Читать книгу Nonni - Erlebnisse eines jungen Isländers von ihm selbst erzählt - Jón Svensson - Страница 6

Eine unheimliche Nacht und ein strahlender Morgen

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Alles war jetzt also abgemacht.

Mein Schicksal war besiegelt. Ich war als Passagier auf dem fremden Schiff angenommen.

Das Haus meiner Mutter war nicht mehr mein Haus.

Mein Haus war jetzt das kleine dänische Fahrzeug, das draußen im Fjord auf den tiefen Wassern schaukelte.

Von nun an wohnte ich nur noch als Gast bei meiner eigenen Mutter!

Diese Gedanken versetzten mich in eine so ernste, wehmütige Stimmung, daß ich es nicht beschreiben kann.

Es wurde mir ganz eigentümlich zumute.

Es kam mir vor, als sollte ich etwas ganz Neues werden, etwas ganz anderes, als ich bisher gewesen.

Beunruhigt durch diese Gedanken, ging ich abends zu Bett.

Ich schlief allein, oben in einem kleinen Dachstübchen, gerade über dem Zimmer meiner Mutter.

Bald fiel ich in Schlaf. Aber jetzt begann meine Phantasie, aufgeregt durch die Ereignisse des Tages, ihr nächtliches Spiel.

Die unheimlichen Geister der Nacht überfielen mich und jagten mich im gespenstischen Reich der Träume.

Ein entsetzliches Alpdrücken quälte mich. Ein Traum löste den anderen ab, aber alle endeten mit Unwetter und Sturm, mit Blitz und Donner, mit blutrotem Himmel und wildem Wellenschlag, mit gähnenden Abgründen, mit Schiffbruch, Tod und Grauen.

Endlich erwachte ich, ganz ermattet und wie in Schweiß gebadet.

Ich setzte mich aufrecht ins Bett und schaute umher.

Durch die schrecklichen Träume war ich noch voller Angst und ganz verwirrt.

Was mochte das alles bedeuten?

Waren es Warnungen? – Drohungen?

Mein Gewissen rührte sich, als wenn es mir Vorwürfe machte oder Strafen androhte.

Ein entsetzlicher Gedanke kam mir: Ob du wohl Gottes Freund bist?

Verdiene ich überhaupt bei meinen Unarten, meinem Leichtsinn, meiner Trägheit, meiner Naschhaftigkeit, meinem Zorn Gottes Liebe?

Doch, so kam mir ein Gedanke: Wäre es nicht auch möglich, daß Gott mich hat warnen wollen, nicht in die weite Welt hinauszugehen?

Nein, ich darf es nicht wagen. Hier bei meiner Mutter bin ich in Sicherheit. Draußen lauert auf mich nur Unglück und Verderben.

Ganz niedergeschlagen und mutlos stand ich auf.

Es war Nacht, aber doch hell, wie die Sommernächte in Island es sind.

Der Kopf brannte mir. Ich tauchte ihn daher tief ins Waschbecken und ließ ihn so lange in dem kühlenden Wasser, wie ich den Atem anhalten konnte.

Nachdem ich mich gewaschen und angezogen hatte, ging ich leise die Treppe hinab.

Im Hause war alles still. Vorsichtig öffnete ich die Tür und ging hinaus.

Überall war tiefes Schweigen. Die ganze Stadt lag noch im Schlaf. Kein Laut war zu hören. Selbst die sonst so unruhigen Seevögel schienen noch alle zu schlummern. Nirgends sah ich eine Spur von ihnen.

Ich wurde ergriffen von der geheimnisvollen Stille, die auf der ganzen Natur lag.

Da hörte ich ein leises Geräusch. Mir schien, es kam von der anderen Seite des Hauses.

Ich ging um die Ecke und fand hier eines unserer zwei Pferde, das auf der saftigen Wiese hinter dem Haus graste.

Sobald es mich wahrnahm, erhob es den Kopf leicht zur Seite und schaute mich eine Weile an mit seinen großen Augen, die leuchteten, als wären sie von Glas.

Langsam kam es auf mich zu, fing zutraulich an zu schnuppern an meiner Brust, an Armen und Händen, sogar am Gesicht.

Ich patschte es leise an beiden Seiten des Kopfes. Das schien ihm zu gefallen. Putzig streckte es die dicken Lippen vor, als wollte es nach mir schnappen.

Eine Weile standen wir beiden Freunde einander gegenüber. Ich war wirklich froh, in meiner Unruhe ein lebendes Wesen bei mir zu haben.

Da kam mir unwillkürlich der Gedanke: Warum nicht jetzt einen Ritt den Berg hinauf wagen? Mein Pferdchen selbst schien ja mich einzuladen.

Gedacht, getan. Ich nahm eine Schnurleine, legte das eine Ende dem Pferde ins Maul und paßte dabei gut auf, daß die Schnur unter die Zunge zu liegen kam. Dann band ich sie mit einem Knoten unter dem Kiefer fest, doch nicht zu straff, damit es nicht schmerzte. So hatte ich Zaum und Zügel in Ordnung; mehr brauchte es nicht.

Um aufzusteigen, führte ich mein Pferdchen zum kleinen Hundehäuschen, wo unser treuer Fidel im besten Schlafe lag.

Eben wollte ich auf das Häuschen treten, da wachte Fidel auf.

Er öffnete das eine Auge und schaute, noch ganz schlaftrunken, mich an. Aber gleich schloß er es wieder, um weiterzuschlafen.

»Fidel!« flüsterte ich ihm zu, »willst du nicht mit?«

Nun schlug er beide Augen auf – rührte sich aber nicht weiter.

»Bist du denn so faul, du kleiner Wicht?« sprach ich und stieß ganz leise mit dem Fuß an sein Haus.

Jetzt hob er langsam den Kopf, sperrte das Maul weit auf, streckte die Zunge heraus und gähnte einen langgezogenen Ton hervor, als wollte er klagen, daß ich ihn so ohne weiteres in seiner Nachtruhe störte.

Ich mußte ihm recht geben und versuchte nicht weiter, ihn aufzutreiben.

Schließlich stand er aber doch auf, streckte sich krampfhaft aus, wedelte mit dem Schwanz und leckte mir die Hand.

Ich streichelte ihn, und damit war es abgemacht, daß wir drei zusammen die seltsame Unternehmung machen wollten.

Ich stieg auf das Pferd, und im Galopp ging es davon, den Berg hinan.

Von den Huftritten wurden schlafende Vögel aufgescheucht. Sie flatterten ängstlich um uns herum, als wüßten sie nicht recht, wohin sie sollten.

Fidel überkamen Jagdgelüste.

In rasendem Lauf setzte er ihnen nach, bald rechts, bald links, bald voran, bald zurück, und suchte vergebens einen Vogel zu schnappen. Er lief sich nur müde.

Kurz danach ritten wir an einer Herde weißer Lämmer vorüber. Sie schreckten auf und flohen in wildem Durcheinander davon. Fidel hinter ihnen her, als ginge es auf Tod und Leben. Diesmal glückte es ihm, eines zu fassen.

Als ich sah, daß er in seiner Hitze das arme Tier in das Hinterbein beißen wollte, rief ich ihn, so laut ich konnte, zurück. Sofort gehorchte er und kam keuchend auf mich zugelaufen. Damit er nicht noch mehr derartige Streiche machte, hielt ich das Pferd an, streckte mein rechtes Bein etwas aus und gab Fidel ein Zeichen, heraufzuspringen und sich zu mir zu setzen.

Gut gezogen, wie er war, folgte er meinem Wink, sprang auf meinen Fuß, von da auf den Rücken des Pferdes und legte sich vorsichtig hinter mir nieder. Ich zog ihn fest an mich, damit er unterwegs nicht herunterfalle.

So setzte ich meinen Ritt fort, doch mit Rücksicht auf Fidels Lage in gemäßigtem Tempo.

Sooft ein Vogel aufflog oder ein aufgescheuchtes Schaf flüchtete, ließ der Hund ein leises Knurren oder angebrochenes Bellen hören, um mir anzukündigen, daß er jeden Augenblick bereit sei, seine Pflicht zu tun. Doch hielt ich ihn zurück.

Doch plötzlich sprang ein gewaltig großes Schaf mit einem Paar langen, kräftigen Hörnern unmittelbar vor uns auf.

Es lief einige Schritte weit nach rechts, stand aber bald wieder still und wandte sich mit einer so furchtlosen Überlegenheit auf uns zu, daß ich unwillkürlich mein Pferd anhielt, um das schöne Tier zu betrachten.

Jetzt war Fidel nicht mehr zu halten. Empört über eine solche Frechheit, sprang er mit einem Satz zur Erde und lief wütend auf das Tier los.

Aber da wurde er empfangen, wie er es nicht erwartet hatte. Das Schaf wich keinen Schritt zurück.

Erzürnt über den bellenden Angreifer, stampfte es mit den Vorderbeinen fest auf den Boden, neigte den Kopf und zeigte dem kleinen Köter seine Hörner.

Fidel stutzte wie gelähmt vor Schreck. Er bellte nicht mehr, stand still und schaute auf das große Schaf, das mit stolzer Verachtung seines Gegners sogar anfing, in aller Gemütlichkeit zu grasen.

Doch Fidel begann den Kampf von neuem.

Er bellte, heulte, fletschte die Zähne, sprang nach rechts, nach links. Aber das alles half nichts. Das kräftige Tier betrachtete mit überlegener Ruhe den hilflosen Kläffer und wich keinen Schritt zurück.

Zuletzt endete der Kampf mit einer vollständigen Niederlage für Fidel.

Nach vergeblichem Bellen, Rasen und Springen kam er, den Schwanz zwischen den Beinen, ganz niedergeschlagen zu mir und sprang auf das Pferd.

Bald stieg ich ab, löste die Schnur, die mir als Zaum und Zügel gedient, streichelte das gutmütige Tier und ließ es frei laufen.

Dann setzte ich mich auf einen mit Kräutern umwachsenen Stein nieder. Fidel legte sich neben mich.

Alle Kampfeslust war ihm vergangen. Er ließ das Schaf in Ruhe, und dieses tat auch, als wäre nichts vorgefallen.

Der gesunde Ritt in der frischen Morgenluft hatte mich gestärkt. Ich war viel ruhiger geworden. In vollen Zügen sog ich die von dem Duft der wilden Blumen und Kräuter gewürzte reine Bergluft ein.

Von meinem Sitz aus hatte ich eine wundervolle Fernsicht.

Vor mir lag der prächtige 60 Kilometer lange Eyjafjördur.

Seine glänzende dunkelblaue Wasserfläche war glatt wie ein Spiegel.

Die Bergkette Badlaheidi jenseits des Eyjafjördur prangte in allen Farben des Regenbogens und schien wie bedeckt mit einem riesigen Blumenteppich, der in großen Falten bis ins blaue Wasser hinabhing.

Darüber lag die zarte Luft des Sommermorgens wie ein durchsichtiger bläulicher Schleier.

Da, auf einmal, welch ein Farbenspiel!

Funkelndes Gold, leuchtendes Purpur, blendendes Weiß, Blau, Grün, Violett, Rosa – alles in ständigem Wechsel –, eine unbeschreibliche Pracht.

Waren dort oben lauter Feuer angezündet, hoch auflodernd und an Glanz und Kraft sich verstärkend?

Der ganze Bergrand fing an zu leuchten, zu brennen, zu glühen, so schön, daß ich wie gebannt dasaß.

Womit sollte ich diese Herrlichkeit vergleichen?

Es war, als wenn Milliarden funkelnder Perlen, Rubine und Edelsteine und alles Gold der Erde um die Wette leuchteten und ihre Strahlen hinaussprühten in den weiten Himmelsraum. Mit jeder Sekunde wuchsen Licht und Farbe.

Zuletzt stand die ganze Bergkette wie in hellen Flammen – Flammen aus Purpur und aus Gold!

»O wie schön, wie herrlich!« rief ich immer wieder aus.

Es war ein Rauschen von Feuer und Licht und Farben und schimmerndem Glanz.

Das Licht nahm immer zu an Stärke, denn jetzt stieg sie herauf dort hinter den Bergen, in ihrer blendenden Pracht, die Königin am Himmel – die Sonne!

Ein eigenartiger Wettstreit war nun zu schauen.

All die herrlichen Farben schienen zu ringen mit dem neuen Licht, das hinter ihnen herzog und sie auseinanderzujagen begann.

Das helleuchtende Weiße wurde immer stärker und stärker und breitete sich nach allen Seiten aus. Es vertrieb und verwischte nach und nach das schöne Rot und Blau und Gelb und Violett – die strahlende Sonne war also aufgegangen.

Drüben am Abhang der Bergkette Badlaheidi stiegen dünne, bläuliche Rauchsäulen, eine nach der anderen, in die Höhe, ein Zeichen, daß die Leute auf den Höfen jetzt aus dem Schlaf erwacht waren. Eine jede dieser Rauchsäulen erzählte mir, daß ein fleißiges Mädchen aufgestanden war und Feuer auf dem Herd angezündet hatte, um für die Bewohner des Hofes Kaffee zu kochen und dann, wie es Sitte auf Island ist, eine Tasse an jedes Bett zu bringen.

Reges Leben zeigte sich allmählich überall in den Bergen.

Hunde, Pferde, Schafe bellten, blökten und wieherten um die Wette. Vögel sangen, flöteten und kreischten. Menschen wurden auf den Höfen rund umher sichtbar, kleinen schwarzen Punkten gleich, die sich hin und her bewegten.

In der Stadt Akureyri selbst, tief unter mir, stieg jetzt Rauch fast von jedem Hause empor, auch vom »Paulshaus«, der Wohnung meiner Mutter.

Sie war also aufgestanden und damit beschäftigt, Kaffee zu kochen – auch für mich.

Gewiß ahnte sie nicht, wo ich war. Sie mußte glauben, ich schliefe ruhig in meinem Bett oben unter dem Dache.

Gleich würde sie hinaufgehen, mich zu wecken – und das Bett leer finden.

Das war nun freilich nichts Ungewöhnliches; denn ich stand häufig vor den anderen auf.

Aber ganz ungewöhnlich war, was ich in dieser Nacht durchgemacht und ausgestanden hatte. Dies wußte die Mutter nicht.

Jetzt kamen die unheimlichen Träume der Nacht mir von neuem in den Sinn.

Doch um meine Gedanken abzulenken, klopfte ich meinem kleinen vierbeinigen Freund, der noch schlafend neben mir lag, auf den Rücken. Er öffnete die Augen, schaute mich treuherzig an und wedelte dann so freudig mit dem Schwanz, daß sein ganzer Körper mitzappelte.

Dann schmiegte er sich an mich und versuchte, aus lauter Anhänglichkeit sogar mein Gesicht zu belecken.

Ich sprang auf und warf noch einen Blick auf das einsame Schiff unten im Hafen, mein künftiges, schwimmendes Heim.

Auf dem Verdeck stieg aus einem eisernen Rohr eine Rauchsäule auf. Der kleine dänische Koch hatte gewiß in der Schiffsküche Feuer angezündet und kochte den Morgenkaffee für die Mannschaft.

Wiederum suchte mich der Gedanke zu beunruhigen: In wenigen Tagen wirst auch du dort sein.

Doch ist es besser, nicht weiter darüber nachzugrübeln, dachte ich.

Ich mußte mit meiner Mutter sprechen. Sie war die einzige, die mir helfen konnte.

Ich rief Fidel, schwang mich auf mein Pferd, und hinunter gings im Trab bis vor unser Haus, das ich nun für immer verlassen sollte.

Nonni - Erlebnisse eines jungen Isländers von ihm selbst erzählt

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