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Kapitel 2 Ignazio

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Karissa träumt. Oder hat eher einen Albtraum. Sie liegt neben mir, und ich höre sie im Schlaf wimmern. Ihr Körper ist so angespannt wie ein Draht, der unter Strom steht. Ich glaube, wenn ich jetzt versuchen würde, sie zu wecken, würde sie mir einen elektrischen Schlag versetzen.

Ich frage mich manchmal, ob es in ihren Träumen um uns geht. Und sind sie jemals von der Art ‚Und sie lebten glücklich bis an ihr Lebensende‘? Oder geht es immer um das, was ich getan habe? Die Schmerzen, die ich verursacht habe, die Qual, die sie durchlitten hat, das Entsetzen darüber, sich in einen Mann wie mich verliebt zu haben. Das würde ich gerne wissen, aber ich frage sie nicht, denn es ist wahrscheinlich nicht von Bedeutung.

Ich bin nicht einmal sicher, ob sie sich an ihre Träume erinnert. Mir gegenüber erwähnt sie sie jedenfalls nicht. Außerdem bedeuten Träume im Vergleich mit der Realität nichts. Das Leben ist, was es ist. Man kann ihm nicht entkommen.

Der Deckenventilator dreht sich langsam und wirbelt ihr Haar auf. Ich strecke den Arm aus und streiche ihr das widerspenstige Haar behutsam aus dem Gesicht, betrachte sie eine Weile und beuge mich dann vor, um ihr einen kleinen Kuss auf die Wange zu geben. Sie schläft weiter, tief gefangen in ihrem Traum und ist sich meiner Anwesenheit nicht bewusst – und wird hoffentlich auch meine kommende Abwesenheit nicht bemerken. Ich will nicht, dass sie sich deswegen Sorgen macht.

So vorsichtig wie möglich gleite ich aus dem Bett, um sie nicht zu stören. Auf dem Weg zur Tür schnappe ich eine schwarze Jogginghose und ziehe sie im dunklen Flur an, bevor ich nach unten gehe.

Ich bin dankbar, dass ich es am Köter vorbeischaffe. Er mag mich immer noch nicht – was ich ihm nicht verdenken kann. Ich habe seine Besitzerin direkt vor seiner Nase erschossen. Aber manchmal macht er es mir schwer, mich wegzuschleichen. Dadurch ist es schwierig, Frieden im Haus zu bewahren.

Es ist eine warme Herbstnacht, kurz vor Mitternacht, doch der Marmorboden der Küche fühlt sich kalt unter meinen nackten Füßen an. Ich zögere, als ich mich dem Spülbecken nähere, strecke dann die Hand aus und ziehe das Ausbeinmesser aus dem Holzblock auf der Arbeitsplatte. Der Griff ist schwarz, die schmale Klinge gut zwanzig Zentimeter lang und die Spitze scharf genug, um Fleisch vom Knochen zu trennen. Und dafür ist es ja auch gedacht.

Ich nehme meine Schlüssel von einem Haken neben der Seitentür, gehe in die Garage und achte darauf, die Tür hinter mir wieder zu schließen. Offene Türen sind Einladungen, die ich im Moment niemandem aussprechen will, besonders nicht Karissa. Ich will, dass sie dort bleibt, wo sie ist und weiterhin fest schläft.

Nichtsahnend.

Bevor ich den Schlüssel meines Mercedes in die Hosentasche schiebe, klopfe ich auf die Kofferraumhaube. Sofort ertönt ein Wimmern und etwas bewegt sich im Inneren des Autos. Ich öffne die Klappe und sehe auf die Gestalt im Dunkeln herab, die nur vom schwachen Licht des Kofferraums beleuchtet wird.

Schweiß bedeckt ihn vom Scheitel seines kahlen Schädels bis zu seinen nackten Zehenspitzen. Sein Gesicht ist klatschnass, Schweißtropfen fallen herab und sein schmutziges weißes T-Shirt klebt an ihm. Und es stinkt … Himmel, was für ein Gestank. Ich werde einen Monat brauchen, um den Geruch nach Pisse wieder aus meinem Kofferraum zu bekommen. Wut wallt bei dem Gedanken, dass er sich voll gepinkelt hat, in mir auf. Dieser rückgratlose Feigling. Er hat Glück, dass ich ihm nicht hier und jetzt das Messer in den Hals ramme. Und er hat wirklich Glück, wenn er noch den nächsten Tag erlebt. Um seinetwillen hoffe ich, dass es so sein wird. Er sieht aus, als wollte er überleben.

Er starrt mich mit panisch aufgerissenen Augen an. Als er das Messer entdeckt, bricht er in Tränen aus. Er hyperventiliert und saugt Luft durch die Nase ein. Er versucht zu atmen, doch das Klebeband, das seinen Mund bedeckt und um seinen Kopf gewickelt ist, lässt ihn fast ersticken. Seine Hand- und Fußgelenke sind ebenfalls damit umwickelt, was ihn nicht davon abhält, sich im Kofferraum wild zu winden und Krawall zu machen.

„Was habe ich dir gesagt, Armando?“ Ich halte das Messer an seine Kehle, woraufhin er sich anspannt und still liegt, damit er sich nicht schneidet. „Wenn meine Frau dich hört, habe ich keine andere Wahl, dann muss ich dir die Kehle durchschneiden.“

Er versucht, seine Schreie zu unterdrücken und ist fast vollkommen ruhig, aber die Tränen laufen ihm weiter übers Gesicht. Ich hasse es, jemanden weinen zu sehen, egal ob Frau oder Mann, aber ganz besonders, wenn es jemand ist, der angeblich zur Familie gehört. Männer, die von Waffengewalt leben, sollten nicht in dem Moment zusammenbrechen, wenn sie erfahren, dass sie selbst dadurch sterben könnten. Oder in diesem Fall durch ein Messer, das, wenn ich es führe, wesentlich mehr Schmerzen zufügen kann.

Armando Donati war einer von Rays Straßenkämpfern, die die schmutzige Arbeit für ihn erledigten, in den Schützengräben patrouillierten und nicht abgeneigt waren, Regeln zu brechen, um Kriege zu gewinnen. Kidnapping, Erpressung und Überfälle waren seine Spezialitäten, ebenso wie routinierte Schüsse aus einem fahrenden Auto. Also die unehrenhaften Teile des Lebens. Die Teile des Lebens, über die niemand von ihnen sprach. Armando hatte ein Händchen dafür, einen Anschlag willkürlich erscheinen zu lassen. Ray hatte überall auf den Straßen Spione, und der Großteil seiner Informationen kam direkt von Armando und seiner Bande verfluchter Diebe.

Also hatte ich natürlich in der Sekunde, als das Feuer auf das Geschäft meines Vaters eröffnet wurde, an ihn gedacht.

„Nicht schreien“, sage ich zu ihm. „Wenn du eine Chance willst, hier rauszukommen, hörst du mir jetzt zu. Verstanden?“

Er nickt verzweifelt.

„Gut.“

Ich durchschneide mit dem Messer das Klebeband über seinem Mund und beobachte, wie Blut aus der Öffnung rinnt, weil ich ihm in die Lippe geschnitten habe. Er grunzt und stöhnt unterdrückt, weitere Tränen fließen ihm übers Gesicht, aber er schreit nicht. Er atmet ganz tief durch den Mund ein und fängt in der Sekunde, in der er ausatmet zu betteln an.

„Bitte, Vitale, ich war es nicht! Ich schwöre bei Gott! Ich schwöre bei meiner Frau und meinen Kindern! Ich schwöre bei der Familie! Ich habe es nicht getan.“

Ich will das Messer in seine Kehle rammen, damit er die Klappe hält, stattdessen lege ich die freie Hand auf seinen Mund und seine Nase und drücke zu. Er beginnt sich zu winden, liegt aber sofort wieder still, als ich sage: „Hör auf.“

Er kann jetzt nicht mehr atmen. Ich weiß das. Sein Gesicht wird rot, die Augen treten hervor.

„Ich weiß, dass du es nicht warst“, sage ich. „Also verschwende nicht deinen Atem bei Erklärungsversuchen, sonst nehme ich dir das nächste Mal für immer die Luft.“

Ich lasse los, und er schnappt nach Luft. Ich habe Blut von ihm an meiner Hand, reibe sie geistesabwesend an der Hose ab und merke zu spät, was ich getan habe. Mist. Jetzt muss ich sie verbrennen, um die Beweise loszuwerden.

Dieses Mal ist er still. Okay, er hyperventiliert und schluchzt, aber zumindest bettelt er nicht mehr.

Armando lebt in Hell’s Kitchen, nicht weit vom Feinkostladen meines Vaters entfernt, in einem Apartment über einem Gemischtwarenladen, der einst Ray gehörte. Es ist derselbe Laden, in dem ich mit sechzehn etwas gestohlen habe. Dort habe ich auf dem Heimweg angehalten, um eine Zeitung zu kaufen. Und ganz zufällig bin ich dabei auf meinen alten Bekannten gestoßen.

Ich weiß, dass er es nicht war, denn er saß in Boxershorts in einem Fernsehsessel und sah sich Seifenopern an. Aber nur weil er es nicht getan hat, heißt das noch lange nicht, dass er nicht weiß, wer es war. Männer seiner Art sind wie Wölfe, sie treten in Rudeln auf. Und ich habe es auf das Alphatier abgesehen. Denjenigen, der mutig genug war, auf mich loszugehen.

„Ich will wissen, wer für die Schießerei in Hell’s Kitchen heute Nachmittag verantwortlich ist“, fahre ich fort, bevor er wieder mit seiner Litanei anfangen kann, dass er es nicht war. „Auf den Straßen wird geredet, Armando, und du kommst direkt aus der Gosse. Du hörst alles. Rays Leute sterben wie die Fliegen. Jeden Tag kommt einer dazu. Aber du bist immer noch am Leben, und ich kann mir schon vorstellen, warum. Darum will ich wissen, wer dahintersteckt. Ich will wissen, für wen du jetzt arbeitest.“

„Ich arbeite nicht …“ Die Worte entschlüpfen ihm instinktiv, bevor er seine antrainierten Lügen mit einem tiefen Atemzug unterbricht. Wir sind alle darauf geeicht worden, jede Art von Mitwirkung zu bestreiten, aber er weiß es besser. Er weiß, dass ich ihn umbringe, wenn er mich belügt. „Ich habe den Kerl noch nie getroffen … er ist nie zu mir gekommen, ich schwöre! Ich bin ein Niemand. Ich bin nichts. Er weiß wahrscheinlich nicht mal, wer ich bin! Aber die Leute reden, weißt du … sie reden, genau wie du gesagt hast. Letzte Woche kam ein Typ wegen Informationen zu mir. Er meinte, er hätte gehört, dass ich einige Dinge wüsste. Er hat nach dir gefragt, aber ich habe ihm nichts gesagt, was er nicht schon gewusst hat!“

„Wer war der Typ?“

„Ich kenne seinen Namen nicht.“

Kaum hat er verleugnet, ramme ich das Messer hinunter, direkt in den fleischigen Teil seines Oberschenkels. Ich reiße es sofort wieder heraus und presse die Hand auf seinen Mund und seine Nase, als er vor Schmerz aufschreit, um das Geräusch zu dämpfen. Sein Gesicht läuft hellrot an, und ich lasse wieder los, was ich sofort bedauere, denn er schreit: „Joe! Man nennt ihn Fat Joe!“

Er erkennt seinen Fehler sofort und fängt an, leise zu betteln und zu schluchzen, während das Blut aus der Wunde in seinem Oberschenkel fließt. Es ist nicht viel. Nichts, was er nicht mit Leichtigkeit überlebt. Ich halte das Messer hoch und sage ihm, dass er still sein solle. Da beginnt der verdammte Hund in der Küche zu bellen, weil er uns hier draußen gehört hat.

Ich lausche eine Weile, um sicher zu sein, dass Karissa nicht aufgewacht ist. Der Hund hört endlich zu bellen auf, weil er begreift, dass er nicht erfährt, was hier vor sich geht.

„Für wen arbeitet dieser Joe?“, frage ich, als ich sicher bin, dass wir nicht unterbrochen werden. Ich muss das hinter mich bringen und wieder nach oben gehen. „Und erzähl mir nicht, dass du es nicht weißt, weil ich dann auf die Arterie ziele.“

„Da gibt es so einen Kerl, er ist neu in der Stadt.“

„So viel weiß ich schon.“

„Joe hat mir nicht gesagt, für wen er arbeitet und du weißt doch, Vitale, dass wir niemals fragen sollen. Er hat immer wieder gesagt ‚mein Boss dies, mein Boss das‘, aber es muss dieser neue Kerl sein.“

„Hat dieser neue Kerl einen Namen?“

„Sie nennen ihn Scar, glaube ich.“

„Das glaubst du“, wiederhole ich. „Du hast besser recht damit, sonst wirst du bereuen, mir eine falsche Information gegeben zu haben, Armando.“

„Ich bin sicher“, korrigiert er sich. „Ich bin ganz sicher.“

Scar. Hm.

„Und Fat Joe arbeitet für diesen Kerl namens Scar?“

Ich hasse es, diese Frage zu stellen. Mein Leben hat sich in einen klischeehaften Mafiafilm verwandelt.

„So muss es sein“, antwortet Armando. „Ich wüsste nicht, für wen er sonst arbeiten sollte.“

Ich denke darüber nach, was ich mit dieser Information anfangen soll, als Armando wieder zu wimmern beginnt und leise um Gnade bettelt. Das Geräusch geht mir auf die Nerven. Ich trete zurück, werfe das Messer auf meine Werkzeugkiste und greife nach der Rolle Klebeband. Ich reiße ein Stück ab und klebe es über die blutige Lücke über seinem Mund und bringe ihn damit zum Schweigen.

„Du hast Glück, Armando“, sage ich. „Weißt du, ich versuche inzwischen, alles besser zu machen, ein besserer Mann zu sein, der Mann, der ich sein kann, wie meine Frau glaubt. Darum bringe ich dich heute Nacht nicht um, sondern gebe dir noch eine Chance. Wenn du bis morgen früh überlebst, bringe ich dich nach Hause. Ich setze dich da ab, wo ich dich mitgenommen habe. Verstanden?“

Er kann nicht antworten, weil er wieder Klebeband über dem Mund hat, aber ich nehme sein gedämpftes, verzweifeltes Murmeln als Bestätigung, dass er verstanden hat. Früher wäre so etwas nicht verhandelbar gewesen. Mach mich wütend, und du stirbst. So war das eben. Aber das kann ich nicht mehr machen. Ich kann das nicht fortführen. Wenn ich nicht flexibel bin, bin ich nicht vorbildlich. Und ich versuche, für sie vorbildlich zu sein.

„Aber denk dran, wenn meine Frau von dir erfährt, ist der Deal hinfällig.“

Ich knalle den Kofferraum zu, höre seinen erschrockenen Aufschrei, aber danach ist er wieder still. Die Ratte will leben.

Ich nehme das Messer, gehe ins Haus zurück und schließe die Tür hinter mir ab. Killer zieht sich ein paar Schritte zurück, als er mich sieht und fängt an zu knurren.

In der Küche greife ich in den Schrank neben dem Spülbecken und strecke meine Hand in die Tüte Hundeleckerlies mit Salamigeschmack. Ich werfe dem Hund ein paar zu, und er verschlingt sie. Davon ist er so abgelenkt, dass er sich nicht mehr um mich kümmert.

Ich wasche das Blut von der Klinge und verstaue das Messer in der Spülmaschine. Dann gehe ich zur Treppe, wobei ich einen Umweg in die Waschküche mache. Ich ziehe meine Jogginghose aus, vergrabe sie in einem Haufen Schmutzwäsche und mache mir eine geistige Notiz, dass ich mich später darum kümmern muss.

Dann gehe ich nach oben, zurück ins Schlafzimmer. Karissa schläft noch. Es sieht so aus, als hätte sie sich keinen Zentimeter bewegt. Ich lege mich neben sie ins Bett, schlinge die Arme um sie und ziehe sie an mich. Der Vorfall heute hat mich besorgt. Gott sei Dank ist sie in Sicherheit. Ich muss dafür sorgen, dass es so bleibt.

Sie bewegt sich, wacht kurz auf, kuschelt sich an mich und schläft in meinen Armen sofort wieder ein. Sie fängt wieder an zu träumen. Doch dieses Mal lächelt sie dabei.

Sie würde nicht lächeln, wenn sie wüsste, was ich denke, wenn sie wüsste, wohin meine Gedanken wandern, was ich am liebsten tun würde. Ich versuche es für sie, ich tue mein Bestes, aber ich weiß nicht, wie viel ich noch geben kann. Sie sagt, dass Vergeltung eine Entscheidung ist, und vielleicht hat sie recht. Vielleicht ist es eine Entscheidung.

Aber vielleicht will ich mich für Vergeltung entscheiden. Ist es so falsch, Vergeltung zu wollen? Ich glaube nicht.

„Guten Morgen.“

Karissas Stimme ist ein schläfriges Murmeln, ihre Worte werden von einem Gähnen unterbrochen. Ich sehe zur Tür hinüber, und sie betritt die Küche. Ihr Haar ist zerzaust. Sie trägt ein übergroßes schwarzes T-Shirt, von dem ich vermute, dass sie es aus der hintersten Ecke meines Schranks geklaut hat. Die Hälfte ihrer Garderobe stammt aus dieser Quelle.

„Morgen.“ Ich weiß nicht, ob ich bereit bin, ihn gut zu nennen. Ich habe nicht eine Sekunde geschlafen, und das wird sich wahrscheinlich bis morgen auch nicht ändern. „Du bist früh auf.“

Es ist sieben, vielleicht acht Uhr morgens. Uhren sind im Haus immer noch eine Seltenheit und ich bin nicht geneigt, auf meine Armbanduhr zu sehen, also bin ich nicht ganz sicher. Ich bin seit ungefähr vier Uhr morgens angezogen.

„Ja“, murmelt sie. Ich habe nicht so gut geschlafen.“

Ich ziehe in Erwägung, sie darauf hinzuweisen, wie viel sie letzte Nacht geschlafen hat, verwerfe den Gedanken aber. „Das ist schade.“

„Ja, nicht?“ Karissa fummelt an der Kaffeemaschine auf der Arbeitsfläche herum und brüht sich eine Tasse auf, während ich die Spülmaschine ausräume und dafür sorge, dass alles, inklusive des Ausbeinmessers, an seinen Platz zurückkommt. Sie beobachtet mich, während sie auf den Kaffee wartet und krault Killers Kopf, der sich an sie schmiegt und ihre Aufmerksamkeit fordert. „Sieht aus, als wärst du heute Morgen schon beschäftigt gewesen.“

Ich habe eine Ladung Wäsche gewaschen, eine Hose verbrannt und die Küche von oben bis unten geschrubbt. Alles, um mich abzulenken, während ich darauf wartete, dass sie aufwacht. „Du bist nicht die einzige, die Schwierigkeiten hatte, zu schlafen.“

Sie sieht mich neugierig an und nimmt die Tasse, als der Kaffee fertig ist. Dann bläst sie auf das heiße Getränk. „Du weißt, dass es immer noch nicht deine Schuld ist.“

Ich stutze, schließe die Augen und zwinge mich, nicht darauf zu reagieren. Ich will dieses Gespräch nicht schon wieder führen. Sie klingt langsam wie ein verdammtes Selbsthilfe-Hörbuch mit ihren ständigen Versicherungen. Es ist nicht deine Schuld. Nach einer Weile setze ich meine Arbeit fort und wechsle das Thema. „Was hast du heute vor?“

„Ach, du weißt schon, ein bisschen hiervon, ein bisschen davon.“

Ich werfe ihr einen Blick zu. Sie nippt an ihrem Kaffee. Offenbar versucht sie absichtlich, mich zu provozieren. „Würde es dir etwas ausmachen, etwas ausführlicher zu werden?“

„Den größten Teil des Tages habe ich Kurse“, sagt sie und zögert, bevor sie hinzufügt: „Was du bereits weißt. Davon abgesehen – nicht viel. Vielleicht fahre ich später bei Melody vorbei. Es ist eine Weile her, seit wir zusammen abgehangen haben. Und du?“

„Nichts.“

„Nichts?“

„Nichts.“

„Klingt aufregend.“

„Ich bin sicher, es wird so spannend, wie es klingt“, antworte ich. „Soll ich dich in die Stadt fahren?“

„Nein, schon okay. Ich nehme einfach ein Taxi.“

Sie hat es kaum gesagt, da ziehe ich mein Telefon aus der Tasche. „Wie wäre es, wenn ich dir stattdessen einen Wagen bestelle?“

Sie zuckt mit den Schultern, als wäre es ihr egal und kippt den jetzt abgekühlten Kaffee herunter. Aber es ist nicht egal. Die Fahrer des Autoservice sind sicherheitsüberprüft. Ich kenne ihre Namen und Adressen. Ich weiß, wo ihre Eltern wohnen.

„Was immer du willst“, sagt sie und stößt sich von der Arbeitsfläche ab, um die Küche zu verlassen. „Ich bin in ungefähr fünfundvierzig Minuten fertig.“

„Dann lasse ich dich um die Zeit abholen.“

Eine Stunde später steht das Auto am Bordstein vor dem Haus und der Fahrer wartet geduldig, während Karissa herumtrödelt, den Hund füttert und sich noch eine Tasse Kaffee macht – dieses Mal zum Mitnehmen. Als sie endlich fertig ist und all ihre Sachen zusammengesammelt hat, stellt sie sich auf die Zehenspitzen, küsst mich kurz auf die Lippen und geht dann Richtung Tür. „Ich wünsche dir viel Spaß beim Nichtstun.“

„Den werde ich haben“, sage ich und beobachte, wie sie hinausgeht und mich allein lässt. Ich hasse es, wenn sie geht, aber heute bin ich erleichtert, als sie weg ist. Ich kann wieder frei atmen und muss nicht mehr befürchten, dass sie herausfindet, was ich vorhabe – und ihren Blick sehen. Dieser Blick, der sagt, dass ich ihr immer noch manchmal Angst mache – bis zum heutigen Tag. Es ist eine Weile her, seit ich ihn das letzte Mal gesehen habe. Und ich gebe mir Mühe, ihn mir vom Leib zu halten.

Mit einem Seufzen sehe ich mich in der makellos sauberen Küche um und nehme den scharfen Geruch des Bleichmittels wahr, der an allem klebt und lehne mich an die Arbeitsplatte. Killer steht im Türrahmen, hat die Ohren angelegt und starrt mich an. Als sich unsere Blicke treffen, höre ich das Grollen. Ein tiefes Knurren bildet sich tief in seiner Kehle.

„Sieh mich nicht so an“, sage ich. „Ich tue, was ich tun muss.“

Er bellt einmal, rührt sich aber nicht. Ich greife in den Schrank neben meinem Kopf und hole ein Leckerli heraus. Ich werfe es ihm zu, und das Knurren hört sofort auf. Er wedelt mit dem Schwanz, während er das Leckerli verschlingt und vergisst für den Moment, dass ich eigentlich sein Feind bin.

Er ist leicht abzurichten. Leicht auszutricksen. Wenn er so weitermacht, fange ich vielleicht sogar irgendwann an, ihn zu mögen. Oder auch nicht.

Ich greife nach meinen Schlüsseln und gehe in die Garage. Es ist jetzt etwas wärmer als letzte Nacht. Es wird ein heißer Tag.

Ich öffne den Kofferraum und verziehe das Gesicht, als mir der Gestank in die Nase steigt. Ich wedele mit der Hand vor meinem Gesicht herum und weiche zurück. Himmel, heute Morgen ist es sogar noch schlimmer. Ich werde eine Tonne Bleichmittel brauchen, um dieses Desaster zu beseitigen.

Armando ist ohnmächtig, aber ich sehe, dass sich seine Brust bewegt. Er atmet noch, hat die Nacht also überlebt. Der glückliche Schweinehund.

„Wach schon auf“, sage ich und gebe ihm ein paar Klapse ins Gesicht, die ihn wachrütteln. Es ist erstaunlich – er hat in einem verdammten Kofferraum mehr Schlaf gefunden als ich in meinem eigenen Bett. Es dauert eine Weile, bis er richtig zu Bewusstsein kommt, zu begreifen, wo er ist und was ich ihm angetan habe. Er schreckt zurück, als er mich sieht, blinzelt ein paar Mal heftig und verzieht vor Schmerz das Gesicht. „Du Nichts hast also bis zum Morgen überlebt. Glückwunsch.“

Wahrscheinlich hat er sich letzte Nacht in den Schlaf geweint, weil er glaubte, dass sein Ende naht, weil ich seinen Tod nur hinauszögern und ihn ein bisschen quälen würde, bevor ich ihm das Leben nahm. Er hat wahrscheinlich bei dem Gedanken das Bewusstsein verloren, dass er nie mehr einen neuen Tag sehen würde.

Ich bin immer noch geneigt, den Bastard nur aus Prinzip zu töten. Lass keine Zeugen übrig. Er kann mit Sicherheit bezeugen, was ich gestern vorhatte. Aber ich tue es nicht. Stattdessen gebe ich ihm eine zweite Chance. „Heute werde ich dich nicht umbringen, Armando. Ein Deal ist ein Deal, und ich stehe zu meinem Wort. Aber das bedeutet nicht, dass ich dich nie töten werde. Sobald du einen Fehler machst oder mir in die Quere kommst, beende ich dein Leben. Und es wird nicht so gnädig sein wie ein Messer in deiner Kehle. Hast du das verstanden?“

Er nickt und fängt wieder an zu weinen, die Tränen strömen über seine Wangen. Angewidert knalle ich den Kofferraum zu, gehe ums Auto herum und setze mich ans Lenkrad. Ich bringe ihn nach Hause, wie ich es gesagt habe, und ich lasse ihn laufen, wie ich es gesagt habe. Ich gebe ihm die Chance, bis zu seinem natürlichen Ende zu leben. Und er enttäuscht mich besser nicht. Meine Geduld ist ohnehin fast am Ende.

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