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Kapitel 4 Ignazio

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Es ist sehr schwierig, ein Treffen mit allen fünf Familien in New York zu arrangieren.

Vor langer Zeit gab es mal etwas, das Kommission genannt wurde, eine Organisation, die über allen Organisationen stand. Die Mitgliedschaft war auf die Oberhäupter der New Yorker Familien beschränkt, dazu kamen die Anführer aus Chicago und Buffalo. Die sieben mächtigsten Männer des Landes trafen sich im Geheimen, fällten Entscheidungen, als ob Kriminalität eine Demokratie wäre. Man wollte, dass jemand ermordet wurde? Dann fragte man die Kommission. Man wollte jemanden in die Gemeinde einladen? Die Kommission war die einzige Möglichkeit dafür. Ohne deren Erlaubnis zu handeln, wäre Selbstmord gewesen.

Vor einigen Jahren ging die Kommission den Weg alles Irdischen. Man konnte sich glücklich schätzen, jetzt zwei Bosse zu finden, die bereit waren, sich zu treffen, ganz zu schweigen von allen. Allerdings gibt es immer noch Regeln, und sie bestehen darauf, dass diese Regeln befolgt werden.

Diese Regeln habe ich gebrochen, als ich das Oberhaupt einer Familie tötete.

Raymond Angelo.

Ich stehe auf der vorderen Veranda eines alten Herrenhauses in Long Island. Es ist noch hell, aber die Abenddämmerung naht. Am wolkenlosen blauen Himmel zeigt sich ein Anflug von orange. Es sieht fast aus, als würde in der Entfernung ein Feuer brennen.

Die ganze Nachbarschaft kann mich dort stehen sehen, aber ich bin noch nicht bereit zu gehen, auch wenn ich mich zum wichtigsten Treffen meines Lebens verspäten könnte. Denn ich weiß, wenn ich durch diese Tür gehe, besteht das Risiko, dass es das letzte Mal ist, dass ich irgendwohin gehe.

Vielleicht tragen sie mich in eine Plane gewickelt heraus und werfen meine Leiche in den East River. Ich würde nie wieder auftauchen.

Die Tatsache, dass sie mich bei Tageslicht hierher gerufen haben, hat nichts zu bedeuten. Ich bin kein Dummkopf. Das war ich nie. Jemand hat am helllichten Tag auf den Laden meines Vaters geschossen. Diese Männer lassen sich von der Erdrotation nicht ihren Terminplan diktieren.

Die weiße Holztür hinter mir öffnet sich mit einem Quietschen. Ich drehe mich sofort um, drücke das Pfefferminzbonbon in meine Wange, sauge aber weiterhin daran in dem Versuch, meine Nervosität zu mindern. Ein junger, bulliger Kerl steht vor mir, sein Gesicht ist mit Kratern übersät. Er ist einer von Genovas Lakaien, denke ich. Der Mann bevorzugt einen Typ. Brutalos. Ich bin mit den inneren Strukturen der anderen Familien nicht allzu gut vertraut, obwohl ich in der Vergangenheit mit allen ein paar Geschäfte gemacht habe. Sie hatten einen Job und ich habe ihn erledigt, ohne Fragen zu stellen.

So wussten sie, wie sie mich an diesem Nachmittag in die Hände kriegen und zu diesem Treffen einberufen konnten. Offensichtlich hatten sie meine Nummer immer noch auf Kurzwahl. Dagegen sollte ich wohl etwas unternehmen.

„Sie warten auf dich“, sagt der Kerl. Seine Stimme ist so hoch, dass es fast komisch wirkt, als ob seine Eier noch nicht abgesunken wären. Vielleicht haben sie sie auch jedes Mal, wenn sie ihm die Fresse polierten, in ihn zurückgestopft. „Folg mir.“

Ich hätte wissen müssen, dass sie mich beobachten. Es wäre nicht nötig zu klopfen.

Mir gefällt es nicht, Befehle von anderen Menschen anzunehmen. Es hat mir sogar missfallen, Befehle von Ray zu befolgen. Ich überlege, ob ich mich weigern soll, unterdrücke aber meinen Instinkt und folge dem Kerl. Jetzt ist wahrscheinlich der falsche Zeitpunkt, um meine Dominanz unter Beweis zu stellen.

Jemand schließt die Tür hinter uns. Ich blicke zurück und sehe einen Mann, der direkt im Eingangsbereich steht und sich bemüht, außer Sicht zu bleiben. Hm. Ich drehe mich wieder um und folge dem bulligen Kerl durch das Haus, einen langen Flur entlang.

Als wir um eine Ecke biegen, sehe ich, dass wir direkt auf ein paar Türen zusteuern, vor denen zwei weitere Männer Wache stehen. Die AK-47 über ihren Schultern sagen mir, dass diese beiden durchaus gesehen werden wollen. Ich denke, dass sie versuchen, mich einzuschüchtern.

Als wir uns nähern, öffnen sie die zwei Türen, und ich wäre fast gestrauchelt. Allerdings lasse ich mir mein Zögern nicht anmerken.

Der Kerl, der mich hergeführt hat, bleibt am Rand stehen, doch ich gehe weiter. Ein Zurückweichen ist nicht mehr möglich. Es ist eine Art Mischung aus Ess- und Besprechungszimmer. Ein langer Mahagonitisch mit vielen Stühlen beherrscht den Raum. Nur vier von ihnen sind besetzt.

Einer der Männer, Boss Frank Genova, winkt zu den Türen hinter mir. „Lass uns allein.“

Der Mann gehorcht sofort. Es ist nicht überraschend, dass Genova die Führung übernimmt. Schließlich findet das Treffen in seinem Haus statt. Ich stehe nur da und warte auf etwas. Ich weiß nicht, wie das ausgehen wird. Wie ich schon sagte, diese Treffen sind selten.

Sobald der Mann das Zimmer verlassen hat, weist Genova auf den Tisch zwischen uns. „Waffe.“

Ich hebe die Hände. „Ich habe keine dabei.“

Er runzelt die Stirn. „Du bist unbewaffnet gekommen?“

„Ich habe nie eine Pistole dabei“, sage ich, „was nicht bedeutet, dass ich unbewaffnet bin.“

Alles kann als Waffe dienen, wenn man es richtig betrachtet.

„Dann eben die Messer.“

„Ich habe auch keine Messer dabei.“

„Was trägst du dann bei dir?“

„Nicht viel.“ Ich überlege einen Moment. „Ein bisschen Kleingeld, Pfefferminzbonbons, mein Portemonnaie … oh, und ich habe einen Kugelschreiber in der Tasche.“

Er sieht mich ungläubig an. „Einen Kugelschreiber.“

Ich greife in meine Tasche und ziehe einen einfachen schwarzen Kugelschreiber heraus. Er hat wahrscheinlich einen Dollar gekostet.

„Damit willst du jemanden umbringen?“, fragt er.

Ich zucke mit den Schultern und lege ihn auf den Tisch. „Man kann nie wissen.“

Das scheint ihn einen Moment zu verwirren. Er sieht auf den Kugelschreiber hinunter und reißt sich dann zusammen. „Es ist sowieso nur eine Formalität, die keine echte Bedeutung hat. Setz dich, gesell dich zu uns.“

Ich setze mich ihnen gegenüber und mustere Genova, der Vorsitzende dieses nicht mehr existenten Gremiums, der für alle spricht. Mir gefällt die Art nicht, wie er es ausgedrückt hat.

Gesell dich zu uns.

„Ich bin sicher, du weißt, warum wir dich heute Nachmittag herrufen ließen“, sagt er, ohne lange um den heißen Brei herumzureden. „Wir müssen über den Mord an Raymond Angelo sprechen.“

Rays hypothetischer Platz am Tisch ist eklatant frei. Ich hatte fast erwartet, dass der Neue ihn bereits ersetzt hätte, aber nein – der Stuhl ist leer. Wahrscheinlich muss der sagenumwobene Scar erst noch eingeladen werden. Schade. Ich hätte ihn gern kennengelernt.

„Ich würde es nicht Mord nennen“, sage ich. „Es war eher ein vorzeitiger Tod.“

„Das ist eine interessante Sichtweise, Vitale, doch es ändert nichts an der Tatsache, dass der Boss getötet wurde. Wir können nicht zulassen, dass so etwas passiert, wie du weißt. Das ist schlecht fürs Geschäft. Schlecht für die Ordnung. Die Leute fangen an zu vergessen, wo ihr Platz ist, und das bringt uns alle in Schwierigkeiten. Verstehst du das?“

Ich nicke.

„Du verstehst also, was für ein Problem das für uns ist“, fährt er fort. „Du verstehst, dass der Mord an einem Boss schlecht für uns ist. Wir können nicht akzeptieren, dass so etwas passiert, während wir das Sagen haben. Es ist nichts Persönliches, aber …“

Er beendet den Satz nicht und zuckt gleichmütig mit den Schultern, als wollte er sagen ‚nichts für ungut, wenn wir dich dafür töten‘.

„Bei allem Respekt“, sage ich. Wenn ich heute sterbe, sterbe ich heute eben. Nichts, was ich tue, wird ihren Entschluss ändern. „Ihr ruft mich her, um über diese Regeln zu sprechen, aber wo seid ihr, wenn diese Regeln jeden Tag gebrochen werden?“

Jetzt mischt sich einer der anderen Bosse ein. Michael Grillo. „Worüber redest du?“

„Ich kann mich ja täuschen, denn ich habe die Schwüre nie abgelegt, aber belehrt ihr Herren eure Männer nicht, dass Frauen und Kindern kein Leid zugefügt werden soll? Wo war denn das Gremium, als Raymond Angelo da draußen Frau und Tochter von jemandem gejagt hat?“

Grillo wirft mir einen bösen Blick zu. „Und wenn ich mich nicht täusche, Vitale, warst du es, der die beiden tatsächlich jagte.“

Da hat er mich.

„Ich war nicht derjenige, der den Befehl dazu erteilte“, sage ich. „Ray war derjenige, der damit angefangen hat. Wenn man einem Mann die Verantwortung überträgt, der sich als Monster herausstellt, sollte man sich nicht wundern, wenn jemand anders dieses Monster verschwinden lässt. Ich habe Ray getötet und bedauere es nicht. Das werde ich auch nie. Er hat direkt vor meiner Nase auf die Frau geschossen, die ich liebe.“

Jetzt mischt sich Genova ein. „War das nicht Johnny Rita?“

Wut wallt in mir auf. Ich weiß, dass es irrational ist, aber ich will dem Mann dafür, dass er diesen Namen gesagt hat, den Hals umdrehen. „Karissa. Ray hat auf Karissa geschossen.“

Ich weiß nicht, ob er tatsächlich so dämlich ist oder seine Unwissenheit nur vortäuscht, aber über sein Gesicht huscht ein Anflug von Überraschung. „Das ist also die Frau, die du liebst?“

„Sind wir hier, um meine Beziehung zu diskutieren, Genova, oder können wir zum Geschäftlichen zurückkehren?“

Mein Ton ist scharf, doch er lacht nur. „Ja, du hast recht. Ich kann mit euch jungen Leuten nicht mithalten. An einem Tag hasst ihr jemanden, am nächsten liebt ihr ihn. Aber ich schweife ab … ich bin auch der Meinung, dass Angelo oft fragwürdig gehandelt hat, daher kann ich nicht sagen, dass ich dir vorwerfe, was du getan hast. Dennoch können wir so etwas nicht tolerieren, Vitale, darum warne ich dich jetzt: Wenn du noch mal vergisst, wo dein Platz ist, werden wir uns darum kümmern.“

Mir gefällt es nicht, wenn man mir droht. Sagen kann man viel. Mir ist es lieber, wenn ein Mann versucht, mich zu töten, als wenn er mein Leben bedroht. Dann kann ich mich wenigstens verteidigen. Hier kann ich es nur hinnehmen und wie ein braver kleiner Soldat nicken, der ich einfach nicht sein kann. Sie wollen, dass ich ein unterwürfiger Soldat bin. Aber das war ich nie.

„Und was ist mit Rays Nachfolger?“, frage ich. „Ich konnte nicht umhin zu bemerken, dass er bei diesem Treffen nicht anwesend ist.“

„Angelo hat bisher keinen Nachfolger.“

Darüber muss ich fast lachen. Die Vollmantelgeschosse aus einer AR-15, die erst vor ein paar Tagen auf den Laden meines Vaters abgefeuert wurden, sagen mir etwas anderes. Mitglieder der Familie in New York sterben wie die Fliegen. Was er meint ist, dass sie noch nicht abgestimmt haben, aber Ray hat definitiv schon einen Nachfolger. Und wer immer es auch ist, er ist wahrscheinlich schlimmer als sie alle. Er fragt nicht um Erlaubnis. Die Regeln sind ihm egal. Die Abstimmung interessiert ihn einen Dreck.

„Wer ist der neue Kerl?“, frage ich. „Niemand scheint sonderlich viel über ihn zu wissen.“

Sie sehen aus, als würden sie darüber nicht sprechen wollen. Die anderen drei Männer schweigen wie ein Grab, während Genova zumindest so tut, als würde er auf mich eingehen. „Man nennt ihn Scar. Ein junger Kerl. Erbarmungslos.“

„Wie jung?“

„Ungefähr in deinem Alter“, sagt er. „Kommt aus dem Süden.“

„Philadelphia?“

„Nein, viel weiter südlich.“

Hinter der Mason-Dixon Linie ist die Familie nicht sehr präsent, daher weiß ich nicht, wie weit aus dem Süden er kommen kann. Ich hake jedoch nicht nach. Ich merke, dass ich schon zu neugierig gewesen bin. In unserem Geschäft stellt man keine Fragen. Das ist wahrscheinlich die wichtigste Regel.

„Ist das alles?“, frage ich. „Kann ich gehen?“

„Noch nicht“, sagt Genova und faltet die Hände vor sich auf dem Tisch. „Bevor du gehst, will ich mit dir über etwas Geschäftliches reden. Ich habe ein paar Jobs, die du für mich erledigen sollst.“

Jobs.

Ich habe Karissa gesagt, dass ich das nicht mehr machen würde.

„Was für Jobs?“

„Oh, du weißt schon … das Übliche.“

Das Übliche. „Das mache ich nicht mehr.“

Die Männer flüstern miteinander. Wenn ein Mann, der dazu neigt, jeden zu töten, der ihn abweist, um einen Gefallen bittet, ist es mehr als mutig, abzulehnen. Besonders, wenn dieser Mann einen gerade hat davonkommen lassen.

„Und warum?“, fragt Genova. „Willst du gesetzestreu werden? Ein Leben haben? Einen echten Job suchen?“

Sie lachen darüber, lachen auf meine Kosten.

„Vielleicht gehst du auch in Rente“, fährt Genova fort. „Als Nächstes trägst du Schlappen und hast ein Haus in Boca Raton. Ist es das, was du willst?“

Ich sage nichts und ertrage, dass sie sich über mich lustig machen. Er denkt, dass er mich damit brechen kann, sodass ich mich seinem Willen beuge und tue, was er von mir will.

Ich werde es nicht tun.

Als die Besprechung endlich zu Ende ist, ist es draußen stockdunkel. Die Nacht ist schon lange hereingebrochen. Genova entlässt mich mit einem Handwedeln und verächtlicher Miene. „Geh mir aus den Augen, Vitale. Denk darüber nach. Komm zurück, wenn du endlich zur Vernunft gekommen bist.“

Der Kerl von vorhin führt mich zur Tür, die bewaffneten Soldaten folgen uns, alle sind angespannt. Ich denke, mein Ruf eilt mir voraus.

Erst als ich in meinem Auto sitze und die Straße hinunterfahre, weg von dem Haus und endlich wieder richtig atmen kann, erlaube ich mir ein erleichtertes Seufzen.

Es zahlt sich immer aus, viel einstecken zu können.

Heute Abend habe ich Genova abgewehrt. Aber er ist noch nicht fertig. Er wird nicht aufgeben.

Als ich viel später heimkomme, brennt im Haus immer noch das Licht, obwohl es fast Mitternacht ist. Ich gehe direkt ins Arbeitszimmer, wo ich Karissa fest schlafend auf der Couch finde. Ihre Schulsachen liegen um sie herum verstreut. Ich hatte ihr gesagt, dass sie nicht auf mich warten solle, aber sie hört ja nie auf mich.

Es wäre eine lange Nacht für sie geworden, wenn ich es nicht lebend aus diesem Haus geschafft hätte.

Ich streife die Schuhe ab und hebe ihre Beine an, sodass ich unter ihnen schlafen kann, und setze mich ans Ende der Couch. Als ich das tue, bewegt sie sich und öffnet die Augen. Sie blinzelt, sieht in meine Richtung, und ein schläfriges Lächeln breitet sich auf ihrem Gesicht aus. Sie dreht sich auf den Rücken, und ich lasse ihre Beine sinken, sodass ihre Füße direkt auf meinem Schoß liegen.

„Du bist zu Hause“, sagt sie mit einer vom Schlaf rauen Stimme.

„Ja“, sage ich, lasse meine Hände über ihre Füße wandern und reibe mit den Daumen die Fersen. Sie windet sich, als wollte sie ihre Füße meinem Griff entziehen, doch ich fange an, einen zu massieren. Das hält sie auf. Sie rollt die Zehen ein und seufzt. Sie mag es, wenn ich das tue. Ich habe es in Italien gelernt.

Es ist still, abgesehen vom Ton des Fernsehers, den sie laufen lassen hat, als sie einschlief. Wie immer läuft Food Network. Sie verbringt ihre Freizeit immer noch damit, sich diesen Unsinn anzusehen.

„Wirklich?“, sagt sie nach einer Weile mit ungläubigem Ton. „Ausgerechnet Hotline Bling?“

„Wollen wir schon wieder darüber reden?“

„Natürlich. Ich meine, wenn du eine Schwäche für Musik entwickelst, hätte ich mit etwas ganz anderem gerechnet … etwas wie … ich weiß nicht … Frank Sinatra?“

„Wie stereotyp.“ Ich werfe ihr einen Blick zu. „Vielleicht hätte ich mich für die Filmmusik von Der Pate entscheiden sollen.“

„Ja!“

Ich schüttele den Kopf und massiere weiterhin ihre Füße. „Ich wollte etwas ganz anderes.“

Etwas, das mich nicht an diese Zeit meines Lebens erinnerte. Etwas, das mich nicht an meine Arbeit für Ray erinnerte und daran, dieser Mann zu sein, jedes Mal, wenn mein Telefon klingelte. Karissa liebt Musik. So wie sie es beschreibt, klingt es fast, als gehörte der Musik ein Teil ihrer Seele.

Ein Teil von mir wollte wissen, wie sich das anfühlt, und ob ich diese Art von Mensch sein könnte. Ein Mensch, der solche Dinge fühlt.

„Also hast du dich für Drake entschieden?“

Ich fasse in meine Tasche, ziehe das Handy hervor und werfe es ihr zu. Es landet genau auf ihrer Brust und sie schnaubt, als sie es nimmt.

„Such etwas anderes für mich aus“, sage ich. „Aber bei Gott, Karissa, wenn du diesen Schwachkopf Bieber nimmst …“

„Ih, eklig.“ Sie verzieht das Gesicht. „Das würde ich nie tun.“

Sie durchstöbert Musikstücke, während ich weiter ihre Füße massiere.

Eine Minute später durchdringt infernalischer Lärm die Stille. Schrille Klaviertöne vermischen sich mit etwas, das wie Kindergeschrei klingt, das ein Schlagzeug überlagert. Es ist unerträglich. Karissa wirft das Handy zurück, und es prallt von meinem Schoß ab und fällt zu Boden. Mein Instinkt meldet sich, und ich hätte fast darauf getreten. Ich hätte das verdammte Ding beinahe zerstampft, nur damit es Ruhe gibt.

„Was ist denn das?“, frage ich, hebe das Telefon auf und drücke den Knopf an der Seite, um es sofort zur Ruhe zu bringen.

„One Direction“, sagt sie.

„Ernsthaft?“ Ich schiebe ihre Füße von meinem Schoß. „Das ist ja noch schlimmer!“

Sie keucht, setzt sich auf und greift sich an die Brust. „Nein! Nimm das zurück!“

„Hör bitte auf.“

„Du bist verrückt! One Direction ist die beste Band, die je eine Bühne geziert hat!“

„Du machst dich lächerlich.“

„Sie sind absolut brillant, das Beste, was je aus Großbritannien gekommen ist“, sagt sie und greift nach meinem Arm, als ich aufstehen will. Bevor ich mich rühren kann, setzt sie sich mit gespreizten Beinen auf meinen Schoß. „Was sind schon die Rolling Stones? Wer sind schon die Beatles?“

Ich lege die Hände auf ihre Hüften, halte sie fest und sehe sie eindringlich an. „Du bringst dich selbst in Verlegenheit, Karissa.“

Sie lacht, als würde ich es nicht todernst meinen, und bevor ich noch etwas sagen kann, drückt sie ihre Lippen auf meine. Sie küsst mich heiß und leidenschaftlich, ihre Zunge gleitet heraus und trifft meine. Nach dem Abend, den ich hatte, ist das eine willkommene Abwechslung. Ich könnte mir keine bessere Ablenkung vorstellen. Sie summt an meinen Lippen, als meine Hände über ihre Hüften zur Rundung ihres Hinterns gleiten. Ich stöhne, als sie sich auf meinem Schoß hin- und herschiebt und sich an meinem Schritt reibt. Es ist nicht viel nötig, nur eine warme Berührung an meinem Schwanz, da beginnt er sich aufzurichten und ihre Aufmerksamkeit einzufordern.

Ich hebe meine Hüften an, bewege sie kreisend an ihr, und sie stößt ein Keuchen aus und unterbricht den Kuss. Ich verteile Küsse auf ihrer Wange, arbeite mich zu ihrem Hals vor, als sie etwas flüstert. Etwas, das ich nicht verstehe.

„Was war das?“, frage ich und schabe mit den Zähnen über die empfindsame Stelle direkt unter ihrem Ohr.

Sie wiederholt es wieder und wieder, atemlos, fast melodisch. Ich brauche einen Moment, bis ich es verstehe, bis ich begreife, was sie da tut. Sie singt das verfluchte Lied, das mein Telefon gerade gespielt hat.

„Das reicht jetzt aber“, sage ich, greife nach ihren Hüften und hebe sie von meinem Schoß auf die Couch zurück. Dann stehe ich auf. Sie versucht lachend, mich festzuhalten, aber ich wehre sie ab und gehe.

„Moment mal, wo gehst du hin?“, fragt sie und sieht mich an.

„Unter die Dusche.“

„Aber, äh, deine Situation“, sagt sie und zeigt auf den Schritt meiner Hose. „Wollen wir uns nicht zuerst darum kümmern?“

„Das erledige ich allein.“

Ich gehe raus und höre ihr Lachen, ein lautes, unbekümmertes Lachen. Ich schüttle den Kopf, kann aber ein Lächeln nicht ganz unterdrücken. Das waren wahrscheinlich gerade die absurdesten Minuten meines Lebens. Aber der Klang ihres Lachens, ihre Fröhlichkeit, macht etwas mit mir, wozu nichts anderes in der Lage ist. Es durchschneidet meine Dunkelheit. Mit ihr fühle ich mich beinahe leicht.

Ich gehe nach oben ins Bad und ziehe sofort den Anzug aus. Ich mache mir nicht die Mühe, das Licht einzuschalten, sondern finde mich in der Dunkelheit zurecht. Ein kleines Nachtlicht steckt in einer Steckdose über dem Waschbecken. Das ist alles, was ich brauche. Mein Blick richtet sich auf mein Spiegelbild, während das Wasser für die Dusche warm wird.

Ich weiß nicht, ob das nur meine Wahrnehmung ist, aber ich finde, dass ich älter als meine achtunddreißig Jahre aussehe. Ganz bestimmt fühle ich mich älter. Ich fühle mich, als hätte ich länger als ein Leben gelebt, und jedes lastet wie eine Ewigkeit auf mir. Eine Ewigkeit von Wut, Verbitterung und Verbrechen fordert ihren Tribut von einem Mann, so viel ist sicher. Aber nichts davon hatte eine solche Auswirkung auf mich wie das letzte halbe Jahr. Ich habe gelernt, was Gefühle bewirken können. Früher hatte ich keinen Respekt vor mir oder vor jemand anderem. Ich hatte keinen Grund mehr zu leben. Aber jetzt, wo ich mich sorge, was mit ihr passiert – und um ihretwillen auch mit mir – erschöpft mich diese ständige Sorge.

Ich sorge mich, dass meine Vergangenheit uns einholt. Ich sorge mich, dass sie diejenige sein wird, die für meine Sünden zahlen muss. Dass sie die Konsequenzen dafür tragen muss, mit jemandem zusammen zu sein, der so sorglos gelebt hat.

Wasserdampf beginnt sich im Bad auszubreiten. Ich trete unter die Dusche und lasse den kochend heißen Strahl den heutigen Tag wegwaschen. Höchstens zwei Minuten später trifft mich ein kühler Luftzug. Jemand hat die Badezimmertür geöffnet.

Der Duschvorhang wird zurückgeschoben und mein Blick trifft Karissas. Sie lacht nicht mehr, aber die Fröhlichkeit ist noch deutlich auf ihren Gesichtszügen erkennbar. Schweigend zieht sie sich aus und wirft die Kleidungsstücke hinter sich auf den Boden.

„Brauchst du etwas?“, frage ich und hebe die Brauen, als ich den Blick über ihre entblößte Haut schweifen lasse. „Kann ich etwas für dich tun?“

„Vielleicht“, sagt sie, steigt zu mir in die Dusche und schließt den Duschvorhang wieder. Es ist so dunkel, dass ich sie kaum sehen kann. „Vielleicht kann ich aber auch etwas für dich tun.“

Sie geht vor mir auf die Knie, genau unter dem Wasserstrahl. Ihre Finger legen sich um meinen Schwanz und reiben ihn mit festem Griff. Eine Stimme in meinem Hinterkopf sagt mir, dass ich sie aufhalten soll, mahnt mich, dass sie nicht vor mir knien sollte. Nach allem, was ich getan habe, sollte ich derjenige sein, der sie so verehrt. Sie verdient es. Aber ihr Mund ist auf mir, bevor ich etwas sagen kann, ihre Lippen schließen sich um meinen Schwanz und sie saugt ihn hinein. Und ich vergesse alles.

Ich vergesse verdammt noch mal alles. Ich vergesse, dass ich jemals Sorgen hatte. So gut ist das.

„Himmel, Karissa“, stöhne ich und streiche mit den Fingern durch die nassen Strähnen ihres Haars. „Ich wünschte, ich wüsste, was ich getan habe, um dich zu verdienen.“

Target on our backs - Im Fadenkreuz

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