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Kapitel 4

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Heute findet der fünfte alljährliche Ball der Vorsaison des Earls of Stratford statt. Man fragt sich, welche Eskapaden ein gewisser aufsässiger, junger Marquis und sein Künstlerfreund, der zufällig der Sohn eines Dukes ist, an diesem Abend für uns bereithalten. Für gewöhnlich sind sie unterhaltsamer als der Tanz.

– Aus dem The Classige Examiner

»Würdest du bitte aufhören herumzuzappeln?«

»Mein Arsch ist eingeschlafen.« Dalton stand auf und rieb sich über das Hinterteil, um den Blutkreislauf anzuregen. Eine Stunde lang hatte er auf einem der harten, dick gepolsterten Sofas mit rot-goldenem Brokatüberwurf vor Blaises Schreibtisch gesessen und versucht, brav zu sein. Die Galaxie stehe ihm bei, es war nicht einfach. Dalton hatte schon immer gerne mit dem Feuer gespielt und Blaise war da keine Ausnahme. Er mochte zwar kein Rotschopf sein wie sein Bruder, doch er besaß das feurige Temperament und die Leidenschaft, die man Rothaarigen zuschrieb, im Überfluss.

»Du solltest dieses Wort nicht sagen«, tadelte Blaise, ohne von seinem Hefter aufzusehen. Er saß schon so lange hinter seinem Schreibtisch, wie Dalton auf dem Sofa gesessen hatte.

Tat Blaise nicht der Arsch weh? Dalton wäre nur allzu gerne bereit, ihn zu massieren. Er setzte dazu an, ihm genau das anzubieten, doch dann begann Blaise, Seiten vor- und zurückzublättern. Er tippte sich mit seinem Stift an die Lippen und summte, bevor er das obere Ende in seinen Mund schob.

Dalton konnte sich gerade noch davon abhalten, zu stöhnen und einen anzüglichen Vorschlag zu machen, denn er wollte Blaise keinen weiteren Anlass für einen Versuch geben, ihn loszuwerden… jedenfalls noch nicht. Für einen späteren Zeitpunkt konnte er nichts garantieren. Den Mann zu reizen, hatte etwas beinahe Berauschendes an sich.

Um nicht den Verstand zu verlieren und sein Hinterteil aufzuwecken, ging Dalton zu der Rollleiter hinüber, mithilfe derer man die Bücher in den oberen Regalfächern erreichen konnte. Er stellte einen Fuß auf die unterste Sprosse, hielt sich an beiden Seiten fest und stieß sich mit dem anderen Fuß ab. Das Zimmer hatte einen achteckigen Grundriss und eine hohe Decke, doch die Schiene der Leiter führte einmal im Kreis um den Raum herum, sodass der Schwung ihn bis zum nächsten Regalabschnitt rutschen ließ.

»Das ist kein Spielzeug.«

»Vielleicht nicht, aber du hast das doch auch schon mal gemacht, oder?« Dalton lehnte den Kopf zurück und stieß sich noch einmal vom Teppichboden ab. Er rechnete mit einem festen Nein, doch er erhielt stattdessen ein leises Lachen.

Das Geräusch war so herrlich und unerwartet, dass er eine Hand ausstreckte und die Bewegung der Leiter stoppte. Er hatte sich schon langsam gefragt, ob Blaise zu Heiterkeit fähig war; er war viel zu ernst. Dalton drehte sich um, lehnte sich zurück an die schrägen Sprossen und konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. »Hast du.« Aus irgendeinem Grund konnte er sich nicht vorstellen, wie Blaise mit der Leiter oder mit überhaupt irgendetwas spielte, doch er wollte gern. Er wollte sehen, wie dieser Mann voller Freude lebendig wurde. Er wollte sie mit ihm teilen.

Blaise zuckte mit den Schultern. »Vielleicht.«

»Wann?«

»Als ich noch klein war.« Diese grünen Augen schauten unter ein paar Strähnen brauner Haare hervor, er legte den Kopf schief und runzelte die Stirn, als sollte die Antwort darauf offensichtlich sein.

Es war das erste Mal seit ihrem Tee, dass Blaise den Blickkontakt mit ihm suchte, und Daltons Körper schien die Aufmerksamkeit zu gefallen, denn sein Schwanz zuckte, während sein Herz vor Staunen ein wenig schmolz. »Was machst du heute, um Spaß zu haben?« Er stieg von der Leiter und durchquerte das Zimmer.

»Ich…« Blaise schüttelte den Kopf und beobachtete jeden von Daltons Schritten, als rechnete er damit, von ihm angesprungen zu werden. »Für Freizeit ist in meinem Alltag kein Platz.« Die Antwort überraschte ihn überhaupt nicht.

»Das ist echt traurig. Jeder hat doch Zeit für etwas Spaß.«

»Was tust du, um dich zu amüsieren?«

»Na ja, ich… heute Morgen habe ich mir eine Wasserschlacht geliefert.«

Blaise starrte ihn mit offenem Mund an. Diese Antwort hatte er offensichtlich nicht erwartet. »Wirklich?«

»Ja. Nicht mit Absicht, aber ja, das habe ich. Jetzt sag mir, was du zur Unterhaltung tust.«

Blaise blinzelte ihn an und schwieg eine ganze Weile. Dalton fand sich schon damit ab, dass er die Frage unbeantwortet lassen würde, doch dann sagte er: »Ich, äh… lese?«

»Du liest jetzt gerade und es sieht nicht besonders unterhaltsam aus.« Obwohl Dalton seine gebildete Seite fast genauso gut gefiel wie der heißblütige kleine Diktator. Ein kluger Mann hatte etwas sehr Anziehendes an sich. »Was liest du da?«

»Verträge.«

»Ugh, es ist schlimmer, als ich befürchtet habe«, stichelte er. »Wie kannst du dich nur beherrschen? Du musst drauf und dran sein, vor schierer Freude vom Stuhl aufzuspringen.«

Wieder ein leises Lachen. »Ich finde es äußerst interessant.«

»Tja, dann gibt es keine Hoffnung mehr für dich.«

Blaise knurrte, allerdings nicht, bevor seine Mundwinkel verräterisch gezuckt hatten. »Es ist wirklich gar nicht so schwer, still zu sitzen, wenn man lesen kann.«

Dalton lachte, beugte sich vor und stützte die Hände auf Blaises Schreibtisch ab. »Touché.« Dieser verbale Schlagabtausch war sogar noch spaßiger, als Blaises Temperament zu reizen. Er warf einen Blick auf die Schriftstücke. Für ihn sah es nach einer Menge Juristenlatein aus. »Warum sind sie interessant?«

»Nun, das liegt nicht so sehr an den Verträgen selbst, sondern an der Tatsache, dass…«

Eine Stimme im Gang erregte Daltons Aufmerksamkeit. Obwohl Blaise weiterredete und erklärte, hörte Dalton ihm nicht zu. Ein Gefühl der Leere machte sich plötzlich in seiner Brust breit. Er nutzte die Spiegelung in der Vitrine rechts von dem Durchgang hinter Blaise, um zur Tür des Büros blicken zu können – die ja offen war, da Hobbs darauf bestand, dass Blaise jemanden brauchte, der seine Tugend beschützte. Eine Anstandsperson und eine Wache zu haben, war ein bisschen überflüssig, aber ihre Gesellschaft war eben paranoid. In Blaises Fall wahrscheinlich zu Recht, denn wer würde ihn nicht verführen wollen?

Im Spiegelbild bewegte sich nichts, doch die Stimme erklang erneut. Diesmal näher. Scheiße! Er kannte diese Stimme. So viel dazu, seinen Eltern aus dem Weg zu gehen, bis er wieder abreiste.

Dalton machte sich nicht die Mühe, zum Wandschrank oder in den Waschraum zu rennen, dafür blieb ihm keine Zeit mehr. Stattdessen umrundete er hastig Blaises Schreibtisch, sank auf die Knie und tätschelte den mit Stoff umhüllten Oberschenkel neben sich. »Mach mal Platz.«

Blaise schnappte nach Luft. »Ashbourne, was tust du da?« Er hätte unmöglich noch aufgebrachter oder verklemmter klingen können. Auf gewisse Weise war es ganz niedlich.

»Nenn mich Dalton«, korrigierte er ihn automatisch. »Shh… nicht so laut. Ich muss mich verstecken, also rutsch bitte zur Seite.«

Auf Blaises Stirn zeichnete sich eine Furche ab, doch er rückte nach hinten. »Vor wem?«

»Meinem Vater.« Dalton kroch unter die Tischplatte und lehnte sich zurück. Das würde klappen. Die Vorderseite des Schreibtisches war geschlossen und er musste nur den Kopf ein wenig zur Seite neigen, um darunter zu passen. Es war sicherlich nicht der schlechteste Platz, an dem er sich je versteckt hatte. Zumindest war diesmal kein eifersüchtiger Ehemann mit einem Schwert auf der Suche nach ihm.

Blaise stammelte ganze zehn Sekunden lang vor sich hin. »Bist du wahnsinnig? Ich kann doch nicht hier sitzen, während du dich unter meinem Schreibtisch versteckst.« Seine Wangen waren flammend rot. Er war so unschuldig, dass er praktisch darum bettelte, verdorben zu werden.

Daltons Herzschlag überschlug sich bereits, doch er war sich sicher: Wenn dem nicht so gewesen wäre, hätte dieses Erröten dafür gesorgt. »Warum denn n…«

»Mylord? Lord Ravensburg ist hier, um Euch zu sehen«, verkündete Hobbs.

Blaise ließ sich auf seinen Sessel fallen und rutschte so hastig nach vorne, dass Dalton seinen Stiefel packen musste, damit er nicht in seinem Schritt landete. »Bring ihn herein.«

Nach wenigen angespannten Augenblicken der Stille ergriff Ravensburg als Erster das Wort: »Redding. Wie geht es Euch an diesem schönen Tag?«

Blaise sprang wieder von seinem Stuhl auf und sagte: »Ravensburg«, wobei er mehr als nur ein wenig atemlos klang.

Es entstand eine lange Pause, als würde Ravensburg Blaise mustern. Und wahrscheinlich tat er das auch, denn Blaise benahm sich mehr als verdächtig. »Habt Ihr die Informationen über die IN-Hundemarken, um die ich gebeten hatte?«

»Natürlich. Lasst mich sie Euch holen.« Blaise wandte sich der hinteren Wand zu und nahm eine Speicherkarte von dem Regal neben der Vitrine. Als er sich wieder umdrehte, warf er Dalton einen grimmigen Blick zu.

Dalton erwiderte ihn ebenso finster und formte mit den Lippen Hör auf damit.

Ravensburg mochte zwar vieles sein, doch er war nicht dumm. Genau genommen war er in Daltons Augen sogar ein klein wenig paranoid. Es sähe ihm ähnlich, das Zimmer zu durchsuchen, wenn ihm ein Grund dafür geboten wurde.

Blaise trat näher an den Schreibtisch heran, sodass Dalton eine perfekte Aussicht auf seine Knie hatte.

Über ihm raschelte es und Ravensburg sagte: »Vielen Dank.«

»Gern geschehen.«

Gedämpfte Schritte entfernten sich und verstummten dann komplett.

Blaise setzte sich wieder auf seinen Sessel und rollte nach hinten – vermutlich, um zu Dalton hinunterzuspähen –, doch Ravensburg unterbrach ihn dabei.

»Redding?«

Geh weg, drängte Dalton stumm. Er bekam langsam einen steifen Hals.

Blaise hielt inne und erhob sich erneut. »Ja?«

»Gut gemacht.«

Ein paar Sekunden lang durchbrach kein Laut die Stille, doch Dalton konnte sich vorstellen, wie Blaise die Schultern zuckte und unter dem Lob errötete, obwohl seine Knie nichts in diese Richtung vermuten ließen. »Was genau meint Ihr?«

»Ich weiß, dass Ihr sie gefunden habt.«

Wen?

»Was?« Blaise keuchte. »Ich…«

»Mr. Edmonstone ist nicht einmal intelligent genug, um seine eigenen Stiefel zu finden, während er sie trägt.« Ravensburgs Tonfall war scharf und er hatte Percy mit Absicht als Mister statt als Sir bezeichnet.

Dalton hasste es, Ravensburgs Meinung über irgendetwas zu teilen, doch er war bereits zuvor mit Percy aneinandergeraten. Nämlich, weil der Mistkerl seine große Klappe nicht hatte halten können. Er war sich sicher, dass es Percy gewesen war, der in der Nacht, als Dalton sich durch das Fenster des Viscounts hatte hinausschleichen müssen, zu Lawsons Consort gegangen war.

»Ich weiß, dass Ihr Betty Jenkins gefunden habt«, sagte Ravensburg. »Ihr solltet nicht zulassen, dass er die Lorbeeren für Euren Erfolg einheimst. Ich weiß, dass er das schon zuvor getan hat.«

Betty Jenkins ist gefunden worden? Darum musste es bei der Konferenz im Schloss gegangen sein. Dalton hatte sich nicht dort aufgehalten, für den Fall, dass sein Vater daran teilnahm, und es schien, als hätte er mit seiner Vermutung richtiggelegen. Er hatte sich etwas zum Anziehen von seinem Cousin Rexley geliehen, nachdem sie die letzten Reste des Wasserbombenmassakers beseitigt hatten, und war dann hierhergekommen, um auf Blaise zu warten.

»Ich… ich…« Blaise räusperte sich.

»Sorgt dafür, dass sonst niemand etwas gegen Euch in der Hand hat. Ich habe mich nach der Besprechung mit Sir Percy unterhalten und er erwähnte, Euch beim Herrenausstatter gesehen zu haben und… Wie gut kennt Ihr meinen Sohn?«, fragte Ravensburg plötzlich etwas lauter.

Verdammt noch mal! Warnte sein eigener Vater Blaise etwa vor ihm? Dalton ballte die Hände zu Fäusten und ihm wurde schlagartig heiß.

»Gar nicht. Ich…« Blaises Stimme bebte und verriet seine Lüge.

Wieder herrschte kurz Stille. »Redding, ich möchte Euch einen Rat geben: Haltet Euch von ihm fern. Es schmerzt mich, das zu sagen, aber mit ihm in Verbindung gebracht zu werden, könnte Euren Ruf ruinieren.«

Dalton kochte vor Wut. Er bemerkte gar nicht, dass er Anstalten machte, unter dem Schreibtisch hervorzukriechen, bis Blaises Stiefel auf seiner Wade landete und Druck ausübte. Viel Druck.

»Ich versichere Euch, dass mein Ruf für mich jederzeit an erster Stelle steht.«

»Schön, schön. Es wäre doch nicht auszuhalten, wenn ein gewisser Gehilfe Zweifel an unserem zukünftigen Ratsherrn sät.«

Dalton zog sein Bein wieder unter den Tisch und wunderte sich über den weichen, ermutigenden Klang in der Stimme seines Vaters. Hatte er diesen ganz bestimmten Tonfall je zu hören bekommen? Sein Vater respektierte Blaise offenbar. Dann kam ihm etwas anderes in den Sinn. Percy Edmonstone hatte sie beim Herrenausstatter gesehen und, verdammt noch mal, das war schon das zweite Mal, dass er mit seinem Vater übereinstimmte. Er konnte nicht zulassen, dass jemand seinen Ruf gegen Blaise verwendete, denn – die Galaxie stehe ihnen bei – wenn Percy die freie Stelle im Ratsausschuss bekam und nicht Blaise… Percy würde wahrscheinlich den gesamten Planeten an die IN verkaufen und das konnte Dalton auf keinen Fall zulassen.

»Ich habe eine Überraschung für dich.«

Das klingt verhängnisvoll. Blaise schob sich vom Schreibtisch zurück und rieb sich über die Augen. Eineinhalb Stunden lang hatte er über Verträgen gebrütet und er war sich nicht sicher, ob ihm der Sinn nach noch mehr Überraschungen stand. Besonders Überraschungen der Ashbourne-Art. Der Earl war unerträglich, verwirrend und viel zu charmant für Blaises Seelenfrieden. Es war mal wieder typisch, dass die erste heftige körperliche Anziehung, die er je verspürt hatte, von einem Mann ausging, der völlig ungeeignet war. »Es gehört sich überhaupt nicht, dass du mir Geschenke bringst.«

Ashbourne, der vorhin gegangen war, um etwas zu erledigen – mit der strikten Anweisung, dass Blaise das Büro nicht verlassen durfte –, lehnte jetzt mit einem so strahlenden Lächeln im Türrahmen, dass es verboten sein sollte. Es war nicht schwer zu verstehen, wie er zu seinem Ruf gekommen war, und Blaise war nach dem Gespräch mit Ravensburg noch viel misstrauischer, was diesen Ruf betraf. Bei der Galaxie, der Gedanke, dass Ashbourne sich unter seinem Schreibtisch versteckt hatte und sein Gesicht so nah an Blaises… ähm, unaussprechlichem Körperteil gewesen war, brachte ihn immer noch zum Erröten. Und wer versteckte sich bitte vor seinen eigenen Eltern? Blaise hätte es Ravensburg verraten sollen und war sich nicht sicher, warum er es nicht getan hatte. Er redete sich gern ein, dass es verdächtig ausgesehen hätte, an einem Tisch zu sitzen, unter dem sich ein Mann verborgen hielt, doch das war nicht der einzige Grund.

Ashbourne ignorierte Blaises Rüge und hielt eine Speicherkarte von der Größe eines Daumennagels in die Höhe.

»Was ist das?«

Das Lächeln wurde noch etwas breiter, als er sich vom Türrahmen abstieß und die Tür hinter sich schloss.

Sie schwang so schnell wieder auf, dass Ashbourne zur Seite springen musste, damit sie nicht sein Hinterteil traf.

Hobbs streckte den Kopf ins Zimmer und schaute finster drein. Sein Blick landete auf Blaise und er fragte: »Ist alles in Ordnung, Mylord?«

Blaise versuchte, sich ein Grinsen zu verkneifen, scheiterte jedoch. Wie auch seine Pflichten als Sekretär nahm Hobbs seine Aufgabe als Anstandsperson recht ernst. »Alles bestens.«

Der alte Mann nickte, doch statt sich gleich wieder zurückzuziehen, beäugte er Ashbourne noch eine Weile länger.

Grinsend verdrehte Ashbourne die Augen und hob die Hände. »Entschuldige, Hobbs. Ich vergaß.«

Als Hobbs schließlich ging, ließ er die Tür weit offen stehen. Ashbourne durchquerte den Raum bis zur anderen Seite von Blaises Schreibtisch und warf einen Blick über die Schulter.

Irgendetwas sagte Blaise, dass ihm das nicht gefallen würde. Was auch immer das war.

Ashbourne legte das kleine schwarze Quadrat auf die offenen Seiten des Hefters, in dem sich die IN-Verträge mit Planeten im Calluna-System befanden. Dann stützte er seine Hände Blaise gegenüber auf dem Tisch ab und flüsterte: »Das ist eine Möglichkeit, einen gewissen Mr. Edmonstone in seine Schranken zu weisen.«

Dreck. »Was genau befindet sich auf der Speicherkarte?«

Ashbournes Grinsen wurde wahrhaft teuflisch. »Erpressungsmaterial. Sir Percy in flagranti. Oder genauer gesagt: Sir Percy, der seine Lippen um…«

»Halt!« Hitze schoss Blaise so rasch in die Wangen, dass ihm schwindelig wurde. Er schob sich etwas weiter vom Tisch und von der Speicherkarte weg. Bei der Galaxie, was dachte sich Ashbourne bloß dabei? Percy war minderjährig und wäre ruiniert. Was, wenn man genauer darüber nachdachte… Nein! Damit wollte er nichts zu tun haben. Er gestikulierte mit einer Hand in Richtung Tisch. »Nimm sie wieder mit.«

Eine wundervolle blonde Augenbraue hob sich. »Indem er meinem Vater gesagt hat, dass er uns beide beim Herrenausstatter gesehen hat, hat dir Edmonstone eine verschleierte Drohung zukommen lassen.«

Hatte er, nicht wahr? Blaise seufzte. Vielleicht konnte er sie behalten und Prissy wissen lassen, dass er sie hatte? Er musste sie ja niemandem geben. Dreck, er konnte nicht fassen, dass er das überhaupt in Erwägung zog. Wenn er aus irgendeinem Grund damit erwischt wurde, wäre er genauso ruiniert wie Prissy. Seine Karriere wäre passé und jegliche Hoffnung auf eine zukünftige Hochzeit könnte er vergessen. Der Skandal wäre so groß, dass er sogar Bannons Zukunft zerstören konnte.

Blaise lehnte sich in seinem Sessel zurück, presste sich eine Hand an die Stirn und drehte den Stuhl nach hinten, um sich zu sammeln. Ihm fiel Ashbournes Spiegelung auf dem Glas der Vitrine hinter seinem Schreibtisch ins Auge, was nicht gerade dazu beitrug, dass er sich sammeln konnte. »Wie bist du überhaupt da rangekommen?«

»Ich habe sie von einem Freund, der es heimlich aufgenommen hat. Der Mann hat eine ganze Sammlung solcher Videos.« Ashbourne starrte auf Blaises Hinterkopf und hob die Schultern, dann begegnete er Blaises Blick auf der spiegelnden Glasscheibe. »Falls er jemals ein Druckmittel braucht.«

Verärgert, dass er beim Starren ertappt worden war, drehte sich Blaise wieder zu ihm herum. »Von einem Freund?«

»Nicht, was du jetzt denkst, obwohl der Bursche es durchaus angeboten hat. Aber ich weiß über seine kleine Versicherungsstrategie Bescheid und verspüre nicht den Wunsch, meinen Namen seiner Liste hinzuzufügen.«

Merkwürdigerweise war Blaise froh. Was überhaupt keinen Sinn ergab, denn ihn verband rein gar nichts mit Ashbourne. Na ja, abgesehen von der Tatsache, dass er seine Wache war und noch dazu nicht besonders gut in dem, was er tat. Er hatte Blaise ganze zwei Stunden lang allein gelassen. Aber er hat dich allein gelassen, um das hier zu holen… um dir zu helfen. Selbst, wenn es falsch ist, ist es doch irgendwie süß. Himmel! Hör dir mal selbst zu…

Blaise schüttelte den Kopf, um seine Gedanken zu klären. Er konnte nicht fassen, dass er dieses Gespräch überhaupt führte. Niemals würde er in Betracht ziehen, mit irgendeinem seiner Freunde eine solche Unterhaltung zu führen.

Allerdings war auch keiner seiner Freunde wie Ashbourne.

»Sagen wir einfach, ich habe ihm mal ausgeholfen und er hat mir einen Gefallen geschuldet. Sie ist gratis und sauber, ohne irgendwelche Verpflichtungen.« Ashbourne lehnte seine Hüfte an Blaises Tisch. Es war eine schöne Hüfte und, du meine Güte, war seine Hose nicht ein bisschen eng? Und seine Beine waren sehr muskulös, das musste…

Gah! Ashbourne hatte ihn wollüstig werden lassen. Blaise ließ seine Aufmerksamkeit mühsam nach oben wandern. Dieses Amt war ihm wichtig. So wichtig, dass er nichts tun konnte, was es gefährdete, und dazu gehörte auch, seine Konkurrenz aus dem Weg zu räumen. Ravensburgs Warnung hallte in seinem Kopf wider wie eine Totenglocke. Er konnte es sich nicht leisten, sich von Ashbourne einwickeln zu lassen. Der Mann hatte ihm Pornografie gebracht, um Himmels willen. Wie desaströs musste es um den eigenen Ruf stehen, wenn man sogar wusste, wie man an ein Sex-Video kam?

Er schob die Speicherkarte mit seinen Fingerspitzen von sich, nahm all seinen Mut zusammen und sagte: »Nimm sie zurück. Ich kann sie unter keinen Umständen einsetzen. Und bitte bring mir nichts mehr mit. Wir sind keine Freunde. Du bist meine Wache. Das ist alles.« Da, er hatte es gesagt.

Der Ausdruck auf Ashbournes Gesicht hätte Blaise beinahe dazu gebracht, seine Worte zurückzunehmen. Seine Miene wurde steinern, als würde er all seine Gefühle wegsperren. Kein Schmerz, keine Überraschung, nichts war von seinen Zügen abzulesen. Er hätte auch eine Statue sein können. Eine wunderschöne Statue.

Schließlich schob er Blaise die Speicherkarte wieder hin und setzte damit seiner Starre ein Ende. »Behalt sie.«

»Bist du fertig? Oh, 'allo auch, Ashbourne.«

Ashbourne und Blaise zuckten beide beim Klang von Bannons Stimme zusammen.

Teufel noch eins, er hatte das späte Mittagessen mit seinem Bruder vergessen. Es war abgemacht, dass sie sich mit ihren Eltern in der Kantine des Parlamentsgebäudes im unteren Stockwerk trafen, nachdem sein Vater seine derzeitige Konferenz beendet hatte. Er spähte zur Wanduhr hinauf. 14:20. »Es ist noch nicht so weit.«

Er richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf das harmlose schwarze Quadrat auf seinem Schreibtisch und etwas, das Entsetzen glich, schnürte ihm die Kehle zu. Verdammter Mist! Wenn sein Bruder davon erfuhr… Nun ja, Bannon würde ihn ermutigen, sie einzusetzen; er hasste Percy etwa genauso sehr, wie Blaise es tat. Blaise schob die Speicherkarte unauffällig unter die Ecke eines Ordners auf seinem Tisch.

Ashbourne fing seinen Blick auf und wirkte immer noch wie aus Stein gemeißelt. Dann sah er auf und ein Lächeln kehrte auf seine Lippen zurück. Nur war es diesmal nicht an Blaise gerichtet. »'allo, Bannon. Hast du den Hut bekommen?«

»Hut?«, wollte Blaise wissen.

»Oh ja! Danke!« Bannon klang seltsam und seine Wangen färbten sich rot. Flirtete er etwa? Bestimmt nicht.

»Welchen Hut?«, hakte Blaise noch einmal nach.

Sowohl Bannon als auch Ashbourne starrte ihn an, als wäre er zurückgeblieben, und dann antwortete Ashbourne: »Den Hut. Du weißt schon. Den Hut, für den er Leib und Leben riskiert hat.«

Blaise stöhnte auf. »Und für den er den Laden des Herrenausstatters verwüstet hat. Diesen Hut meinst du?«

Bannon verdrehte die Augen. »Vielen Dank, dass du ihn daran erinnert hast, Ashbourne.«

Ashbourne schmunzelte. »Nenn mich Dalton.«

Es lag Blaise auf der Zunge, die beiden darüber in Kenntnis zu setzen, dass das nicht schicklich wäre, doch dann strahlte Bannon und sagte: »In Ordnung, Dalton.«

Blaise stöhnte erneut. Warum machte er sich überhaupt die Mühe?

Während sich Bannon und Ashbourne über Bannons Freund und Ashbournes Cousin Aiden unterhielten, fiel Blaise auf, dass sie eine lockere Kameradschaft miteinander verband, als wären sie schon immer befreundet gewesen. Das verärgerte Blaise und diese Tatsache verärgerte ihn noch mehr, weil er sich weigerte, auf seinen eigenen Bruder eifersüchtig zu sein.

Er ignorierte sie beide und griff nach dem Ordner, wobei er dafür sorgte, dass er die Speicherkarte ebenfalls aufsammelte. Unauffällig ließ er sie in seiner Tasche verschwinden und blätterte noch einmal auf der Suche nach dem Namen eines Planeten, der ihm vorhin aufgefallen war, durch den Hefter auf seinem Tisch.

Ah, da ist er ja. Planet Skye. Der Planet hatte nicht nur abgelehnt, der IN beizutreten, er war auch der einzige Planet, der von der IN nach der ersten Absage noch einmal gefragt worden war. Das musste irgendetwas bedeuten.

Ein Scheppern erklang.

»Verflucht. Sie ist verschlossen«, sagte Bannon.

Wieder schepperte es.

»Verdammt noch mal! Blaise, kennst du die Kombination hierfür?«

Seufzend hörte Blaise auf zu lesen und blickte über die Schulter zu seinem Bruder.

Bannon stand vor der Vitrine, in der ihr Vater seinen Schnickschnack und verschiedene interessante Dinge aufbewahrte, die er während seines Dienstes als oberster Diplomat von Regelence angesammelt hatte. »Du hast keinen Grund, die Vitrine zu öffnen.«

»Ich muss mir etwas ansehen. Ich habe eine brillante Idee.« Bannon zerrte erneut an der Tür der Vitrine.

»Nein.« Blaise versuchte, sich wieder seinem Papierkram zu widmen.

Ashbourne, der sich jetzt auf einem der Sofas rekelte, meldete sich zu Wort. »Warum darf er sich nichts aus der Vitrine ansehen? Du hast es doch gehört. Er hat eine tolle Idee.«

Bannon nickte. »Es ist eine wirklich grandiose Idee. Du weißt, wie ich bin, wenn meine Muse mich küsst. Du kannst auch gleich nachgeben…« Er hielt sich eine Hand ans Ohr. »Wie war das, Timothy? Du möchtest, dass ich ein Lied für Blaise singe?« Und damit begann er zu singen: »Oh, Redding ist der besteste Bruder auf der ganzen weiten Welt, ganzen weiten Welt, ganzen weiten Welt. Er möchte, dass wir malen malen malen, malen malen malen…«

Ashbourne brach in so übermütiges Gelächter aus, dass es in Blaises Magen flatterte, doch als er aufsah und Blaises Blick begegnete, erstarb das Geräusch in seiner Kehle.

Ugh! Blaise riss sich mit etwas Anstrengung von dem Earl los und wandte sich wieder seinem Bruder zu. »Das ist emotionale Erpressung.«

»Eher psychologische Kriegsführung… Führung Führung Führung«, sang Bannon. »Führung Führung Führung…«

»Schon gut, schon gut. Hör endlich auf.« Was konnte es schon schaden? Es war ja nicht so, als würde Bannon etwas von ihrem Vater stehlen. Außerdem würde Bannon weitersingen, bis er bekam, was er wollte, und singen gehörte definitiv nicht zu seinen vielfältigen künstlerischen Talenten. Er verriet Bannon die Zahlenkombination und sagte: »Achte darauf, dass du sie wieder verschließt, wenn du fertig bist.«

»Vielen Dank.«

»Gern geschehen.«

Bannon schnappte sich den wertvollsten Besitz ihres Vaters: eine terrestrische Schnupftabakdose aus dem 19. Jahrhundert, die einst dem König von England gehört hatte. Ihr Sire hatte sie ihrem Vater an ihrem Hochzeitstag geschenkt. Bannon betrachtete die idyllische Landschaft, die auf der Oberseite des Deckels abgebildet war. Die Malerei war verblasst und die Farbe an einigen Stellen abgeblättert, doch die Makel machten die hübsche kleine Dose nur noch einzigartiger.

»Es ist Zeit, nach unten zu gehen«, sagte Ashbourne.

Bannon stellte die Dose wieder in die Vitrine und wandte sich zur Tür um. Dabei ließ er die Vitrine weit offen stehen. »Es ist eine großartige Idee, oder?«

Welche Idee? Blaise sah zu seinem Bruder und erkannte, dass Bannon nicht mit ihm sprach. Er seufzte, erhob sich von seinem Schreibtisch und ging zur Vitrine, die Bannon natürlich vergessen hatte zu schließen. Er schob die Tür zu, während Bannons und Ashbournes Stimmen aus dem Korridor zu ihm herüberdrangen. Irgendetwas über das Landschaftsmotiv auf dem Deckel.

Blaise schnaubte. Wenigstens hatte Bannon Ashbourne nicht die Innenseite des Deckels gezeigt. Die Dose hatte ein Geheimfach mit einer erotischen Malerei, die einen Mann und eine Frau eng umschlungen beim Geschlechtsakt zeigte. Das sinnliche Bild hatte Blaise schon immer sowohl fasziniert als auch ein bisschen verstört. Er starrte den kleinen Kunstgegenstand an und legte den Finger auf das Schloss der Vitrine, hielt jedoch inne.

Das Geheimfach war so gut versteckt, dass es tatsächlich kaum auffindbar war. Und wo er gerade bei erotischen… Dingen war.

Blaise öffnete die Vitrine wieder und nahm die Dose heraus. Er ließ das verborgene Fach aufspringen. Zwischen dem Deckel und der versteckten Lade gab es nur einen schmalen Zwischenraum… Würde sie überhaupt reinpassen? Er zog die Speicherkarte aus seiner Tasche, schob sie hinein und schloss den Deckel. Er schnappte zu und Blaise seufzte erleichtert auf. Zumindest wäre die Karte jetzt in Sicherheit, bis er eine Möglichkeit gefunden hatte, sie loszuwerden. Er konnte sie ja nicht einfach wegwerfen. Irgendjemand könnte über sie stolpern. Uh-huh, klar, spottete sein Gewissen.

»Blaise, kommst du?«, rief Bannon aus dem Sekretariat.

»Ja.« Er verschloss die Vitrine und verließ eilig das Büro. Er würde das Ding wegschmeißen, sobald sich ihm die Chance dazu bot.

Das Herz des Diplomaten

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