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Kapitel 3

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Nach den Gerüchten um einen Streit wurde ein gewisser Viscount mit Heu im Haar auf dem Summerset Square gesehen. Anscheinend hängt der Haussegen nicht mehr schief und er vergnügt sich jetzt mit seinem Consort auf dem Heuboden.

– Aus der Pruluce Weekly, Kolumne über die Geschehnisse in der Welt der Reichen und Schönen

Blaise hob die Hand, um anzuklopfen, doch bevor seine Faust auftraf, öffnete sich die Tür des Schlosses und Thomas, der Hilfsbutler, lächelte ihn an.

Es war kein breites Lächeln. Eigentlich war es gar kein richtiges Lächeln – Thomas trug seine Gefühle niemals offen zur Schau. Doch wenn er es getan hätte, hätte er zur Begrüßung gelächelt. Da war sich Blaise sicher. Er hatte immer den Eindruck gehabt, dass der Hilfsbutler ihn mochte.

Thomas neigte den Kopf. »Guten Morgen, Lord Redding.«

»Dir auch einen guten Morgen, Thomas.«

»Ihr seid spät dran, Mylord.« Bei jedem anderen Hilfsbutler in Classige wäre das ein Tadel gewesen, doch Thomas maßregelte genauso wenig wie er lächelte.

Trotzdem konnte Blaise nicht verhindern, dass seine Wangen heiß wurden. Er war um Punkt neun Uhr im House of Lords angekommen, nur zehn Minuten zu spät, nur um dann von einer Notfallkonferenz im Schloss zu erfahren. Wenn er kein neues Krawattentuch hätte kaufen müssen, wäre er früher zur Arbeit gekommen und hätte so auch pünktlich im Schloss sein können. Wenn er Ashbourne jemals wiedersah, würde er ihn wegen seines Diebstahls zur Rede stellen. Vorausgesetzt du kommst tatsächlich lange genug über diese kuhäugige Schwärmerei hinweg, um Silben über die Lippen zu bringen.

»Die Konferenz hat bereits begonnen, aber ich bringe Euch schnellstens dorthin.« Thomas nahm ihm Mantel, Hut und Handschuhe ab, die er dann an einen Diener weiterreichte. Er beugte sich verschwörerisch vor und flüsterte: »Sollen wir durch den Dienstboteneingang gehen, um vielleicht ungesehen hineinzugelangen?«

Damit hatte er den Beweis, dass Thomas ihn mochte. Blaise nickte und ließ sich von dem älteren Mann durch eine Tür rechts vom Eingang führen. Mit etwas Glück ging Thomas' Plan auf. Vater würde natürlich wissen, dass er zu spät gekommen war, aber vielleicht bekam es sonst niemand mit. Wie dem auch sei, nachdem er Vater berichtet hatte, dass er Betty Jenkins gefunden hatte, wäre hoffentlich alles vergeben und vergessen… falls er Bannons neuesten Schlamassel geheim halten konnte.

»Da sind wir, Mylord, das Besprechungszimmer«, flüsterte Thomas. »Es sollte kein Problem für Euch sein, hineinzuschleichen. Als ich Lord Foxglove hinaufgebracht habe, waren im hinteren Teil des Raumes noch mehrere Plätze frei.«

Als Thomas vor einer Tür mit grüner Bespannung stehen blieb, rückte Blaise sein neues Krawattentuch ein letztes Mal zurecht und versuchte, nicht zu erbleichen, als gedämpfte Stimmen von der anderen Seite zu ihm herüberdrangen. Das Treffen war schon in vollem Gange, doch das war wahrscheinlich gar nicht schlecht, wenn es bedeutete, dass niemand auf ihn achten würde, oder? Es gab nur einen Weg, um es herauszufinden.

Blaise öffnete die Tür einen Spaltbreit und spähte ins Zimmer.

Vielleicht mochte Thomas ihn doch nicht so gern, wie er gedacht hatte. Weder die Anzahl der Leute noch der Raum war besonders groß. Im Grunde genommen war es ein Salon mit einer Sitzgruppe für Konversationen, aus dunklem Holz und in Edelsteinfarbtönen gehalten, wie es für das Schloss üblich war, wodurch er gemütlich und privat wirkte. Auf gar keinen Fall konnte er sich dort hineinschleichen. Verdammt noch mal, er wollte nicht, dass sein Vater enttäuscht von ihm war. Er hasste dieses Gefühl der Resignation, wenn sein Vater ihn mit leerem Blick ansah und schwieg. Es erinnerte ihn an den stotternden Fünfjährigen, der er einst gewesen war, und dieses Gefühl der Isolation und Wertlosigkeit wollte er nie wieder empfinden.

Vielleicht sollte er wieder gehen und so tun, als hätte er von nichts gewusst? Er wartete ein paar Sekunden ab, um diese Option in seinem Kopf hin- und herzudrehen, doch sein Verantwortungsbewusstsein wollte nichts damit zu tun haben. Dieses verfluchte Gewissen.

Blaise ließ den Blick durch den Raum schweifen und fand weiter hinten einen freien Platz direkt neben Viscount Grantham. Der Galaxie sei Dank. Griffin Wildsmith war einer seiner engsten Freunde. Das könnte tatsächlich funktionieren.

Der Redner war Lord Pendleton, was ebenfalls zu Blaises Vorteil sein könnte. Pendleton war an seinen schlechtesten Tagen laut und unausstehlich, an seinen guten laut und prahlerisch. Offenbar war es ein guter Tag, denn er wirkte ganz besonders lebhaft, wenn man sein rasches Redetempo in Betracht zog. Wenn Blaise Griff jetzt nur noch auf sich aufmerksam machen könnte…

»Psst…« Er wedelte mit seiner freien Hand, um seine Anwesenheit kundzutun.

Griff runzelte die Stirn und legte den Kopf schief, drehte sich jedoch nicht um.

Blaise gestikulierte hektischer und hüpfte auf und ab, als würde das irgendwie helfen, und anscheinend tat es das auch, denn Griff wandte sich endlich um und seine Lippen kräuselten sich zu einem Grinsen.

Gah, wahrscheinlich sehe ich aus wie eine nasse Gans. Er erwiderte das Lächeln seines Freundes, winkte ihm zu und deutete auf den Stuhl.

Nickend streckte Griff die Hand danach aus und zog ihn näher zu sich heran. Zum Glück war in dem Zimmer Teppich verlegt und das Schleifen verursachte kein Geräusch. Als der Stuhl nur noch etwa einen Meter von ihm entfernt war, rutschte Griff behutsam auf den anderen Platz und formte mit den Lippen: »Wo warst du denn?«

»Lange Geschichte«, entgegnete Blaise auf dieselbe lautlose Weise.

Griff richtete den Blick wieder nach vorn, ließ eine Hand neben sein Bein sinken und bedeutete Blaise unauffällig, zu ihm zu kommen.

Er setzte sich in Bewegung, doch da riss Griff in der universellen Stoppgeste die Handfläche nach oben.

Blaise wankte ein wenig nach vorne, sodass die Tür knarzte, aber es gelang ihm, stehen zu bleiben. Als sein Vater ihn nicht anwies, doch endlich hervorzukommen, wie er es halb befürchtet hatte, entspannte er sich wieder.

Pendleton verstummte und irgendjemand lachte.

Nach einer Weile nickte Griff ihm zu. Die Luft ist rein.

Danke. Er schlüpfte durch den winzigen Spalt in der Tür und schloss sie lautlos hinter sich. Er glitt auf seinen Platz, gerade als Pendleton seinen Vortrag beendete und Foxglove da ansetzte, wo Pendleton aufgehört hatte. Er war ein weiterer langatmiger… nun, Schwätzer.

Griff lehnte sich zu ihm, legte eine Hand seitlich an seinen Mund und wisperte: »Prissy hat irgendetwas vor. Er schaut ständig hier nach hinten und hat vor der Konferenz nach dir gefragt.«

»Nach mir?« Prissy war neben Blaise der zweite Gehilfe im Rat, doch sie waren nicht befreundet. Sir Percy Edmonstone war der eitelste Geck des ganzen ton.

Als Blaise ebenso wie Griff in Prissys Richtung sah, entdeckte er erschrocken, dass der blonde Mann ihn anstarrte. Oder starrte er Griff an? Prissy verachtete Griff und nutzte jede sich bietende Gelegenheit, um auf Griffs Gewicht herumzureiten. Da Griff vielleicht höchstens fünf Kilo zu viel auf die Waage brachte, vermutete Blaise stark, dass er in Wahrheit eifersüchtig war, denn Griff war neu im House of Lords und mit fünfundzwanzig das jüngste Mitglied des Ratsausschusses.

Da er nicht wusste, was er sonst tun sollte, neigte Blaise grüßend den Kopf in Prissys Richtung und… begegnete einem Blick aus vertrauten grünen Augen. Sternschnuppendreck! Sein Vater saß neben Prissy.

Blaises Eingeweide zogen sich zusammen. Er fühlte sich eher wie ein Käfer auf einem Mikroscanner. Er wühlte in seinem Kopf nach einer Ausrede, doch die Worte purzelten durcheinander wie jedes Mal, wenn ihm eine Standpauke bevorstand. Er holte tief Luft und ließ sie nur stoßweise wieder entweichen, um die erste Welle der Panik abzumildern. Diesen Trick hatte seine Gouvernante ihm beigebracht und er war ihm über die Jahre hinweg schon oft eine große Hilfe gewesen. Eigentlich hatte er seine guten Neuigkeiten jetzt noch nicht preisgeben wollen, aber sei's drum. Er öffnete den Mund, um zu sprechen, doch sein Vater winkte ab und schüttelte den Kopf. Sein Blick verlor an Intensität und er wurde wieder zu dem entspannten Mann, den Blaise so gut kannte.

Eversleigh drehte sich nach vorn zurück, stand auf und sah sich im Raum um. »Ich habe dieses Treffen einberufen, weil Sir Percy eine bemerkenswerte Neuigkeit zu verkünden hat.« Der Duke strahlte Prissy an.

Prissys Blick kreuzte Blaises und sein linker Mundwinkel hob sich in einem hämischen Grinsen. Kaum sichtbar hob er das Kinn und erwiderte Blaises Gruß schließlich, doch nicht auf freundliche Weise.

Griff hatte recht, Prissy führte irgendetwas im Schilde.

»Als ich heute auf dem Weg zum Herrenausstatter war, habe ich Betty Jenkins gesehen.«

Blaise musste sich verhört haben. Verflucht! Wie sollte er seinem Vater jetzt seine Verspätung erklären? Er hatte Wochen gebraucht, um auch nur die Kammerzofe ausfindig zu machen. Er war über Betty gestolpert.

Dass Prissy sie gefunden hatte, konnte kein Zufall sein. Er war viel zu eitel, um bei Hart and Sons einzukaufen. Bei einer Abendgesellschaft hatte er einmal fallen gelassen, dass er seine Krawattentücher extra für sich anfertigen ließ. Wer hatte bitte maßgeschneiderte Krawattentücher? Das waren doch nur lange Stoffstücke.

»Dieser Mistkerl.« Seine Beine gaben unter ihm nach und wenn Griff ihn nicht zurück auf seinen Stuhl gedrückt hätte, wäre er mit dem Hintern auf dem Teppichboden gelandet.

»Ähm, alles in Ordnung?«, flüsterte Griff.

»Ich… ja. Mir geht's gut. Prissys Neuigkeit hat mich nur überrascht.« Blaise wollte es seinem Freund erzählen, doch die Angst vor einer Zurechtweisung ließ ihn schweigen. Wenn er jetzt irgendetwas sagte, würde es aussehen, als würde er versuchen, Prissy zu überbieten.

»Hier. Nimm. Du siehst aus, als würdest du es brauchen.« Griff stieß sanft gegen seinen Arm.

Blaise schüttelte den Kopf, um seine Gedanken zu klären, dann spähte er hinunter und bemerkte das Wasserglas in Griffs Hand. »Danke.« Er stürzte das ganze Glas herunter und wünschte, es wäre etwas Stärkeres gewesen. Er hatte einmal mit vierzehn zu viel getrunken und damals hatte ihm der Kontrollverlust nicht gefallen, der mit dem Rausch einherging, aber jetzt gerade? Er würde ihn begrüßen. Zumindest gäbe es dann einen Grund, warum die Welt komplett aus den Fugen geraten war.

Griff nahm das leere Glas zurück und stellte es auf den Tisch neben sich.

Der Aufruhr in der Gruppe legte sich und man begann, einen Plan zu schmieden, um Betty noch einmal aufzuspüren.

»Vielleicht sollten wir die ehemalige Dienerschaft der Jenkins-Familie befragen«, sagte Prissy.

Dieser Sohn eines… Blaise zügelte sich. Der Gentleman steckte ihm zu tief in den Knochen, um diesen Gedanken zu vervollständigen.

Die Lords Tetterson und Cromley, die den Vorschlag vor ein paar Wochen noch als töricht abgetan hatten, hielten es jetzt für eine famose Idee.

Die Erinnerung an flaschengrüne Wolle und einen burgunderfarbenen Hut huschte vor Blaises innerem Auge vorbei, zusammen mit dem Wissen, dass Prissy leuchtende Farben über alles liebte.

Dieser Sohn eines Hurenbocks. Nein, er war wohl doch kein Gentleman durch und durch.

Die Fahrt zurück zum Parlamentsgebäude hatte viel dazu beigetragen, Blaises Laune wieder zu heben, und den Korridor des Ratsherren zu betreten, spendete ihm Trost. Der Geruch nach alten Büchern, Zigarrenqualm und Staub fühlte sich an wie zu Hause. Er war sogar noch befriedigender als der Tagtraum, den er im Gleiter über seine Rache an Prissy gehegt hatte. Er liebte diesen Ort und wollte bereits ein Teil davon sein, seit sein Vater ihn als Sechsjährigen hierher mitgenommen hatte. Für ihn hatte er immer für Rechtschaffenheit und Tradition gestanden und er erinnerte ihn selbst jetzt noch daran, was wichtig war. Er wollte schon eine politische Laufbahn einschlagen, solange er sich zurückerinnern konnte, und nicht der Sorte von Politikern angehören, die jeden ruinierten, der ihnen im Weg stand. Die Sorte, zu der Prissy bald gehören würde, wenn er so weitermachte.

»Guten Tag, Lord Redding.« Hobbs, der Sekretär seines Vaters, neigte grüßend den Kopf, sah jedoch nicht von seiner Tätigkeit hinter dem großen Mahagonitisch auf, der als Empfangstresen fungierte. Woher der Mann zu wissen schien, wen er vor sich hatte, ohne ihn anzusehen, war eines der großen Mysterien des Lebens – oder zumindest des Ratsausschusses.

»Euch auch einen guten Tag, Hobbs.« Blaise versuchte, den Kopf gesenkt zu halten, während er zu seinem Büro ging. Hobbs hatte immer irgendeine sinnlose Aufgabe, die zu erledigen war, und verpflichtete Blaise in den meisten Fällen dazu, dabei zu helfen. Normalerweise störte sich Blaise nicht daran, doch heute sehnte er sich einfach nur nach der Stille seines düsteren Büros mit seinen Bücherwänden. An der Rede seines Vaters für die Ratssitzung musste noch eine Menge gefeilt werden.

»Mylord, Seine Gnaden hat mich gebeten, Euch die hier zu geben.«

Ach, Mist. Beinahe wäre er unbehelligt entkommen. Blaise schaute sehnsüchtig zu dem rot gemusterten Teppich vor ihm und zog in Betracht, sich taub zu stellen. Warum stand die Tür offen?

Hobbs hievte einen Stapel Ordner von seinem Schreibtisch und lud sie bei Blaise ab, dem nichts anderes übrig blieb, als sie entgegenzunehmen.

Blaise schwankte unter dem Gewicht. Da mussten zehn spiralgebundene Hefter auf dem Stapel sein, die alle etwa zehn Zentimeter dick waren. Wie hatte Hobbs die überhaupt mit seinen knochigen Armen anheben können? Er hatte schon unter Blaises Großvater als Sekretär des Ratsherrn gearbeitet und musste mittlerweile fast achtzig sein. »Hobbs, was ist das alles?«

Der alte Mann hob seine buschigen grauen Augenbrauen und sah ihn an, als sollte die Antwort darauf doch offensichtlich sein. »Die IN-Verträge natürlich.«

Ach, richtig. Sein Vater hatte ihn angewiesen, die neuen Abkommen durchzusehen, die die IN seit der letzten Ratssitzung abgeschlossen hatte. Eigentlich war es nur eine Formalität, um dafür zu sorgen, dass der Ratsherr über alle aktuellen Entwicklungen informiert war, und um sicherzugehen, dass keiner der neuen Verträge dem Regelence-Abkommen widersprach. Normalerweise war es eine simple Aufgabe, die nicht mehr als einen Tag in Anspruch nahm. »Das sind die Verträge?« Die letzte Ratssitzung hatte erst im letzten Jahr stattgefunden.

»Jawohl, Mylord. Ich habe auch Verträge ohne Unterschrift hinzugefügt.«

»Ohne Unterschrift?« Der oberste Hefter kam ins Rutschen und Blaise lehnte sich nach links, um ihn wieder ins Gleichgewicht zu bringen.

»Abkommen, die von der IN vorgelegt, jedoch von Planeten abgelehnt wurden.« Hobbs nickte, dann runzelte er die Stirn.

»Ah.« Die Ordner begannen, in die andere Richtung zu kippen, doch bevor Blaise sein Gewicht verlagern konnte, rückte Hobbs sie zurecht.

»Wenn ich so darüber nachdenke, ist das recht ungewöhnlich, Mylord. Während meiner gesamten Zeit als Sekretär des Ratsherrn ist es noch nie vorgekommen, dass die IN sich um Allianzen bemüht. Üblicherweise wenden sich die Planeten an die IN, nicht umgekehrt.«

»Seid unbesorgt, Hobbs, ich werde mir das mal ansehen.« Er nickte dem Älteren zu und steuerte erneut sein Büro an, bevor der Mann noch mehr Arbeit für ihn fand.

Hobbs eilte an ihm vorbei und blieb vor Blaises Tür stehen. »Ich vergaß, Euch darüber in Kenntnis zu setzen, dass Ihr Gesellschaft habt.« Als er Gesellschaft sagte, klang es eher wie eine Frage, als wäre er sich nicht sicher, welcher Kategorie diese Person angehörte. »Eure, ähm, Wache ist hier.«

Seine Wache? Oh, stimmt. King-Consort Raleigh hatte erwähnt, dass für Vater und einige andere Mitglieder des Ausschusses neue Sicherheitsmaßnahmen eingeführt werden würden. Das erklärte, warum die Tür seines Büros offen stand, aber… »Hobbs, ich bin lediglich ein Gehilfe.«

»Aber Ihr seid Eures Vaters Sohn und unser zukünftiger Ratsherr.« Der alte Mann strahlte ihn an und Blaise lächelte trotz der schweren Last in seinen Armen. Bei der Galaxie, er hoffte, dass Hobbs recht behielt. Das Amt des Ratsherrn war jetzt seit vier Generationen in den Händen der Dukes of Eversleigh und ihrer Erben und Blaise weigerte sich, derjenige zu sein, der mit dieser Tradition brach. Eines Tages, wenn Vater sich zur Ruhe setzte, würde er hoffentlich zum Ratsherrn ernannt werden, aber zunächst einmal musste er in den Ausschuss berufen werden. Im Moment gab es nur eine freie Stelle und zwei Gehilfen. Leider war Prissy bei einigen Mitgliedern des Ausschusses beliebt und nach dem heutigen Tag…

Hobbs machte den Weg frei und alle Gedanken an Prissy waren verschwunden.

Ashbourne saß in Blaises Sessel, hatte die Füße auf dem Schreibtisch abgelegt, den Kopf nach hinten gelehnt und die Augen geschlossen. Was macht er hier? Er hatte seine IN-Uniform gegen eine elegantere Garderobe getauscht und trug jetzt Kniehosen aus Wildleder, schwarze Reitstiefel mit braunem oberem Rand und einen mitternachtsblauen Gehrock, der einfach mit Polstern ausgestattet sein musste, denn niemand, der an der Hüfte so schmal war, hatte so maskuline, breite Schultern. Sein vom Wind zerzaustes Haar war gezähmt worden, doch seine lässige Körperhaltung sorgte dafür, dass er nicht gänzlich gesittet erschien. Ehrlich gesagt war es recht lächerlich, wie attraktiv er war, selbst in dieser ruhenden Position. Er sah aus wie der Beginn einer dieser schmutzigen Träume, deren Existenz anständige Gentlemen verleugneten.

Bei diesem unanständigen Gedanken stöhnte Blaise innerlich auf und sein Fluchtinstinkt meldete sich aufs Neue. Sein Magen machte wieder diese ungesunde Drehung. Bitte lass mich nicht glühen. Himmel! Jetzt machte er sich wegen Bannon und Louisa Sorgen zu glühen. Er öffnete den Mund, um seinen Gast zu begrüßen, doch der oberste Ordner wählte diesen Moment, um erneut auf Abwege zu geraten.

Der gesamte Stapel entglitt Blaises Fingern und landete mit einem gedämpften Knall auf dem Teppich.

Ashbourne öffnete blinzelnd die Augen und setzte sich auf, als wäre er eine Katze, die gerade aus ihrem Sonnenbad erwacht war. Sein Blick wanderte zu Blaise, dann zum Durcheinander auf dem Fußboden, und ein träges Lächeln zog an seinen Mundwinkeln, als er erkannte, welche Wirkung er auf Blaise hatte.

Ugh! War er dazu verdammt, sich immer vor diesem Mann zu blamieren? Hitze schoss ihm in die Wangen und sein eigentlich recht weiträumiges Büro kam ihm plötzlich sehr eng vor.

»Es tut mir so leid, Mylord.« Hobbs bückte sich, um die Hefter aufzusammeln, doch seine Knie protestierten ziemlich laut dabei.

Blaise kam rechtzeitig wieder zur Besinnung, um dem alten Mann unter den Arm zu greifen, bevor er vollständig zu Boden sinken konnte. »Unsinn, Hobbs. Das war meine Schuld. Ich hebe sie auf.«

Der alte Mann zögerte, doch Blaise ließ seinen Arm nicht los. Er mochte sich zwar zum Gespött gemacht haben und freute sich ganz sicher nicht darauf, mit Ashbourne allein gelassen zu werden, doch sein Gewissen ließ nicht zu, dass ein älterer Herr sein Chaos aufräumte.

Mit großem Widerstreben nickte Hobbs zustimmend und kehrte an seinen Schreibtisch zurück. Er warf der Tür einen Blick zu, versuchte jedoch nicht einmal, sie zu schließen. Was gut war, da Blaise noch auf der Schwelle stand. »Niemand hat daran gedacht, nach Larkinson zu schicken, deshalb werde ich als Anstandsperson fungieren, Mylord.«

»Ähm, vielen Dank, Hobbs.« Wenigstens einer von ihnen behielt einen klaren Kopf.

Blaise ging in die Knie und begann, die Ordner zu stapeln, um sich etwas Zeit zu erkaufen, denn er hatte keine Ahnung, was er zu Ashbourne sagen sollte. Hallo kam ihm irgendwie unpassend vor, aber Du hast mein Krawattentuch gestohlen ging auch nicht und Küss mich stand komplett außer Frage. Leider hatte sein Verstand diese Option nicht ganz abgeschrieben. Und apropos Verstand… er war gerade dabei, seinen zu verlieren.

»Hallo, Süßer.«

Ack! Blaise entkam ein ziemlich unmännliches Quietschen und er landete unsanft auf seinem Hinterteil. Als er aufsah, kniete Ashbourne kaum einen Meter von ihm entfernt auf dem Boden. Verdammt noch mal, der Mann bewegte sich geräuschlos. Musste an der militärischen Ausbildung liegen. Der Galaxie sei Dank stand er auf der Seite von Regelence.

Ein tiefes, maskulines Lachen rollte durch Ashbournes Brust und besiegelte Blaises Demütigung.

Hobbs warf ihm von seinem Stuhl aus einen irritierten Blick zu. »Ist alles in Ordnung, Mylord?«

»Alles bestens. Habe nur das Gleichgewicht verloren.«

Als er sich von Hobbs abwandte, erschien eine nicht behandschuhte Hand vor ihm. Nicht die Hand eines Gentlemans. Sie war gebräunt und verwegen, wie der Mann selbst. Und der verdammte Ashbourne feixte immer noch.

Blaise zog einen Moment lang in Erwägung, die ihm angebotene Hand nicht zu ergreifen, und Ashbourne musste es bemerkt haben, denn er wackelte mit den Fingern.

Seufzend erlaubte Blaise ihm, ihn nach oben zu ziehen, denn wie kaltherzig wäre es, wenn er abgelehnt hätte? Manchmal waren die Gesellschaft und ihre Regeln für höfliche Umgangsformen eine wahre Qual. Sie standen einander Nase an Nase gegenüber und starrten sich mehrere Atemzüge lang in die Augen. Blaises Beine verweigerten ihm den Dienst und jeder seiner Sinne war in höchster Alarmbereitschaft, während Ashbournes Blick über seine Gesichtszüge glitt.

Der Duft von Moschus und Vanille neckte Blaises Nase und die Standuhr gab mit ihrem lauten und düsteren Ticken den Rhythmus seines Herzschlags vor. Es war, als befände er sich für einen Moment jenseits der Begrenzungen der Zeit, und Blaise konnte sich nicht von diesen lodernden grauen Augen losreißen.

Genau in diesem Augenblick kam er zu dem Schluss, dass Ashbourne eine Gefahr für seine Gesundheit, aber auch für seinen geistigen Zustand darstellte. Er fühlte sich benommen und als hätte er die Kontrolle verloren, und das gefiel ihm überhaupt nicht.

Er trat zurück, doch Ashbourne zog ihn nach vorne.

Keuchend fing er sich an der Schulter des Earls ab und… Oh, heilige Galaxie. Feste Muskeln arbeiteten unter seinen Händen und bewiesen, dass dort kein Polster versteckt war. Er drückte einmal zu, um sicherzugehen. Nein, definitiv kein Schulterpolster.

Ein tiefes, leises Lachen rollte erneut durch die Brust, die jetzt nicht mehr weit von seinen Fingerspitzen entfernt war.

Blaise hob den Kopf und sein Blick fiel direkt auf volle, pinkfarbene Lippen. Lippen, die ihm so nah waren und sogar noch etwas näher kamen. Er schüttelte den Kopf und wich zurück, wobei er sich diesmal ein wenig abstieß. Dieser Mann würde nicht sein Untergang sein.

Ashbourne ließ ihn gehen, doch seine Lippen umspielte immer noch ein Schmunzeln.

»Lach mich nicht aus.« Ganz wunderbar, er hatte praktisch gezischt. Er hatte ganz sicher die Kontrolle verloren.

»Würde mir nicht im Traum einfallen, Schatz.«

Blaise schnappte nach Luft. »Das kannst du doch nicht sagen.« Was dachte sich der Mann bloß dabei? Es war unfassbar. Wenn irgendjemand ihn gehört hatte… Blaise neigte den Kopf ein klein wenig nach hinten, damit er am Türpfosten vorbeispähen konnte.

Hobbs sah mit gehobenen Augenbrauen zu ihm auf, doch wenn er Ashbourne gehört hatte, zeigte er es nicht. »Ja, Mylord?«

»Gibt es Tee?« Blaise gratulierte sich selbst zu diesem Geistesblitz.

Der Sekretär nickte. »Durchaus, Mylord. Zwei Tassen?«

»Ja, bitte.« Um Blaises Demütigung zu vervollständigen, quietschte seine Stimme erneut. Er trat von der Schwelle und in den Raum hinein, doch Ashbourne wich nicht zurück. Nur Blaises Wut half ihm dabei, sich gegen diesen unmöglichen Mann zu behaupten. »Bist du verrückt? Hobbs hätte dich hören können. Mein Name ist Redding und so wirst du mich auch ansprechen, nicht mit…« Sternschnuppendreck, er konnte es noch nicht einmal sagen, ohne rot zu werden. »Ähm… Süßer oder Schatz.«

»Wie wäre es mit Liebling?«

Argh. »Nein. Weder Liebling noch Süßer, Schatz oder irgendein anderer Kosename, du Schuft. Wenn du meine Wache bleiben willst, dann wirst du auf deine Manieren achten. Oder hast du überhaupt welche?« Oh, verflixt! Hastig schloss er den Mund und war entsetzt von seinem eigenen Benehmen. Was war nur in ihn gefahren? Er hatte noch nie so mit jemandem geredet, selbst wenn er es tatsächlich verdient hatte. Das war alles Ashbournes Schuld. Der Mann brachte seine schlechteste Seite zum Vorschein. »Tut mir leid, aber…«

Ashbourne lachte. Er warf einfach den Kopf in den Nacken und lachte laut auf. Es war kein höfliches, diskretes Glucksen, sondern ein Bellen voller Freude und aus dem Bauch heraus.

Blaise stöhnte auf, doch dann legte sich ein Schalter in ihm um und, verdammt noch mal, er wollte mit einstimmen. Er war völlig verkrampft und es war seltsam erleichternd, ausnahmsweise mal unverblümt seine Meinung zu sagen. »Vielleicht sollten wir noch einmal von vorne anfangen.« Er streckte die Hand aus. »Ich bin Redding.«

»Dalton.« Es war ein schöner Name und er passte besser zu ihm als sein Titel, allerdings schickte es sich für Blaise überhaupt nicht, ihn damit anzusprechen, und natürlich wusste Dalton das ganz genau. Dieser Mann war zum Verzweifeln.

Der Earl nahm seine Hand in seine viel rauere, doch statt sie zu schütteln, beugte er sich vor und drückte seine Lippen auf seinen Handrücken. »Bitte schick mich nicht weg. Solltest du das tun, wäre ich gezwungen, mir eine neue Stelle zu suchen. Stell dir nur mal vor, wie schrecklich es wäre, mich auf eine arme, nichts ahnende Seele loszulassen. Vielleicht setzen sie mich sogar auf deinen Bruder an. Kannst du dir ausmalen, wie viel Ärger Lord Bannon und ich zusammen machen könnten?«

Ein Prickeln, das nichts mit der Vorstellung von einer unheilbringenden Allianz zwischen Ashbourne und seinem Bruder zu tun hatte, jagte durch Blaise hindurch, schoss seinen Arm hinauf, wanderte seinen Körper hinunter und nistete sich in seinem Unterleib ein. Rasch zog er seine Hand zurück. »Gnade uns die Galaxie.« Irgendetwas sagte ihm, dass er den Tag bitter bereuen würde, an dem er dieser Sache zugestimmt hatte, aber… »Du kannst bleiben, aber du musst dich benehmen.«

»Natürlich.«

Blaise glaubte ihm nicht eine Sekunde lang.

Das Herz des Diplomaten

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