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2. Júlli und Dúfa.

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Unter den fünf Schafställen, die zum Hof gehörten, war einer mit dem merkwürdigen Namen Spanski Kofinn, die „Spanische Hütte“. Darin war einstmals eine Anzahl Schafe untergebracht, die aus dem fernen Spanien nach Island eingeführt waren.

Gerade der war unser liebster Aufenthalt.

In der Spanischen Hütte war nämlich ein ganz junges, schneeweisses, überaus niedliches Schäfchen, das wir Dúfa (Taube) nannten.

Dúfa kannte uns, und wir kannten Dúfa.

Zeigten wir uns in der Tür der Spanischen Hütte, so bahnte Dúfa sich gleich einen Weg durch all die andern Schafe und gab nicht nach, bis sie bei uns war.

Sie legte dann gern ihr kleines weisses Köpfchen unter unsere Arme und Jacken und folgte uns überall, wohin wir gingen.

Wir brachten ihr aber auch jedesmal, wenn wir in der Heuscheune waren, eine Handvoll von dem duftigen Heu mit.

Oft steckten wir einen Teil des Heues in unsere Taschen, und Dúfa musste dann danach suchen.

Gefunden hat sie es immer, und wir hatten einen riesigen Spass, wenn sie uns aus der Tasche frass.

Unsere Freundschaft mit Dúfa wurde jeden Tag inniger.

Waren wir eine Zeitlang nicht in der Spanischen Hütte gewesen und sahen hernach unsern Liebling wieder, dann hätten wir vor Freude fast weinen mögen, und auch an Dúfa selbst konnten wir merken, wie sehr sie nach uns verlangte.

Eines Tages nun wurden auf dem Hof ein paar Schafe geschlachtet.

Da kam uns Kindern ein schrecklicher Gedanke: Wie — wenn man auch unsere Dúfa einmal schlachten sollte!

Nein, das durfte nie und nimmer geschehen! Der Gedanke war uns unerträglich.

Schnell liefen wir zum Hausherrn und baten ihn inständig, er solle doch niemals unsere liebe kleine Dúfa schlachten lassen. Und wir liessen nicht eher mit Bitten nach, als bis er uns das Versprechen gab.

Wir waren glückselig! Dúfa sollte immer leben dürfen! —

Was uns ausser Dúfa an die Spanische Hütte fesselte, war der Hirte gerade dieses Stalles.

Er war eigentlich nur ein grosser Knabe, kaum 16 Jahre alt, und hiess Júlli (Julius).

Er stammte aus guter Familie, und wir hatten ihn ungemein gern. Er war so gut und zugleich so fröhlich und frisch.

Er war gross und stark, hatte ein feines Gesicht, blondes Haar und klare, blaue Augen.

Alle auf dem Hof hatten ihn gern. Er war immer so freundlich, arbeitsam und opferwillig und half jedem, wo er nur konnte.

Auch ein guter Skalde war er.

Er konnte aus dem Stegreif die schönsten Verse dichten, worüber es auch sein sollte. Sie waren immer treffend, und die Form war so natürlich und klar, dass man sie nur einmal zu hören brauchte, um sie nicht mehr zu vergessen.

Stets hatte er ein grosses Notizbuch bei sich in der Tasche. Darein schrieb er besonders schöne Verse, die ihm gelegentlich einfielen.

Das konnte zu jeder beliebigen Zeit sein. So erinnere ich mich noch, wie er einmal in der Spanischen Hütte plötzlich sein Buch hervorholte, einige Zeilen niederschrieb, sie ein paarmal ganz glückselig lächelnd durchlas, das Buch wieder rasch in die Tasche steckte und die Arbeit fortsetzte, als ob nichts geschehen wäre.

Niemals aber versäumte er wegen dieser dichterischen Einfälle seine Arbeit, obschon er oft gleichsam in Gedanken ging.

Übrigens machten es die meisten Hirten und Arbeiter des Hofes ebenso wie Júlli. Auch sie dichteten und hatten ihre Notizbücher bei sich, um darin ihre Verse aufzuzeichnen, eine Sitte, die auf Island unter hoch und nieder ziemlich weit verbreitet ist.

So wie Júlli aber konnten es die andern nicht. Er galt bei allen als das grösste poetische Talent, und man prophezeite ihm eine grosse Zukunft als Dichter. Er hatte trotz seiner Jugend schon so viele, zum Teil ausgezeichnete Verse und kleine Gedichte geschrieben, dass sie einen ganzen kleinen Band hätten füllen können.

Sassen die Männer an den langen Winterabenden in der grossen Stube beisammen, dann sprachen sie oft von ihren Gedichten und lasen einander bisweilen auch vor, was sie in der letzten Zeit verfasst hatten.

Júlli war immer sehr bescheiden, wenn man ihn bat, seine Verse vorzutragen, und doch wurden gewöhnlich die seinigen am meisten gelobt.

Neidisch wurde aber deswegen keiner auf ihn.

Das war auch ganz natürlich so, denn er hatte etwas ausserordentlich Reines und Hohes an sich, das ihm unwillkürlich die Herzen gewann.

Ja, Júlli war der Liebling aller, aber ganz besonders der unsere. Deshalb gingen wir, wie gesagt, fast immer mit ihm zur Spanischen Hütte.

Der Hausherr war damit wohl zufrieden, denn er wusste, wir befanden uns in guter Gesellschaft, wenn wir bei ihm waren.

Júlli erzählte auch oft schöne Geschichten, und das gefiel uns sehr.

Etwas aber prägte er uns beständig ein, nämlich dass wir uns lieber ein kurzes Leben mit Ehre wünschen sollten als ein langes Leben mit Schande.

Das sagte er so oft zu uns, dass wir es zuletzt alle auswendig konnten, ohne jedoch recht zu verstehen, was er damit meinte.

Immer wenn er so ernst zu uns redete, schauten wir mit einer wahren Ehrfurcht zu ihm auf, und so jung ich damals noch war, begriff ich doch seine reine, edle Gesinnung.

Ich muss da kurz etwas erzählen, was sich den Sommer vorher zugetragen hatte, und ich gedenke dabei noch heute dankbar unseres gutherzigen Júlli.

Wir Kinder hatten einmal mit riesiger Mühe und Ausdauer einen kleinen Bergbach von seinem gewohnten Laufe abgedämmt und das Wasser zu einer Senkung im Erdboden geleitet.

Der Einfall war uns gekommen, als uns die Hausmutter, unsere Lehrerin, erzählte, wie König Cyrus Babylon einnahm.

Das machte er bekanntlich folgendermassen: Er leitete die Gewässer des Euphrat, der mitten durch die Stadt floss, von ihrem Laufe ab, und sein Heer konnte auf dem trockenen Bett des Flusses nachts in die Stadt eindringen.

Etwas ähnliches wollten wir auch tun.

Der Bach füllte die Vertiefung, und wir hatten uns so einen kleinen Teich, ein Schwimmbassin geschaffen.

An einem warmen Tage nun fiel es uns ein, in dem Wasser zu baden.

Wie wir gerade von der Sache sprachen, kam Júlli zu uns.

Da er hörte, worum sich das Gespräch drehte, riet er uns, das Baden sein zu lassen. Wir könnten uns leicht erkälten, sagte er. Auch war das Wasser stellenweis so tief, dass man keinen Grund finden konnte.

Und dann, meinte er, würden die Eltern nicht damit einverstanden sein.

Diesmal folgten wir Knaben seinem Rate nicht, und es wurde wirklich in dem kalten, tiefen Wasser gebadet.

Ganz blau vor Kälte stiegen wir bald wieder heraus.

Während wir uns ankleideten, kam ein kleiner Knabe vom Hofe her zu uns gelaufen.

Er brachte uns die Meldung, dass man uns gesehen habe, und der Hausherr habe gesagt, wir sollten gleich alle heimkommen auf sein Zimmer.

Uns wurde angst und bang; denn was jetzt folgen würde, das konnten wir uns denken: nichts anderes als die für alle Kinder so fürchterliche Rute! — Ja, es war gewiss die Rute, die uns daheim erwartete!

O hätten wir doch nicht gebadet! Hätten wir doch Júllis guten Rat befolgt und wären wir nicht in das kalte Wasser gegangen!

So machten wir uns jetzt Vorwürfe.

Mit Tränen in den Augen zogen wir uns vollends an und wollten dann heimgehen.

Da kam wie ein rettender Engel Júlli wieder zu uns.

Unvergesslich ist mir sein Benehmen bei dieser Gelegenheit geblieben.

Er schalt nicht mit uns, sondern warf uns stillschweigend einen ernsten, aber zugleich so innig teilnehmenden Blick zu, dass es uns sofort klar wurde, er wolle uns vor der gefürchteten Strafe retten.

Darauf sagte er bloss:

„Kinder, ich werde mit euch gehen!“

Nun trottete die ganze kleine Truppe dem Hofe zu, die Kleinsten ihre Augen mit den Knöcheln der Hände reibend, wie weinende Kinder zu tun pflegen.

Langsam gingen wir hinein ins Haus durch die langen, winkligen Gänge.

Dann mussten wir durch die grosse Stube, wo die Leute beisammen sassen.

Wir schämten uns unsäglich. Alle sahen stumm und ernst auf uns hin.

Endlich kamen wir zum Zimmer des Hausherrn.

Júlli klopfte.

„Herein!“ rief es von innen.

Júlli öffnete die Tür und schob uns sachte hinein, während er mit der linken Hand den Türgriff festhielt.

Er ging zuletzt hinein und schloss die Tür.

Der Hausvater, der an seinem Tische sass, drehte sich jetzt zu uns und sah einen Augenblick auf die vielen Sünder, welche dastanden und vor Angst zitterten.

Dann begann er ernsthaft, aber ruhig:

„Wer hat euch die Erlaubnis gegeben, da oben am Bache zu baden?“

„Niemand“, antwortete in weinerlichem Tone die kleine Heldenschar, die eben noch so mutig in dem kalten Wasser geplätschert hatte.

„So — und wer war der erste und hat die andern dazu verleitet?“ lautete die weitere Frage.

„Das — das — war ich —“, schluchzten zwei oder drei von den Älteren unter uns.

Kaum aber hatten sie dies ehrliche Bekenntnis abgelegt, da trat auch schon Júlli einen Schritt vor und sagte:

„Der eigentlich Schuldige bin ich. Ich war nämlich mit den Kindern zusammen und hätte sie am Baden hindern sollen, habe es aber leider nicht getan.“

Das sagte er sehr bestimmt, aber zugleich äusserst bescheiden und mit gesenktem Blick. Drauf schwieg er und blieb ruhig stehen.

Der Hausvater sass nun einige Zeit da und sah sinnend vor sich hin, als ob er nicht recht wüsste, was er tun sollte.

Wir Kinder fingen laut zu weinen an, diesmal weniger aus Furcht vor der Rute, als weil wir uns schämten, dass ein Unschuldiger so edelmütig die ganze Verantwortung auf sich nehmen wollte.

Endlich nahm der kleine Waldi, gewiss der ritterlichste von uns allen, das Wort und stammelte weinend vor sich hin:

„Nein, Vater, Júlli ist nicht schuldig. Er hat uns sogar davon abgeraten, ins Wasser zu gehen.“

„Ja“, fiel Júlli ein und legte sanft die Hand auf Waldis Schulter, „ich sagte aber, ich hätte es verhindern sollen, und deshalb bin ich ebenso schuldig wie ihr.“

Jetzt machte der Hausvater der Verhandlung ein Ende.

„Gut, Kinder!“ sagte er, „diesmal will ich es euch noch ungestraft hingehen lassen, in Zukunft aber gibt’s das nicht mehr! — Und immer vorher fragen, verstanden!“

Die letzten Worte betonte er ganz besonders.

Wir trockneten unsere Tränen, verliessen das Zimmer, sprachen Júlli unsern innigsten Dank für seine Güte aus, und in unglaublich kurzer Zeit kehrten Freude und Sonnenschein wieder in unsere jungen Kinderherzen zurück.

*

Eines Abends waren wir wieder draussen in der Spanischen Hütte.

Wir spielten eben Versteck zwischen den Schafen und waren über die Massen lustig und vergnügt.

Da mitten in unserem grössten Eifer ruft Júlli durch den Stall:

„Horcht, Kinder! seid einmal still!“

Wir schauten auf und spitzten die Ohren.

Auch die Schafe hörten auf zu blöken, standen still und blickten neugierig um sich.

Was mochte das sein? ...

Ein gewaltiger Wind heulte um den Stall und rüttelte und zerrte an den Wänden, dass sie ächzten und wankten.

„Es ist Hláka (Tauwetter)“, sagte Júlli; „morgen werden alle Schafe ausgetrieben.“

„Ha! morgen werden die Schafe ausgetrieben!“ wiederholten wir alle zusammen und liefen zu Júlli hin und hüpften vor Freude um ihn herum.

„Da dürfen wir aber auch mit, Júlli, nicht wahr?“

„Gewiss, ihr dürft auch mit; aber ihr müsst eure Lederstrümpfe anziehen, denn sonst bekommt ihr nasse Füsse, und das will die Mutter nicht haben. Bis morgen gibt es viel Schneewasser.“

„In den meinigen sind aber Löcher!“ sagte der kleine Stebbi betrübt.

„O, das macht nichts, Stebbi“, tröstete ihn Júlli; „Gunna flickt dir deine Strümpfe heute abend noch, und dann kannst du auch mit.“

„Ja, ja, Stebbi“, erklärte die gute Gunna sich bereit, „ich flicke dir die Strümpfe gleich, wenn wir heimkommen.“

Stebbi ward ganz glückselig, man sah es ihm an. Er nahm Gunna bei der Hand und konnte es nun gar nicht mehr erwarten, bis wir heimgingen. —

Draussen raste noch immer der Wind, und es war schon ganz Nacht geworden.

Júlli holte die Laterne, wir machten uns auf den Weg.

Bei dem heftigen Wind ging aber bald das Licht aus. Júlli musste den Jüngsten von uns auf die Schultern nehmen und ihn auf dem ganzen Heimweg tragen.

Mit Mühe erreichten wir den Hof.

Dann aber wurden schnell die Lederstrümpfe nachgesehen, geflickt und bei unsern Betten zurecht gelegt.

Nach einem kurzen Nachtgebet gingen wir schlafen.

Als wir des Morgens erwachten, hatte der warme Südwind Schnee und Eis von den Bergen, Hügeln und Klüften fortgeleckt; die Schafherden konnten hinausgetrieben werden.

Auf Island geschieht das allenthalben. Sobald der Schnee durch plötzliches Tauwetter schwindet, zieht von jedem Hof der Hirt mit seiner Herde auf die Weide, ob sie auch mager ist in solcher Jahreszeit. Der Bauer wartet sehnsüchtig darauf, denn bei 500—600 Schafen schmilzt der Heuvorrat während der langen Dauer des Frostes gar schnell zusammen.

Für die Kinder aber ist es eine helle Freude, wenn es mit den Schafen das erste Mal wieder hinaufgeht auf die Berge.

Rascher als sonst tranken wir an jenem Morgen unsern Kaffee, den man in Island sozusagen als Vorfrühstück ans Bett bekommt, und dann standen wir eiligst auf.

Zum Ankleiden war alles hergerichtet, was wir brauchten.

Über die Wollstrümpfe zogen wir ein Paar andere von Schaffell. Die reichten ganz hinauf bis zu den Knien und wurden um die Waden geschnürt.

Statt der schweren Schaftstiefel, in denen man nicht so gut springen kann, nahmen wir die leichten Schaflederschuhe und banden sie fest zu, damit das Wasser nicht durchdringe.

So waren wir gegen die Nässe geschützt und konnten laufen und springen, als hätten wir nichts an den Füssen gehabt.

Nachdem wir dann gefrühstückt, gingen wir hinaus und begleiteten die Hirten, welche bald die Schafe aus den warmen Ställen hinauszutreiben begannen.

All die verschiedenen Herden wurden zu einer einzigen grossen vereinigt und den Berg hinangetrieben, eine kleine halbe Stunde vom Hofe entfernt.

Dort waren die Halden ganz frei von Schnee, und das kurze, grüne Gras sah recht saftig aus und appetitlich für die Tiere.

Wir gingen natürlich mit unsern Lieblingsschafen von der Spanischen Hütte. Die kleine Dúfa lief gleich zu uns her und wollte nur in unserer Gesellschaft sein.

Als die einzelnen Schafherden zusammenkamen, begann ein allgemeines Blöken, so stark, dass wir einander kaum noch sprechen hörten.

Vielen von den Tieren schien es zu gefallen, dass sie zu denen von den andern Ställen kommen und mit ihnen bekannt werden durften.

Einige jedoch zeigten sich sehr streitsüchtig und griffen ihre fremden Kameraden an.

So wurden unterwegs mehrere Zweikämpfe ausgefochten.

Die Kämpfenden stellten sich einander gegenüber ungefähr wie zwei Hähne.

Dann gingen sie ein paar Schritte zurück, senkten die Hörner1 und rannten wütend aufeinander los.

Kopf stiess gegen Kopf mit solcher Wucht, dass man hätte glauben mögen. Köpfe und Hörner müssten zerbrechen.

So machten sie es drei-, viermal.

Einer dieser Kämpfe endete damit, dass der Besiegte wie tot niederfiel. Es war jedoch nur eine vorübergehende Ohnmacht. Er erhob sich bald wieder und lief munter hintendrein. Als wir nachher auf dem Weideplatz anlangten, mischte er sich friedlich unter die andern.

Die Schafe wurden jetzt sich selbst überlassen.

Von Dúfa nahmen wir besondern Abschied. Wir streichelten sie zärtlich und sprachen in kindlicher Art zu ihr, sie solle sich von den schlechten Kameraden fernhalten, denn die würden ja nur raufen und sie quälen.

Dann gingen wir mit den Hirten und den vielen Schäferhunden heimwärts.

Dúfa schaute uns wie verlassen noch lange nach. — Sie hatte uns wohl lieber als die eigenen Kameraden.

Die andern Schafe grasten bereits alle in voller Gier.

Die Herde sollte nun bis zum Nachmittag draussen bleiben auf der Weide und dann wieder in die Ställe heimgeholt werden.

Allein es kam anders.

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