Читать книгу Sonnentage - Nonni's Jugenderlebnisse auf Island - Jón Svensson - Страница 5

1. In Ferien.

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Die Begebenheit, die ich hier erzählen will, gehört zu den erschütterndsten Erlebnissen aus meinen Knabenjahren; sie hat einen so starken Eindruck in meiner Erinnerung zurückgelassen, dass ich sie mein Leben lang nicht vergessen werde.

Es war gegen Schluss des Februar auf einem der grösseren Höfe von Nord-Island.

Ich hielt mich da bloss vorübergehend auf, um Ferien zu machen.

Das Leben auf diesem Bauernhof war überaus angenehm und schön. Ich kann in Wahrheit sagen, dass diese Stätte für mich ein kleines irdisches Paradies war.

Es war ein reicher Hof. So etwas wie ein Edelhof, ein wirklicher Herrensitz.

Er hatte zahlreiche Bewohner: viele Familien, viele Mägde und Knechte, viele frische, fröhliche Kinder; er hatte viele Pferde, viele Kühe, viele Hunde und viele, viele Schafe.

Ja, es war reges Leben und viel fröhliches Treiben auf dem Hofe.

Die Leute warm durchaus nicht bäuerisch ungebildet. Sie waren verständig, höflich und geweckt.

Namentlich hatten sie Sinn für Poesie.

Oft an den langen Winterabenden wurden Sagas vorgelesen und noch lieber lange Skaldenlieder gesungen. Oft auch erzählten die, welche besonderes Geschick dazu hatten, lange spannende Geschichten.

Die isländischen Sagas sind, wie der Leser ja wohl weiss, unvergleichliche Meisterwerke der Erzählungskunst. Sie sind die herrlichsten Geistesschöpfungen des skandinavischen Nordens und gehören zu den schönsten und vollendetsten Erzählungen in der ganzen Weltliteratur.

Diese Sagas, Lieder und Geschichten also machen auf den isländischen Höfen zumeist die Abendunterhaltung aus, und all das gibt dem Volke eine gewisse geistige und auch äussere Bildung, wie man sie in andern Ländern bei Leuten dieses Standes nicht leicht in so hohem Grade findet.

Die Familie, bei der ich mich aufhielt, war gut befreundet mit meinen Eltern, und ich hatte es dort sozusagen wie der Dotter im Ei.

Zudem hatte ich die heiterste und fröhlichste Kindergesellschaft, die ich mir nur denken konnte, und das war etwas, woran mir viel lag und was ich sehr hoch schätzte.

Ich war nämlich damals erst neun Jahre alt.

Wir Kinder tummelten uns die meiste Zeit draussen im Freien.

Doch mussten wir jeden Tag auch zur Schule gehen und lernen.

In diese Schule hatten wir aber nicht weit; sie war im Hause selbst, und unser Lehrer war — die Frau des Hauses!

Sie unterrichtete uns nicht bloss im Lesen und Schreiben, sondern auch in Geographie, Geschichte und im Katechismus.

Die Geschichte des Altertums trug sie uns so lebendig und so schön vor, dass ich sie seither nicht vergessen habe.

Sie erzählte uns von den Taten Alexanders des Grossen, von seinen Kriegen und seinem Zuge nach Indien. Als wir hörten, wie er seinen guten Freund Klitus tötete, da brachen wir in Tränen aus.

Die Geschichten von Horatius Cocles, Mucius Scävola, Pompeius und Cäsar kannten wir bald gründlich.

Von Pompeius nahm es mich besonders wunder, wie er sagen konnte: wenn er auf den Boden stampfe, könne er so viele Legionen herausbekommen, wie er wolle.

Später hörte ich, dass dies dem grossen Manne doch nicht gelang, und gerade da nicht, als er es am meisten nötig hatte.

Ausser bei der Hausmutter gingen wir noch ein wenig in die Schule bei einem ehrwürdigen Greis auf dem Hofe. Bei ihm lernten wir Rechnen und etwas Dänisch, ja sogar ein bisschen Deutsch.

Von den dänischen Büchern, die wir lasen, weiss ich noch zwei: es waren der „Kinderfreund“ und ein anderes altes Buch mit den Fabeln Äsops und einigen erbaulichen Erzählungen.

Die deutsche Sprache kam uns sehr schwer vor. Wir hatten sie aber trotzdem doch ganz gern.

Ein aneiferndes Beispiel gaben uns mehrere Knechte und Mägde des Hofes, die freiwillig an dem Sprachunterricht des alten, guten Lehrers teilnahmen.

Besonders glänzende Fortschritte haben wir allerdings in keiner der beiden Sprachen gemacht.

Einzelne deutsche Wörter und Ausdrücke lernten und merkten wir uns aber doch.

So erinnere ich mich noch, welches Vergnügen wir hatten, als wir erfuhren, eine kleine Säge werde von den Deutschen „Fuchsschwanz“ genannt.

Es muss doch etwas Gemütliches an den Deutschen sein! dachten wir. Einen Menschen aber von diesem grossen fernen Lande hatten wir noch nie gesehen.

Merkwürdig leicht behielten wir Schlingel einen andern, etwas weniger feinen deutschen Ausdruck, und wir wandten ihn auch manches Mal gegenseitig auf uns an.

In unserer Muttersprache hätten wir uns nicht getraut ihn zu gebrauchen.

Es war der ganz kurze, gewiss nicht schöne Reim:

„Halt ’s Maul,

Du bist faul!“

Aber das gefiel uns.

Wollten wir einen von unsern erwachsenen Mitschülern necken, so geschah es mit diesem fremden Sprüchlein.

Und wenn uns darauf andere, weniger „gelehrte“ fragten, was das wäre, wovon wir da redeten, dann sagten wir nur, wir übten uns im Deutschreden.

Ja, ein wenig unartig konnten wir hie und da schon auch sein! —

Aber jetzt ist es an der Zeit, dass ich dem Leser meine kleinen Spiel- und Schulkameraden vorstelle.

Es waren vier nette, lustige Bübchen und ebensoviele muntere, lebhafte kleine Mädchen.

Die Familie hatte nämlich im ganzen acht Kinder.

Die Knaben hiessen Waldi, Bjössi, Stebbi und Óli.

Das waren aber ihre Kosenamen. Wenn sie älter wurden, hiessen sie Waldimar, Björn, Steffán und Ólafur.

Die Kindernamen der Mädchen waren: Jmba, Simba, Gunna und Sigga. Erwachsen hätten sie Ingibjörg, Sigurbjörg, Guðrún und Sigríður geheissen.

Es waren alles sehr artige, liebe Kinder, rotbackig und blühend von Gesundheit.

Oft kamen auch die Kinder der Dienstbotenfamilien, die auf dem Hofe wohnten, zu uns.

Doch wir neun bildeten gewissermassen einen geschlossenen Kreis, den wir mit einem Ausdruck aus den alten isländischen Sagas Fóstbræðralag nannten.

Auf Deutsch würde das so etwas wie „Blutsbruderschaft“ oder „Kampfgenossenschaft“ heissen.

Gewiss, die andern Kinder waren alle auch unsere lieben, guten Freunde und Freundinnen. Aber ganz gleich und ebenbürtig waren sie uns doch nicht, es fehlte ihnen etwas dazu: sie waren, kurz gesagt, nicht in unser Fóstbræðralag aufgenommen. —

Unser Tun und Treiben auf dem abgelegenen Hofe war wie von selbst bestimmt.

Es war ja mitten im Winter.

Mehrere Wochen hatten wir nicht einen einzigen warmen Tag gehabt, nur Schnee und ununterbrochenes Frostwetter.

Wir Kinder freuten uns über dieses Wetter; denn mit Ausnahme der kleinsten Mädchen konnten wir fast den ganzen Tag Schlitten fahren, Ski oder Schlittschuh laufen.

Der Kälte wurde da nicht mehr geachtet, wir waren schon ganz abgehärtet.

Am Abend gingen wir oftmals mit den Melkmädchen in das Fjós (den Kuhstall), schauten dem Vieh beim Fressen zu, streichelten die grossen, gutmütigen Kühe oder zählten sie der Reihe nach ab, und wenn die Mädchen fertig waren, dann gab es frisch gemolkene Milch zu trinken.

Oder wir schlossen uns einem der Schafhirten an und zogen mit zu dem oder jenem der gewaltigen Schafställe, die zehn bis fünfzehn Minuten vom Hofe entfernt lagen und von denen jeder über hundert Schafe fassen konnte.

Dort durften wir dann umherlaufen und Versteck spielen zwischen den frommen, blökenden Schafen — für uns Kinder ein prächtiges Vergnügen!

Aber das war nicht das einzige, was wir in den Schafställen trieben.

Oft sprangen wir auch hinauf in die vierzig Ellen lange Krippe, die mitten durch den ganzen Stall ging, und überblickten von da aus die langen Reihen sanfter Lämmer, die uns — mehr als hundert Paar leuchtende Lämmeraugen! — ebenfalls neugierig betrachteten.

Dann wieder verschwanden wir mit einem Mal in der Heuscheune, die immer mit der Krippe in Verbindung steht.

In der dunklen Scheune vergruben wir uns in dem würzig duftenden Heu oder sprangen darauf herum und warfen mutwillig einander nieder, bis schliesslich der Hirt kam und uns hinausrief.

Denn nun sollten die Schafe gefüttert werden!

Das war auch immer ein köstliches Vergnügen für uns.

Flugs waren wir wieder draussen und liefen durch die Krippe ihrer ganzen Länge nach.

Die hundert Schafe standen bereits, in zwei langen Reihen aufgestellt, zu beiden Seiten der Krippe, streckten Kopf neben Kopf vor und schnupperten an uns und schnappten sogar nach unsern Kleidern: denn jetzt dufteten wir ja nach dem leckern Heu, und deshalb kamen wir den Schafen so appetitlich vor.

Ja wir mussten geradezu aufpassen, dass wir nicht ganz von ihnen verspeist wurden. Einige fassten uns nämlich nicht bloss mit den Lippen, sondern auch mit den Zähnen.

Nach der Fütterung ging es dann in der finstern Nacht unter Anführung des Hirten wieder heim.

Er hielt eine Laterne in der Hand, und wir scharten uns um ihn.

Bisweilen brauchte er aber keine Laterne, denn das Nordlicht leuchtete am Himmel mit einem solchen Glanz, dass es fast geradeso hell wurde wie am lichten Tag.

Auf dem Hofe angelangt, liefen wir immer gleich in die grosse Stube, wo die Leute beisammen sassen und jemand eine Saga vorlas oder ein Skaldenlied sang.

Leider aber wurden wir oft zu Bett kommandiert, bevor der Sagamann oder der singende Skalde fertig war, und das war dann ein schweres Opfer für uns.

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