Читать книгу Das Herz des Diplomaten - J.L. Langley - Страница 5
Prolog
Оглавление4. März 4829, Planet Regelence
Gefängnis von Pruluce in der Innenstadt von Classige, Pruluce
Er wollte nicht sterben, aber für solche Gedanken war es leider zu spät. Dalton setzte sich auf der kalten Steinbank auf, die gleichzeitig als Pritsche fungierte, und starrte zwischen den bedrohlichen schwarzen Gitterstäben seiner Gefängniszelle hinaus. Da kam jemand. Er hatte sich das Geräusch der stahlverstärkten Tür, die in den Zellenblock führte, nicht nur eingebildet. Der metallische Knall war mit nichts zu vergleichen, was er je zuvor gehört hatte. Er war erst höchstens ein paar Stunden hier, doch er war sich bereits sicher, dass ihn dieses Geräusch für den Rest seines Lebens in seinen Albträumen verfolgen würde. Was möglicherweise nicht mehr sehr lange sein würde. Er könnte gehängt werden. Wurden Menschen immer noch wegen Mordes gehängt?
Laute Schritte hallten von den Felswänden wider und näherten sich ihm. In der angrenzenden Zelle knurrte jemandem der Magen, etwas weiter entfernt nieste ein Gefangener und der Häftling fast am Ende der Zellenreihe litt an Blähungen.
Ein Schauer des Ekels kroch Daltons Rücken hinauf und er wollte sich die Ohren zuhalten. Er hatte sich selbst nie für verwöhnt gehalten, aber bei der Galaxie, er musste hier raus.
Die Schritte waren jetzt sehr nahe und wurden von dem Klimpern von Schlüsseln begleitet.
Er hatte sich selbst in diese Lage gebracht und ihm blieb nichts anderes übrig, als es sich einzugestehen und die Konsequenzen zu tragen. Er zwang sich, seine Beine loszulassen, die er umschlungen gehalten hatte, stellte seine nackten Füße auf den kalten Boden und erhob sich.
Der Wachmann blieb vor seiner Zelle stehen und ein weiterer Mann erschien hinter ihm.
Dalton musste so schwer schlucken, dass es sich anfühlte, als würden Glasscherben durch seine Kehle rutschen.
Das gedämpfte Licht im Gang hüllte das Gesicht des anderen Mannes in Schatten, doch die hochgewachsene, durchtrainierte Silhouette ließ keinen Zweifel. Onkel Raleighs Körperhaltung sprach gleichzeitig von Disziplin und Eleganz. Sein Onkel schien immer für alles gewappnet zu sein; sogar im Ruhezustand strahlte er unterdrückte Energie aus. Jetzt gerade waren seine Schultern gestrafft und ein wenig steif und versprachen zu gleichen Teilen Rettung und Verdammnis.
Dalton atmete tief durch und zwang sich dazu, nicht von der Stelle zu weichen, obwohl er am liebsten unter die Bank gekrochen wäre und sich versteckt hätte.
Er hatte gewusst, dass sein Onkel herkommen würde. Als die Behörden ihn gefragt hatten, wen sie kontaktieren sollten, bevor sie ihm Krawattentuch, Strümpfe und Schuhe abgenommen hatten, hatte er nicht lange überlegen müssen. Doch jetzt, da sein Onkel hier war, wünschte Dalton sich das Gegenteil. Die bloße Vorstellung, Raleigh erzählen zu müssen, was passiert war, ließ seinen Magen verkrampfen. Seine Zunge fühlte sich drei Nummern zu groß für seinen Mund an. Vielleicht wäre es besser gewesen, nach seinem Vater zu schicken? Ihm war egal, was sein Vater von ihm und seinen Taten dachte, aber Ravensburg hätte seinen Hilferuf wahrscheinlich ignoriert.
Der Wachmann öffnete die Zellentür und trat zur Seite.
Raleigh kam ins Licht. Sein Blick glitt flüchtig über Dalton und ein Muskel in seinem Kiefer zuckte. »Lass uns allein.«
Der Wachmann verbeugte sich, obwohl Raleigh ihm den Rücken zugewandt hatte. »Jawohl, Euer Majestät.« Mit klimpernden Schlüsseln wandte er sich ab und zog sich zurück. Die Gittertür ließ er weit offen stehen und Dalton sah sich allein seinem Urteil gegenüber.
Er spähte zur offenen Tür. Vielleicht konnte er verschwinden? Sich auf ein Schiff flüchten, das Regelence verließ, und…
»Das schaffst du nie.«
Dreck! Er hob den Kopf, besorgt, was er vorfinden würde.
In Raleighs grauen Augen spiegelte sich keinerlei Emotion wider und irgendwie erschien ihm das noch schlimmer.
Die Tür am Ende des Ganges schlug zu, als der Wachmann den Zellenblock verließ, und Dalton zuckte zusammen.
Raleigh blinzelte nicht einmal. Er stand da und starrte Dalton so teilnahmslos wie eh und je an. War er sauer? Beschämt? Enttäuscht?
Nach ein paar Sekunden holte Raleigh tief Luft und sein gesamter Körper schien sich zu entspannen. Er streckte eine Hand nach Dalton aus, dann die andere, sodass er die Arme ausbreitete.
All die Tapferkeit, an die sich Dalton während der letzten Stunde geklammert hatte, verließ ihn mit einem Keuchen. Er war sich nicht mal sicher, wie er in den Armen seines Onkels landete – ob er sich bewegt hatte oder Raleigh –, doch ihm entkam ein Schluchzen, als Raleigh ihn fest an sich zog und ihn in Wärme und Trost einhüllte.
Seine Arme bildeten einen schützenden Kokon und Daltons Tränen wollten einfach nicht versiegen. Er bettete den Kopf auf die Schulter seines Onkels und klammerte sich an ihm fest. »Es tut mir leid, Onkel. Ich wollte nicht, dass das passiert.«
»Ich weiß, aber du musst dieses selbstzerstörerische Verhalten einstellen.« Raleigh wich zurück und hielt ihn eine Armlänge von sich. »Du hättest getötet werden können, Dalton.« Die Sorgenfalten auf seiner Stirn unterstrichen mehr als seine Worte, wie sehr ihn dieser Gedanke beunruhigte.
»Ich wollte nie, dass die Dinge so aus dem Ruder laufen.«
»Ich weiß.« Nachdem er eine Hand an seine Wange gelegt hatte, trat Raleigh etwas weiter in die Zelle hinein und setzte sich auf die Bank. »Aber das muss aufhören. Im vergangenen Monat hast du dir ein Duell wegen eines verheirateten Mannes geliefert, bist nackt auf einem Pferd um das Denkmal für die Gefallenen auf dem Primrose Square geritten, wurdest gesehen, wie du aus dem Madame Roux's gekommen bist, und jetzt hast du einen Unfall mit einer Kutsche verursacht. Und nicht mit deiner eigenen, möchte ich hinzufügen.«
Wenn man es so formulierte, hörte es sich wirklich schlimm an. Dalton schätzte, er hatte sich selbst fälschlicherweise eingeredet, dass seine Onkel und Cousins nichts von seinen Ausschweifungen mitbekommen hatten. »Genau genommen habe ich mein Hemd als Augenbinde getragen, als ich um das Denkmal geritten bin, ich war also nicht nackt.«
Raleigh hob eine dunkle Augenbraue, als er sich rücklings gegen die Wand lehnte und seine langen Beine von sich streckte.
Dalton seufzte. Normalerweise brüstete er sich damit, wenn er das Thema der Klatschspalten war, doch diese eine Heldentat hätte er lieber unter den Teppich gekehrt.
Raleigh verschränkte die Finger vor seinem Bauch, als hätte er nicht vor, sich bald wieder zu erheben. Anscheinend war das hier ein Verhör.
»Es war ein Uhr morgens, um diese Zeit waren nicht viele Menschen unterwegs.«
Die andere Augenbraue gesellte sich zur ersten.
»Na schön. Es war dämlich.« Allerdings hatte es wahnsinnig Spaß gemacht und… »Ich habe dadurch zweihundert Pfund gewonnen.«
»Tja, der Galaxie sei Dank.« Raleigh grinste, kaschierte es jedoch schnell. »Und das Duell?«
»Wenn Viscount-Consort Lawson seinen Ehemann befriedigen würde, hätte sich der Viscount nicht anderswo umschauen müssen?«
Raleigh bedachte ihn mit dem starren Blick eines strengen Vaters.
Nicht winden, ermahnte sich Dalton selbst. Er konnte nicht anders, er wand sich. Verdammt.
»Und was ist mit der Kutsche?«
Die Ereignisse des heutigen Abends, die er in der vergangenen Stunde so angestrengt zu vergessen versucht hatte, stürmten wieder auf ihn ein. Er begann, auf und ab zu laufen, um etwas zu tun zu haben. Er bezweifelte, die Geschichte wiedergeben zu können, wenn er seinen Onkel dabei ansehen musste. »William hat mich gebeten, ihn an der Rennbahn zu treffen.« Das hatte er sich nicht zweimal sagen lassen. Er hatte den Debütanten am Tag zuvor beim Yardley-Musikabend kennengelernt und der schüchterne Mann war einfach bei allem rot geworden. Daltons bisherige Liebhaber waren alle erfahren gewesen, deshalb hatte die Vorstellung, einen Unschuldigen zu entjungfern, seinen ganz eigenen Reiz gehabt. »Ich habe zugestimmt. Alles lief gut, bis sein Vater aufgetaucht ist. Der, äh, Earl hat es nicht gut aufgenommen.«
»Ich frage mich, warum.«
Dalton ignorierte die sarkastische Bemerkung und fuhr fort: »William hat mich angefleht, mit ihm zu verschwinden.«
»Also hast du einen der Zweispänner gestohlen.«
»Geliehen.« William hatte erwähnt, er wäre jetzt kompromittiert, und Dalton war in Panik geraten. Er hatte den süßen kleinen Baron nur ficken wollen, von Heirat war nie die Rede gewesen. »Ich wollte ihn zurückbringen, nachdem ich William vor seinem Haus abgesetzt hatte, doch der Earl hat uns eingeholt, bevor wir den Park überhaupt verlassen konnten. Er ist vor die Pferde gesprungen und…« Dalton hielt mit dem Rücken zu seinem Onkel inne und schloss die Augen. Alle redeten immer davon, dass sich die Zeit im Augenblick einer Katastrophe zu verlangsamen schien, doch das stimmte nicht. Sie wurde nicht langsamer. Sie wurde schneller. »Ich wollte ihn nicht töten.« Tränen ließen Daltons Sichtfeld verschwimmen. Es war ihm surreal vorgekommen, bis er es laut ausgesprochen hatte.
»Was? Wen?« Raleigh packte seine Schulter und wirbelte Dalton so abrupt herum, dass er wankte, bevor er sein Gleichgewicht wiederfand.
Sein Blick schoss zur Bank, dann zu Raleigh. Wann hat er sich bewegt?
Raleighs Augen wurden schmal und er schüttelte Dalton. »Wen?«
»Den Earl of Wesley, Williams Vater.«
Raleigh ließ die Hände an Daltons Unterarmen hinabgleiten und den Kopf sinken. Seine Brust hob und senkte sich schwer. Als er den Blick wieder hob, umspielte ein sanftes Lächeln seine Lippen. »Du hast ihn nicht umgebracht. Er ist durch den Aufprall ohnmächtig geworden.«
Daltons Lunge füllte sich schlagartig mit Luft und seine Knie wurden weich. »Er lebt?«
»Ja. Außerdem ist seine Geldbörse dank dir jetzt um einiges dicker. Ich musste ihm ein Vermögen bezahlen, damit er allen erzählt, er wäre mit seinem Sohn spazieren gegangen, als du sie beinahe überfahren hättest. Er wollte eigentlich, dass du das Richtige tust und seinen Sohn heiratest.«
Mittlerweile war eine Hochzeit die geringste von Daltons Sorgen. Sein Herz hämmerte gegen seine Rippen. Er fuhr sich mit zitternder Hand durch die Haare und ließ sie schweißnass wieder sinken.
»Ebenso musste ich Lord Henderson seinen zerstörten Zweispänner ersetzen und ihm zwei dazu passende Pferde besorgen. Er ist davon überzeugt, dass eines seiner Pferde durch deinen Unfall schwer verletzt wurde, obwohl Brooks das anders sieht. Jedenfalls war es das wert, wenn er dadurch davon absieht, Anklage zu erheben. Wenn ich die ganze Sache jetzt noch aus den Klatschspalten raushalten kann, wäre das ein Wunder. Die Skandalblätter sind ganz vernarrt in dich.«
Brooks, die Stallmeisterin von Townsend Castle, war überragend in ihrem Metier. Wenn sie der Meinung war, dass dem Pferd nichts fehlte, dann war das auch so. »Also kann ich… nach Hause gehen?« Ihm verging das Lächeln und der Magen sank ihm wieder in die Kniekehlen. Sein Zuhause war das Schloss – nicht Fairfax House – und dorthin konnte er nicht. Diese verfluchten Regeln.
»Nein.«
»Ich weiß, dass ich nicht ins Schloss zurückkann, aber…«
Raleigh begann, den Kopf zu schütteln.
Bei dem Ausdruck des Bedauerns auf dem Gesicht seines Onkels bekam Dalton eine Gänsehaut. »Was? Du hast doch gesagt, er wäre nicht tot und ich könnte gehen.«
Raleigh holte tief Luft, stieß sie dann wieder aus und ließ die schwarzen Strähnen flattern, die ihm in die Stirn fielen. Seine stahlgrauen Augen, die Daltons so ähnlich sahen, starrten ihn unverwandt und bestimmt an, als er in seine linke Manteltasche griff und ein paar gefaltete weiße Papiere hervorzog. »Du wirst nur unter einer Bedingung entlassen.«
Dalton schüttelte immer noch verständnislos den Kopf.
»Du weißt, dass ich dich liebe, Dalton. Das weißt du, oder?«
Das tat er tatsächlich, denn sein Onkel – seine beiden Onkel – hatten es ihm in seiner Kindheit und Jugend häufig gesagt. Noch wichtiger war, dass sie ihn mit Aufmerksamkeit und einer Menge Umarmungen überschüttet hatten. Dalton nickte, doch die Härchen auf seinen Armen richteten sich auf.
»Ich traue dir nicht zu, dass du dich zu benehmen weißt. Nicht, solange du weiter bei meinem Bruder wohnen musst.« Raleigh berührte seine Wange. »Wenn es einen rechtlichen Weg für mich gäbe, dich mit nach Hause zu nehmen, dann würde ich das tun, aber du bewegst dich in eine Richtung, von der es vielleicht kein Zurück mehr gibt, und das kann ich nicht zulassen.«
Dalton sank ein wenig in sich zusammen. Im vergangenen Jahr hatte er Dinge getan, die er während der Zeit bei seinem Onkel niemals gewagt hätte, doch als sein Vater nach ihm geschickt und ihn gezwungen hatte, nach zehn Jahren wieder bei seinen Eltern einzuziehen, war Dalton ein bisschen durchgedreht. Er hatte sich eher wie der Achtjährige benommen, den sein Vater fortgeschickt hatte, als der Neunzehnjährige, der er jetzt war. Am Anfang hatte er gehofft, dass seine Eltern ihn zu seinem Onkel zurückschicken würden, doch das hatten sie nicht getan und Dalton hatte die Kontrolle verloren. Sich schlecht zu benehmen hatte angefangen… Spaß zu machen. Er hatte Dinge getan, die keinem jungen Lord seines Alters erlaubt waren, und hatte aufgehört, sich darum zu scheren, was seine Eltern oder die Gesellschaft von ihm hielten.
»Und die Wogen dieses neuesten Skandals müssen sich unbedingt schnell glätten… Deswegen habe ich dir ein Offizierspatent für die IN gekauft.« Raleigh hielt ihm die Papiere hin.
Mit bebender Hand nahm Dalton sie entgegen. Er wurde fortgeschickt? Schon wieder? Er schaute hinunter auf das Patent, dann hinauf zu seinem Onkel.
Raleighs ernste Miene blieb unverändert.
»Aber…«
»Du hast nur zwei Möglichkeiten. Entweder bleibst du hier drin und wirst wegen Diebstahls angeklagt oder du gehst zur Intergalaktischen Navy. Leiste deine zwei Jahre dort ab, komm nach Hause und schließ dich für zwei Jahre der Regelence Navy an. Wir werden allen erzählen, dass du schon immer zur Regelence Navy wolltest, so wie mein Vater. Ich meine mich zu erinnern, dass du das als Kind auch tun wolltest.«
»Ja.« Dalton betrachtete die Dokumente. In seiner Jugend hatte er in die Fußstapfen seines Großvaters treten wollen, doch aus dieser Idee war er schon lange herausgewachsen. Jetzt wollte er seine Familie nicht verlassen. Er wollte wieder zu ihnen ins Schloss ziehen, obwohl er wusste, dass das unmöglich war. »Mein Vater weiß nichts davon, oder?«
Raleigh schüttelte den Kopf. »Ich setze mich mit meinem Bruder auseinander.«
Obwohl Dalton auf Regelence noch nicht als volljährig angesehen wurde, konnte er der IN rein rechtlich auch ohne elterliche Zustimmung beitreten. Das Mindestalter für die IN betrug nur achtzehn Jahre und in fünf Monaten würde Dalton zwanzig sein.
Er sah sich in der Zelle um, ließ den Blick über die rauen Steinwände schweifen und schauderte. Er konnte nicht im Gefängnis bleiben. Vielleicht bedeutete das, dass er ein verwöhnter Aristokrat war, wie ihn die Wachmänner beschimpft hatten, doch er wusste, dass er sich hier drin niemals behaupten könnte. Und zu seinen Eltern wollte er auch nicht wieder zurück.
Er spähte zu seinem Onkel hinauf. Würde er mich wirklich hier lassen? Wenn Raleigh es für das Beste hielt – was dieser angespannte Kiefermuskel laut und deutlich sagte –, dann würde er es tun.
Mit flauem Gefühl im Magen und weil ihm keine andere Wahl blieb, stimmte Dalton zu. »Ich mach's.«