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Kapitel 3
Оглавление„ Penny, das geht mir viel zu langsam, ich will endlich Resultate sehen“, sagt der Sir aufgebracht und schlägt mit den Handflächen wütend auf seinen massiven Schreibtisch.
„ Ich weis, aber wir können nicht anders. Einige sind noch nicht reif für das Projekt. Wir brauchen etwas mehr Zeit“, entgegnet Penny.
„Okay. Ich vertraue dir Penny, aber mehr als ein paar Stunden kann ich dir nicht geben. Und trete Sam in den Hintern, wenn du nach L.A zurückfliegst. Seine Vorschläge sind bis jetzt miserabel gewesen“, meint der Sir und lehnt sich in seinem Bürostuhl zurück.
„ Das mache ich. Da ist noch etwas, was dich vielleicht erfreuen wird“, antwortet Penny mit einer Pause. Der Sir mustert sie interessiert.
„Wir bekommen den russischen Offizier“, fährt Penny fort. Der Sir nickt anerkennend, ohne etwas zu sagen.
Während Penny in Chicago dem Sir die Sachlage schildert und ein Zeitfenster aushandelt, ist Sam fieberhaft auf der Suche nach einem Gebäude, das sich für das gesamte Vorhaben wirklich eignet. Bislang ohne Erfolg. Er sitzt, in seinem Apartment, am Schreibtisch und fährt sich mit beiden Händen besorgt durch sein kurzes, braunes Haar. Es gibt nicht so viele leer stehende Gebäude, die käuflich zu erwerben währen und eine gute geografische Lage bieten, aber die Zeit drängt.
Es ist Donnerstag. Punkt sieben Uhr morgens betritt Kayla ihr Büro.
Gähnend holt sie sich aus der kleinen Küche, die für die Angestellten eingerichtet worden ist, einen frischen Kaffee und geht zu ihrem Büro zurück. Noch scheint Kayla eine der Ersten zu sein. Nach einem freien Mittwoch, an dem die ganze Filiale geschlossen gewesen ist, wieder zu arbeiten fällt eben nicht jedem leicht.
Kurz vor ihrem Büro kommt ihr Mr. Adams mit ungewohnt krausem Haar und schief sitzender Krawatte entgegen. Im Vorbeigehen murmelt er ihr irgendetwas Unverständliches zu und verschwindet Richtung Küche. Kayla schmunzelt und nippt an ihrer dampfenden Tasse. So hat sie ihren Boss noch nie erlebt.
Die Zeit, die Kayla nutzt, um sich auf ihren heutigen Arbeitstag einzustimmen, nutzt Violette um sich beim Frühstück auf der Terrasse ihrer Villa darüber Gedanken zu machen was die „Canadian Hunter“ wohl als Nächstes planen.
Sie sitzt in ihrem Morgenmantel aus Seide in der Morgensonne, die Beine elegant übereinandergeschlagen und wippt mit den blanken Zehen, während sie mit nachdenklicher Miene an ihrem Kaffee nippt.
Durch eine sehr zuverlässige Quelle hat sie bereits herausgefunden, dass der Sir einen Russen rekrutieren will. Er könnte ihr nächstes Opfer sein, sie muss nur noch herausfinden, wie man ihn am besten zur Strecke bringen kann.
In ihrer freien Hand hält sie einen Bleistift, mit dem sie sich immer wieder Notizen macht, diese wegstreicht und neu aufschreibt. Auf diese Weise sind ihr schon die verrücktesten Ideen gekommen.
Fast unbemerkt erscheint ein junger Mann in der Terrassentür und sagt: „Entschuldigen Sie bitte Ms. Violette. Hector möchte Sie sprechen.“
Sie lächelt entzückt.
„Schicken Sie ihn rein“, entgegnet sie und gönnt sich einen weiteren Schluck aus ihrer Kaffeetasse.
Einen Augenblick später betritt ein hochgewachsener, breitschultriger Mann in Jeans, einem hellen Hemd und Jackett die Terrasse.
„Hector. Wie schön dich zu sehen, setz dich doch bitte“, schnurrt Violette.
„Guten Morgen Violette. Es gibt Neuigkeiten für dich“, entgegnet er ohne ihrer freundlichen Aufforderung Folge zu leisten. Violette setzt ihre Tasse ab und mustert ihn interessiert.
„Du kennst meine Preise“, fügt er hinzu.
„Natürlich“, antwortet sie und erhebt sich elegant von ihrem Stuhl, um ins Haus zu gehen. Hector schaut ihr nicht nach. Ein paar Augenblicke später kommt sie mit einem Bündel Geldscheine zurück und überreicht es an ihren Gast. Er mustert es wohlwollend. Violette ist schon immer sehr großzügig gewesen.
„Also, was sind es für Neuigkeiten“, fragt sie, setzt sich wieder und schlägt erneut ihre langen Beine übereinander.
„Der Sir erweitert seine persönliche Wunschliste um einen Scharfschützen von der Delta Force“, eröffnet Hector. Violette horcht auf. Ein Scharfschütze. Das ist wirklich interessant.
„Allerdings handelt es sich bislang nur um ein Gerücht“, fügt er hinzu.
„Aha, aber diesen Schützen gibt es wirklich?“, erkundigt sie sich.
„Natürlich. Sein Name ist Thomas Ashton, noch sehr jung, aber dafür Jahrgangsbester“, entgegnet er.
Violette überlegt sofort, wie sie diesen Ashton für sich und ihre ganz persönliche Privatarmee gewinnen, oder ihn aus dem Weg räumen lassen soll, aber da sie ihren eigenen Scharfschützen gerade erst eigenhändig erschossen hat, könnte sie den jungen Mann gut brauchen.
„Und was ist mit dem Russen? Haben die „Hunter“ ihn jetzt rekrutiert oder nicht?“, will sie wissen.
Hector nicht bedächtig.
„Verdammt, dann haben sie also schon Ms. Parker, die Frau von der Delta Force, den Russen und schon bald einen neuen Scharfschützen, ist das richtig?“, fragt sie nach.
„Richtig“, bestätigt Hector, der die Arme hinter dem Rücken verschränkt hält und die Aussicht über das Anwesen genießt.
„Gibt es noch etwas?“, fragt sie nachdenklich.
„Ich könnte noch sehr viel mehr erzählen, aber alles hat seinen Preis“, antwortet er in seiner typischen Sachlichkeit.
„Danke, aber ich denke ich weis genug für den Moment“, sagt sie honigsüß lächelnd.
„ Gut. Auf Wiedersehen Violette“, entgegnet Hector und entfernt sich diskret von der Terrasse und aus der Villa.
Kayla sitzt in ihrem Büro und bearbeitet den Papierkram, den Mr. Adams ihr vor ein paar Minuten auf den Schreibtisch gelegt hat. Und das kurz vor ihrer wohlverdienten Mittagspause.
Auf einmal klopft es an ihrer Tür. Nikki, vom Schalter, schaut herein und sagt: „Vorne steht ein Kunde, der nach dir fragt. Er meint, dass er schon mit dir gesprochen habe“, meint sie.
„Meinst du Mr. Kleine? Bring ihn ruhig her“, entgegnet Kayla.
„Bist du sicher? Du siehst beschäftigt aus“, meint Nikki beim Anblick ihres Schreibtisches zweifelnd.
„Klar. Jetzt mach schon“, entgegnet Kayla und legt die Papiere sorgfältig beiseite.
„Okay“, sagt Nikki und schließt wieder die Tür.
Kurz darauf kehrt sie mit Mike im Schlepptau zurück.
Kayla hört Nikki nur auf dem Flur sagen: „Bitte, Ms. Parker erwartet Sie schon.“
Dann geht die Tür erneut auf und Mike betritt den Raum.
„Hi. Ich hoffe ich komme nicht ungelegen“, meint er munter und stützt sich mit beiden Händen auf die Rückenlehne von einem der Stühle, die vor ihrem Schreibtisch stehen.
„Nicht wirklich. Was kann ich für dich tun“, entgegnet sie, dabei lehnt sie sich mit einem verspielten Lächeln in ihrem Bürostuhl zurück und dreht sich leicht von links nach rechts.
„Okay, ich gebe es zu; ich wollte dich unbedingt wieder sehen. Nach dem ich dich zu Hause abgesetzt habe, da ist mir aufgefallen das ich dich eigentlich zum Essen eingeladen habe, aber irgendwie sind wir nicht dazu gekommen. Stattdessen hast du all meine Pistazien verputzt“, meint Mike.
„Ich weiß, trotzdem hat mir der Abend gefallen. Und was möchtest du mir jetzt sagen?“, antwortet sie.
„Na ja, du hast doch jetzt bestimmt Mittagspause und da dachte ich, dass wir das Essen gehen, heute nachholen könnten“, erklärt er. Kayla lächelt.
„Na dann lass und gehen“, meint sie, springt auf und nimmt schwungvoll ihre Jacke vom Bürostuhl.
„Okay, na dann“, entgegnet er, legt ihr einen Arm um die Schultern und begleitet sie zur Tür hinaus.
Kayla strahlt übers ganze Gesicht als sie mit Mike, Arm in Arm, durch den Flur und nach vorne zum Schalter geht.
„Ich gehe in die Mittagspause. Bis später“, sagt sie leicht zu Nikki gewandt und verschwindet mit ihrer Begleitung zum Haupteingang hinaus.
Nikki schaut ihnen versonnen nach.
„Wir könnten sie in den Bergen von der Straße drängen. Es würde aussehen wie ein Unfall und Sie währen das Problem los“, meint einer aus der Gruppe.
„Blödsinn. Die Cops können einen Unfall von Fremdverschulden unterscheiden. Das ist viel zu riskant“, wirft ein anderer ein.
„Na ja, bei einem riskanten Überholmanöver könnte es funktionieren“, meint Violette nachdenklich.
Augenblicklich herrscht Totenstille. Es kommt nicht oft vor, dass Violette sich mit
Vorschlägen, die nicht von ihr kommen, näher befasst, es sei denn die „Canadian Hunter“ beschäftigen sie derart, dass sie sich zum Handeln gezwungen fühlt.
„Euer Problem liegt nur darin, dass diese Frau so gut wie nie durch die Berge fährt“, fügt sie hinzu.
Nachdenkliche Stille tritt ein.
„Und wenn wir sie aus dem Tal in die Berge treiben?“, fragt ein Anderer aus der Gruppe, allerdings scheint ihm niemand zugehört zu haben.
„Wir könnten sie doch entf…“, meint ein Weiterer vorsichtig.
„Nein, kommt nicht infrage. Man würde sie zu schnell vermissen. Außerdem wissen die „Canadian Hunter“ mit Sicherheit schon, dass wir hinter ihr her sind. Ich will nicht riskieren, dass sie die Jagd auf uns eröffnen“, entgegnet Violette entschieden und blockt den Vorschlag einer möglichen Entführung sofort ab.
Wieder tritt eine nachdenkliche Stille ein.
Am Nachmittag kommt Kayla gut gelaunt aus der Mittagspause zurück.
Nikki beobachtet durch die Glastüren wie ihre Kollegin aus einem dunkelblauen Wagen steigt und sich noch einen kurzen Moment lang mit dem Fahrer unterhält.
„Danke fürs Fahren. Wann sehen wir uns wieder?“, fragt Kayla.
„Von mir aus kann ich dich am Freitag um die gleiche Uhrzeit abholen, allerdings können wir höchstens einen Kaffee trinken gehen“, entgegnet Mike mit bedauerndem Unterton in der Stimme.
„Das macht doch nichts. Ich werde dann auf dich warten“, meint sie und zwinkert ihm zu.
„Okay, also bis Freitag“, entgegnet Mike.
„Wehe du versetzt mich“, mahnt Kayla lächelnd, schubst die Autotür zu und winkt ihm zum Abschied kurz zu, bevor sie sich auf dem Absatz umdreht und auf den Haupteingang zumarschiert.
Am Schalter fängt Nikki ihre Kollegin ab und schiebt sie sanft in Kaylas Büro.
„Warum hast du das denn nicht gleich gesagt?“, fragt sie.
„Was denn? Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst“, entgegnet Kayla und setzt sich, nachdem sie ihre Jacke wieder über ihren Bürostuhl gehängt hat, hinter ihren Schreibtisch. Nikki lässt sich mit erwartungsvoller Miene auf einen der Stühle fallen.
„Ach sei nicht albern. Ich habe doch gesehen das da etwas zwischen dir und diesem Typen läuft“, sagt Nikki schließlich.
„Quatsch. Mike ist nur ein guter Freund von mir, ehrlich“, entgegnet Kayla abwinkend.
„Nur ein guter Freund, aha. Und darum siehst du auch so frisch verliebt aus, verstehe“, sagt Nikki und bevor Kayla, die gerade Luft geholt hat um ihrer Kollegin heftig zu widersprechen, etwas sagen kann, fährt sie fort: „Nein, nein du brauchst nichts zu sagen, ich weis was ich gesehen habe und das reicht mir. Mensch Kayla, ich glaube das einfach nicht. Wie lange läuft das schon zwischen euch?“
„Nikki, verdammt noch mal! Ich bin nicht mit Mike Kleine zusammen und werde es auch niemals sein, dafür kenne ich ihn einfach zu lange“, entgegnet
Kayla gereizt. Dabei ist ihr nicht bewusst dass sie aufgesprungen ist und mit beiden Händen auf ihren Schreibtisch geschlagen hat. Von ihrer Fröhlichkeit ist nichts mehr geblieben.
Nikki ist plötzlich still. So wütend hat sie ihre Kollegin noch nie erlebt.
Kayla spürt, wie ihr Körper bebt und sie lässt sich langsam und auf ihren Stuhl zurücksinken.
„Entschuldige bitte. Ich glaube es ist besser du gehst wieder nach vorne“, murmelt Kayla.
Nikki nickt und schleicht so leise wie möglich aus dem Büro.
Nachdem Nikki den Raum verlassen hat, bricht Kayla über ihrem Schreibtisch zusammen. Was ist nur passiert? Diese Gefühle, wie überschäumende Wut, sind ihr bisher völlig fremd gewesen.
Einerseits möchte sie sich sofort bei Nikki entschuldigen, aber auf der anderen Seite möchte sie auch nicht, dass ihr eine Affäre oder Beziehung nachgesagt wird, die überhaupt nicht existiert.
Mühsam richtet Kayla sich in ihrem Bürostuhl auf, atmet einmal tief durch und richtet ihre Konzentration auf ihre Arbeit, die vor der Mittagspause liegen geblieben ist, damit sie wenigstens noch ein bisschen was schafft.
Eine Kaffeekanne später steht Kayla bei Mr. Adams im Büro und reicht ihm ein paar Unterlagen, die er ihr erst vor ein paar Tagen zur Bearbeitung gegeben, aber noch lange nicht zurückerwartet hat. Von seinem zerstreuten Erscheinungsbild, das Kayla in Erinnerung gehabt hat, ist nichts mehr zu sehen.
„Oh, das ist aber schnell gegangen. Danke“, meint Mr. Adams und schaut seine Mitarbeiterin genauer an.
„Sie sehen fertig aus“, fügt er rasch hinzu.
„Das ist gut möglich. Ich habe nur meinen Job gemacht“, entgegnet Kayla.
„Aha. Lassen Sie sich beim nächsten Mal bitte mehr Zeit. Wir brauchen Sie frisch, ausgeruht und in Topform. Machen Sie für heute Feierabend. Und Morgen möchte ich eine ausgeruhte Mitarbeiterin sehen“, sagt Mr. Adams gutmütig.
„Natürlich. Dann bis Morgen“, antwortet sie, geht leise an ihren Arbeitsplatz zurück und fährt kurze Zeit später nachdenklich durch die Stadt, bis sie schließlich den Wagen vor Tom´s Tauchschule abstellt und den kleinen Geschäftsraum betritt.
„Kayla, schön dich zu sehen“, sagt Tom und schließt sie herzlich in die Arme.
„Hallo Tom. Entschuldige bitte, dass ich so lange nicht hier gewesen bin, aber ich habe im Augenblick viel zu tun“, entgegnet sie.
„Ach, das macht doch nichts. Setz dich doch. Wie geht es dir“, fragt er und deutet auf einen freien Platz.
„Danke. Na ja, es geht. Wie gesagt viel zu tun“, murmelt sie und setzt sich.
„Hmm. Wenn ich dich so ansehe, dann sehe ich eine unglückliche junge Frau. Möchtest du darüber reden?“, fragt er und schiebt ihr eine Tasse heißen Tee zu.
„Eigentlich ist alles in Ordnung. Ich bin in letzter Zeit nur sehr im Stress gewesen, aber jetzt wird es langsam ruhiger“, entgegnet sie.
Tom spürt sofort, dass sie ihm nicht die Wahrheit sagt, allerdings gibt er sich mit ihrer Antwort zufrieden und schweigt einen Moment.
„Nein, um ehrlich zu sein, fühle ich mich schrecklich. Ich habe vor kurzem Ray wieder gesehen. Wir haben uns geküsst und …, ach verdammt ich glaube ich habe mich in ihn verliebt, aber er meldet sich nicht bei mir. Und dann habe ich auch noch einen Mann wiedergesehen, der mir als guter Freund sehr viel bedeutet hat. Meine Arbeitskollegin hat mitbekommen, dass ich heute mit ihm meine Mittagspause verbracht habe, und geht natürlich sofort davon aus, dass ich mit ihm etwas habe“, erklärt Kayla niedergeschlagen.
„Ist deine Kollegin denn im Recht?“, fragt Tom.
„Nein. Wir haben uns so lange nicht gesehen, da wird so schnell auch nichts passieren. Jedenfalls bin ich in meinem Büro etwas lauter geworden, um es ihr klar zu machen“, entgegnet sie.
„Vielleicht solltest du es mit ihm versuchen“, murmelt Tom nachdenklich.
„Was versuchen?“, fragt Kayla.
„Na ja, du auch nur eine Frau, du brauchst einen Mann, glaube mir“, entgegnet Tom entschieden.
Kayla sinkt auf ihrem Stuhl zusammen. Eine feste Beziehung mit Mike ist einfach nicht möglich, aber das kann Tom nicht wissen.
„Danke für den Tee“, meint sie schließlich leise und steht auf.
Tom lässt sie ohne ein weiteres Wort gehen.
Innerlich kocht Kayla vor Wut. Warum sind scheinbar alle der Meinung, dass sie einen Mann braucht?
Während sie noch über diese Frage nachdenkt, lenkt sie ihr Auto über Umwege nach Hause.
Sie hat ihr Ziel fast erreicht, da gibt es plötzlich einen Knall und ihr Geländewagen droht ins Schlingern zu geraten.
Fluchend lässt Kayla den Wagen an den Straßenrand rollen und steigt aus um sich den Schaden anzusehen.
Ein großes Loch mit ausgefransten Rändern im rechten Vorderreifen offenbart das Problem. Kayla seufzt ergeben und schaut sofort nach dem Reserverad, während hinter ihr ein zweites Fahrzeug hält.
„Na toll, Cops“, murmelt sie, wuchtet das Ersatzrad aus seiner Mulde und stellt fest, dass es nicht zu gebrauchen ist.
Ein gut aussehender Mann in den Vierzigern steigt aus und lehnt sich mit verschränkten Armen gegen ihr Auto.
„Brauchen Sie Hilfe?“, fragt er freundlich.
„Möglich. Mir ist ein Reifen geplatzt, das Ersatzrad ist platt und mein Akku ist leer“, entgegnet sie niedergeschlagen.
„Verstehe. Wenn sie möchten, dann schleppe ich sie zu meiner Werkstatt und wechsele Ihnen das Rad“, meint er und deutet auf seinen Geländewagen, mit dem er einen Fahrzeugtrailer zieht.
„Was bleibt mir anderes übrig?“, entgegnet sie.
„Gut“, meint der Fremde und geht zu seinem Wagen zurück.
Stück um Stück krabbelt Kaylas Wagen über eine Rampe den Trailer empor. Eddie, so hat er sich ihr vorgestellt, versteht etwas von dem, was er tut.
Geschickt hat er sein Gespann in Position gebracht, ihren Wagen mit einer Winde auf den Trailer gezogen und fachmännisch gesichert.
Nun sitzt sie neben ihm und weiß nicht recht was sie sagen soll.
Schweigend sitzt sie da und schaut aus der Frontscheibe, bis sie auf den Hof einer kleinen, etwas versteckten Autowerkstatt ankommen.
„So, da wären wir“, meint Eddie schließlich, stellt den Motor ab und steigt aus.
Kayla zögert noch einen Augenblick, bevor sie ihm folgt. Sie ist vorsichtig, obwohl ihr Bauchgefühl auch diesmal kein Alarm schlägt; sicher ist sicher.
Während Eddie ihren Geländewagen losbindet und umsichtig vom Trailer auf den gepflasterten Hof herunterlässt, schaut sie sich ein wenig um.
Die großen Tore der Montagehalle sind noch verschlossen. Über ihnen hängt ein großes weißes Schild mit der Aufschrift „Eddie´s Car-Service“ – Inhaber: Eduard Sellitt. Und ganz rechts, am Rand des Hofes, stehen ein paar Autos, die hier zum Verkauf angeboten werden. Kayla geht zu ihnen, um sich die Angebote genauer anzusehen. Als sie sich wieder nach ihrem eigenen Wagen umsieht, steht dieses zwar wieder auf sicherem Boden, aber Eddie ist verschwunden. Kayla schaut sich suchend um und zuckt ein wenig zusammen, als eines der Tore plötzlich knarzend aufgestoßen wird und Eddie wieder auftaucht.
„Okay, dann mal hinein in die gute Stube“, meint Eddie.
„Soll ich ihn in die Halle fahren“, fragt sie.
„Wie Sie möchten. Suchen Sie sich eine freie Hebebühne aus“, entgegnet Eddie. Er muss sich kurz umgezogen haben, denn hat er eben noch Jeans und ein Rotkariertes Hemd getragen, so steckt er jetzt in einem fleckigen Overall.
Ohne etwas zu sagen, wendet sie sich von ihm ab, um zu ihrem Wagen zu gehen.
Einen Augenblick später schwebt ihr Auto etwa zehn Zentimeter über dem Boden.
Während Eddie in seinem bescheidenen Lager nach einem neuen Reifen in der passenden Größe sucht, nutzt Kayla die Gelegenheit um sich weiter umzusehen.
Eddie scheint nicht gerade viele Reparaturaufträge zu haben. Von seinen insgesamt drei Hebebühnen ist im Augenblick nur eine besetzt. Das Werkzeug ist sauber auf einem Werkstattwagen bereitgelegt und glänzt, als wäre es noch nie verwendet worden. Auch der Rest macht einen äußerst ordentlichen, sauberen Eindruck.
„Dann wollen wir mal“, meint Eddie gut gelaunt, als er mit einem anderen Reifen aus dem Lager kommt.
„Es ist zwar kein neuer Reifen, aber wenigstens stimmt das Profil und er hat keine Risse. Damit können Sie noch ein paar Meilen fahren“, fügt er hinzu und schraubt den alten Reifen vom Wagen.
„Das macht doch nichts. Im nächsten Jahr brauche ich ohnehin vier Neue“, entgegnet Kayla sanft lächelnd.
„Sie sollten ihr plattes Ersatzrad nicht vergessen“, entgegnet Eddie.
„Oh, das hätte ich fast vergessen“, meint sie und verfolgt neugierig alles was Eddie macht.
Mit geübten Handgriffen löst er mithilfe einer Maschine den geplatzten Reifen von der Felge und zieht den Neuen wieder auf.
Und innerhalb kürzester Zeit steht Kaylas Auto wieder fahrbereit vor der Montagehalle.
„Was bekommen Sie“, fragt Kayla dankbar, als sie anschließend vor Eddie steht.
„Ich bin Eddie, alles andere macht mich furchtbar alt und für den Reifenwechsel sind wir mit 40 Dollar quitt“, antwortet er.
„Okay, danke Eddie“, meint Kayla und reicht ihm ein paar Scheine.
„Ich helfe doch gerne. Bis zum nächsten Mal“, entgegnet er und tippt sich gegen die Schläfe.
„Nochmals danke. Auf Wiedersehen“, sagt sie erneut und steigt mit zufriedenem Lächeln in ihren Wagen.
Erst als Kayla das Gelände verlassen hat, zählt Eddie das Geld nach. Es sind 50 Dollar, die die Kundin ihm gegeben hat.
Zu Hause erwartet Kayla bereits die nächste böse Überraschung.
Vor ihrem Haus parkt ein weißer Bentley mit leicht getönten Seitenscheiben aus Washington D.C. Kayla seufzt ergeben.
Statt direkt in die Garage zu fahren, stellt sie ihren Wagen davor ab, obwohl diese bereits offen ist.
Erst als sie aussteigt, verlässt auch der Großvater, dem der weiße Luxusschlitten gehört, seinen Wagen.
„Was wollen Sie denn hier“, fragt Kayla, wenig darüber erfreut ihren Großvater, den sie noch nie mit Vornamen oder dergleichen angesprochen hat, zu sehen.
„Ich muss mit dir sprechen. Es geht um Kai“, entgegnet ihr Großvater mit finsterer Miene.
„Okay, was ist mit ihm?“, fragt sie weiter.
„Das sollten wir nicht hier auf der Straße besprechen“, meint er.
„Ich habe zwar keine große Lust Sie hereinzubitten, aber ich fürchte ich habe keine andere Wahl“, entgegnet sie und geht in Richtung Haustür vor.
Der Großvater folgt ihr mit sicherem, energischem Schritt und löst in Kayla ein unbehagliches Gefühl aus. Sie hasst dieses Gefühl.
Kayla zwingt sich zu einer Seelenruhe, mit der sie die Tür aufschließt und das Haus betritt.
Schon im Flur wiederholt sie ihre Frage: „Was ist mit Kai?“
„Ich will, dass der Junge die Wochenenden ab sofort wieder in Washington verbringt“, eröffnet er ihr sachlich.
„Was? Das kann doch nicht Ihr ernst sein“, entgegnet Kayla aufgebracht.
„Doch das ist mein ernst. Er wird in Kürze die Highschool verlassen, aber das weist du ja sicherlich. Ich habe es von seinem Direktor erfahren, denn mit mir spricht der Junge ja schließlich nicht mehr. Außerdem wird er bald das College besuchen. Ich möchte, dass der Junge später etwas Vernünftiges macht und dafür braucht er eine anständige Schulbildung“, meint der Großvater entschieden.
„Und was stellen Sie sich unter einer anständigen Schulbildung vor?“, fragt sie unglaublich gefasst obwohl sie innerlich zum zerbersten angespannt ist.
„Jedenfalls nicht den ganzen Tag am Strand herumliegen und …“, antwortet der Großvater.
„Was glauben Sie wohl, warum er nicht freiwillig nach Washington fliegt. Der Junge ist so ernst und verschlossen gewesen wie einer von diesen englischen Wachen des Königshauses und das mit 14. Ich habe ihn damals bei mir aufgenommen und beobachtet. Anfangs habe ich seinen Sinn für Ordnung noch bewundert, aber irgendwann bin ich stutzig geworden. Ich habe mich an die Zimmer der Jungs aus meinem Internat erinnert; manchmal das totale Chaos, und mit der gesamten Wohnung von Kai verglichen“, fällt sie ihm ins Wort.
„Seit wann hat der Junge eine eigene Wohnung?! Wer soll denn das bezahlen?“, fährt der Großvater sie an.
„Er wohnt über mir. Es ist schrecklich gewesen. Ich weis auch, dass Ordnung das halbe Leben ist, aber das, was ich da gesehen habe, hat mit normaler Ordnung nichts mehr zu tun. Das ist schon fast krankhaft und heute weis ich auch warum, ich habe nämlich mit ihm darüber gesprochen. Selbst an den Wochenenden haben Sie ihm keine ruhige Minute gelassen. Ich meine, welcher Teenager steht am Samstag schon um 06:00 Uhr auf, um noch vor dem Frühstück Latein zu pauken? Das ist nicht normal. Oder die Geschichte mit dem Kleiderschrank? Nur weil einer der Pullover nicht richtig zusammengenommen gewesen ist, muss man doch nicht gleich den kompletten Schrankinhalt vor dem Jungen auf dem Parket verteilen“, entgegnet sie scharf.
„Und bei dir kann er tun und lassen, was er will? Wie soll der Junge sonst Disziplin und Ordnung lernen?
Ich kann nicht länger mit ansehen, wie du Kai Stück um Stück verkommen lässt und dabei zusiehst wie er zu einem Weich…“, sagt Großvater verärgert und wird im nächsten Moment zum zweiten Mal von seiner widerspenstigen Enkeltochter unterbrochen.
Sie sagt aufgebracht: „Sie haben keine Ahnung, wovon Sie da sprechen, Sie kennen Kai überhaupt nicht.“
„Jedenfalls nicht wirklich“, fügt sie leiser hinzu.
„Das ist nicht relevant. Ich habe noch immer das Sorgerecht für ihn und darum kommt der Junge ab sofort wieder nach Washington, wo er hingehört. Ich habe dieses Spiel lange genug geduldet“, meint der Großvater entschieden um diese Diskussion zu beenden.
„Das kann sich auch ganz schnell ändern. Er ist schließlich fast noch ein Kind“, entgegnet Kayla bedacht würdevoll um ihren Großvater zusätzlich zu verärgern.
Nachdem die Stippvisite ihres verhassten Großvaters ausgestanden ist, beschließt sie um das Sorgerecht für ihren Bruder zu kämpfen. Dafür konsultiert sie schon am nächsten Tag noch einen Fachanwalt.
Ihre gesamte Mittagspause verbringt sie damit, dem Anwalt die familiäre Situation zu schildern und sich beraten zu lassen. Seiner Einschätzung nach hat Kayla auch eine realistische Chance.
Nachdem sie ihre finanzielle Situation kurz überdacht hat, entschließt sie sich noch
vor Ort, die Sache ins Rollen zu bringen. Nicht nur weil sie ihrem Großvater zeigen will, dass er sich nicht alles erlauben kann, sondern auch, weil ihr Kais Wohlergehen noch viel wichtiger ist.
Auch Tage später sitzt Violette mit ihren engsten Vertrauten wieder in ihrem Besprechungsraum, die Beine wie gewohnt elegant übereinandergeschlagen und denkt nach.
„Wir sollten den Druck auf die Hunter ein wenig erhöhen Ms. Violette. Sie haben ihre neuen Rekruten schon fast vollständig zusammen und teilweise mit deren Ausbildung begonnen und einige von ihnen stellen schon jetzt eine ernsthafte Bedrohung dar“, berichtet ein Berater.
Violette atmet tief durch und überlegt einen Moment. Dabei reibt sie sich mit den Fingerspitzen über die Schläfen. Die Entwicklungen der letzten Wochen machen ihr langsam wirklich sorgen.
Vor ein paar Tagen hat sie schon erfahren müssen das sich auch Lieutenant Colonel McChalsey endlich dazu entschlossen hat, für die „Canadian Hunter“ zu arbeiten. Offenbar hat Penny ihr die Möglichkeit eröffnet ihre Familie zu rächen, was sie für Violette zu einer ernst zu nehmenden Gegnerin und einer Seelenverwandten macht.
Die anderen Anwesenden mustern sie erwartungsvoll.
„Ich denke es reicht aus, wenn unsere Leute nur ein wenig Präsens zeigen, um die Schäfchen vom Sir ein wenig zu verunsichern. Töten wir welche von ihnen, wird die Polizei aufmerksam und das will ich nicht riskieren. Antonio, du teilst die Trupps ein. Ich hoffe, ich habe mich klar genug ausgedrückt; keine Toten“, entgegnet sie nach einer Weile und erhebt sich. Ihr weißes Seidenkleid fällt elegant über ihre langen Beine, sodass die Männer im Raum ihr einen Moment nachsehen, als sie auf klackenden Pfennigabsätzen den Raum verlässt.
Dabei sind glücklicherweise niemandem ihre Sorgenfalten aufgefallen, denn neben der ständig wachsenden Macht der „Canadian Hunter“, möchte eine kleinere Organisation, die Pirates, mit ihr zusammenarbeiten. Allerdings hat sie keine große Lust, sich ihre Erfolge und auch die Gewinne aus illegalen Geschäften mit diesen Leuten zu teilen. Auf der anderen Seite ist ihre Zahl der fähigen Leute sehr verlockend. Vielleicht schafft sie es mit etwas weiblicher Raffinesse die Vorteile dieser Beziehung voll auszuschöpfen, ohne den geringsten Nachteil zu bekommen.
Schließlich sitzt sie noch immer am längeren Hebel, dem Geldhahn.
Violettes Anweisungen werden schneller befolgt als dem Sir lieb ist, denn schon am nächsten Morgen bittet Kayla per Telefon bei Sam um einen Gesprächstermin.
„Es ist wirklich wichtig. Vielleicht sind auch noch andere davon betroffen“, sagt sie, um ihrer Bitte Nachdruck zu verleihen.
„Also gut. Ich sage es sofort Penny, sie wird sich mit Ihnen in Verbindung setzen“, entgegnet Sam beruhigend.
„Penny, Helvin? Warum sie?“, fragt Kayla, doch Sam hat das Gespräch bereits beendet.
Es ist Wochenende, aber nachdem ihr gestern, nach Feierabend ein alter, dunkler Van fast bis nach Hause gefolgt ist, ist an ein erholsames Wochenende nicht mehr zu denken.
Unruhig wartet sie auf Pennys Anruf, bis es kurze Zeit später an ihrer Haustür klingelt.
Mit steifen Gliedern geht sie in den Flur und öffnet sie vorsichtig.
„Ms Parker, Sam schickt mich, Sie wollen mich dringend sprechen?“, fragt Penny, die in würdevoller Haltung im Windfang steht, zur Begrüßung.
„Danke, dass Sie gekommen sind. Bitte, kommen Sie rein“, entgegnet Kayla und tritt beiseite.
„Nun, Sam ist der Meinung, dass es sich um einen Ernstfall handelt. Darum bin ich sofort hergekommen. Sie haben Glück gehabt, dass ich in der Stadt bin“, meint Penny ernst und lässt sich von ihrer Schülerin ins Wohnzimmer führen.
Kayla beobachtet sie einen Augenblick. Obwohl Penny noch nie bei ihr zu Gast gewesen ist, bewegt sie sich sehr anmutig und stolz, als sie sich auf dem hellen Ledersofa niederlässt.
„Darf ich Ihnen einen Kaffee anbieten“, fragt Kayla um ihre Nervosität zu verbergen.
„Nein danke, aber ein Tee wäre nicht schlecht“, entgegnet Penny.
Kayla nickt und geht eilig in die Küche. Auf dem Weg erinnert sie sich dunkel daran, was bei ihrer letzten Begegnung in ihrer Tasse gedampft haben kann. Sie entscheidet sich für einen Kräutertee im Teebeutel, den Letzten.
Wenige Augenblicke später kehrt sie mit einem Tablett, der Tasse Tee und Zucker ins Wohnzimmer zurück.
„Das ist nett, danke. Also, worüber müssen Sie so dringend sprechen?“, fragt Penny ruhig.
„Eigentlich habe ich mit Sam sprechen wollen, aber warum schickt er Sie? Was haben Sie damit zu tun?“, entgegnet Kayla.
„Sie müssen wissen, dass ich schon sehr lange mit dem Sir zusammenarbeite, ich weiß Bescheid. Außerdem hat mich der Sir damit beauftragt, für Ihre Sicherheit zu sorgen“, erklärt Penny.
„Okay, dann wissen Sie auch von dem Toten auf dem Parkplatz?“, fragt Kayla vorsichtig. Penny nickt.
Kayla atmet tief durch und versucht ihre Gedanken zu sortieren.
Schließlich sagt sie: „Nun, schon bevor ich diesen Mann getötet habe, sind mir ein paar Dinge aufgefallen, die ich anfangs für unwichtig gehalten habe. Na ja, ich habe das Gefühl gehabt ständig beobachtet zu werden oder manchmal habe ich geglaubt das mir jemand bitterböse Blicke zuwirft, aber nach dem Vorfall auf dem Parkplatz hat jemand auf mich geschossen und das nicht versehentlich“, erzählt Kayla.
„Sind Sie schön häufiger angegriffen worden?“, fragt Penny, die noch immer ruhig bleibt, aber ihre Augen verraten Kayla, das bei ihrer Ausbilderin alle Alarmglocken läuten.
„Bisher nicht, aber ich habe einen Verdacht“, entgegnet Kayla.
„Ms. Parker, Sie müssen mit Verdächtigungen sehr vorsichtig sein. Ich möchte Sie trotzdem bitten, Ihr Training auf keinen Fall zu vernachlässigen. Ich halte es zum gegenwärtigen Zeitpunkt für sinnvoll das Sie schnell lernen Ms. Parker“, meint Penny sorgenvoll und nippt bedächtig schweigend an ihrem Tee. Für einen kurzen Moment scheint die Welt in tiefes Schweigen zu verfallen.
„Ich bin also nicht die Erste“, stellt Kayla mit heiserer Stimme fest und seufzt ergeben.
Mit diesen Worten lässt sie sich mit betroffener Miene in einen Sessel sinken.
„Wo bist du jetzt?“, fragt die vertraute Stimme des Sir.
„Ich bin gerade erst gegangen und jetzt auf dem Weg zu Sam“, entgegnet Penny und lässt den Motor ihres Maserati an.
„Gut und wie geht es ihr?“, fragt der Sir weiter.
„Soweit ganz gut. Ich habe ihr geraten das Training zu intensivieren, stets vorsichtig zu sein und so schnell wie möglich viel Neues zu lernen. Mehr kann ich nicht für sie tun.
Ich fürchte du hast recht, wir haben keine Zeit mehr“, entgegnet Penny niedergeschlagen seufzend.
„Kopf hoch Penny. Triff dich bitte mit Sam und berichte ihm von den Vorfällen. Und sprich bei Zeiten bitte auch mit den anderen Rekruten. Vielleicht ergibt sich daraus eine Art Muster oder so etwas, mit dem wir weiterarbeiten können“, meint der Sir.
Penny glaubt zu hören, wie er sich seufzend in seinen ledernen Bürosessel sinken lässt und sich mit einer Hand besorgt durchs Haar fährt.
„Danke. Ich bin schon auf dem Weg. Hoffentlich hast du unrecht. Ich melde mich später wieder“, entgegnet Penny.
„Ich erwarte deinen Anruf“, meint der Sir und legt auf.
Nach kurzer Fahrt hat Penny ein Apartment erreicht, das erst vor Kurzem auf Anweisung des Sirs hin gekauft worden ist und gerade renoviert wird.
Sam, den sie sofort nach dem Gespräch mit ihrem Boss angerufen hat, erwartet sie schon.
„Was ist denn bitte so wichtig, dass ich nicht einmal mit meiner Familie zu Mittag essen kann?“, fragt Sam entnervt als Penny aus ihrem Wagen steigt.
„Das besprechen wir unter Garantie nicht hier draußen“, entgegnet sie scharf und geht erhabenen Schrittes voraus, zur Eingangstür.
Sam folgt ihr widerwillig, die Hände in den Taschen seiner Hose vergraben.
Penny schweigt. Erst als sie ihren kurzen, dünnen Mantel ausgezogen und über ein modernes Sofa gelegt hat meint sie: „Ich bin gerade bei Ms. Parker gewesen und was sie mir berichtet hat, ist höchst alarmierend. Sie ist vor ein paar Wochen angeschossen worden.“
Sam wird etwas blass, rauft sich das Haar und meint: „Das ist nicht gut, ganz und gar nicht gut. Der Sir wird uns den Kopf abreißen. Wie geht es ihr überhaupt?“
„Beruhige dich, ich habe bereits mit dem Sir gesprochen. Es ist noch mal gut gegangen, sie lebt schließlich noch, aber ihrer Meinung nach ist das kein Zufall gewesen“, sagt Penny.
„Gut, ich möchte ungern für ihren Tod verantwortlich sein. Wir haben schließlich genug andere Probleme“, entgegnet Sam nervös.
Am Abend steigt Kayla in ihren Wagen und macht sich auf den Weg Richtung Los Angeles um sich von dem beunruhigenden Gespräch mit Penny abzulenken.
Während sie den Highway entlangfährt und die Straße gleichmäßig unter ihr dahin gleitet, fallen ihr plötzlich Scotts Worte wieder ein.
Scott, der Afroamerikaner mit dem silbernen Pick-up, der sie zu ihrem Wagen zurückgefahren hat, als sie angeschossen wurde, als sie allein unterwegs gewesen ist. Bei diesem Gedanken läuft ihr ein eiskalter Schauder den Rücken hinunter. Sie muss vorsichtig sein, denn auch heute Abend ist sie allein.
Allerdings nicht unbewaffnet. Die schwere Beretta, die sie von Sam bekommen hat, steckt gut gesichert in einem schwarzen Nylonholster, das neben ihr, unter einer scheinbar achtlos hingeworfenen Jacke, auf dem Beifahrersitz liegt.
Immer wieder blickt sie in die Spiegel, um sicherzugehen, dass niemand ihr folgt. So passiert sie die ersten Vororte von L.A.
Auf dem Parkplatz, der von den Streetracern als Treffpunkt genutzt wird, haben sich bereits viele Fahrer mit ihren schönen, schnellen Autos aus der ganzen Umgebung eingefunden. Sie stehen in Cliquen zusammen um sich zu unterhalten, zu flirten und um über die geöffneten Motorhauben hinweg zu fachsimpeln.
„Ich hab` dir doch gesagt, dass wir die Kleine nicht wieder sehen“, sagt Scott leise zu Blizzard.
„Sie wird schon irgendwann hier auftauchen, da bin ich mir sicher“, entgegnet Blizzard, der neben ihm steht und mit einem sauberen Tuch über die Motorhaube seines Autos wischt.
„Hey, was macht dich da so sicher, hm? Und wer sagt dir, dass sie nicht doch ein verdammter Cop oder etwas noch Schlimmeres ist, hm?“, fragt Scott und tritt unruhig von einem Bein aufs andere.
„Hey, was hat Scott denn jetzt wieder?“, fragt plötzlich Tessa, die gerade zu den beiden herüberkommt.
„Er übertreibt mal wieder. Er macht sich Gedanken wegen Kay“, erklärt Blizzard nüchtern.
„Sie ist ein Cop, ich sag´s euch“, wirft Scott besorgt ein, dabei zieht er nervös an seiner Zigarette.
„Wenn sie wirklich einer ist, dann währe sie doch schon längst hier gewesen, oder?“, fragt Tessa und versucht Scott wenigstens etwas zu beruhigen.
„Karl ist gerade angekommen, vielleicht hat er über Kay etwas in Erfahrung bringen können“, sagt Blizzard und deutet auf einen schwarzen Porsche, dessen Rücklichter gerade erlöschen.
„Dann lasst uns zu ihm gehen“, entgegnet Tessa.
Karl kommt ihnen schon auf halber Strecke entgegen. Sein Gesichtsausdruck ist
nichtssagend.
„Hey, und? Ist sie einer“, fragt Scott sofort.
Karl begrüßt Blizzard erst per Handschlag und Tessa mit einer Umarmung, bevor er antwortet: „Ich habe meine Beziehungen spielen und ihr Kennzeichen überprüfen lassen. Sie heißt Kayla-Jane Parker und arbeitet in einer Bank in Santa Barbara.“
„Dann ist sie also kein Cop? Auch nicht undercover“, fragt Scott ungeduldig.
„Nein. Ist sie heute Abend hier?“, entgegnet Karl fragend.
„Wir haben sie bisher noch nicht gesehen“, entgegnet Tessa.
„Sie kommt noch, da bin ich mir ganz sicher“, meint Blizzard.
Auch wenn die anderen es nicht glauben wollen, Blizzard behält recht, denn ein paar Minuten später taucht Kaylas Geländewagen aus der Dunkelheit auf und biegt langsam auf den Parkplatz, der mit der Zeit seine Übersichtlichkeit zu verlieren droht.
Einige scheinen sie gar nicht zu bemerken, andere schauen ihr argwöhnisch hinterher oder beginnen sofort heftig miteinander zu tuscheln.
Kayla, die noch schnell einen Abstecher in eine Waschstraße gemacht hat, fühlt sich auf einmal wie auf dem Präsentierteller. Ihre Blicke suchen ruhig die Parkreihen nach den Wagen von Scott, Karl, Tessa und Blizzard ab.
„Ich hab doch gesagt, dass sie heute Abend kommt“, meint Blizzard grinsend.
„Und woher? Kannst du etwa hellsehen oder was“, brummt Scott.
„Nein. Bevor ich hergekommen bin, bin ich an der Tankstelle gewesen und da ist sie an mir vorbeigefahren. Sie hat nachdenklich ausgesehen“, meint Blizzard gelassen.
Endlich hat Kayla ein paar bekannte Gesichter gefunden.
Scott, und die anderen parken relativ abseits, zusammen mit ein paar anderen, die Kayla nicht kennt. Zu Fuß kommt sie auf die kleine Gruppe zu.
Bei ihrer Ankunft hört sie Karl fragen: „Und du glaubst wirklich das sie heute Abend den Weg hier her findet?“
„Hi. Ich währe eigentlich schon letztes Wochenende gekommen, aber ich habe leider keine Zeit gefunden. Entschuldigt bitte“, meint Kayla auf einmal hinter ihnen.
„Ach, das macht doch nichts, ehrlich. Wir freuen uns dich zu sehen. Was macht die Schulter“, entgegnet Blizzard und dreht sich fragend zu ihr um.
„Äh, ja klar freuen wir uns dich zu sehen“, sagt Scott. Dabei entgeht Kayla nicht, wie unangenehm ihm dieser Satz gewesen ist.
„Der Schulter geht’s soweit ganz gut, danke. Ich wollte ohnehin nicht lange bleiben“, entgegnet Kayla.
„Warum denn? Wegen Scott? Mach dir wegen ihm keine Sorgen, er glaubt immer noch das du für die Polizei arbeitest“, meint Blizzard.
„Da kann ich euch beruhigen. Ich arbeite als Sachbearbeiterin in einer Bank“, antwortet Kayla.
„Ja, das wissen wir bereits“, mischt Karl sich ein.
Kayla dreht sich erstaunt zu ihm um.
„Entschuldige bitte, aber wir mussten sicherstellen, dass du nichts mit den Cops zu tun hast. Ich habe einen Kollegen gebeten, etwas zu recherchieren“, erklärt Karl.
„Aha, und etwas von Interesse herausgefunden?“, erkundigt sie sich mit bissigem Unterton.
„Na ja, das Übliche eben, Name, Adresse, Geburtstag und deinen Beruf. Nichts Besonderes“, antwortet Karl. Dabei wirkt er so selbstsicher wie nie.
„Äh ja, Kayla was hältst du davon, wenn ich dir den Rest von unserer Truppe vorstelle, bevor Karl hier noch einen Streit vom Zaun bricht“, sagt Blizzard und zieht sie sanft von den anderen weg.
Bereitwillig folgt sie ihm, meint aber: „Ich verstehe ja das ihr misstrauisch seid, aber das ist doch noch lange kein Grund, um zu solchen Maßnahmen zu greifen oder? Ich habe mich nur in meiner Privatsphäre etwas gestört gefühlt, das ist alles.“
„Ich kann dich gut verstehen. Ich bin davon auch nicht begeistert gewesen, aber ändern kannst du es eh nicht“, entgegnet Blizzard.
„Da hast du recht. Gehören die Jungs dort drüben auch zu euch“, entgegnet Kayla und deutet auf eine kleine Gruppe, die sich aufgeregt schnatternd um einen kleinen Wagen gescharrt hat.
„Nein. Das sind die die Golf-Fanatiker. Die kommen aus irgendeinem Kaff weiter südlich von L.A. Da hinten, die Gruppe bei Tessas Mazda, die gehören alle zu uns. Komm mit“, sagt er, nimmt sie bei der Hand und schlängelt sich quer über den Platz, zwischen den Menschen und Autos durch, auf die Gruppe zu.
Kayla hat Mühe ihm zu folgen.
Auf der anderen Seite angekommen sagt er: „Hi, was macht ihr denn hier drüben. Scott sucht euch schon überall.“
„Das ist mir doch egal. Hier hat er so oder so nichts zu melden“, entgegnet ein junger Mann von dunklerem Typ.
„Ich weis, aber deswegen bin ich nicht hier. Leute hört mal, ich möchte euch jemanden vorstellen. Das hier ist Kay, eine Freundin von mir. Seid nett zu ihr, damit sie beim nächsten Treffen wiederkommt“, sagt Blizzard laut und für alle deutlich hörbar. Kayla fühlt sich ein wenig unwohl in ihrer Haut, aber als nichts weiter passiert, geht es ihr schnell besser.
Blizzard lässt es sich nicht nehmen ihr die Restlichen vier der Gruppe vorzustellen.
„Kayla, das hier sind Big Lou mit seinem Lancer, Clarence mit seinem BMW, King mit seinem Skyline und Gina mit ihrem Porsche von Papa. Ihr kennt euch ja inzwischen“, fügt Blizzard hinzu. Gina wirft ihm für diese Bemerkung einen finsteren Blick zu.
Blizzard grinst und meint: „Ihre Familie nagt nicht gerade am Hungertuch, musst du wissen, und weil sie Papas Prinzessin ist, bekommt sie alles, was sie will.“
„Lass dich nicht ärgern Gina“, brummt Big Lou und rutscht von seiner Motorhaube, auf der er gerade noch gesessen hat.
„Hi Kay. Und was machst du sonst so, wenn du dich nicht gerade mit diesem Penner herumtreibst?“, fragt er und deutet auf Blizzard.
„Hey, nur weil ich von uns beiden der bessere Fahrer bin, musst du mich noch lange nicht angreifen, okay?“, verteidigt sich Blizzard.
„Ach wirklich? Erzähl deiner kleinen Freundin doch, was du letzte Woche abgezogen hast. Oder bist du dir zu fein dafür?“, fragt Big Lou, der jetzt vor Blizzard steht und so aussieht, als würde er jeden Moment zuschlagen.
„Das muss ich mir echt nicht länger anhören. Nur weil du nicht verlieren kannst“, entgegnet Blizzard und geht.
Kayla sieht ihm noch einen Moment lang hinterher, bis er in der Menschenmenge verschwunden ist.
Der nächste Morgen bricht regnerisch herein. Niemand möchte wirklich freiwillig vor die Tür gehen, auch Kayla nicht. Widerwillig fährt sie an diesem trüben Morgen zur Arbeit. Dabei sind ihre Gedanken noch beim Treffen in L.A.
Der Abend ist sehr schön gewesen. Sie hätte sich noch stundenlang mit Gina und den Anderen unterhalten können, aber die Zeit reichte leider nicht aus.
Besonders King hat ihr die Scheu vor den anderen, auch vor denen, die direkt aus L.A kommen, genommen und ihr am wenigsten Misstrauen entgegengebracht.
Er ist es auch gewesen, der sie beim Abschied zum nächsten Treffen eingeladen hat. Und Kayla ist sich schon jetzt sicher, dass sie da sein wird.
„Und was sagst du?“, fragt Sam.
„Hm, ich weis nicht. Etwas zu einsam und unübersichtlich hier draußen, findest du nicht?“, entgegnet Penny zögerlich.
„Das ist es doch, was wir suchen, oder nicht?“, entgegnet Sam fast ein wenig aufgeregt. Er ist überzeugt, genau das Richtige gefunden zu haben.
„Wie sieht es von innen aus?“, fragt Penny skeptisch angesichts des leicht verfallenen Gebäudes, vor dem sie stehen.
„Na ja, nennen wir es rustikal“, entgegnet Sam verlegen.
„Dann lass uns reingehen“, meint Penny und macht ein paar Fotos, die sie später dem Sir per E-Mail schicken will.
Mit bedacht schreitet Sam auf die Veranda zu, um ins Gebäude zu gelangen. Auf den alten, verwitterten Dielen knarrt jeder Schritt. Penny verdreht die Augen und folgt ihm schweigend.
Sie betreten eine großzügige Eingangshalle, von der mehrere Räume abzweigen. An der linken Wand des Raumes befindet sich mittig eine Treppe, die in den oberen Stock führt und am Ende ist ein Durchgang, der zu einem großen Wohnraum mit Kamin führt. Vermutlich wurde er als Wohnzimmer genutzt. Heute ist er völlig leer und der Boden mit einer zentimeterdicken Staubschicht bedeckt. Penny schaut sich prüfend um.
„Und? Was sagst du?“, fragt Sam hoffnungsvoll.
„Der Sir wird sein Urteil darüber fällen müssen, aber ich kann ein gutes Wort für das Grundstück einlegen. Allerdings, bevor ich ihm überhaupt etwas davon erzähle, will ich den Rest sehen“, antwortet Penny trocken.
Sam seufzt und geht ganz langsam die knarrende Treppe hinauf.
In Chicago sitzt Edward Parker in seinem Arbeitszimmer, neben seinem aufgeklappten Notebook dampft eine heiße Tasse Kaffee und starrt aus dem Fenster. Sein Blick klebt regelrecht an einer alten Schaukel, die im Wind leicht vor und zurückschwingt.
Sie hat einem kleinen Mädchen gehört, seiner geliebten Tochter, die er seiner Frau zuliebe nicht lange im Haus gehabt hat.
Später ist ein kleiner Junge dazugekommen. Auch er durfte nicht lange bleiben.
Die Trennung von seiner Tochter hat ihm fast das Herz gebrochen und ihn in seine Arbeit versinken lassen, aber als sie auch noch seinen Sohn aus dem Haus geschickt hat, ist er daran beinahe zugrunde gegangen. Seine Arbeit ist ihm fortan das Wichtigste gewesen.
Plötzlich klopft es an seinem Büro. Eine kleine, zierliche Dame öffnet die Tür und sagt: „Mr. Parker, ein Anruf für Sie auf Leitung 2.“
„Danke Amy“, entgegnet Edward und nimmt den Telefonhörer zur Hand.
Die zierliche Haushälterin zieht sich diskret zurück. Erst als die Tür ins Schloss gerutscht ist, spricht er mit seinem Gesprächspartner.