Читать книгу Sonnentage - Nonni's Jugenderlebnisse auf Island - Jón Svensson - Страница 9

5. Zwei vermisst.

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Als der Mann mit dem Sack fort war, hielten wir abwechselnd wieder unsere Ausschau.

Diesmal war es Bjössi, der zuerst eine neue Botschaft brachte.

So hastig, dass wir ihn kaum verstehen konnten, rief er zur Türe herein, vom Berge kämen mehrere Männer herab.

Schnell wie der Wind sprangen wir hinaus, und sogar ein paar Mägde folgten uns nach.

An der Schneewand mit den eingegrabenen Stufen kletterten wir jetzt schon wie nichts hinauf.

Wir erblickten auch gleich die Männer; es waren ihrer fünf. Sie hatten aber keine Schneeschuhe und gingen auffallend langsam.

Voraus sprangen zwei Hunde.

Gott sei Dank! sagten wir, jetzt sind sie doch gefunden worden, die Unglücklichen, und sie sind noch alle am Leben.

Unsere Freude kannte keine Grenzen.

Ha! nun kommt Júlli wieder, und noch heute abend gehen wir mit ihm zur Spanischen Hütte und besuchen unsere liebe kleine Dúfa!

Wir Kinder dachten überhaupt nur an Júlli und Dúfa und konnten gar nicht erwarten, bis sie wieder da waren.

Wir liefen hinein zur Hausfrau und baten um die Erlaubnis, den Heimkehrenden entgegen gehen zu dürfen.

Die Bitte wurde gewährt.

In aller Eile zogen wir unsere wärmsten Kleider an und die Schneekappen tief über den Kopf, denn es war noch immer grimmig kalt draussen. Dann nahm jedes noch seinen Schneestab.

Ein paar Mägde begleiteten uns.

So rückten wir aus, ganz aufgeregt vor Freude, dass wir nun wieder zu Júlli und Dúfa kämen.

Von unsern Gesichtern sah man jetzt nur noch die Augen und die Nase, alles andere war wohl und warm geborgen in der wollenen Schneekappe.

Die Nasenspitze, das wussten wir aus Erfahrung, brauchte bloss ab und zu ein wenig mit den weichen Handschuhen gerieben zu werden, dann war auch sie vor dem Erfrieren gesichert.

Das war ein reizendes Bild, wie wir Kinder, eingemummt, so flink und behend über die glitzernde Schneedecke dahin marschierten. Bei jedem Schritt knarrte und kreischte der Schnee.

Aus unsern Augen guckte die helle Freude heraus. Und gesprungen sind wir, dass uns die Mägde schier nicht mehr nachkamen. —

Bald stiessen wir auf die fünf Männer.

Aber kaum dass wir sie näher sahen, blieben wir wie gelähmt vor Schrecken stehen und starrten sie an: drei der eingeschneiten Hirten waren da — Júlli fehlte!

Ich war nahe daran, in Ohnmacht zu fallen, so schnürte sich mir das Herz in der Brust zusammen, da mir klar wurde, dass Júlli noch nicht gefunden war.

Die drei Hirten sahen recht ernsthaft und trübselig vor sich nieder und sprachen fast kein Wort.

Als wir sie fragten, wo denn Júlli sei, sagten sie nur, sie seien nicht bei ihm gewesen, als der Schneesturm begann. — Doch würden sie uns Näheres daheim erzählen.

Mir schien, die drei armen Männer waren gekränkt, weil wir nur immer nach Júlli fragten und keine besondere Freude darüber zeigten, dass wenigstens sie gerettet waren.

So jung ich auch war, fühlte ich das doch unwillkürlich heraus.

Ich suchte daher unsere drei Freunde zu trösten, indem ich zu jedem einzelnen von ihnen hinging und nach Kinderart zärtlich ihre Hände drückte und streichelte.

Sie verstanden, was ich damit sagen wollte, und sahen nun mit freundlich lächelndem Blick auf mich Kleinen herab.

Unterwegs betrachteten wir sie genauer.

Jetzt erst merkten wir, wie abgemattet und todmüd sie waren. Sie sahen aus wie drei wandelnde Leichen. Ihr Gesicht war bleich und gelb. Gehen konnten sie nur ganz langsam.

Ihren Hunden dagegen, die doch auch mit ihnen begraben waren, hatte es nichts gemacht. Die liefen umher, spielten miteinander und sprangen, vor Freude bellend, an uns hinauf.

Der lange Aufenthalt in dem kalten Grab schien ihr Wohlbefinden und ihre Munterkeit nicht im geringsten gestört zu haben.

Nach und nach wurden auch die drei Männer etwas lebhaft und aufgeräumt. Doch ihre Munterkeit war nicht echt, ihr Lachen klang gezwungen.

Zuletzt versuchten sie sogar Witze zu machen.

„Das war mal eine herrliche Nacht!“ sagte der eine. „Wenn es nur nicht danach ausgesehen hätte, als wollte sie niemals ein Ende nehmen! Dann hätte es uns noch besser gefallen.“

„Und schön lange konnten wir liegen bleiben, nicht wahr“, fügte der zweite hinzu. „Da haben wir wieder einmal famos ausgeschlafen! Und das Licht hat uns auch nicht gestört. Es war alles kohlschwarz, sogar der Schnee war schwarz.“

„Ich hätte aber doch gern ein Licht gehabt“, fiel der dritte ein; „ich hätte dann da unten die schönsten Gedichte geschrieben. Ja, ihr könnt euch darauf verlassen, wir waren in der besten dichterischen Stimmung.“

Dann lachten sie alle drei miteinander.

Aber es war, wie gesagt, kein rechtes, fröhliches Lachen. Das merkte ich auch. Mir wurde sogar ganz unheimlich dabei zu Mute, denn es kam mir vor, wie wenn es drei Leichen wären, die da lachten.

Dann fing nochmal einer an:

„Einen kleinen Ofen hätten wir auch brauchen können. Die Hunde, die uns hätten warm geben sollen, haben ihre Sache schlecht gemacht. — Hu! mich friert es jetzt noch.“

Und wieder lachten sie alle zusammen....

Inzwischen hatten wir den Hof erreicht.

Als wir an den Schneegang bei der Haustüre kamen, meinte einer von den Hirten:

„Was ist denn das? Sollen wir vielleicht schon wieder in den Schnee hinab?“

Und kaum hatte er dies gesagt, da stürzte er, mit dem Kopf nach unten, hinab in das dunkle Loch.

Wir schrien vor Schreck alle laut auf und glaubten schon, er hätte sich ordentlich zuschanden geschlagen.

Doch er erhob sich gleich wieder und sagte, als ob nichts geschehen wäre:

„So, ich bin unten. Diesmal wäre es aber fast zu schnell gegangen. Ja, ja, man merkt es: so stark wie gestern, da wir von hier fortgingen, bin ich nicht mehr.“

„Aber du hast doch so gut ausgeruht droben im Schneebett!“ rief lachend ein Mann zu ihm hinunter, der mit den dreien heimgekommen war, und wir alle lachten mit ihm.

Dann stiegen wir grösseren Knaben hinab und halfen den andern herunter, denn wir kannten die Treppe in der Schneewand ganz genau.

Drinnen wurde gleich aufs beste für die hart mitgenommenen Männer gesorgt.

Wir halfen ihnen die eiskalten, gefrorenen Kleider und Ledersocken abziehen, und die Hausmutter wärmte Unterkleider und wollene Decken für sie.

Eine Viertelstunde später lagen bereits alle drei in ihren Betten, eingehüllt in die warmen Decken, dass kaum noch der Kopf herausschaute.

Das war jetzt ein anderes Lager als jenes droben unter dem Schnee!

Nach einer kleinen Weile bekamen sie gutes Essen ans Bett und auch etwas Warmes zu trinken: heisse Milch, Thymiantee und ein wenig Rum. Dann schliefen sie bald ein.

Die guten Hunde wurden ebenfalls nicht vergessen. Sie bekamen extra feines Futter und durften an diesem Tag in der Wohnstube bleiben. Hinten beim Ofen wurden ihnen weiche, warme Säcke hingelegt, worauf sie schlafen konnten.

Das war aber eine Ausnahme; sonst hatten sie in der Stube keinen Zutritt.

Nachdem so alles für die Verunglückten getan war, kamen die beiden Männer an die Reihe, die sie nach Hause begleitet hatten.

Sie assen am Tisch in der Wohnstube. Nebenher erzählten sie uns, wie es mit der Rettung zugegangen war.

Die drei Hirten, sagten sie, waren gar nicht von der Bergungsmannschaft gefunden worden, sondern sie hatten sich mit ihrer letzten Kraft selbst herausgegraben und waren dann aus ihrem kalten Grabe gekrochen.

Während die Hunde nach ihnen umherschnüffelten und die Leute beständig nach ihnen bohrten, kamen sie auf einmal in aller Ruhe über den Schnee her auf die Rettungsmannschaft zu!

Jetzt erfuhren wir auch, warum Júlli nicht unter den Geretteten war.

Die Hirten waren tags zuvor so geschwind den Berg hinauf geeilt, dass sie wirklich alle vier die grosse Herde noch erreichten, bevor der Sturm losbrach.

Da entdeckten sie nun, dass einige Schafe abseits von den andern ein gutes Stück weiter oben waren.

Diese mussten sofort geholt und zum Haufen getrieben warden.

Aufopfernd wie immer, wollte Júlli die Arbeit allein übernehmen.

Er lief von seinen drei Gefährten fort. Da es immer dunkler und dunkler wurde, verloren sie ihn bald aus den Augen, und dann überfiel sie auch schon der schreckliche Orkan....

Nun kannte man wenigstens so ungefähr die Gegend, wo Júlli begraben liegen musste. Am selben Tage aber fand man noch keine Spur von ihm.

Ach, war das eine Betrübnis auf dem ganzen Hofe und ein Herzeleid, besonders für uns, seine jüngeren Freunde!

Der arme Júlli! Was musste er wohl leiden unter dem kalten, tiefen Schnee! O, wir konnten es uns denken, da wir seine geretteten Kameraden gesehen hatten!

Wir weinten viele heisse Tränen um ihn, nichts konnte uns mehr trösten. Auch grosse Leute sah man weinen.

Gegen Abend wollten wir Kinder noch hinaus in die Spanische Hütte.

Ich weiss selbst nicht, wie das kam: wir waren so traurig und zu gar nichts aufgelegt, aber zur Spanischen Hütte, wo wir so oft und gern bei Júlli geweilt, zog es uns hin.

War jetzt auch ein neuer Hirt an seiner Stelle — wir konnten es freilich kaum glauben —, so hatten wir doch noch einen guten Freund dort, unsere liebe kleine Dúfa.

Die Herde war nämlich fast ganz ausgegraben und dann gleich heimgetrieben worden in die Ställe. Nur wenige Schafe fehlten noch.

Die Tiere schienen keinen Schaden gelitten zu haben. So munter und kampflustig, wie sie tags zuvor den Berg hinaufgezogen waren, kamen sie wieder herunter.

Wir gingen also zum Stall der Spanischen Hütte, um Dúfa einen Besuch zu machen.

Unter der Tür riefen wir ihren Namen.

Die Schafe schauten uns an, aber Dúfa kam nicht wie sonst auf uns zu.

Sollte sie am Ende nicht unter den Geretteten sein?

Ängstlich durchsuchten wir den ganzen Stall.

Dúfa war nicht da!

Wir suchten ein zweites, drittes Mal, jedes einzelne Schaf genau betrachtend. Doch vergeblich — unsere liebe, gute Dúfa fehlte! ...

Wir fingen an zu weinen und begaben uns auf den Heimweg. Unser Schmerz war jetzt doppelt gross. Gerade die zwei, die wir am liebsten hatten, waren nicht gefunden worden.

Der gute, teure Júlli und die arme, kleine Dúfa mussten noch einmal übernachten draussen unter dem eiskalten Schnee! —

Als wir zum Hofe zurückkamen, gingen eben zwei Männer mit Laternen fort. Sie wollten die Nacht hindurch nach Júlli suchen und bohren.

Wir Kinder aber beteten wie am Abend vorher inständig zu Gott, er möge doch Júlli und Dúfa nicht sterben lassen. —

Früh am nächsten Morgen wurden die beiden Männer von andern abgelöst und die mühsame Arbeit den ganzen Tag fortgesetzt.

So machten sie es vier volle Tage und vier lange Nächte. Durch die dicke Schneedecke wurden unzählige Löcher gebohrt, aber von Júlli fand sich keine Spur!

Schliesslich stellte man die Nachforschungen ein, denn jetzt konnte man mit Sicherheit annehmen, dass Júlli tot war.

Die fehlenden Schafe waren, mit Ausnahme von vieren, schon am zweiten Tage gefunden worden.

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