz lassen Kayla reflexartig hinter einen der Bäume weichen. Ihre Hand, die sofort an den Oberarm greift, fühlt sich feucht und klebrig an und verrät ihr schon, dass sie getroffen ist. Mit zusammengebissenen Zähnen und schmerzverzerrtem Gesicht zieht sie sich weiter in den Schutz der Baumgruppe zurück. Ihr Puls rast, das Adrenalin jagt durch ihre Adern und ihr Herz hämmert wie wild in ihrer Brust. Als plötzlich ein zweiter Schuss kracht und nur Zentimeter neben ihr in einem Baum einschlägt, ergreift sie die Flucht in die Dunkelheit.


„Verdammtes Miststück“, flucht er leise und beobachtet ihre Flucht durch sein Zielfernrohr. Einen weiteren Schuss zu vergeuden wäre sinnlos.Violette wird sauer sein. Erfolglos packt er hastig seine Sachen zusammen und überlegt sich schon einmal eine gute Erklärung für sein Versagen. Wenn er Glück hat, hinterlässt sein Opfer vielleicht eine Blutspur, der er folgen könnte, aber erst muss er seine Spuren verwischen, aber wo sind nur die verdammten Hülsen gelandet?


Kayla läuft und läuft, ohne genau darauf zu achten wohin. Es sind die Schmerzen und die Angst vor weiteren Schüssen, die sie vorantreiben. Wie weit und wie lange sie schon gelaufen ist, weiß sie nicht. Ohne sich eine Verschnaufpause zu gönnen, läuft und stolpert sie auf eine holperige Nebenstraße zu und sieht sich völlig außer Atem um. Am Straßenrand stehen ein paar Autos, die Fahrer unterhalten sich und hören nebenbei Musik. Der Wind hat schon wieder etwas nachgelassen. Kayla wendet sich gerade von den Fahrzeugen ab, da ruft ein junger Mann hinter ihr: „Hey, bitte warten Sie! Sie sind verletzt!“

Kayla bleibt augenblicklich stehen, ohne sich umzudrehen. Der Fremde kommt zu ihr gespurtet, muss aber kurz vor ihr abbremsen, weil Kayla sich in einer fließenden Bewegung umdreht, das Jagdmesser zur Abwehr bereit und ihn finster anfunkelt.

„Hey, hey. Ganz ruhig, ich will Ihnen nichts Böses. Sie sind verletzt und brauchen sicher Hilfe“, sagt er sofort beschwichtigend. Seine Freunde beobachten die Szene mit angehaltenem Atem aus der Ferne.

„Danke, es geht schon“, murmelt Kayla, steckt ihr Messer umständlich weg und blickt im nächsten Augenblick schon wieder viel freundlicher.

„Sieht übel aus. Das sollte sich ein Arzt ansehen“, meint er und deutet auf ihre blutigen Finger, mit denen sie sich wieder den Arm hält.

„Nein, das wird schon wieder“, beharrt Kayla und blickt sehnsüchtig in die Ferne.

„Darf ich mir das wenigstens mal ansehen?“, fragt er. Kayla sieht ihn zweifelnd an, aber seinen treu blickenden Augen kann sie kaum widerstehen und auch ihr Bauchgefühl schlägt kein Alarm.

„Von mir aus, aber machen Sie keinen Scheiß“, entgegnet sie streng.

„Natürlich nicht. Kommen Sie am besten mit zu meinem Wagen, da haben wir mehr Licht“, meint er und deutet auf die Wagengruppe. Der junge Mann kehrt ihr den Rücken zu, um voranzugehen. Kayla zögert einen Moment, bevor sie sich in Bewegung setzt. Sie ist angespannt. Schließlich ist sie fast erschossen worden. Ihre Muskeln zittern durch die langsam aufkommende Kälte und die Anspannung ein wenig. Ihr Instinkt rät ihr immer noch zu größter Vorsicht, als sie zu dem wartenden Fremden aufschließt.

„Wie heißen Sie eigentlich?“, fragt er und bemüht sich so gelassen wie möglich zu klingen.

„Kay und Sie?“, entgegnet sie knapp, um ihre Anspannung zu verbergen.

„Freut mich Kay. Meine Freunde nennen mich Blizzard“, sagt er und streckt ihr die Rechte entgegen.

„Mich auch“, murmelt Kayla mit schmerzverzehrtem Gesicht.

„Und der Rest stellt sich am besten vor, wenn ich Sie verarztet habe“, meint Blizzard freundlich. Er spürt ihre Anspannung und versucht ihr diese durch ein lockeres Gespräch zu nehmen, bevor sie unüberlegt handelt und noch jemand verletzt wird.

Seine Freunde atmen erleichtert auf, als Blizzard endlich ankommt.

„Oh Mann, ich hab schon gedacht, die Kleine macht dich kalt“, brabbelt einer aus der Gruppe sofort los.

„Scott, die Kleine heißt Kay und hat wahrscheinlich einfach nur Angst und Schmerzen. Wer weiß, wer ihr das angetan hat. Kay, der blaue Skyline ist meiner“, meint Blizzard und klopft sanft auf eines der Autodächer.

Kayla antwortet nicht. Wortlos folgt sie ihm zum Kofferraum oder zumindest dem, was er einmal war. Sie ist erstaunt, als er den Kofferraumdeckel öffnet. Der Innenraum ist mit zwei zusätzlichen Lautsprechern, links und rechts, sowie einem Verstärker ausgestattet, der auf einer Art Podest geschraubt zu sein scheint. Trotzdem, viel Platz für andere Dinge gibt es nicht. Blizzard klappt die Platte mit dem Verstärker nach oben und holt aus dem Fach darunter seinen Verbandskasten und etwas destilliertes Wasser zum Reinigen der Wunde.

„Setz dich bitte“, meint er mit einer einladenden Handbewegung.

„Hier, vielleicht könnt ihr sie brauchen“, meint eine junge Dame und reicht Blizzard eine blaue Wolldecke.

„Danke Tessa“, entgegnet Blizzard und legt die Decke auf die Kante vom Kofferraum. Kayla setzt sich zögerlich und wirft Blizzard dabei einen warnenden Blick zu. Sie kommt sich so furchtbar fehl am Platz vor.

„Ich fürchte, Sie müssen Jacke und Bluse ausziehen, damit ich die Wunde reinigen kann“, meint Blizzard mit entschuldigender Miene.

„Schlechte Anmache“, antwortet sie augenzwinkernd und lässt umständlich die Hüllen fallen. Den Träger vom BH braucht sie schon nicht mehr herunterzuziehen, er hängt durchtrennt am Rest.

„Das ist aber nicht meine Schuld“, meint er und beginnt vorsichtig sie zu verarzten.

„Weiß ich doch“, entgegnet Kayla. Dabei versucht sie zu lächeln, aber der brennende Schmerz erlaubt es ihr nicht.

Während Blizzard Kayla vorsichtig versorgt und Tessa ihm dabei assistiert, stehen die anderen etwas abseits und beobachten skeptisch das Geschehen. Sie könnte gefährlich sein, immerhin hat sie ein Messer bei sich.

„Ich trau` ihr nicht“, murmelt Scott und zieht nervös an einem Joint.

„Sie sieht mitgenommen aus, wenn ihr mich fragt“, meint eine Blonde, die an einem silbernen Porsche GT lehnt.

„Wir sollten erst einmal mit ihr sprechen, bevor wir sie verurteilen. Nicht jeder, der uns über den Weg läuft, ist automatisch gleich ein Cop“, meint ein anderer.

„Karl Smith und seine Diplomatie. Das halte ich nicht aus“, stöhnt Scott und nimmt einen tiefen Zug.


„So, das wäre erledigt“, meint Blizzard, als er Kayla einen recht professionellen Verband angelegt hat.

„Danke“, murmelt Kayla, als sie wieder ihre blutverschmierte Bluse und ihre Jacke angezogen hat.

„Dafür nicht. Ich kann schon verstehen, dass du damit nicht zu einem Arzt gehen willst, aber trotzdem, wie ist das denn passiert?“, fragt er und setzt sich neben sie.

„Ich weiß es nicht. Ich bin in der Nähe vom Ortsausgang spazieren gegangen und aus heiterem Himmel fallen zwei Schüsse. Der Erste hat mich erwischt“, erklärt Kayla. Blizzard zieht ein ungläubiges Gesicht.

„Spazieren gegangen?“, fragt er ungläubig und fügt hinzu: „Um diese Uhrzeit?“

Kayla blickt verlegen zu Boden: „Ich weiß, klingt Scheiße, ist aber wahr.“

„Wir haben sie auch gehört, die Schüsse meine ich“, meint Tessa.

„Das wundert mich nicht, na ja. Ich werde mich dann mal wieder auf den Rückweg machen“, entgegnet Kayla mit einem besorgten Blick auf ihre Armbanduhr. Für diese Aussage erntet sie zweifelnde Blicke.

„Tut mir leid“, murmelt sie leise.

Wieder werden zweifelnde, fragende Blicke ausgetauscht.

„Na ja, wir können dich wohl kaum allein durch die Gegenden laufen lassen“, meint Karl entschieden und blickt die anderen fragend an.

„`Türlich nicht. Wo steht denn dein Auto?“, fragt Scott.

Kayla überlegt kurz. Sofort wird ihr klar, dass dieser Karl sie testen will. Darum gibt sie bereitwillig eine kurze Beschreibung.

„Das ist nicht weit von hier. Wenn du magst, bringen wir dich schnell hin“, meint Blizzard, der sofort auf Karls kleinen Test eingeht.

„Gerne“, entgegnet sie gelassen.

„Du kannst bei mir mitfahren“, sagt Scott und nickt in Richtung eines bulligen, silbernen Nissan Navara.

„Von mir aus gern“, entgegnet Kayla und steigt ohne eine weitere Aufforderung in den Wagen.


Dank der guten Federung bekommt Kayla von den Unebenheiten der Straße kaum etwas mit. Schweigend sitzt sie da und starrt aus dem Fenster. Wer hat nur so ein Interesse an ihrem Ableben? Könnten es dieselben Leute sein, die schon damals ihren Tod gewollt haben? Vielleicht sollte sie mit Sam darüber reden, denn dieser Gedanke macht ihr ernsthafte Sorgen und verdrängt sogar die Gedanken an Ray. Sie ist so versunken, dass sie noch nicht einmal mitbekommt, dass sich der Konvoi inzwischen wieder auf der befestigten Teerstraße nach Santa Barbara befindet. Erst als in der Dunkelheit ihr Geländewagen auftaucht, finden ihre Gedanken in den Moment zurück.

„Da ist es“, sagt sie hastig, aus Angst Scott könnte das Auto übersehen.

„Okay“, entgegnet er nur und hält hinter dem parkenden Fahrzeug.

„Danke für alles. Ihr habt was gut bei mir“, sagt sie und steigt aus.

„Hey, warte mal `ne Sekunde. Wenn du am Samstag Zeit und Lust hast, können wir uns in L.A unten auf dem Parkplatz am Hafen treffen. Dann kannst du die ganze Truppe kennenlernen“, meint Scott.

„Gern. Ab wann?“, entgegnet Kayla.

„Die meisten kommen gegen halb elf, aber lass die Cops, wo sie sind, okay?“, sagt er.

Kayla lächelt. „Keine Sorge, ich erzähle niemandem von deinem Laster. Bis Samstag“, antwortet sie, gibt der Wagentür einen Schubs, sodass sie genau ins Schloss rutscht.


Nach einer weiteren Nacht mit wenig Schlaf macht Kayla sich am nächsten Morgen auf den Weg zur Bank. Den Streifschuss von letzter Nacht hat sie unter einem roten Pullover gut verborgen. Sollte es als noch einmal anfangen zu bluten, so wird es hoffentlich nicht sofort auffallen. Als sie an ihrem Schreibtisch ankommt, bemerkt sie sofort die Benachrichtigung von Mr. Adams, ihrem Boss, die über ihrer Tastatur liegt. Neugierig studiert sie das Schreiben. Dann klopft es an ihrer Tür.

„Ja bitte“, sagt sie, noch halb in die Zeilen in ihrer Hand vertieft.

Die Tür geht vorsichtig auf und Nikki betritt mit besorgter Miene den Raum.

„Guten Morgen Nikki. Was gibt es denn?“, fragt sie.

Nikki wedelt mit einem Zettel in der Hand.

„Hast du auch so einen bekommen?“, fragt sie und setzt sich.

„Ja. Ich glaube wir brauchen uns keine Gedanken zu machen. Es sind nur Softwareprobleme. Keiner wird hier seinen Job verlieren“, entgegnet Kayla gelassen.

„Okay, wenn du meinst. Ich bin dann mal wieder vorne am Schalter“, murmelt Nikki und schleicht bedrückt aus dem Büro.

Kurze Zeit später, Kayla telefoniert gerade mit einem Kunden, klopft es einmal an ihrer Tür und Mr. Adams betritt den Raum. Kayla bittet ihn mit einer einladenden Geste sich zu setzen und gibt sich Mühe das Gespräch zu beenden, ohne dem Kunden das Gefühl zu geben abgewimmelt zu werden.

„So, was kann ich für Sie tun Mr. Adams?“, fragt Kayla schließlich, nachdem sie das Gespräch beendet hat.

„Wie ich sehe, haben Sie meine Nachricht erhalten, die ich Ihnen und ein paar anderen Mitarbeitern habe zukommen lassen. Leider kann ich Ihnen nicht sagen, wie lange es dauern wird, bis wir wieder vernünftig arbeiten können. Wenn Sie möchten, kann ich Sie für den Rest der Woche beurlauben, so wie sie es vor einiger Zeit angefragt haben. Ich habe den Schein bereits ausgefüllt und unterschrieben. Es fehlt nur noch Ihre Unterschrift“, erklärt Mr. Adams.

„Okay und ab wann wäre das?“, entgegnet Kayla.

„Heute nach Ihrer Mittagspause, Sie können also schon um halb eins nach Hause fahren. Es wäre schön, wenn Sie noch ein paar Ihrer Kunden benachrichtigen könnten und an unsere Hauptniederlassung verweisen würden. Ich wünsche Ihnen einen schönen Urlaub“, meint Mr. Adams und verlässt ohne ein weiteres Wort Kaylas Büro. So telefoniert sie sich bis zur Mittagspause noch schnell durch ihre Aktenordner und fährt wieder nach Hause.


In ihrer unerwarteten Freizeit trainiert Kayla härter denn je, denn ein so feiges Attentat wie das von letzter Nacht soll sich schließlich nicht wiederholen. An ihrem zweiten und letzten Urlaubstag klingelt es gegen elf Uhr an ihrer Haustür. Sie ist vor ein paar Minuten aus dem Fitnesscenter gekommen und hat sich gerade noch umziehen können. Überrascht öffnet sie die Tür.Im Windfang der Eingangstür steht ein junger Mann von einem Paketdienst.

„Oh, guten Tag. Ich habe hier ein kleines Paket für Kayla-Jane Parker, sind Sie das?“, fragt er freundlich, während er etwas kleines Braunes aus Pappe unterm Arm geklemmt hält.

„Ja, das bin ich, aber ich erwarte kein Paket“, entgegnet Kayla.

„Hm, es ist von einem Mr. Sam Fischer. Sagt Ihnen der Name etwas? Sonst nehme ich es auch gern wieder mit“, meint er.

„Nein, nein schon in Ordnung. Ich kenne einen Sam Fischer“, antwortet sie.

„Gut, dann brauche ich noch eine Unterschrift für die Empfangsbestätigung“, meint er und hält ihr seinen Scanner zur Unterschrift entgegen.

Als sie wieder aufschaut und sich ihre Blicke treffen, kommt er ihr auf einmal seltsam bekannt vor. Auch er überlegt schon die ganze Zeit, woher ihm ihr Gesicht und auch ihr Name so bekannt vorkommen. Der Bote ist gedanklich so weit weg, dass er nicht mitbekommt, das Kayla bereits mit dem Unterschreiben fertig ist.

„Ähm, mein Paket“, sagt sie schließlich.

„Oh, natürlich. Bitte schön“, entgegnet er sympathisch lächelnd. Dabei reicht er ihr das kleine Paket.

Sie möchte sich gerade bedanken und ihn verabschieden, da sagt er: „Entschuldigen Sie bitte. Ich möchte nicht unhöflich erscheinen, aber Sie kommen mir irgendwie bekannt vor. Es kann sein, dass ich mich täusche, aber das glaube ich nicht.“

„Ich weiß nicht. Ich wohne seit ungefähr drei Jahren hier. Ich bin lange Zeit in Deutschland gewesen“, erzählt sie.

Nun ist er sich sicher und meint: „In Deutschland sagen Sie. Dann kennen Sie doch sicher so einen Typen namens Mike Kleine oder nicht?“

Kayla überlegt kurz. Klar kennt sie einen Mike Kleine. Sie weiß auch, dass er nach der Schule nach Amerika gegangen ist. Seit dem ist der Kontakt abgerissen.

„Ja ich kenne einen Typen, der so heißt, aber das ist eine Ewigkeit her“, entgegnet sie und lehnt sich, nachdem sie das Paket beiseitegelegt hat, mit verschränkten Armen in den Türrahmen.

„Ich weiß. Interessant, wie gut Ms. Parker sich an ihre besten Schulfreunde erinnert“, sagt er und dreht sich um.

„Mike? Bist du es wirklich?“, fragt sie ungläubig.

Er ist zu seinem Lieferwagen zurückgegangen und lehnt ebenfalls mit verschränkten Armen an der geschlossenen Beifahrertür. Dabei hat er seinen berühmt berüchtigten „Ich-bin-der-Coolste-Blick“ aufgesetzt. Nun ist sich Kayla sicher, dass er es wirklich ist, strahlt übers ganze Gesicht und läuft zu ihm.

„Ja ich bin es, aber leider muss ich weiter. Vielleicht hast du heute Abend so gegen acht Zeit“, entgegnet er entschuldigend lächelnd.

„Klar. Warte kurz, ich schreibe dir schnell meine Nummer auf, falls dir etwas dazwischen kommen sollte“, meint sie, klopft ihm sacht auf die breiten Schultern, die sie so an ihm liebt und verschwindet schnell in ihrem Haus um kurz darauf mit einem kleinen Zettel wiederzukommen.

„Hey, da kommt schon nichts dazwischen“, entgegnet Mike und steckt zwinkernd den Zettel von Kayla in seine rechte Hosentasche.

„Gut, dann bis nachher. Ich warte auf dich“, sagt sie lächelnd.

Mike verabschiedet sich mit einer bloßen Handbewegung, steigt in den kleinen Transporter und fährt weiter.


Das klingelnde Telefon im Wohnzimmer empfängt sie als Kayla ins Haus zurückkehrt. Hastig greift sie zum Hörer. „Ja, Parker“, haucht sie hinein.

„Sam hier. Haben Sie unsere kleine Aufmerksamkeit erhalten?“, fragt Sam auf der anderen Seite der Leitung.

„Das Paket?“, fragt sie nach.

„Ja“, entgegnet Sam knapp.

„Äh, ja, aber noch keine Zeit gehabt, um hineinzusehen“, gesteht sie.

„Dann machen Sie es bitte jetzt“, entgegnet Sam.

„Okay“, erwidert Kayla, nimmt das schnurlose Telefon mit auf den Weg, um eine Schere und das Päckchen zu holen. Sam wartet auf der anderen Seite geduldig, bis sie es geöffnet hat. Der angehobene Deckel offenbart eine schwarze Pistole, passgenau eingebettet in eine dicke Schicht Schaumstoff. Kayla, die sich inzwischen etwas mit Waffen auskennt und auch einen gültigen Waffenschein besitzt, bemerkt sofort, dass diese Waffe keine Seriennummer hat und wohl auch nie eine besessen hat.

„Und?“, fragt Sam auf der anderen Seite.

„Ich bin sprachlos“, entgegnet Kayla, wagt es aber nicht die Waffe anzufassen.

„Sie gehört Ihnen. Mit diesem Modell werden Sie in Zukunft arbeiten. Wir melden uns wieder bei Ihnen. Und … Ms. Parker, machen Sie weiter so. Der Sir ist mit Ihrer Entwicklung sehr zufrieden“, meint Sam und legt auf.

Kayla ist ratlos. Mit dem geöffneten Karton geht sie ins Schlafzimmer und stellt ihn auf das Bett. Suchend schaut sie sich im Raum um. Hat sie nicht irgendwo ein paar Seidenhandschuhe gehabt? Die, die sie sich extra für die Beerdigung ihres Vaters gekauft hatte, bevor ihr mitgeteilt worden ist, dass er doch anonym bestattet werden wird? Sie erinnert sich dunkel daran, sie in eine der Schubladen ihrer massiven Eichenkommode verstaut zu haben. Tatsächlich findet Kayla in der untersten Schublade, zwischen Seidentüchern und Schals, ein Paar von eleganten, schwarzen Handschuhen, allerdings aus feinstem, dünnem Leder, welches sich wie eine zweite Haut anschmiegt. Ohne großartig weiter darüber nachzudenken, streift sie sich die guten Stücke über ihre zarten, eleganten Hände und nimmt die Waffe aus dem Karton, um sie genauer zu begutachten.

Es ist eine Beretta, das Modell, mit dem sie am besten umzugehen gelernt hat. Tatsächlich sieht es nicht so aus, als würde die Seriennummer entfernt worden sein. Zumindest der Schlitten ist aalglatt. Keine Kratzer, nichts. Zweifelnd dreht und wendet sie die Waffe in ihrer Hand. Sie sieht wirklich so aus, als käme sie frisch aus dem Werk. Zögerlich baut Kayla das gute Stück vorsichtig auseinander, so wie sie es gelernt hat. Doch auch im Innern befindet sich definitiv keine einzige Zahlen-Buchstabenkombination, die irgendwo vermerkt sein könnte.Vor ihr, auf dem Bett, liegen also wirklich Teile einer Waffe, die niemals irgendwo registriert sein wird, also theoretisch gar nicht existiert. Kayla ist fassungslos. Mit dieser Erkenntnis baut sie die Beretta wieder fachgerecht zusammen. Die romantischen Gedanken, die ihr vor dem Telefonat mit Sam durch den Kopf gegangen sind, sind verflogen, denn begeistert ist sie über die „kleine Aufmerksamkeit“ nicht gerade. Wer hat schon eine Waffe im Haus, die es theoretisch nicht gibt? Hat sie sich doch gerade noch vorgestellt, wie es wohl wäre von Mike gestreichelt, geküsst und befriedigt zu werden. Sie hätte sich vielleicht wieder wie eine begehrenswerte Frau gefühlt, aber jetzt hat sie ein komisches Gefühl in der Magengegend.


Als Mike Punkt acht Uhr vor ihrem Haus vorfährt, wartet Kayla bereits auf ihn, während sie sich gefragt hat, wo diese Waffe herkommen mag. Erst als Mike draußen einmal hupt, nimmt sie rasch ihre Jacke vom Stuhl, ihren Schlüsselbund vom Tisch und geht schnell hinaus. Um ein Haar hätte sie dabei das Abschließen vergessen.

„Hi“, sagt sie beim Öffnen der Wagentür und steigt zu Mike ins Auto.

„Hi, Kay. Und schon eine Idee, wo wir hinfahren könnten?“, entgegnet Mike.

„Warum ich? Du hast mich doch gefragt, ob ich dir etwas von meiner Zeit schenke“, meint sie.

„Ja, da hast du recht. Was hältst du von einem Diner. Ich muss ehrlich sein, mehr kann ich mir im Augenblick nicht leisten“, entgegnet Mike mit entschuldigender Miene und fährt los.

„Das ist schon in Ordnung. Ich halte eh nicht viel von diesen teuren Restaurants“, meint Kayla und unterdrückt geschickt ihre Anspannung. Sie haben sich eine halbe Ewigkeit nicht gesehen und vielleicht übt er sich auch deswegen in Zurückhaltung. Schleppend kommen die beiden ins Gespräch, aber je weiter sie fahren, umso mehr lockert sich die Stimmung. Sie erzählen sich von ihrer Zeit nach der Schule und lassen die alte Schulzeit in Gedanken wieder aufleben. Allerdings erwähnt keiner von beiden etwas von dem, was sie so besonders miteinander verbunden hat. Kayla umgeht dieses Thema absichtlich, da Mike aus seiner Zeit nach der Schule so viele amüsante Dinge zu berichten weiß und sie damit nicht die Stimmung kippen will.

Auch Mike gibt sich die allergrößte Mühe nicht an dieses Thema zu denken, obwohl es ihm schwerfällt. Kayla hat an Attraktivität in all dieser Zeit nichts verloren. Manchmal hat er fast pausenlos an sie denken müssen, an den Duft ihrer Haare, ihre zarte Haut und ihr natürliches Lächeln. Dazu ihre weiche Stimme, die schnell eine erotische Nuance bekommt. Es gibt wohl noch tausend andere Frauen, die ihm Ähnliches bieten könnten, aber er ist irgendwie immer wieder zu ihr zurückgekommen. Dennoch hätte es für eine feste Beziehung niemals ausgereicht. Warum - kann er sich manchmal selbst nicht erklären.

Damit seine Gedanken nicht noch weiter abdriften und Kayla das Gefühl bekommt, er würde ihr nicht mehr zuhören, zwingt er sich dazu sie hin und wieder zu unterbrechen, um ihr eine Zwischenfrage zu stellen. Das Essen im Diner ist längst vergessen. Mike verlässt Santa Barbara in Richtung Norden und findet irgendwo bei dem kleinen Küstenort Gaviota einen schönen Parkplatz mit Meerblick. Hier bleiben sie und unterhalten sich über alles Mögliche. Stundenlang sitzen sie im Auto nebeneinander, reden und lachen miteinander.

Kayla kann sich kaum daran erinnern, wie lange es her ist, dass sie so viel Spaß gehabt hat. Die Zeit vergeht so unglaublich schnell, bis sie sagt:„Es ist schon recht spät. Würde es dir etwas ausmachen, mich wieder nach Hause zu fahren?“

„Natürlich nicht“, entgegnet Mike lächelnd und startet den Wagen. Nachdenklich schweigend fährt er nach Santa Barbara zurück.

Als sein Wagen wieder vor ihrem Haus vorfährt, ist die Nacht bereits hereingebrochen. Mit einem stillen, kaum wahrnehmbaren Seufzer stellt er den Motor ab und wartet. Kayla, die während des gesamten Rückweges keinen Ton mehr gesagt hat, öffnet den Gurt, dreht sich auf dem Sitz ein Stück zu ihm und meint: „Der Abend ist sehr schön gewesen. Möchtest du nicht auf einen Kaffee oder so rein kommen?“

„Lieber nicht, vielleicht ein anderes Mal“, entgegnet er, dabei schaut er versehentlich direkt auf ihren Busen statt ins Gesicht. Er möchte es vorerst bei diesem Treffen belassen, damit nichts passiert, was er hinterher vielleicht bereuen könnte. Denn seine Gefühle fahren gerade Achterbahn.

Kayla denkt sich etwas Ähnliches und sagt: „Okay, aber wir sehen uns wieder.“

„Klar. Ich melde mich bei dir oder schau mal spontan vorbei“, antwortet er und versucht dabei so gelassen wie nur möglich zu wirken.

„Gut, also bis dann“, sagt Kayla leise und steigt aus. Auf einen Kuss zum Abschied verzichtet sie mit Absicht, genau wie in alten Zeiten. Mike murmelt noch etwas, was wohl als „tschüss“ ankommen sollte und fährt davon. Mit einem Lächeln auf den Lippen beobachtet, sie wie die Rücklichter seines Autos immer kleiner werden. Jetzt wird er es nicht mehr lange ohne ihre Nähe aushalten. Das ist schon immer so gewesen.


Derweil fliegen andernorts, in einer viktorianischen Villa die Fetzen.

Violette läuft, ihren Colt in der Hand, wutschnaubend in ihrem Arbeitszimmer langsam auf und ab. Zwei haben bei ihrem Wutanfall schon ihr Leben lassen müssen. Zum einen der Scharfschütze, der Kayla hat entkommen lassen und ein unbedeutender Kerl, der es gewagt hat eine dämliche Bemerkung von sich zu geben.

Ein Dienstmädchen kommt wie ein geprügelter Hund durch eine Hintertür hereingeschlichen und bringt eine Tasse Beruhigungstee. Violette nimmt ihr die Tasse vom Tablett, noch bevor sie auf der polierten Mahagoniplatte des Schreibtisches steht. Wenige Augenblicke später ist die Angestellte auch schon wieder verschwunden und froh darüber, so schnell nicht wieder in diesen Raum zu müssen.

Für Violette steht fest: Ein neuer Plan muss her, solange diese Kayla und die anderen Frischlinge des Sir noch schwach und verletzlich sind.

Lovely Hunter

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