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Kapitel 3 Karissa

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Das Café in der New York University ist um zwei Uhr an einem Dienstagnachmittag fast leer. Die meisten Studenten sitzen entweder in ihren Kursen oder sind bereits auf dem Weg nach Hause. Nur wenige Tische sind besetzt und es gibt keine Warteschlange für die Bestellung von Getränken. Ich nippe an meinem Schoko-Minze-Tee und sehe mich um, wobei ich mit dem Fuß auf dem Linoleumboden trommle. Ich hatte heute schon ungefähr eine Tonne Koffein, genug, um ein betäubtes Pferd zu wecken, aber das macht mich nicht so ruhelos.

Nein, es ist das, was im Feinkostladen passiert ist. Ich bekomme es nicht aus dem Kopf. Ich frage mich, wie es Giuseppe geht und was er denkt. Ich erinnere mich, dass Naz gesagt hat, sein Vater habe vor Jahren zusätzliche Sicherheitseinrichtungen installieren lassen, nachdem sein Sohn sich mit Raymond Angelo verbündet hatte, aber diese Vorsichtsmaßnahmen schienen nun zum ersten Mal nötig gewesen zu sein. Ich kann mir nur vorstellen, was das für die Beziehung bedeutet, die die beiden gerade anfingen wieder aufzubauen. Können sie das überwinden?

„Erde an Karissa!“ Finger schnipsen vor meinem Gesicht und schrecken mich auf. „Hast du eine psychotische Phase?“

Ich zucke zusammen und mein Blick begegnet Melodys, die mir an dem kleinen, runden Tisch gegenübersitzt. „Was?“

„Himmel, ich dachte, du hättest einen psychotischen Zusammenbruch oder so was“, sagt sie und sieht mich kopfschüttelnd an. „Ich habe ungefähr dreißig verdammte Minuten mit dir geredet, und du hast nicht mal gemerkt, dass ich hier bin.“

Ich ignoriere die Tatsache, dass wir höchstens seit zehn Minuten hier sind, lehne mich auf dem Stuhl zurück, nehme mit beiden Händen mein Getränk und schenke ihr meine ungeteilte Aufmerksamkeit. „Was hast du gesagt?“

„Ich weiß es nicht mal mehr.“ Sie stöhnt, lässt den Kopf auf das geöffnete Buch vor ihr auf dem Tisch sinken und murmelt gegen die Seiten: „Warum tue ich mir das bloß immer wieder an?“

„Vielleicht bist du eine Masochistin“, schlage ich vor. „Du brauchst einen guten Sadisten in deinem Leben.“

Das hat einen leicht angehobenen Kopf und einen höllisch bösen Blick zur Folge. Ich lache und zucke mit den Schultern. Wer weiß? In einer Million Jahren hätte ich nicht gedacht, eine Exhibitionistin zu sein, aber Naz schwört, dass ich eine sein könnte und ich leugne nicht, dass mich der Gedanke, beobachtet zu werden, erregt. „Hey, man weiß nie. Wir haben alle unsere Macken.“

„Ich bin eine Idiotin“, erwidert sie und ignoriert meinen Vorschlag. „Ich bin zu hundert Prozent ein verfluchter Vollpfosten. Es gibt keine andere Erklärung. Ich werde es nie lernen.“

Sie knallt ein paar Mal dramatisch den Kopf auf ihr brandneues Lehrbuch, bevor sie sich wieder aufsetzt. Sie hat einen weiteren Philosophiekurs belegt, mittlerweile ist es ihr vierter. Dieses Mal ist es Philosophie des Geistes, was immer das auch heißen mag. Ich weiß nicht einmal, was der Unterschied ist. Kommt denn nicht alle Philosophie aus dem Geist?

Sie hat jeden ihrer Kurse bestanden, wobei ihre Noten immer besser wurden. Doch das hält sie nicht davon ab, sich jedes Mal zu beklagen.

Und ich? Ich habe nach dem zweiten Kurs aufgegeben. Philosophie ist einfach nichts für mich.

Melody allerdings hatte die glorreiche Idee, es zu ihrem Hauptfach zu machen. Ein Abschluss in Philosophie – was macht man damit?

„Sei nicht so hart zu dir selbst“, sage ich. „Das sind doch alles nur Meinungen, weißt du noch?“

Das bringt mir einen weiteren düsteren Blick ein. Mann, heute habe ich es echt drauf.

„Wie auch immer“, sagt sie. „Das war’s. Ich tue mir das nicht mehr an. Jetzt ist meine Grenze überschritten.“

Sie zieht mit dem Finger eine Linie über den Tisch, ihre rot lackierten, künstlichen Fingernägel kratzen über die undefinierbare Oberfläche des Tisches.

„Ja, klar“, sage ich, strecke die Hand aus und nehme ihr das Lehrbuch weg. Sie protestiert und versucht, es sich zurückzuholen, steht auf, als wollte sie sich auf mich stürzen und mich wegen des verdammten Dings attackieren, doch ich schiebe sie weg und sehe mir das Buch an. Funktionalismus. Ich lese die Definition am Anfang des Kapitels zwei Mal, aber für mich ist das nur Kauderwelsch. „Oh Mann, ist das überhaupt unsere Muttersprache?“

Sie verdreht die Augen und versucht erneut, sich das Buch zurückzuholen, aber ich vereitle ihren Versuch und blättere durch die Seiten. Nach ein paar Kapiteln stoße ich auf einen Stapel Papier – Notizen. Ich will es ihr gerade wiedergeben, um ihr chaotisches Ordnungssystem nicht durcheinanderzubringen, als mein Blick auf das oberste Blatt Papier fällt. Darauf befindet sich eine Ansammlung von Definitionen und an den Rand gekritzelter Notizen, aber ganz oben und mittig ist der Name eines Jungen in ein schiefes Herz gekrakelt.

Leo.

„Leo?“, quietsche ich. Ja, ich quietsche tatsächlich. „Wer zum Teufel ist Leo?“

Die Worte sind kaum heraus, da reißt sie mir das Buch aus den Händen, klappt es zu und schiebt es in ihren Rucksack, als ob sie von Anfang an nicht hätte lernen müssen. Scheiß auf Funktionalismus.

Ich starre sie ungläubig an. Die Röte steigt ihr in die Wangen, bis sie zu glühen scheinen. Sie wird rot. Die selbstbewusste, kontrollierte Melody Carmichael wird rot. Heilige Scheiße.

„Wer ist er?“, frage ich. „Mein Gott, Melody, du spuckst es besser schnell aus, sonst denke ich noch, dass du was für DiCaprio übrig hast.“

Sie zuckt mit den Schultern. „Der ist nicht so übel.“

„Nein, nein. Nicht der DiCaprio aus Titanic. Nicht der aus Romeo und Julia. Nicht mal der DiCaprio aus Wolf of Wall Street. Ich rede von dem echten DiCaprio. Dem DiCaprio auf seiner Jacht. Dem DiCaprio mit Vollbart.“

Melody macht ein entsetztes Gesicht und erschaudert. „Auf keinen Fall.“

Ich hebe eine Braue. „Stehst du auf gealterte Körper?“

Lachend wirft sie mit einer zusammengeknüllten Serviette nach mir. „Oh Gott, halt die Klappe.“

„Wer ist er?“, frage ich, schnappe die Serviette und werfe sie zurück. „Erzähl’s mir.“

„Okay, okay!“ Sie hebt die Hände. „Er ist nur … eigentlich ist er niemand.“

„Niemand? Du malst Herzchen um seinen Namen und er ist niemand?“

„Er ist nur ein Typ, den ich kennengelernt habe. Wir haben ein paar Mal Kaffee miteinander getrunken.“

„Kaffee?“ Ich keuche und greife mir mit gespieltem Entsetzen an die Brust. „Aber Kaffee ist doch unser Ding!“

Sie errötet wieder. Ich bin absolut verblüfft. Erst verdreht Naz die Augen und jetzt wird Melody rot. Ich bin gestern in der Twilight Zone aufgewacht und weiß nicht, wie zur Hölle ich wieder herauskommen soll. Ich weiß nicht, ob ich es überhaupt will.

„Es ist nichts Ernstes oder so“, erklärt sie. „Ich weiß nicht mal, ob er das wollen würde.“

„Aber du hoffst es.“

„Aber ich hoffe es“, sagt sie, seufzt, stützt die Ellbogen auf dem Tisch ab und lächelt glückselig. „Er ist einfach … wow. Er ist auf jede Weise perfekt. Absolut perfekt.“

Oh, oh. Das habe ich schon mal gehört. Und zwar über Paul.

„Perfektion ist nicht real“, betone ich.

„Ich bitte dich“, sagt sie und macht eine wegwerfende Handbewegung. „Du hast Perfektion geheiratet, oder etwa nicht?“

Mir entschlüpft ein hartes Lachen. „Wohl kaum. Naz ist … er ist fantastisch. Naz ist das, was ich vom Leben will. Aber perfekt? Nein, das ist er auf keinen Fall.“

Ich bin sicher, dass er mir da zustimmen würde.

„Aber er ist perfekt für dich. Ihr beiden seid, du weißt schon …“ Sie wedelt mit der Hand in meine Richtung, als würde das alles erklären. „Mit den Worten von Meredith Grey, ihr seid düster und verdreht, okay? Er ist so intensiv, und du bist so komplex, und ihr seid einfach seltsam, okay? Ihr beide. Aber ihr seid auf eine gute Weise seltsam. Du weißt schon … ihr seid gemeinsam seltsam. Manchmal erschreckt er mich zu Tode, und manchmal verwirrst du mich total, doch zusammen … ergebt ihr beide einfach Sinn.“

Ich starre sie bei diesem Gebrabbel nur an. „Wir ergeben Sinn.“

„Das tut ihr“, sagt sie. „Und Leo … ich habe keine Ahnung, wie ich das erklären soll. Er gibt mir das Gefühl, als wäre ich der einzige Mensch auf der Welt, als ob in dem Moment nichts außer mir wichtig wäre. Er hört mir zu, hört mir wirklich zu. Das ist verrückt, ich weiß, denn nach der Sache mit Paul hätte ich nie gedacht, je wieder so fühlen zu können. Aber es ist so.“ Sie seufzt. „Es ist so.“

Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll. Natürlich freue ich mich für sie, mache mir aber gleichzeitig Sorgen. Paul war der erste Mann, mit dem sie eine Weile zusammen war, und wir alle wissen, wie das ausgegangen ist. Zumindest ich weiß, wie es ausgegangen ist.

Für die meisten wird er einfach nur vermisst, ist wie vom Erdboden verschwunden. Man hofft immer noch, dass er eines Tages zurückkommt.

Ich weiß es besser. Das war eine dieser ich-könnte-mir-in-den-Hintern-beißen Fragen, die ich Naz gestellt habe.

„Das ist toll“, sagte ich und meine es zum größten Teil auch so. Ich bin froh, dass sie endlich mit ihrem Leben weitermacht. „Wann lerne ich den Glücklichen kennen?“

„Äh, ich weiß nicht“, sagt sie. „Vielleicht könnten wir irgendwann zu viert ausgehen.“

„Zu viert? Wie in Doppel-Verabredung? Ich glaube, Naz und ich sind über solche Dates hinaus.“

Es ist eher so, dass Naz darüber hinaus ist.

„Ja, du hast recht.“ Sie lacht. „Außerdem sollte ich ihn wahrscheinlich erst mal dazu kriegen, mehr zu machen, als nur Kaffee mit mir zu trinken, bevor ich Pläne mache.“

„Wahrscheinlich“, sage ich und sehe zu, wie sie ihre Sachen zusammenpackt. „Ich drücke dir die Daumen.“

„Ich auch, Mädchen … ich auch.“

„Leo“, sage ich nachdenklich. „Er ist nicht zufällig ein dickbäuchiger Mann, der wie ein Dreckskerl aussieht, oder?“

„DiCaprio? Nein, so schlimm ist er nicht.“

„Nein.“ Ich lache. „Dein Leo.“

„Nein, überhaupt nicht.“ Sie steht auf und zieht die Riemen ihres Rucksacks über den Rücken. „Er ist fantastisch und spielt weit über meiner Liga.“

„Niemand spielt über deiner Liga, Melody.“

Sie lächelt, umarmt mich ungeschickt mit einem Arm und drückt mir einen feuchten Kuss auf die Wange. „Und darum bist du meine beste Freundin, Kissimmee … du glaubst das wirklich. Wir sehen uns später, okay?“

Sie ist weg, bevor ich antworten kann, rennt durch die Tür, damit sie nicht zu spät zu ihrem Philosophie-Test kommt. Ich sitze eine Weile da, nippe an meinem Tee und gehe dann mit dem Becher nach draußen. Ich habe heute keine Kurse mehr und überlege, ob ich mir einfach ein Taxi nehmen soll, da sehe ich eins in der Nähe stehen, das ich mir nur schnappen müsste. Aber ich überlege es mir im letzten Moment anders.

Ich ziehe mein Telefon heraus und fordere stattdessen einen Wagen an. Der ist innerhalb von wenigen Minuten da. Der Fahrer kommt mir vage bekannt vor. Ich bin schon mal mit ihm gefahren, kenne seinen Namen aber nicht. Er öffnet die Hintertür des Wagens für mich, ich steige ein und mache es mir für die Fahrt zurück nach Brooklyn bequem.

Als wir ankommen, lasse ich ihn wieder die Tür für mich öffnen, denn diese Kerle werden ärgerlich, wenn ich das selbst mache. Ich weiß nicht, ob das eine Regel ist, oder ob sie Angst haben, was Naz mit ihnen macht, wenn sie es nicht tun. Also lasse ich es widerwillig zu, um Frieden zu bewahren.

Ich sehe zu, wie das Auto davonfährt und will mich gerade dem Haus zuwenden, als mein Blick auf einen anderen Wagen fällt, der in der Nähe parkt. Der nicht gekennzeichnete viertürige schwarze Ford fällt auf wie ein bunter Hund. Die Scheiben sind dunkel getönt, und er hat ein halbes Dutzend Antennen. Detective Jameson lehnt an der Motorhaube, die Arme vor der Brust verschränkt. Als ich in seine Richtung sehe, stößt er sich vom Auto ab und kommt auf mich zu.

Na toll.

„Miss Ree … äh“, sagt er und bleibt vor mir stehen. „Mrs. Vitale.“

„Detective“, sage ich, „was machen Sie hier?“

„Wir hatten gestern nicht die Möglichkeit, wirklich miteinander zu reden. Darum dachte ich mir, dass ich mal vorbeikomme.“

„Um mich zu vernehmen?“

„Wohl kaum“, sagt er geheuchelt gekränkt. „Ich wollte mir einfach die Zeit nehmen, Ihnen zu gratulieren.“

„Zu was?“

Er nickt in Richtung meiner Hand. „Zu Ihrer Eheschließung.“

„Oh.“ Ich spiele geistesabwesend mit dem Ring an meinem Finger. „Ja. Dann vielen Dank.“

„Ich hätte es Ihnen gestern schon gesagt, aber Sie sind verschwunden, bevor ich die Gelegenheit dazu hatte. Ihr Ehemann übrigens auch. Er war weg, noch ehe ich ankam. Er war mit Ihnen da, oder?“

„Sagen Sie es mir. Sie wissen es doch.“

Ich drehe mich um und will gehen, als seine Stimme mich aufhält. „Es ist allerdings seltsam, wie schnell das alles passiert ist.“

Ich hätte einfach weitergehen soll, das weiß ich. Aber ich will wissen, was er damit meint. „Was?“

„Ich finde, dass Sie ziemlich übereilt geheiratet haben“, sagt er. „Das erscheint mir etwas seltsam, wissen Sie. Ich frage mich, ob das irgendetwas mit ehelichen Privilegien zu tun hat, ob er es vielleicht so gedreht hat, dass Sie niemals in einem Gerichtsverfahren gegen ihn aussagen müssen.“

Ich zucke zurück, als er das sagt. Es ist fast, als hätte er mir ins Gesicht geschlagen. Wie kann er es wagen, das herabzusetzen, was wir haben? „Legen Sie ihm etwas zur Last?“

„Sollte ich?“

„Naz hat nichts getan“, sage ich. „Er hat genau wie die anderen nur Mittag gegessen. Er war nur ein weiterer unbeteiligter Dritter.“

Der Detective schüttelt den Kopf. „Wenn das der Fall ist …“

„Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen, dieses Gespräch ist beendet“, sage ich und gehe – dieses Mal, ohne mich wieder umzudrehen. „Auf Wiedersehen, Detective. Sie finden bestimmt allein aus unserer Straße hinaus.“

Ich gebe dem Mann keine Chance, mich wieder in ein Gespräch zu verwickeln. Als ich die Haustür erreiche, werfe ich über die Schulter einen Blick zurück und sehe, dass er mich anstarrt. Offenbar hat ihm das, was ich gesagt habe, nicht gefallen. Ich gehe ins Haus, vergewissere mich, dass ich die Tür hinter mir abgeschlossen habe, lasse meine Sachen im Wohnzimmer fallen und stampfe durchs Haus.

Blödmann.

Als ich in die Küche gehe, stutze ich. Naz lehnt an der Arbeitsplatte neben dem Spülbecken, genau an derselben Stelle wie heute Morgen. Es ist, als hätte er sich den ganzen Tag nicht einen Zentimeter bewegt.

„Was wollte Jameson von dir?“, fragt er sofort.

„Du wusstest, dass er da draußen war?“

„Natürlich.“

Natürlich wusste er es.

Ich nehme eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank, öffne sie und trinke einen Schluck. „Er wollte wissen, ob wir geheiratet haben, damit ich nicht gegen dich aussagen muss.“

Das scheint Naz aufrichtig zu überraschen. „Wirklich? Was hast du dazu gesagt?“

„Ich habe ihm gesagt, dass ich keine Immunität brauche, weil du dir nichts zuschulden kommen lassen hast.“

Naz bricht in Gelächter aus, eine Art von Lachen, das man einfach nicht unterdrücken kann.

„Zumindest dieses Mal“, führe ich näher aus und sehe ihn mit zusammengekniffenen Augen an. Ich bin froh, dass er das lustig findet. „Was du auch glauben magst, du hast gestern nichts falsch gemacht.“

„Wie du meinst.“

Ich verdrehe die Augen. „Jedenfalls kann ich nicht fassen, dass du wusstest, dass er da draußen ist und nichts dagegen unternommen hast. Du hast nicht mal versucht, ihn davon abzuhalten, mit mir zu sprechen.“

„Du bist ein großes Mädchen. Du schaffst so etwas allein.“

Ich verschlucke mich fast an meinem Wasser, als er das sagt. Den zweiten Tag in Folge lässt er mich allein mit der Polizei umgehen. Der alte Naz wäre ein solches Risiko niemals eingegangen. Der alte Naz hätte für diesen Kram eine detaillierte Vorgehensweise gehabt. „In letzter Zeit setzt du großes Vertrauen in mich.“

„Ich vertraue dir“, sagt er.

„Du vertraust mir?“

„Natürlich.“

Das erstaunt mich. Vielleicht sollte es nach allem, was wir durchgemacht haben, nicht so sein. Aber es ist so. Unser gegenseitiges Vertrauen war immer wackelig und irgendwie dachte ich, dass dieses Problem bleiben würde. Ihn ganz offen sagen zu hören, dass er mir vertraut, ist daher überwältigend. Obwohl ich mir eingestehen muss, dass ich glaube, dass ich ihm inzwischen auch vertraue.

„Ich habe dich geheiratet, Karissa. Das hätte ich nicht getan, wenn ich dir nicht mein Leben anvertrauen würde. Mein Vertrauen war in dem Moment besiegelt, als ich den Ring an deinen Finger steckte.“

„Weil ich dir jetzt gehöre.“

„Nein, weil du zu mir gehörst. Ich habe an dem Tag beschlossen, zu dir zu halten, in guten wie in schlechten Zeiten.“

„Und was passiert, wenn ich eines Tages beschließe, dass ich nicht mehr zu dir gehören will? Was dann?“

„Hm.“ Er starrt mich an. „Darüber habe ich noch nicht nachgedacht.“

„Nicht?“

„Nein.“

„Du hast ernsthaft nie darüber nachgedacht, was du machst, wenn ich beschließe, zu gehen?“

„Überhaupt nicht“, sagt er. „Früher … da hätte ich dich einfach zurückgezerrt. Aber wenn du jetzt gehen würdest, würde ich einfach nur hoffen, dass ich dich nicht zu sehr vermisse.“

„Du hoffst, dass du mich nicht vermisst?“

„Ja, aber ich glaube, das würde kein Problem sein“, sagt er, stößt sich von der Arbeitsplatte ab und kommt auf mich zu. „Immerhin bin ich ein ziemlich guter Fang.“

Ich keuche, als ich begreife, was er da sagt. Er hält mich fest, schlingt die Arme um mich und lacht. Er lacht.

„Das ist nicht lustig, Naz“, knurre ich und versuche, mich von ihm zu lösen, aber er lässt mich nicht los. „Das ist kein bisschen lustig.“

„Ach, komm schon“, sagt er und küsst mich auf den Scheitel, bevor er mich loslässt. „Gib’s zu, es war schon etwas lustig.“

Ich sehe ihn böse an und bin nicht ansatzweise amüsiert, was ihn nur noch mehr zum Lachen bringt.

„Willst du mich denn wirklich verlassen, Karissa? Dann würde ich wahrscheinlich nur zusehen, wie du gehst.“ Er zuckt die Schultern, als wäre es so einfach, als würde er mich tatenlos gehen lassen. „Willst du mir etwas sagen? Planst du deine Flucht?“

„Nein, natürlich nicht“, sage ich und schüttle den Kopf. „Ich weiß noch nicht mal, warum ich das gefragt habe. Ich glaube, der Detective hat mich etwas aus der Bahn geworfen.“

„Das ist doch Unsinn. Du hattest unzählige Gelegenheiten, mich zu verraten. Du hättest mich schon vor langer Zeit hinter Gitter bringen können, indem du den Mund aufmachst. Ich musste dich nicht heiraten, um dein Schweigen zu erkaufen. Das hast du mir von Anfang an gegeben. Du hast mich nicht verraten, als du dafür mehr als einen Grund gehabt hast. Also vertraue ich darauf, dass du es jetzt auch nicht tun wirst, Ring oder kein Ring. Ich habe dich geheiratet, weil ich dich liebe, Karissa. Nicht mehr und nicht weniger.“

So oft er diese Worte auch sagt … ich liebe dich … ich bekomme immer noch Schmetterlinge im Bauch, wenn er es tut. Dann steigen die Schmetterlinge sofort auf. Er ist kein emotionaler Mensch, überhaupt nicht, also weiß ich, dass er es so meint, wenn er es sagt.

Ich lege die Arme um seinen Hals, stelle mich auf die Zehenspitzen und küsse ihn. Seine Lippen sind weich und süß. Seine Zunge schmeckt nach Pfefferminz. „Ich liebe dich auch. Das weißt du.“

„Ich weiß.“

Mein Blick schweift an ihm vorbei zum Garten hin. Killer rennt aufgeregt herum, jagt Schmetterlinge, will mit ihnen spielen. Er würde niemals wagen, einen von ihnen zu verletzen. Naz lässt ihn meistens in den Garten, wenn die beiden allein miteinander sind. Meine beiden Jungs mögen sich immer noch nicht besonders.

„Du hast heute also wirklich gar nichts gemacht“, sage ich und wende mich wieder an Naz. Ich mustere ihn und spiele dabei mit dem Haar in seinem Nacken. Er ist schick gekleidet. Er riecht himmlisch, nach Wald und Wasser und typisch er. Er hat sich heute Morgen sogar rasiert. Ein glattrasierter Naz ist ein seltener Anblick. „Ich weiß nicht, warum du dir die Mühe gemacht hast, einen Anzug anzuziehen.“

„Das habe ich dir schon mal gesagt. Ich muss nichts vorhaben, um einen Anzug zu tragen. Ich ziehe einen an, um an die Tür zu gehen, um Essen zu bestellen, um an meinem Schreibtisch zu sitzen … zum Teufel, ich ziehe sogar einen an, wenn ich nur ficken will.“

Ich erschaudere, ein Kribbeln läuft mein Rückgrat hinauf. „Das klingt gut.“

„Welcher Teil?“

„Das Ficken.“

„Hm.“ Er beugt sich herunter, seine Nase berührt meine. Er drückt seine Wange an meine und flüstert mir ins Ohr: „Ist es das, was du willst? Soll ich dich nach oben bringen und um den Verstand ficken, Knastvogel?“

Es geht mir immer noch an die Nieren, wenn er mich so nennt. Knastvogel. Ich spüre, wie ich erröte und mein ganzer Körper vor Vorfreude warm wird. „Hm-hm.“

Ich bekomme die Antwort kaum heraus. Meine Stimme klingt atemlos und gierig. Er lacht leise über meine offensichtliche Reaktion, seine Lippen gleiten über meine Haut, er knabbert an meinem Ohrläppchen. Ich schließe die Augen, spüre, wie er die Hände unter mein Oberteil schiebt, mein Kreuz streichelt, bevor seine rauen Fingerspitzen meinen Rücken hochwandern.

Ich verliere mich keuchend in dem Moment und bin kurz davor, ihn wie einen verdammten Berg zu besteigen, als ein lautes Geräusch in der Küche widerhallt und mich erschreckt. Ich reiße die Augen auf und ziehe mich sofort zurück. Als es weiterplärrt, erkenne ich, dass es ein Lied ist. Hotline Bling. Was zum Teufel?

Naz stöhnt wegen der Unterbrechung, greift in seine Tasche und zieht sein Telefon hervor. Der Lärm, das Lied, dringt daraus hervor. Ernsthaft, was soll das?

Er wirft mir einen Blick zu, als er einen Knopf am Telefon drückt und der Lärm aufhört. Ich denke, dass er den Anrufer weggedrückt hat, weil er einfach nur dasteht. Doch dann hält er das Telefon ans Ohr und sagt: „Hallo.“

Ich kann nicht hören, wer am anderen Ende ist, doch Naz hört aufmerksam und mit wachsamer Miene zu. „Gib mir zwanzig Minuten, dann mache ich mich auf den Weg.“

Er legt auf, schiebt das Telefon zurück in die Tasche und kommt auf mich zu. Doch ich hebe die Hand, um ihn aufzuhalten. „Was zur Hölle war das?“

Er zögert. „Was?“

„Dieses Lied, der Klingelton.“

„Gefällt es dir nicht?“

„Ich, äh …“ Was soll ich dazu sagen? „Ich weiß nicht. Magst du es?“

Er zuckt mit den Schultern. „Es gibt schlimmere.“

Er beugt sich herunter und versucht, mich zu küssen, aber ich drehe den Kopf weg. „Nein, ernsthaft, Naz. Woher zum Teufel kommt das?“

Er gibt auf, zumindest vorläufig, tritt einen Schritt zurück und hebt die Brauen. „Ich habe es heute heruntergeladen. Ich dachte, ich könnte einen neuen Klingelton brauchen.“

„Aber das?“

„Was ist falsch daran?“

„Nichts, aber …“

„Aber was?“

„Das bist nicht du.“

„Nicht ich?“

„Außerdem magst du Musik nicht mal.

„Stimmt.“

„Was soll das dann? Ist das so eine Art Midlife-Crisis?“

„Autsch“, sagt er und lacht. „So alt bin ich noch nicht.“

„Okay, bist du nicht. Aber ernsthaft, was soll das?“

Anders. So verdammt anders.

Er starrt mich eine Weile an, lange genug, dass mir sein Blick unbehaglich wird. Schließlich macht er einen Schritt auf mich zu, legt eine Hand um meinen Nacken, übt Druck aus und zieht mich so in seine Richtung.

„Ich habe nur noch fünfzehn Minuten, bis ich wegmuss“, sagt er mit kaltem Ernst. „Willst du weiter über Drake reden, oder willst du nach oben gehen und ficken?“

Wenn er mich vor diese Wahl stellt …

„Fünfzehn Minuten“, sage ich. „Ist das lange genug?“

Seine kühle Miene bekommt bei meiner Frage Risse, er lächelt lüstern und seine Grübchen erscheinen. „Süße, ich brauche nur fünf.“

„Dann entscheide ich mich für die zweite Option. Aber ich finde, es gibt keinen Grund, dafür nach oben zu gehen.“

Naz‘ Gesicht schwebt über meinem, es ist mir so nah, dass ich praktisch seinen Atem schmecken kann. Seine Lippen streichen sanft über meine, dann flüstert er: „Mir gefällt deine Art zu denken.“

Ich will ihn küssen, doch bevor es dazu kommt, dreht er mich herum, sodass mein Rücken ihm zugewandt ist. Er schlingt einen Arm um meine Taille und hält mich ganz fest. Dann zieht er mich durch den Raum und drückt mich so hart gegen die Arbeitsplatte, dass mir die Luft wegbleibt.

Ich keuche, atme scharf ein, und er knöpft meine Jeans auf, zerrt daran, reißt sie meine Beine hinunter. Ich versuche, zu helfen, die Hose wegzukicken, schaffe es aber nur, ein Bein freizubekommen, bevor er aufgibt. Er schiebt eine Hand vorn in mein Höschen, seine Finger streichen rau über meine Klit, mit der anderen zieht er seinen eigenen Reißverschluss herunter, um sich zu befreien. Er reibt seinen Schwanz ein paar Mal und schiebt dann mein Höschen bis zu meinen Knien herunter.

Er legt eine Hand auf meinen Rücken und drückt mich auf die kalte Arbeitsplatte hinunter. Ich wappne mich, umklammere die Kante, und er dringt von hinten in mich ein. Es ist eng, weil ich kaum die Beine spreizen kann, doch das scheint ihm nicht das Geringste auszumachen. Ich war in der Sekunde bereit, als er mich berührt hat. Mein Körper reagiert immer sofort auf ihn.

Der erste Stoß ist sanft und vorsichtig, aber danach legt er richtig los. Er zieht ihn zurück und rammt ihn so hart rein, dass ich gegen die Arbeitsplatte knalle und fast die verdammte Kaffeemaschine herunterwerfe.

„Mist“, fluche ich, doch das ist das letzte Wort, was ich hervorbringe, denn er hämmert so wild in mich, dass ich Glück habe, noch atmen zu können. Ich drücke den Rücken durch, als er einen Arm um mich schlingt und seine Hand wieder meine Klit findet, während er mit der anderen Hand weiterhin hart gegen meinen Rücken drückt und mich so in Position hält. Er fickt mich, als würde er auf eine Ziellinie zu rennen, das Klatschen meines Körpers gegen die Arbeitsplatte hallt in dem ansonsten stillen Haus wider.

Verdammt. Verdammt. Verdammt.

Ich keuche und stöhne und stöhne, grunze wie eine verfluchte Höhlenfrau, die nicht weiß, wie man spricht.

Ich kann mich kaum auf den Beinen halten, meine Knie zittern, aber er hält mich fest. Ich bin nicht mehr als eine Stoffpuppe. Mein Magen zieht sich zusammen, meine Muskeln spannen sich an, die Spannung erfasst mein ganzes Inneres. Sie baut sich auf, als würde ich eine Achterbahn hochfahren, bevor es steil hinabgeht.

Ein Laut dringt aus meiner Brust, ein knurrender Schrei. Verdammt. Meine Knie knicken unter der Wucht meines Orgasmus fast weg, aber sein starker Griff hält mich auf den Beinen. Er hält in seinen Bewegungen nicht inne, reibt und stößt, gibt mir alles, was er hat, bis mein Orgasmus abzuebben beginnt. Meine Schreie werden zu einem Wimmern, doch er hört nicht auf, grunzt hinter mir, bis sich sein Körper anspannt.

Ich spüre, als er in mir kommt. Aber in der nächsten Sekunde ist er weg. Er ist nicht mehr in mir. Er lässt mich los. Seine Hände berühren meinen Körper nicht mehr. Sofort vermisse ich seine Wärme.

Es geht so schnell, dass ich mich nicht an die Veränderung gewöhnen kann. Meine Beine geben nach, ich gleite von der Arbeitsplatte und knalle mit dem Hintern auf den Boden. Zwischen meinen Beinen klopft es und meine Brust zieht sich zusammen. Ich weiß nicht, wie er das geschafft hat, aber ich fühle mich, als hätte ich zwölf Runden im Ring gestanden und verloren. Ich sehe zu ihm hoch, als er zurücktritt.

„Ich habe noch ein paar Minuten“, sagt er mit ruhiger, gefasster Stimme. „Wenn du noch mal willst.“

Ich mache eine abwehrende Handbewegung. „Ich habe genug.“

Ein Lächeln erhellt seine Miene, als er seine Kleidung in Ordnung bringt, den Reißverschluss hochzieht und die Gürtelschnalle schließt. Für das alles braucht er nur dreißig Sekunden. Ich werde den ganzen Abend brauchen.

Er kommt zu mir und geht in die Hocke, damit wir auf Augenhöhe sind. Er legt die Hände auf meine Knie und seine Daumen ziehen langsame Kreise auf meiner Haut. Schweigend sieht er mich eine Weile an.

Ich versuche immer noch, zu Atem zu kommen. Mein Höschen hängt wie eine Fessel um meine Waden, und meine Jeans ist verschwunden.

„Bist du in Ordnung?“, fragt er und mustert mich, wobei sein Lächeln breiter wird.

Selbstgefälliger Hurensohn.

„Alles in Ordnung“, sage ich und nicke. „Mir geht es gut.“

Allerdings nicht, wenn er nicht aufhört, meine Knie zu streicheln. Meine untere Körperhälfte beginnt zu prickeln. Ist es möglich, dass man kommt, nur weil man von jemandem berührt wird?

Er beugt sich vor, drückt einen kleinen Kuss auf meine Stirn und steht auf.

„Ich weiß nicht, wann ich nach Hause komme“, sagt er. „Du solltest nicht aufbleiben und auf mich warten.“

Ich will ihn fragen, wohin er fährt. Ich will wissen, was er machen wird. Ich will genau wissen, was er vorhat. Aber ich frage ihn nicht, sondern sitze schweigend da, als er geht.

Er hat recht. Ich bin nicht dumm. Ich könnte seine Pläne herausfinden, wenn ich wirklich wollte.

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