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Kapitel 4

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Als Kayla an diesem Abend die Post hereinholt und Wichtiges von Unwichtigem trennt, fällt ihr der heiß ersehnte Brief vom Gericht in die Hände. Einen Moment lang starrt sie den Umschlag sorgenvoll an, dabei beginnen ihre Finger leicht zu zittern und reißt den Brief auf.

Hektisch überfliegt sie die Zeilen. Es ist der Gerichtstermin für den Sorgerechtsstreit. Kayla fällt ein Stein vom Herzen, denn endlich kommt Bewegung in die Sache.

Glücklich seufzend lässt sie sich im Wohnzimmer auf die Couch sinken.

Diese Nachricht kommt wie gerufen, denn in ein paar Wochen möchte Kai wieder nach Santa Barbara kommen und denkt nicht einmal daran nach Washington zu fliegen.

Glücklich vor sich hinsummend steht Kayla auf und holt sich aus der Küche eine Tasse Tee, mit der sie es sich wieder im Wohnzimmer gemütlich macht.

Dabei mahlt sie sich, aus was ihr Großvater jetzt wohl gerade macht.


Penny tritt mit zufriedener Miene auf die hölzerne Veranda hinaus, die dank der notdürftigen Ausbesserungsarbeiten bei jedem Schritt nur noch halb so arg knarzt wie zuvor, und schaut sich um. Die Nacht wird bald hereinbrechen.

Seit der Sir vor etwa 48 Stunden sein „okay“ gegeben hat, ist die alte Farm ist kaum noch wieder zu erkennen.

Die alte Scheune, die das Wohnhaus links flankiert und bis vor Kurzem noch einen defekten Mähdrescher beherbergt hat, ist nun leer. Jetzt können demnächst die Fahrzeuge, die eigens für die Organisation angeschafft wurden, dort stehen.

Das große Stallgebäude, daneben, soll demnächst das Materiallager und eine kleine Werkstatt aufnehmen, aber das ist vorerst Nebensache, da sich die Umbauarbeiten noch in der Planungsphase befinden.

„So, wir können mit der Einrichtung beginnen“, verkündet Sam, der plötzlich neben Penny steht.

„Gut. Ich werde mir noch einmal die übrigen Wirtschaftsgebäude ansehen und anschließend fahren. Der Sir hat mich noch um etwas gebeten, das ich nicht vergessen darf“, entgegnet Penny und geht erhobenen Hauptes zum besagten Stall, dem noch niemand so wirklich Beachtung geschenkt hat.

Auf dem Weg denkt sie darüber nach ob der Etat, den ihr der Sir vorerst gewährt hat, wirklich ausreichen wird, denn auch wenn sie es nicht zugeben will, gefällt ihr dieses Grundstück. Vor ihrem geistigen Auge entsteht mit jedem Schritt ein völlig neuer Gebäudekomplex, ein perfektes Ausbildungszentrum. Sobald sie kann, wird sie dem Sir von ihren Vorschlägen erzählen.

Im Wohnhaus regen sich inzwischen viele fleißige Helfer, um wieder Leben in die Hütte zu bringen.

Überall wurde der Staub entfernt, die Teppiche und Läufer ausgeklopft und der Wohnraum in eine Art Konferenzraum verwandelt. Auch Küche und Bad wurden einigermaßen hergerichtet.

In den oberen Räumen befinden sich notdürftig eingerichtete Arbeitsplätze.

Sam schaut sich zufrieden im Hof um.

„Wir sind dann soweit. Die Solarzellen sind installiert und liefern genügend Energie. Wir brauchen keine zusätzlichen Einheiten installieren“, meint einer der Helfer zu Sam, der erleichtert aufatmet. Er hat schon befürchtet, den Sir kontaktieren zu müssen.

„Gut, dann kann jetzt das Sicherheitssystem installiert werden. Ich will, dass nichts und niemand hier ungesehen herumrennen kann“, sagt er mit einer gewissen Bestimmtheit in der Stimme an.

Sofort laufen fachkundige Helfer los, um im Erdgeschoss Dutzende Monitore aufzustellen, die mit den Kameras, welche überall auf dem Gelände verteilt sind, zu verbinden.


„Ihr Mann lässt ausrichten, dass er noch ein paar Tage in Venedig verbringen wird, Ms Violette“, berichtet einer der Angestellten.

Violette sitzt in ihrem Arbeitszimmer, an ihrem Schreibtisch und genießt ein Glas edelsten Rotweins. Nebenbei studiert sie die letzten Umsatzzahlen, ihres eigenen, kleinen Imperiums.

„Danke. Von mir aus kann er auch noch länger bleiben“, entgegnet sie beim Anblick der positiven Entwicklungen der letzten Monate.

Ihr Mann hat seit seinem Umstieg von Drogen auf Waffen in letzter Zeit sehr gute Geschäfte machen können. Behutsam setzt sie ihr Glas ab und wirft erst einen Blick auf ihren Ehering, dann auf ein gerahmtes Foto, welches ihren Schreibtisch ziert.

Mit einem zufriedenen Lächeln steht sie auf und sagt: „Oh ja, bis das der Tod uns scheidet.“

Mit diesen Worten schaltet sie den PC aus und verlässt das Arbeitszimmer.


In dieser Nacht schläft Kayla zum ersten Mal seit langer Zeit wieder durch.

Anders hingegen ergeht es Tara McChalsey.

Seitdem Penny immer öfter bei ihr auftaucht, hat sie ihre Trauer verdrängt und sinnt auf Rache. Ihre Gedanken kreisen ständig, wie ein Uhrwerk, um den Verlust ihrer kleinen Familie. Selbst beim heimlichen Schießen, irgendwo in den Bergen, lassen ihr diese Gedanken keine Ruhe.

Rastlos streift sie an diesem Abend am Strand entlang. Nur das fahle Mondlicht erhellt ihren Weg. Der Wind fährt ihr kraftvoll durch die Haare und das Wasser versucht bei jedem Schritt ihre Füße einzuholen. Dabei sieht sie immer wieder die grausamen Bilder vor sich. Tränen laufen dabei lautlos die Wangen hinab.

Mit wie vielen Leuten hat sie schon gesprochen, wie oft ist sie schon bei der Polizei und bei einem Psychologen gewesen, aber niemand scheint ihr wirklich helfen zu können. Die Mörder ihrer Familie laufen noch immer frei herum. Wie es scheint, so ist Penny ihre letzte Chance, um ihre Familie zu rächen. Der Täter sollte beten, dass die Polizei ihn findet. Und zwar schnell, bevor sie bereit ist, ihren Rachefeldzug zu beginnen.


Am nächsten Morgen fährt Kayla gut gelaunt in die Bank.

Hätte sie geahnt, wie viel Arbeit heute auf sie wartet, dann währe sie wohl zu Hause geblieben, denn als sie die große Empfangshalle durchquert, kommt ihr auf halbem Weg eine weinende Kollegin entgegen. Sie trägt eine große Kiste mit ihren persönlichen Gegenständen aus ihrem Büro vor sich her und scheint zu aufgelöst, um zu grüßen.

Als Kayla am Büro ihrer weinenden Kollegin vorbeigeht und einen flüchtigen Blick hineinwirft, wird ihr klar, was passiert ist.

„Möchten Sie vielleicht dieses Büro haben Ms Parker“, fragt Mr. Adams hinter ihr streng.

„Ich bin mit meinem Büro sehr zufrieden, danke“, entgegnet sie vorsichtig, obwohl dieses Büro größer ist als ihres.

„Gut, dann gehen Sie bitte an die Arbeit. Sie habe eine Menge zu tun. Ms Albran wird Sie heute unterstützen“, meint Mr Adams und zieht sich an seinen Arbeitsplatz zurück.

Kayla denkt einen Moment lang über seine Worte nach. Warum sollte Nikki sie unterstützen? Sie kommt mit ihrem Pensum schon alleine zurecht. Sie braucht keine Hilfe, denkt sie. Doch als Kayla ihr Büro betritt, trifft sie fast der Schlag. Sie atmet einmal tief durch, schließt dabei ihre Augen und öffnet sie wieder, aber der Anblick, der sich ihr bietet, ist unverändert. Kaylas Schreibtisch ist beladen mit zahlreichen Aktenordnern und macht den Eindruck als würde er jeden Moment unter seiner Last zusammenbrechen.

Während sie noch fassungslos das Ausmaß von diesem Chaos erfasst, meint Nikki plötzlich hinter ihr: „Da liegt jede Menge Arbeit vor uns.“

Kayla fährt erschrocken herum.

„Nikki! Musst du mich so erschrecken?“, fragt sie entrüstet und fügt hinzu: „Was ist hier heute Morgen eigentlich los?“

„Na ja, alles was ich mit bekommen habe ist, das die Kollegin heute Morgen freudestrahlend und mit Make-up zugepflastert, zu Mr. Adams ins Büro gestöckelt ist. Für einen Moment ist alles ruhig gewesen, aber dann hat er sie nach der letzten Abmahnung wohl lautstark gekündigt“, erzählt Nikki.

„Oh nein, sie hat doch wohl nicht wieder ernsthaft versucht sich ..., klar, das ist ein Kündigungsgrund“, entgegnet Kayla seufzend.

„Ja, so unvernünftig kann keiner sein. Komm mit, wir holen uns erst mal einen Kaffee aus der Küche und dann sortieren wir das Chaos in deinem Büro“, meint Nikki und zieht Kayla hinter sich her, auf den Flur.


„Wir sind fertig. Ich schicke heute die E-Mails raus“, meint Penny und sinkt, in ihrem Apartment, in ihren gemütlichen Sessel zurück.

Selbst durch das Telefon klingt sie sehr müde.

„Gute Arbeit Penny. Die Versammlung findet also noch heute Abend wie geplant statt. Ich habe den Vertretern des Senats die Koordinaten zukommen lassen. Sie werden pünktlich eintreffen. Wie weit bist du mit den Einzelgesprächen unserer Rekruten gekommen“, fragt der Sir.

Penny unterdrückt ein Gähnen und meint: „Ich bin mit allen durch. Es sind nicht viele, die ähnliches erlebt haben. Details habe ich dir schon gestern Abend per Mail zukommen lassen“, entgegnet Penny und holt einmal Luft, so als würde sie noch etwas sagen wollen, schweigt aber. Dem Sir ist es nicht entgangen.

„Penny, hast du noch etwas auf dem Herzen?“, fragt er.

Sie zögert einen Moment, dann sagt sie: „Bei der Besichtigung des Geländes sind mir ein paar Dinge durch den Kopf gegangen. Die Gebäude sind durchaus ausbau- und verbesserungswürdig.“

„Dir schwebt doch mehr im Sinn. Lass uns später darüber sprechen. Ich habe noch etwas zu tun“, entgegnet der Sir und beendet das Telefonat.


Fast zeitgleich sitzt Violette in Venedig, in einem Restaurant und genießt nach ihrem Abendessen ein Glas Rotwein.

Ein langes, elegantes Kleid aus kostbarer Seide ziert ihren athletischen Körper. Dabei bildet das satte Rot des Stoffes einen herrlichen Kontrast zu ihrer hellen Haut und dem goldenen Blond ihres Haares.

Sie sitzt, die langen Beine elegant übereinandergeschlagen, allein auf der Terrasse. Die sanfte, romantische Beleuchtung wird langsam entfacht, so spät ist es schon geworden. Sie ist allein. In einer Stunde wird ihr Mann auf dem Weg zu ihrem gemeinsamen Haus sein. Solange wird sie hier warten, bis die Zeit gekommen ist, seine Zeit. Einen Augenblick überlegt sie, ob alles bereitsteht, doch der freundliche Kellner lässt sie schnell wieder aufhorchen.

„Violetta, darf ich dir noch ein Glas nachschenken?“, fragt er.

„Gerne Flavio“, entgegnet sie. Ihre Stimme klingt dabei so unglaublich charmant und anziehen, das der Kellner bei ihr und ihrer umwerfenden Erscheinung fast weiche Knie bekommt.

Seine Hände zittern leicht, als er mit der angebrochenen Flasche zurückkommt und das leere Glas füllt.

„Danke Flavio“, meint sie und wirft einen flüchtigen Blick auf ihre Uhr. Sie hat noch Zeit.

„Entschuldigen Sie meine Frechheit zu fragen, aber ich hoffe man hat sie doch wohl nicht versetzt?“, meint der Kellner mit bedauernder Miene.

Sie lächelt, schlägt die Beine wieder auseinander und meint: „Nein. Ich bin allein, aber wenn sie schon einmal hier sind …“

Hoffnungen keimen in dem jungen Mann auf, als sie eine Pause macht.

„Ich würde gerne zahlen“, fügt sie in einem freundlichen, eher geschäftlich Tonfall hinzu.

Somit sind seine Hoffnungen zerstört.

„Sehr gGerne, ich bringe die Rechnung“, meint er. Dabei bemüht er sich nach Kräften, seine Enttäuschung zu verbergen. Mit leicht hängenden Schultern kehrt er in den Gastraum zurück.

Während er die Rechnung ausstellt, lehnt sich Violette wieder entspannt auf ihrem Stuhl zurück und nippt an ihrem Wein, bis plötzlich ihr Handy in ihrer Handtasche vibriert.

Ein wenig verärgert setzt sie sich wieder auf und schaut aufs Display bevor sie das Gespräch annimmt. Es ist ihr Mann.

„Hallo Liebling“, sagt er gut gelaunt.

„Hallo mein Schatz. Und, wie ist es gelaufen?“, entgegnet sie sanft.

„Sehr gut, der Auftrag liegt in trockenen Tüchern. Und wie geht es dir?“, fragt er weiter.

„Mir geht es gut, danke. Enrico hat mir schon ausgerichtet, dass du noch ein paar Tage in Venedig bleiben möchtest“, sagt sie.

„Das stimmt. Ich treffe mich morgen noch mit einem neuen Kunden. Ich hoffe du bist nicht böse deswegen“, entgegnet er.

„Natürlich nicht Liebster. Schließlich profitieren doch wir alle von deinem Erfolg“, meint sie.

„Du sagst es. Ich bin gleich zu Hause, wenn es dir recht ist, rufe ich dich später noch einmal an“, entgegnet er.

„Gerne Liebster, bis später“, schnurrt sie und drückt ihn einfach weg, gerade als der junge Kellner mit der Rechnung zurückkommt. Ohne ein weiteres Wort zahlt sie, und verabschiedet sich.


Wenig später betritt sie die gemeinsame Wohnung. Ihr leichtes Reisegepäck, aus ihrem Hotel, steht noch im Flur. Eilig schafft sie es in einen Nebenraum. Auf einem kleinen, runden Tisch im Flur liegt schon eine schallgedämpfte Waffe bereit, die sie erst hier bei einem Straßenhändler auf dem Schwarzmarkt erworben hat. Das Magazin ist leer, aber eine Kugel befindet sich im Lauf und wartet darauf, endlich abgefeuert zu werden.

Mit der geladenen Waffe in der Hand geht Violette ungeduldig in der dunklen Wohnung auf und ab und wirft immer wieder einen prüfenden Blick aus dem Fenster und zur Uhr. Noch ein paar Minuten, dann ist er hier.

Als endlich ein schwarzer Jaguar die Auffahrt hoch, bis zur Garage fährt, murmelt sie: „Nur noch einen Moment.“

Dabei legt sie die Waffe beiseite und positioniert sich vor der Tür. Gleich wird er hereinkommen.


Mariano Ciccone, ihr Ehemann, ahnt nichts von der Überraschung, die ihn gleich erwartet. Mit seinen Gedanken schon beim nächsten Geschäft, schlendert er zum Briefkasten, schaut nach der Post und geht anschließend zur Haustür. Nebenbei studiert er die Absender der Briefe und die Schlagzeilen der Tageszeitung.

Jetzt steht er vor der Haustür, noch immer beim Überfliegen der Titelseite seiner Zeitung, als sich plötzlich die Tür öffnet.


„Jetzt“, denkt sich Violette, gibt sich innerlich einen Ruck und öffnet die Haustür. Im Windfang steht ihr Mann, der die Schlagzeilen der Tageszeitung liest, die sie mit Absicht nicht mit ins Haus genommen hat. Erstaunt blickt er auf.

Sein Blick trifft ihre entzückende Gestalt und entlockt ihm ein verwundertes: „Violetta?“

„Ja Liebster, ich habe gedacht es würde dich freuen, wenn ich dir hier, in deiner Einsamkeit, ein wenig Gesellschaft leiste“, entgegnet sie.

„Die Überraschung ist dir gelungen“, meint Mariano und betritt das Haus.

Sie lächelt, legt ihre Arme um seine Schultern, küsst ihn und dreht ihn sanft aber bestimmt mit dem Rücken in den Flur, bevor sie sich von ihm löst, mit einer fließenden Bewegung nach der Waffe auf dem Tisch greift und fragt: „Weist du noch was du einmal zu mir gesagt hast?“

Mariano schaut schockiert von seiner Frau auf den Lauf, der auf seine Brust zielt.

„Liebling, was soll das“, fragt er irritiert und sieht sie wieder an.

Aus ihrem Gesicht ist jegliche Zärtlichkeit und Liebe verschwunden. Was geblieben ist, ist eine todernste, völlig kalte und gefühlslose Maske.

„Bis das der Tod uns scheidet“, antwortet sie nur und zieht den Abzug durch.


Als Kayla an diesem Abend die Bank verlässt, kann sie definitiv keine Kundenkarteien und Akten mehr sehen. Tausende Namen und Zahlen schwirren ihr durch den Kopf, sodass sie Kopfschmerzen bekommt.

Zu Hause holt sie sich sofort eine Schmerztablette, aus dem Schrank im Bad, aber der Schmerz bleibt hartnäckig.

Müde und mit brummendem Schädel setzt sie sich an ihren PC und ruft ihre E-Mails ab.

Beim Überfliegen und Aussortieren des Posteinganges stockt sie plötzlich, denn Penny hat ihr geschrieben und das kann nichts Gutes bedeuten.

Ein Schauder nach dem anderen läuft ihr den Rücken hinab, sodass sie mit zittrigen Fingern den Mauszeiger führt, um die Mail zu öffnet. Es dauert eine Weile bis Kayla aus ihrem Inhalt überhaupt schlau wird und versteht, das Penny sie noch an diesem Abend an einen Ort beordert, der nicht genauer benannt, sondern nur in irgendwelchen Breiten- und Längengraden angegeben ist.

Ratlos fährt Kayla sich mit beiden Händen übers Gesicht.

In Geografie haben sie sich damals über Breiten- und Längengrade unterhalten, aber das ist eine Ewigkeit her und viel ist davon auch nicht haften geblieben. Wer ahnt schon, dass dieses Wissen einmal wirklich von Nutzen sein kann. Ihr bleibt also nichts anderes übrig als im Internet zu recherchieren.


Etwa zwei Stunden später fährt Kayla, bewaffnet mit einer ganzen Isolierkanne heißen Kaffees und ihrer neuen Beretta, scheinbar ins Nirgendwo. Außerdem begleiten sie eine Karte, die auf dem Beifahrersitz liegt, sowie ein Kompass und ein Notizzettel, auf dem sie sich ein paar scheinbar zusammenhanglose Stichpunkte notiert hat.

Da sie weder Radio hört, noch eine CD abspielt ist es unheimlich still im Wagen. Zeitweise glaubt Kayla sogar, ihr eigenes Herz schlagen zu hören.

Sie würde sich gerne mit etwas Musik ablenken, aber sie braucht ihre Konzentration für die Route, die noch vor ihr liegt. Und wenn sie richtig gerechnet hat und genau gewesen ist, dann müsste ihr Ziel bald vor ihr auftauchen. Diese Ungewissheit macht sie leicht nervös.

Zudem erinnert sie diese Fahrt stark an den Abend, als sie von Sam zu dem Zeltlager, mitten in der Pampa, somit zu den „Canadian Hunter“ gelotst worden ist, um dort ihr Todesurteil zu unterschreiben, denn wer einmal dabei ist kann nicht mehr zurück.

Wenn sie so darüber nachdenkt, krampft sich ihr Magen wieder zusammen. Mit aufeinander gepressten Lippen fährt sie weiter durch staubiges Gebiet, nicht ahnend, dass sie schon gesehen und bereits erwartet wird.


Im Überwachungsraum, des kleinen Stützpunktes der „Canadian Hunter“, wurde der Alarm ausgelöst. Sofort eilen die Zuständigen und Sam herein, um nach dem Rechten zu sehen.

Dieses Mal ist es kein Fehlalarm. Die Kameras, die sich nur bei Bewegungen aktivieren, zeigen auf einem deutlichen Standbild einen Geländewagen mit einer Frau am Steuer.

„Ich will das Kennzeichen“, sagt Sam.

Ohne etwas zu sagen, vergrößert ein junger Mann mit der vorhandenen Technik das Bild und macht das Kennzeichen sichtbar.

Sam wirft einen kurzen Blick darauf und überprüft es mit einer kurzen Liste, auf der die Kennzeichen der erwarteten Gäste stehen.

„Das ist Kayla. Entwarnung an alle. Nicht schießen. Ich wiederhole: Nicht schießen“, sagt Sam, dabei rückt er sein Headset, das er schon den ganzen Abend trägt, zurecht.

„Verstanden“, entgegnet ihm einer der Außenposten, die zur Wache abkommandiert worden sind.

Sam nickt zufrieden und verlässt den Raum. Auf dem Flur stößt er auf jemanden, der offenbar gerade nichts zu tun hat und sagt: „Kayla wird jeden Moment hier sein. Teilen sie ihr einen Parkplatz zu.“

„Zu Befehl“, entgegnet dieser und will gerade hinauseilen, da besinnt er sich und fragt: „Was für einen Wagen fährt sie?“

„Schwarzer Geländewagen, nicht zu verwechseln“, entgegnet Sam.


Mit jedem Meter, den sie weiterfährt, wird Kayla diese Gegend immer unsympathischer und das, obwohl es noch nicht Dunkel ist. Sie spürt, dass sie beobachtet wird und verringert ihr Tempo, sodass sie schließlich beinahe im Schneckentempo dahin schleicht, bis in der Ferne Gebäude zu erkennen sind.

Kayla bremst und gleicht ihre Notizen mit einem Kompass und ihrer Karte ab. Kein Zweifel, vor ihr befindet sich der Zielort. Sie atmet einmal tief durch und fährt wieder an.

Plötzlich steht, genau wie damals, jemand mit einer Taschenlampe auf der Straße. Kayla bremst erneut und wartet ab.

Ein junger Mann, sie vermutet ein Ex-Soldat, kommt mit einem bewaffneten Kollegen auf sie zu.

Kayla bekommt ein etwas mulmiges Gefühl, aber sie lässt sich nichts anmerken. Ihr Blick folgt den beiden Männern, die jetzt auf ihrer Seite stehen.

Einer klopft sacht gegen ihre Scheibe, die sie sofort einen Spalt herablässt.

„Kayla Parker?“, fragt einer von ihnen.

Sie nickt.

Er nickt einmal und sagt: „Weiterfahren. In etwa ‘ner halben Meile von hier stellen Sie ihren Wagen in der offenen Scheune ab. Dort ist ein Parkplatz für Sie reserviert.“

„Gut“, entgegnet sie, lässt die Scheibe wieder nach oben surren und fährt langsam weiter. Im Rückspiegel sieht sie noch, wie das Licht der beiden Männer erlischt.

Seufzend fährt sie das besagte Stück, bis sie an einer alten, nur schlecht beleuchteten Ranch ankommt.

Aus einer Scheune kommt ein junger Mann mit einer Taschenlampe heraus und zu ihrem Wagen gerannt. Per Funk muss man ihm schon mitgeteilt haben, dass es sich um den ankommenden Wagen um Kayla handelt, denn er winkt sie zu sich heran.

Zögerlich folgt Kayla seinen Zeichen, bis sie ihren Wagen sicher in der Scheune, zwischen ein paar anderen Wagen, in einer Parklücke steht.

Angespannt steigt sie aus, schlägt den kurzen Kragen ihrer Jacke auf und schaut sich um.

Der Wind, den sie im Auto gar nicht so wahrgenommen hat, pfeift nun in unangenehmen Böen zum offenen Scheunentor herein. Kayla fröstelt ein wenig. Unschlüssig geht sie, die Hände in den Taschen vergraben nach draußen und stellt fest, dass sie ganz allein zu sein scheint. Sollte das vielleicht eine Falle sein? Und falls doch, ist sie tatsächlich so dumm, um es nicht bemerkt zu haben?

„Nein“, redet sie sich ein und wird sich plötzlich bewusst, dass sie das Holster mit ihrer Beretta im Wagen gelassen hat. Egal was kommt, sie wird damit schon fertig werden.

„Ey du, ich steh hier nicht ewig rum. Sam erwartet dich“, bellt plötzlich eine europäische Männerstimme.

Kayla wirbelt herum und entdeckt auf der Veranda des alten Wohnhauses einen großen Kerl mit einer langläufigen Waffe im Anschlag.

Langsam geht sie zu ihm hinüber.

Als sie endlich vor ihm steht, fällt ihr auf, dass er einen ungepflegten und furchterregenden Eindruck macht, seine Augen jedoch haben etwas Gutmütiges.

Überraschend freundlich sagt er mit rauchiger Stimme: „Danke. Wenn sie mir nun bitte folgen würden.“

Mit diesen Worten geht er, mit gesenkter Waffe, ins Wohnhaus voran.

Kayla atmet noch einmal tief durch, und folgt ihm. Innerlich sind ihre Muskeln zum Zerreißen angespannt. Sie gibt sich alle Mühe nicht eingeschüchtert zu wirken, was ihr allem Anschein nach auch hervorragend gelingt.

Der Fremde bringt sie in die große Eingangshalle. Sie ist leer, keine Menschenseele hier, auch keine Möbel. Die Fenster sind von innen mit Vorhängen zugehängt, sodass von außen nicht hineingesehen werden kann. Es sieht alles sehr ungemütlich und kahl aus. Der Raum wird nur von einer winzigen Deckenleuchte mit milchigem Glas beleuchtet.

„Kayla, schön das Sie hergefunden haben. Sie sind die Erste. Möchten Sie etwas trinken?“, fragt Sam hinter ihr freundlich, aber genauso würdevoll wie bei ihrem Wiedersehen auf dem Parkplatz der Bank.

„Nein, danke. Warum bin ich eigentlich hier? Und, erwarten Sie noch jemanden?“, fragt Kayla ernst. Dass ihre Stimme nicht zittert, überrascht sie selbst ein wenig.

„In der Tat, wir erwarten noch ein paar weitere Gäste, aber warum wir Sie heute Abend hergebeten haben, kann ich Ihnen noch nicht sagen. Gedulden Sie sich bitte, bis alle anwesend sind. Ich habe keine Lust mich ständig zu wiederholen“, entgegnet Sam.

„Schon klar“, murmelt Kayla.

Bevor Sam noch etwas sagen kann, kommt jemand aus dem Überwachungsraum und sagt: „Tara, Sanchez und Kate sind auf dem Weg.“

„Sehr gut. Sie wissen was sie zu tun haben“, entgegnet Sam und wendet sich wieder an Kayla.

„Sie werden bald Antworten auf ihr Fragen erhalten. Entschuldigen Sie mich bitte, ich habe noch ein wenig zu tun“, meint Sam und geht eine Treppe hinauf, die bei jedem Schritt leicht knarrt.

Kayla sieht ihm noch einen Augenblick hinterher, wie lange vermag sie nicht zu sagen, aber plötzlich geht die Eingangstür auf und der alte Mann vor der Tür, schiebt zwei Frauen und einen weiteren Unbekannten in die Eingangshalle.

Als eine von ihnen Kayla sieht, fragt sie: „Kann mir mal jemand sagen, was der Mist hier soll?“

„Keine Ahnung. Ich habe von Penny eine Mail bekommen und bin hergefahren. Ich bin also genauso unwissend wie Sie. Es tut mir leid“, entgegnet Kayla.

„Dann sitzen wir also im selben Boot“, sagt der Mann mit südeuropäischem Akzent.

„Ich schätze schon“, entgegnet Kayla.

„Na dann, ich bin Emilio Sanchez“, sagt er und reicht Kayla die Hand.

„Kayla Parker, freut mich. Dann sind Sie Tara und Kate“, entgegnet Kayla und wendet sich an die beiden Frauen.

„Woher wissen Sie das?“, fragt eine der Frauen. Sie ist blond und strahlt mit ihren blauen Augen eine Eiseskälte aus.

„Ich habe mitbekommen, wie Sam sich mit jemandem unterhalten hat. Er hat Sie angekündigt und dabei sind Ihre Namen gefallen“, erklärt Kayla.

„Na denn. Ja, ich bin Tara McChalsey“, sagt Tara mit einer Härte in der Stimme, die Kayla stark an ihren Großvater erinnert, und reicht ihr die Hand.

„Freut mich“, entgegnet Kayla.

Kate hat sich abgewendet, einen der Vorhänge einen Spalt aufgezogen und versucht draußen irgendetwas zu erkennen während sich die anderen drei leise unterhalten.

Plötzlich fragt sie: „Oh man, wer kommt da denn?“

„Warum? Sehen Sie etwas?“, fragt Kayla zurück.

„Ein Jeep oder so. Sieht nicht so aus als würden die Leute da freiwillig drin sitzen“, entgegnet Kate.

„Sie kommen sicher gleich her“, murmelt Kayla.

Fast im gleichen Moment kommt Sam die Treppe heruntergepoltert und eilt zur Eingangstür.

Die Vier schauen ihm nach und hören jemanden sagen: „Sie sitzen im Wagen.“

„Gute Arbeit. Reinbringen“, entgegnet Sam und steht einen Moment später vor Kayla und den anderen, die wortlos einen Schritt zurückweichen.


Kurz darauf stolpern vier weitere Personen unter Protest in die Eingangshalle. Allen voran ein offensichtlich betrunkener Russe, eine junge Dame und zwei weiter Männer.

„Ihr verdammten Amis. Was habe ich denn jetzt schon wieder verbockt, ihr verdammten Amis“, mault der Russe, torkelt durch den Raum, lehnt sich an eine der kahlen Wände und murmelt etwas vor sich hin, was keiner versteht.

„Endlich hält der Kerl die Klappe“, meint die Frau erleichtert.

„Hey, mal eine ganz andere Frage, wo sind wir?“, fragt der jüngste der beiden Männer, die als letzte hinzukommen.

„Keine Ahnung, warum fragen wir nicht die, die bereits hier sind?“, entgegnet ihm der andere, der mit einem ähnlichen Akzent wie Sanchez spricht.

„Hi, Sie befinden sich irgendwo am Rand der Mojave Wüste, auf einer alten Ranch, wenn Ihnen das weiterhilft. Wir sind auch erst vor ein paar Minuten angekommen. Mehr wissen wir auch nicht“, meint Kayla.

Der junge Mann kommt zu ihr und meint: „Das hilft wirklich nicht, aber danke. Thomas Ashton, SniperPlatoon.“ Mit diesen Worten reicht der junge Mann Kayla, Tara und den anderen die Hand.

Noch bevor irgendjemand etwas sagen kann, rauscht der Russe mit einem lauten Rums zu Boden und ruft somit Sam auf den Plan, der aus einem der Nebenräume herauskommt, sich kurz in der Eingangshalle umsieht und seine Stimme erhebt: „Gut, da wir soweit vollzählig sind folgen Sie mir.“

Sofort ist es still, nur der Russe, der langsam wieder einen klaren Kopf bekommt, murmelt noch immer unverständliche Worte vor sich hin.

Mit starkem, selbstbewusstem Schritt durchquert Sam den Eingangsbereich und weist auf den Durchgang, der zum ehemaligen Wohnzimmer führt.

Ohne zu zögern, gleich einer stillen Absprache helfen Kayla und Tara dem betrunkenen Russen auf die Beine, um dem Rest zu folgen, der bereits Sam in den großen, schwach beleuchteten Raum gefolgt ist.

Auch hier sind die Fenster zugehängt und ein länglicher Tisch mit 12 Stühlen steht im Vordergrund des Raumes. Licht spendet einzig und allein ein einzelner, kleiner Kronleuchter, der Rest des Raumes liegt in Dunkelheit. Sollte dort jemand sitzen, so wäre er im Höchstfall nur schemenhaft zu erkennen.

Schweigend setzt sich die Gruppe an den Tisch, jeweils vier auf eine Seite, und wartet angespannt auf das, was nun passieren wird.

Plötzlich geht im dunklen Teil des Raumes eine Tür auf und ein paar weitere Menschen betreten den Raum.

„Ob das der Sir persönlich ist?“, flüstert die Frau, die noch keine Gelegenheit gehabt hat sich vorzustellen.

Niemand wagt es ihr zu antworten. Im Verborgenen werden Stühle verrückt, dann ist es schlagartig wieder leise. Die Stille ist kaum noch auszuhalten.

Schließlich kommen endlich Sam und Penny hinzu, die sich wortlos an den Kopf des Tisches setzen.

Die acht Rekruten beobachten gespannt, wie Penny zwei Notebooks aufklappt und auf einem von beiden zu schreiben beginnt, während Sam sich ein paar Papiere zurechtlegt.

Als er aufblickt, sehen ihn acht fragende Gesichter angespannt an. Neugierde, aber auch großes Misstrauen liegt in der Luft.

Er weis, dass alle, bis auf wenige Ausnahmen, von ihnen eine E-Mail von Penny bekommen haben, aber niemandem hat sie einen Grund für dieses Treffen genannt, so wie es der Sir gewollt hat.


Um die Anspannung nicht ins Unermessliche ansteigen zu lassen, erhebt er sich und sagt: „Ladys und Gentleman, ich darf um Ihre Aufmerksamkeit bitten.“

Nach einer kurzen Pause fährt er fort: „Schön das Sie heute Abend hergefunden haben. Zu Beginn möchte ich mich allen Anwesenden noch einmal vorstellen. Einige von Ihnen werden mich kennen, Andere nicht. Mein Name ist Sam, ich werde von nun an, neben Penny, für alles ihr Ansprechpartner sein.“

Leises Gemurmel setzt ein, ebbt aber sofort wieder ab als Sam mit würdevoller Stimme weiter spricht.

„Meine Aufgabe ist es, diese Versammlung heute Abend zu leiten und Ihre Fragen nach bestem Wissen und Gewissen zu beantworten, soweit es in meinem Verantwortungsbereich liegt“, sagt er und unterbricht sich zugunsten einer Meldung.

Tara, die blonde, hochgewachsene Frau mit kaltem Gesichtsausdruck fragt: „Man hat mir einen Job angeboten, wenn ich heute hier erscheine. Ich würde gerne wissen für wen ich arbeiten soll.“

Zustimmendes Gemurmel bricht an. Wahrscheinlich haben sich andere dieselbe Frage gestellt.

„Nun, auf diese Frage möchte ich sofort antworten. Zunächst müssen Sie wissen, was ihr Erscheinen, heute Abend, für Sie bedeutet. Von nun an können Sie nicht mehr zurück. Sie werden für die „Canadian Hunter“ arbeiten. Das sollte allen bewusst sein. Penny und ich, wir bekommen unsere Anweisungen vom Sir, der sich bei wichtigen Entscheidungen mit dem Senat berät. Wir leiten diese Anweisungen, sofern diese für Sie bestimmt sind, weiter“, antwortet Sam und öffnet auf dem zweiten Notebook eine Datei.

Sofort erscheint, mithilfe eines Projektors ein Organigramm der Organisation an einer weißen Leinwand, die sich an der Stirnseite, gegenüber den unbekannten Zuschauern befindet.

Mit einem Laserpointer zeigt Sam auf eine Fläche mit den Worten „der Sir“ und setzt zu einer Erklärung an: „Wie Sie hier sehen können, steht der Sir, zusammen mit dem Senat auf einer Ebene, wobei der Senat nur eine beratende Funktion hat. Endgültige Entscheidung trifft der Sir allein.“

„Was is´n der Senat“, platzt Kate dazwischen.

Die anderen sieben werfen ihr missbilligende Blicke zu.

„Der Senat“, erklärt Sam, „ist ein Organ dieser Organisation. Er besteht aus den ältesten und erfahrensten Mitarbeitern und berät den Sir. Ab einer bestimmten Einstufung kann ein Hunter, nach einer Konferenz und unter bestimmten Voraussetzungen, in den Senat versetzt werden. Eine Stufe darunter stehen Penny und meine Wenigkeit. Wir stehen mit dem Sir ständig in Kontakt und bilden so die einzige Verbindung zwischen den Organen. Wir leiten vor allem Anweisungen an die nächste Stufe weiter, die Stufe der Ausbilder. Derzeit sind sieben, die für dieses einzigartige Projekt rekrutiert worden sind. Sie werden das Team später noch kennenlernen. Die letzte Stufe bilden normalerweise unsere Hunter, deren Zahl stets schwankt. Nun sind Sie unser Schlusslicht, da unsere Hunter normalerweise keine derart intensive Ausbildung benötigen. Kommen wir nun zum Hauptthema. Die „Canadian Hunter“ erfüllen verschiedene Aufträge von Klienten. Manchmal sogar die Eliminierung von Personen“, sagt Sam.

Bei dem Wort „Eliminierung“ müssen einige Anwesende schwer schlucken.

„Wir sollen also für Geld töten?“, fragt Tara sachlich.

Sam achtet nicht darauf und fährt fort: „Allerdings ist das nicht ihre Hauptaufgabe. Im Untergrund bahnen sich Probleme an, die unsere Anonymität beeinträchtigen könnten. Sie müssen wissen, dass neben den „Canadian Hunter“ drei weitere Organisationen existieren: die Coyoten, die Black Pirates und ein namenloser Zusammenschluss von Gesetzlosen, die von einer Dame angeführt werden, die sich Violette nennt. Die letzten beiden Organisationen lösen immer häufiger Konflikte mit der Polizei aus, gefährden damit unsere Sicherheit sowie unsere Tarnung und schränken unseren Handlungsspielraum ein. Darum sind wir uns darüber einig, dass wir diese Organisationen so schnell wie möglich unschädlich machen müssen, damit unsere Existenz auch in Zukunft gewährleistet werden kann. Der Marktanteil der Coyoten ist zu schwach, um uns gefährlich werden zu können, außerdem sind deren Leute nur halb so gut ausgerüstet und die interne Organisation ist mangelhaft. Bisher wissen die Behörden noch nichts von unserer Existenz und das soll nach Möglichkeit auch so bleiben. Darum haben wir das Projekt „Elite“ ins Leben gerufen. Und Sie werden diese „Elite“ bilden. Darum sind sie heute Abend hier.“

„Moment, habe ich Sie jetzt richtig verstanden? Sie rekrutieren uns zum einen als Auftragskiller und zum anderen für eine Art Spezialeinheit im Kampf gegen eine andere Organisation?“, fragt die Frau, die sich den anderen bisher noch immer nicht vorgestellt hat.

„Richtig Case“, sagt Sam.

„Arbeiten Auftragskiller nicht grundsätzlich allein? So wie Söldner?“, fragt plötzlich Tara.

„Auch das ist richtig, aber angesichts der neuen Umstände müssen wir umdenken. Ihre Aufträge werden Sie natürlich alleine ausführen, aber für Ihre Hauptaufgabe werden Sie, bei allem was Sie tun, nach und nach als funktionierendes Ganzes zusammenwachsen und gegen die Black Pirates sowie gegen Violettes Männer vorgehen, um Terror und übermäßige Gewalt einzudämmen “, erklärt Sam.

„Wie stellen Sie sich das bitte vor? Es kann Jahre dauern, bis wir alle miteinander harmonieren und außerdem, wie soll dieses Vorgehen gegen die Black Pirates und diese Violette aussehen? Sollen wir die Zielpersonen zusammentreiben und exekutieren?“, fragt Tara.

„Wenn das so einfach wäre, dann bräuchten Sie nicht eine derart umfangreiche Ausbildung, die noch auf Sie alle wartet. Auch wenn die Pirates nicht sonderlich gut organisiert sind, so verfügen sie über ein ungewöhnlich hohes Gewaltpotenzial und jede Menge Gefolgsleute im Untergrund. Außerdem geht es darum, sich auf dem Markt zu behaupten, irrelevant ob legal oder illegal. Wir sind in Alarmbereitschaft. Wir befürchten, dass eine der beiden feindlichen Organisationen Bandenkriege unterstützt, aber das ist noch längst nicht alles. Violette scheint eine persönliche Abneigung gegen unsere Organisation zu hegen. Es sind viele Menschen sinnlos getötet worden, nur weil sie eventuell für unsere Organisation gearbeitet haben oder es wollen. Sie gehören zu den wenigen, die wir erstmals ausbilden werden. Jetzt liegt uns sehr viel daran, Ihnen die nötigen Fähigkeiten zu lehren, um ihren Job zu erledigen. Dafür brauchen wir Leute, die mehr als qualifiziert, zuverlässig und hervorragend ausgebildet sind. Wir brauchen Leute, die nahezu perfekt sind“, meint Sam.

Nachdenkliches Gemurmel geht um den Tisch herum. Keiner der Acht kann sich so wirklich vorstellen wie die Pläne des Sir umgesetzt werden sollen.

„Ein weiterer Grund, weshalb Sie heute Abend hier sind. Ihr Ausbilderteam ist nicht mehr das Jüngste. Sollte sich das Projekt „Elite“ als Erfolg erweisen, so brauchen wir in absehbarer Zeit ein neues Team, welches die Ausbildung neuer Rekruten übernimmt. Wir haben Sie für diese Aufgabe ausgewählt. Ihre Ausbildung und Ihre Erfahrungen, die sie im Laufe der Zeit sammeln werden, bereiten Sie auf diese neue Aufgabe vor, aber das ist vorerst unwichtig. Konzentrieren Sie sich zunächst auf ihre eigene Ausbildung“, fügt Sam hinzu.

„Wir sollen unsere Ausbildung beenden um später selber mit absoluten Neulingen herumeiern und so ganz nebenbei zwei andere Organisationen aus dem Weg räumen?“, fragt Kate.

„Erst das Eine, dann das Andere. Sie lernen niemals aus, aber es wird sicher einen Zeitpunkt geben, ab dem Sie sehr gut auf sich aufpassen können und Sie dürfen nicht vergessen, dass es da auch noch Ihr Team gibt, das auf Ihr Leben mit achten wird. Wir hoffen, dass die Pirates und Violette als ungefährlich einzustufen sind, wenn es an der Zeit ist, Ihr Wissen und Ihre Erfahrungen mit Ihren Schülern zu teilen“, meint Sam.

„Ich frage mich die ganze Zeit, wie das alles funktionieren soll. Wir sind total verschieden, wir kennen uns nicht und die nötigen Fähigkeiten haben sicher auch nicht alle“, wirft der Russe plötzlich ein.

„Wir werden uns schon etwas bei unserer Auswahl gedacht haben Viktor. Und auch wenn das alles jetzt noch sehr schwer zu verstehen ist, steckt doch ein System dahinter. Was glauben Sie, warum ausgerechnet Sie alle hier sitzen? Die Antwort ist einfach. Jeder von Ihnen besitzt Fähigkeiten und Eigenschaften, die die anderen vielleicht nicht haben. Auf diese Weise sollen Sie sich innerhalb des Teams ergänzen. Das Ziel besteht darin, zu einem unschlagbaren Ganzen zusammenzuwachsen. Dieser Prozess braucht seine Zeit, das wissen wir. Auf der anderen Seite sollte jeder für jeden zu jeder Zeit einspringen können. Das bedeutet für Sie, auch von den anderen zu lernen. Darauf werden Sie aber bestmöglich vorbereitet. Verbringen Sie erst einmal etwas Zeit zusammen und Sie werden schnell merken, warum Sie hier sind. Dass Sie sich nicht kennen, spielt hier keine Rolle. Das war`s von meiner Seite aus. Penny wird Ihnen jetzt Näheres zu ihrer Ausbildung erläutern“, meint Sam und setzt sich.

Aus dem dunklen Teil des Raumes dringt gedämpfter Applaus nach vorn, während Penny und Sam die Plätze tauschen.

Sie räuspert sich ein wenig und sofort kehrt wieder Stille ein.

„Danke Sam. Ich denke, ich brauche mich nicht noch einmal vorstellen, denn viele von Ihnen kennen mich schließlich bereits. Wie Sam bereits angedeutet hat, kann ich zur Dauer Ihrer Ausbildung nichts sagen, das liegt ganz bei Ihnen. Wichtige Faktoren sind dabei Ihr Können, Ihr Fleiß und Ihre Teamfähigkeit. Übermäßiger Ehrgeiz sowie das Bedürfnis, besser zu sein als der Rest, gehören hier nicht her. Ich erwarte von Ihnen die gleiche Disziplin, die auch bei den militärischen Einheiten dieses Landes verlangt wird.

Ihre Ausbildung umfasst ein breit gefächertes Spektrum. Sie werden geschult in diversen Nahkampftechniken, die Ihnen später ein lautloses Vorgehen, auch ohne Hilfsmittel, erlauben, der präzise Umgang mit Schuss- und Stichwaffen, Tauchen und Schwimmen, das Klettern mit und ohne Ausrüstung sowie der taktische Häuserkampf. Hierfür möchte ich Ihnen nun Ihre Lehrmeister vorstellen“, meint sagt Penny und tritt einen Schritt zur Seite.

Im nächsten Augenblick treten fünf Personen, aus dem dunklen Teil des Raumes, nach vorne. Kayla, die gerade noch still auf ihrem Platz gesessen, und wie gebannt Pennys Worten gelauscht hat, zuckt beim Anblick der Ausbilder zusammen. Tatsächlich kennt sie einen von ihnen genau.

„Zunächst stelle ich Ihnen Jupp vor. Er hat sie heute Abend vor der Tür in Empfang genommen und unterrichtet Waffenkunde. Er wird Ihnen alles, was Sie über den Umgang mit Schusswaffen und übers Schießen wissen müssen, beibringen. Außerdem hat er eine Lizenz als Fluglehrer. In absehbarer Zeit werden wir uns um einen neuen Helikopter bemühen, sodass sich die Eine oder der Andere zum Piloten weiterbilden kann“, meint Penny.

„Unterrichtet? Wollen Sie uns sagen, dass wir die Schulbank drücken sollen?“, fragt Kate ungläubig.

„Sie hat nicht ganz unrecht, Penny. Was ist mit denjenigen, die schon vorher mit Schusswaffen beruflich gearbeitet haben?“, fragt Thomas Ashton.

„Es werden alle zum Unterricht erscheinen. Wir passen das Training an den Kenntnisstand von jedem Einzelnen individuell an. Sie werden sich schon nicht langweilen“, meint Jupp und zwinkert Penny freundlich zu.

„Danke Jupp. Für den Häuserkampf und taktisches Vorgehen haben wir den ehemaligen Leutnant Logan Danby und seinen Hund. Sie werden mit ihm vorerst hier auf dem Gelände trainieren. Die Bereiche Tauchen und Schwimmen werden von Tom, einem ehemaligen Kampfschwimmer der Seals, übernommen, der eine eigene Tauchschule in Santa Barbara besitzt. Nathan Lee ist freiwillig vom CIS zu uns gekommen und wird ihnen die IT näher bringen und Tylor Sanderson, vom SWAT an die Luft gesetzt, wird mit Ihnen den verantwortungsbewussten Umgang mit Sprengstoffen und anderen Chemikalien trainieren. Zu guter Letzt werde ich Sie in den verschiedensten Kampftechniken in meiner Schule für Kampfsport unterrichten. Zusätzlich werden Sie alle einen persönlichen Fitnessplan bekommen, ihre Ernährung umstellen und später, wenn Sie unserer Einschätzung nach dafür bereit sind, an einem kleinen Survivaltraining teilnehmen. Im regulären Training werden Sie zum Teil mit unbeteiligten Zivilisten zusammen ausgebildet. Wir haben uns so entschieden, um unauffällig agieren zu können. Haben Sie bis hierher Fragen?“, sagt Penny.

„Und ab wann beginnt das alles?“, fragt Case.

„Im Anschluss an diese Konferenz erhalten Sie ein Informationsblatt, mit allen wichtigen Terminen und Adressen. Abschließend möchte ich Sie noch wissen lassen, dass sie auch medizinisch und rechtlich abgesichert sind“, entgegnet Penny.

Für einen Moment tritt Stille ein, als die vorgestellten Ausbilder sich wieder auf ihre Plätze begeben um Platz für drei Frauen verschiedenen Alters zu machen.

„ Es kann immer einmal passieren, dass Sie sich verletzen, sei es beim Training oder während eines Auftrages, oder das Sie juristischen Beistand benötigen, weil Sie vielleicht einen Fehler gemacht haben. Manchmal ist es auch notwendig, Tatsachen zu unseren Gunsten zu manipulieren oder Beweise zu vernichten. Andere haben Startschwierigkeiten und brauchen jemanden der Ihnen hilft die Dinge, die geschehen sind zu verarbeiten. Aus diesem Grund möchten wir Ihnen noch, von links nach rechts gesehen, unsere Diplompsychologin Prof. Dr. Sally Johnson, unsere Ärztin Diana Geogaraz und unsere Anwältin für Strafrecht Irene Pereez vorstellen. Sie sehen also, ihre Ausbildung ist ausreichend abgesichert. Ich möchte nun langsam zum Ende kommen und Ihnen nochmals ein paar Dinge nahelegen: Wenn Sie gleich den Raum verlassen, sind sie ein fester Bestandteil dieser Organisation. Sie können nicht zurück. Jeder von Ihnen steht noch für einige Zeit unter Beobachtung und alle, die für den Sir arbeiten, sind dazu berechtigt jeden, der gegen diese Organisation arbeitet, sofort aus dem Verkehr zu ziehen. Behalten Sie diese Warnung stets in Erinnerung. Damit wünschen wir Ihnen eine gute Heim- fahrt“, sagt Penny und schließt unter Applaus die Konferenz.

Lovely Hunter

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