Читать книгу DJATLOV PASS - Die Rückkehr zum Berg des Todes - J.H. Moncrieff - Страница 8

Kapitel 2

Оглавление

Ihr Handy klingelte sie mitten in der Nacht wach, was für Nat eher drei Uhr morgens war. Gerade erwacht aus einem Albtraum, in dem die Russen ihren Reisepass eingezogen und sie in den Gulag geworfen hatten, tastete sie orientierungslos nach ihrem Telefon.

»Andrew?«

Sie hatte sich beinahe daran gewöhnt, dass ihr Produzent zu jeder Tages- und Nachtzeit anrief. Sobald ihm klar war, dass sie ihre Meinung über Djatlov nicht ändern würde, hatte er sich den Vorbereitungen gewidmet, und ein Teil davon war, das beste Team der Welt zusammenzustellen. Das bedeutete: Kanadier. Nat war egal, wie viele Meister-Felskletterer in Kalifornien lebten – sie wollte Leute, die Kälte verstanden und Erfahrung darin hatten, extreme Temperaturen zu überstehen. Es hatte eine Weile gedauert, bis sich Andrew ihrer Logik unterwarf und einsah, dass es Logik war, keine verschrobene Form von Patriotismus, aber von da an warf er sich voll und ganz in das Projekt hinein. Er hatte es geschafft, ein junges Inuit-Pärchen anzuheuern. Anubha und ihr Mann Joe lebten auf traditionelle Weise und Anubha war eine geschickte Fährtensucherin. Ihr Wissen bezüglich der arktischen Tierwelt würde dem Team zugutekommen. Nat hatte zwar kein Interesse daran, ihre Ermittlung zu einer Survival-Show zu machen, aber es war klug, sich nicht allein auf ihre Vorräte zu verlassen.

Bisher hatte Andrew jede Hürde genommen, bis auf eine. Nat wollte einen Mansen als Teil des Teams. Sie glaubte nicht an den Unsinn, dass das örtliche Volk keinen Fuß auf den Berg des Todes setzte. Nicht für eine Sekunde. Jeder hatte seinen Preis.

Dies musste ihr Produzent sein, um triumphal zu verkünden, dass er alle ihre Bedingungen erfüllt hatte.

»Andrew, du bist ein Genie. Wie zum Teufel hast du einen gefunden?«

»Ich bin froh, dass du meinen Ratschlag angenommen hast.«

Nat verkrampfte. Die Stimme, rau wie eine Käsereibe auf Kies, gehörte nicht ihrem Produzenten. »Wer ist da?«

»Du weißt, wer ich bin. Du solltest lieber fragen, warum ich erst jetzt anrufe.«

»Cliff.«

»Bingo.«

Sie umklammerte ihr Bettzeug, zog es enger um ihren Körper. »Woher hast du diese Nummer?« Ihre Handynummer war nirgendwo aufgeführt. Sehr wenige Menschen waren im Besitz davon und so war es ihr am liebsten. Sie gab ihre Nummer sicherlich nicht an ihr Publikum weiter.

»Du bist nicht die Einzige, die Recherchen anstellen kann.«

»Wenn du nochmal anrufst, werde ich das melden«, sagte sie, ihre Stimme stark und fest und überhaupt nicht so verängstigt, wie sie sich fühlte.

»Wegen eines Anrufs? Was habe ich verbrochen?« Seine Stimme war zwar rau, aber auch so geschmeidig wie die eines Radiomoderators. Nat kam es vor, als ob sie die Stimme schon einmal irgendwo gehört hatte. Wenn sie ihn noch ein Weilchen in der Leitung halten konnte, würde ihr vielleicht einfallen, wo.

»Stalking.«

Er lachte. »Ich stelle dir bestimmt nicht nach, Nat McPherson. In so einem Fall würde ich jetzt vor dem Schlafzimmerfenster stehen.« Er hielt einen Moment inne, lange genug, dass sich Gänsehaut auf ihren Armen ausbreitete. »Was nicht der Fall ist. Keine Bange.«

Sie spürte deutlich den Kloß, der sich in ihrem Hals geformt hatte. »E-Mails und Anrufe zählen auch zu Stalking.«

»Ich bin kein Stalker. Ich bin ein Fan. Hast du so wenige, dass du sie nicht erkennst?«

»Ich würde dich nicht als Fan bezeichnen, Cliff.« Sie lief rot an, als sie an einige seiner schroffsten Kommentare dachte. »Du bist ein Troll. Ein gehässiger, unbedeutender Troll mit mehr Zeit als Verstand.«

»Na na, redet man so vielleicht mit dem Fan, der dir die beste Idee deiner gesamten Karriere gegeben hat?«

»Wohl kaum. Ich interessiere mich schon seit Jahren für den Djatlov-Pass-Vorfall.«

»Ist das so? Warum hast du dann bisher nichts unternommen? Warum musste ich dich dann erst anstacheln?«

Seine Unverfrorenheit trieb sie fast an den Siedepunkt. Wer glaubte dieses Arschloch zu sein? Dachte er wirklich, dass er Macht über sie hatte? Andrew hatte recht – dieser Kerl war ein Freak, nichts weiter. »Niemand musste mich zu dieser Expedition anstacheln. Hast du auch nur irgendeine Ahnung, welche enormen Mengen an Vorbereitung, ganz zu schweigen von Geld, für so etwas nötig sind? Ich würde mir diese Arbeit nicht machen, weil mich jemand herausfordert. Ich bin nicht zwölf.«

Er lachte wieder. »Nicht gewohnt, die Anerkennung zu teilen. Auch gut, ich verstehe das.«

»Ruf hier nie wieder an, Cliff.«

»Leg doch auf, wenn du willst. Ich dachte nur, du möchtest vielleicht mit jemandem reden, der mit dem Fall aufs Engste vertraut ist.«

»Und wer soll das sein?« Sie war todmüde und unfassbar genervt, aber ihre angeborene Neugier gewann wie immer die Oberhand. Was das anging, war sie wie eine Katze.

»Ich.«

»Klar. Du hast Connections zum Djatlov-Fall.«

»Nach der Feindseligkeit in deiner Stimme zu urteilen, glaubst du mir offensichtlich nicht. Aber ich versichere dir, dass es so ist. Warum sollte ich sonst so hartnäckig sein? Ich habe ein persönliches Interesse daran.«

Dieser Typ war unglaublich. Nicht nur ein Stalker, sondern auch psychisch labil. Fantastisch. »Verzeih mir, wenn ich das so sage, aber du klingst nicht sehr russisch.«

»Nach dem Tod meiner Großtante war meine Familie so traumatisiert, dass sie nach Amerika ausgewandert ist. Ich bin auf amerikanischem Boden aufgewachsen, genauso wie du.«

Also wusste er nicht, dass sie Kanadierin war und selbst eine Einwanderin. Zumindest schienen seine Stalking-Künste Grenzen zu haben. »Ach ja? Und wer war diese Tante?«

»Ljudmila Dubinia.«

Nat überkam ein Schauer. Plötzlich war es in ihrem Zimmer sehr viel kälter. »Du bist Ljudmilas Großneffe?«

»Das bin ich.«

»Ich halte das für äußerst unglaubwürdig.« Aber glaubte nicht ein kleiner Teil von ihr schon daran?

»Welchen Grund hätte ich, zu lügen? Ich hab’s schon gesagt, persönliches Interesse.«

Sie war beeindruckt, ob sie wollte oder nicht. Selbst angesichts der niemals endenden Faszination des Falles waren nur wenige in der Lage, die Skifahrer beim Namen zu nennen, abgesehen von Djatlov, und kaum jemand kannte seinen Vornamen. Allerdings, falls es Cliffs Masche war, vorzugeben, Ljudmilas Neffe zu sein, hatte er bestimmt seine Hausaufgaben gemacht.

»Falls das stimmt, warum hast du das nicht gesagt? Warum die hässlichen E-Mails? Warum hast du dich nicht vorgestellt und gefragt, ob ich mir den Tod deiner Großtante näher anschauen könnte, wie ein normaler Mensch?«

»Weil du einen Schubs brauchtest. Du bist über die Jahre faul geworden, abgestumpft. Wenn ich gefragt hätte, hättest du ein paar Anrufe gemacht, vielleicht, oder in deinem Podcast darüber geredet, aber du wärst niemals selbst dorthin gefahren. Verzeih meine Ausdrucksweise, aber jemand musste dir mal Feuer unterm Arsch machen.«

»Wenn Ljudmila wirklich deine Tante war, würde sie es sicherlich nicht schätzen, dass du eine Frau belästigst.«

»Meine Tante war eine starke Frau. Sie hätte verstanden, dass manchmal der Zweck die Mittel heiligt.«

»Angenommen, ich glaube dir, rein hypothetisch, was glaubst du, was passiert ist?«

»Das ist ‘ne leichte Frage. Sie wurde ermordet, bevor ich geboren wurde.«

»Ermordet? Du glaubst nicht an die Lawinentheorie, nehme ich an.«

Cliff lachte leise in sich hinein. »Nein. Ich bezweifle außerdem die lächerliche Infraschalltheorie oder das paradoxe Entkleiden.«

»Was glaubst du dann?«

»Wie schon erwähnt, meine Tante war ein unglaublich starke Frau. Sie war außerdem eine erfahrene Skiläuferin. Sie hat in diesen Bergen kampiert, seit sie ein kleines Mädchen war. Sie hätte ihr Lager bestimmt nicht in einer Lawinenbahn aufgeschlagen, Nat McPherson. Dies war Mord.«

Von den neun toten Bergsteigern hatte Nat zu Ljudmila immer die engste Verbindung gehabt, vermutlich weil die Frau am meisten gelitten hatte. Sie war außerdem die Jüngste der Gruppe gewesen, nur einundzwanzig Jahre alt.

Während der Großteil der Leichen im Februar gefunden worden war, denselben Monat, in dem sie vermisst gemeldet wurden, hatten die arme Ljudmila und ihre drei bedauerlichen Freunde bis Mai warten müssen, als ein Suchtrupp ihre Überreste schließlich unter einer vier Meter dicken Schneedecke begraben fand.

Wer auch immer sie fand, hatte sich vermutlich ein lebenslanges Trauma eingefangen. Ljudmilas Augen, Teile ihrer Lippen und ein Teil ihres Schädels fehlten, ihre Nase war gebrochen und plattgedrückt. Vier ihrer Rippen auf der rechten Seite und sieben auf der linken waren gebrochen. Sie wies massive Blutungen im rechten Herzvorhof auf und ihr linker Oberschenkel war schwer geprellt. Die Kraft, die dafür nötig war, verglich der Arzt, der die Leiche untersuchte, mit der eines Autounfalls.

Aber das war noch nicht einmal das Schlimmste.

Ihre Zunge und die Muskeln im Inneren des Mundraums waren verschwunden. Die Menge an Blut in ihrem Magen ließ vermuten, dass das Gewebe entfernt worden war, als sie noch am Leben war.

»Meine Tante hatte Abwehrverletzungen an den Händen. Als sie starb, kämpfte sie um ihr Leben. Das ist ihr nicht nach ihrem Tod zugestoßen. Sie war wach, als etwas oder jemand ihre Zunge herausriss. Sie war bei vollem Bewusstsein

Angesichts der Schilderung des furchtbaren Schicksals, das die junge Frau ereilt hatte, verzog sich unwillkürlich Nats Gesicht und sie erwähnte das gleiche Argument, mit dem Andrew ihr seit Monaten in den Ohren lag. »Das ist über sechzig Jahre her. Was glaubst du, soll ich dort finden?«

»Da ist etwas auf diesem Berg. Etwas, das meine Tante und ihre Freunde getötet hat, und es ist nicht menschlich. Der Arzt, der die Opfer untersucht hat, gab zu, dass kein Mensch genug Kraft hat, um auf diese Weise jemanden umzubringen.«

Soviel stand fest. Sie hatte detaillierte Übersetzungen der Original-Autopsieberichte gelesen. Ein erhöhter Grad an Strahlung war an der Kleidung der Toten festgestellt worden. Es gab noch so viele Ungereimtheiten an diesem Fall.

»Wie kommst du darauf, dass dieses Etwas immer noch da ist?«

»Ich kann das nicht erklären. Nennen wir’s ‘ne Art Ahnung, Intuition, wenn du so willst, oder der Geist meiner Tante, der mich ruft. Aber ich glaube mit absoluter Gewissheit, dass du die Richtige bist, um herauszufinden, was ihr zugestoßen ist. Enttäusche mich nicht.«

Noch ehe sie ihm für dieses Vertrauensvotum danken konnte, legte er auf und ließ sie in Totenstille und mit der albtraumhaften Vorstellung einer um ihr Leben kämpfenden Frau zurück.

DJATLOV PASS - Die Rückkehr zum Berg des Todes

Подняться наверх