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ОглавлениеDIE VIERSCHRÖTIGE WINDNUMMER
„Hey, Jimmy!
Schön, dich hier in Raven City anzutreffen – alles im Lack im schwarzen Frack?“
„Könnte man meinen – bis auf…“
„Bis auf was?“
„Bis auf eine Federpanne auf dem Rückflug von Windy City nach Raven City – und ausgerechnet auf der Tallahatchie Bridge.“
„Oh, eine echt ungünstige Stelle!
Wie wurde denn deine Federpanne behoben?“
„Ich sag’s ja nur ungern, doch zuerst haben mir die Brüder vom YMCA ihre Hilfe angeboten.“
„Hä?“
„Jerry! Hey!
Im Ernst, nach was sieht denn eine rosa Gummi-Schleife als Federreparatur in meinem glänzenden schwarzen Gefieder aus?“
„Arrrgh! Absolut arschig!“
„Also habe ich weiter auf den AFCA, den Allgemeinen Feder Club Amerikas, gewartet.“
„Und?“
„Na ja! Die flogen dann mit Gelblicht und Getöse eine halbe Stunde später ein und haben mir eine neue Schwung-Feder eingesetzt.“
„Ende gut – alles gut.“
„Denkste!
Das war ’ne Feder mit Rechtsdrall, vermutlich der letzte Schrott vom Heimatschutz.
Jedenfalls benötigte ich eine volle Stunde zum Trimmen vor dem Weiterflug.“
„Die Rechnung würde ich an deiner Stelle keinesfalls bezahlen.“
„Logo!
Obwohl ich die goldene Mitgliedskarte vom Otis mit mir führte – doch der hatte leider seinen letzten Abflug schon hinter sich.“
„Was denn, du kanntest diesen Soul-Vogel persönlich?“
„YEAH!
Wir gammelten im Sommer zusammen auf den Docks herum, bis er seinen schlauen Satz schnarrte: Wir hocken hier, hier am Pier. Und diesen dann von Verdi vertonen ließ.“
„Hey, Jimmy!
Wir verrabulieren uns. Was wolltest du denn überhaupt in Windy City – und erzähl mir jetzt keine Märchen, dass ausgerechnet in Chicago am Südufer des Michigansees die besten Winde weltweit wehen.“
„Zuvor muss ich dir was stecken:
Meine liebe Mutter ließ mich schon öfters losschwirren trotz meines jugendlichen Alters, und dabei schnarrte ich locker vor mich hin: Arrrgh, ich bin schon wieder unterwegs.“
„Verstehe, du bist und bleibst ein Energiebündel. So, und jetzt mach schon, was war Sache in Chicago?“
„Für meinen neuen Song “Hello, Jo“ benötige ich noch ein stylisches Foto für‘s Plattencover.“
„Und?“
„Per Zufall entdeckte ich Helmuts Polaroids von großen nackten weißen Weibern.“
„Und?“
„Da stellte ich mir schnell geschossene Anthraxglänzende Feder-Pin-Ups vom Feinsten vor. Helmut weilte in Los Angeles, und wir einigten uns kurzerhand auf ein Fotoshooting auf halber Strecke in Chicago. Helmut war echt gut drauf. Er riet mir, zum Übernachten die alten Schlafbäume des Grant Parks in Chicago zu nutzen.“
„Weiter!“
„Jerry, keep cool, bevor du dein glänzendes geschätztes Gefieder wie eine Kanonenkugel aufplusterst.“
„Schon gut!
Dennoch habe ich irgendwie das Gefühl, dir alles aus dem Schnabel ziehen zu müssen.“
„Helmut hatte hippiebunte Federn am Kopf und schnarrte San Francisco Lyrics. Er machte eine Hand-Skizze von einem Swirling Bird und hielt sie vor ein reißerisches Touristen-Plakat der Buckingham Fountain von Chicago.“
„Ich hoffe, jetzt kommt nicht das, was ich schlimmstenfalls vermute.“
„Doch, doch, da fliegen deine Gedanken schon in die richtige Richtung. Helmut schnarrte locker flockig, eine morgendliche Dusche nach Übernachtung im Park habe noch niemandem im grandiosen Wasserspiel der Fontäne geschadet.“
„Dann vollführtest du fulminante Loopings durch die Wasserkaskaden, vermute ich.“
„Hör auf zu lästern!
Die Sache war echt anstrengend und ich bin immer noch ganz durch den Wind.“
„Und durchs Wasser!“
„Nun denn, dann hängen wir doch gleich gemeinsam auf dem Schlafbaum im Kornfeld ab. Darüber hinaus, würde ich am heutigen Abend keinesfalls zu weiteren Aktivitäten raten.“
„Eine Nacht im Kornfeld klingt geil, Jerry, da bin ich dabei, während ich vom Feinsten fetze: Ihr lieben Sorgen, L-m-a-B bis morgen. Doch Jerry, warum sollten wir denn unbedingt am heutigen Abend von außerhäusigen Aktivitäten absehen?“
„Weil gleich ein giftig gelber Mond aufgeht.”
„Einverstanden!
Besonders dann, wenn Rabe John diese Songzeile krächzt.“
„Mit dem John warst du doch schon im Bayou, wenn ich mich recht erinnere.“
„Ja, auch!
Da haben wir zum ersten Mal an einem großen Alligatoren-Fressen teilgenommen. Die Südstaaten-Vögel waren besonders gesellig und gastfreundlich. Nur die Kommunikation war mühsam.“
„Wieso?“
„Weil die tierisch knödeln. Jedenfalls sind John und ich gut gestärkt nach New Orleans weitergeflogen – voll rein in die Wiege des Jazz.“
„Volle Action dort, was?“
„An Schlaf war gar nicht zu denken, und plötzlich hörten wir die heisere Stimme von Janis: Ich will ’nen Rabenmann!“
„Whow!
Die Janis müsste doch in deinem Alter sein.“
„Na, wenn schon, eine derart zerzauste Hippie-Vogelscheuche ist mir noch nie begegnet.“
„Kein Wunder, denn sie tingelt trallafitti durch die Spelunken von Louisiana.“
„Meinetwegen!
Vermutlich haben John und ich definitiv zu lange Hälse gemacht, denn sie hat uns subito entdeckt und flugs zum Abflug animiert – was meinst du wohl wohin?“
„Zur nächsten heißen hippen Location.“
„Von wegen!
Sie dreht ab in Richtung Friedhof, Cities of the Dead.“
„Ach, du abartiger Federkiel im gelben Geschlötz!“
„Holterdiepolter!
Wir verlassen die Stadt, um an einem erhöht liegenden gruftigen Ort einer Mausoleum-Stadt niederzugehen.“
„Wenigstens herrscht dort Totenstille.“
„Sollte man meinen, doch kaum sitzen wir auf der Friedhofsmauer, feiern unten am Boden Ratten und Mäuse fröhliche Urstände mit Getrappel, Geraschel und schaurigem Gepiepse.“
„Kann ich mir gut vorstellen.“
„Doch dann geht’s richtig rund. Die Janis landet zwischen John und mir und macht uns unverhohlen beide an. Aus vollem Halse zerreißt ihr Gekrächze die Totenstille: Ich will ‘nen Rabenmann – hüpf mal rüber!”
„Was denn, abwechselnd – erst du und dann John?“
„Hey, Jerry!
Vorher legt sie erst richtig los, ihre Stimme wechselt von rau und guttural in höhere Tonlagen, wobei sie kreischt, schreit und juchzt – völlig zügellos.“
„Whow!
Da wäre ich gerne mit von der Partie gewesen.“
„Mir wird die Sache zu schräg und ich lasse locker ’rüberwachsen, dass ich vom anderen Ufer bin.“
„So kann man sich einfach aus der Affäre ziehen.“
„Tja, sie linst schräg zu mir herüber, senkt den Kopf und schnarrt: Take it easy, take a bus.”
„Was soll denn der Blödsinn?“
„John glänzt mit Insiderwissen und meint, solche Sprüche gelten als abgefahrener englischer Humor. Die Janis war mal bei einer Pop-Gruppe in London zu Besuch – aber nur für kurze Zeit. Als nämlich Lola aufpoppte, hat sie die Biege gemacht.“
„Lola?“
„Ja doch, Lola!
Und Janis hatte den Schnabel gestrichen voll, denn Lola war Mann und Frau zugleich.“
„Hast du noch weitere schräge Geschichten auf Lager?“
„Mag schon sein!“
„Doch wie ging’s denn bei euch auf der Friedhofsmauer weiter?“
„Gib’s zu, du geiler Vogel, du willst mehr über Janis hören, wie?“
„Arrrgh! Ja doch!“
„Das Gekreische von Janis hat den Blues Barden Bang angelockt. Der kommt gerade von einer Session, hat den Schnabel voll mit Gras und stopft damit die Janis. Muss wohl allerbeste Qualität sein, denn beide sind kurzerhand voll durch den Wind. Bang hält sich auf einmal für eine Schlange und krächzt: Ich bin eine geile lange Schlange. Und Janis zirpt: Auch gut, komm rüber! Und so weiter und so fort. Die waren so stoned, dass sie auf der Friedhofsmauer voll auf ihren Schnäbeln lagen.“
„Und… das war’s?”
„Mehr oder weniger. Mit dicken Augen wurden wir am nächsten Morgen aus dem Schlaf gerissen.“
„Getöse auf dem Friedhof?“
„Ein traditionelles Jazz-Funeral spulte sich ab.“
„Diese alt hergebrachte Friedhofsnummer?“
„Genau!
Begleitet von einer Marching Band, die traurige auf aktuelle Umstände abgestimmte Musik auf dem Weg zur Beisetzung spielt, um sodann einen fröhlichen Hot Jazz auf dem Rückweg an den Tag zu legen. Dabei machten John und ich einen glatten Abgang in Richtung Heimat.“
„Ohne euch vorher zu stärken?“
„Natürlich nicht! Also…
Wir wollten noch einmal an den Alligatoren-Fleischtopf zurückkehren und wir hatten Glück, denn auf einer Nebenstraße hatte es einen kleinen Alligator erwischt. Der war vollends plattgewalzt von einem Satz derber Zwillingsreifen und wurde gerade von einem fetten Vogel angefressen. Der hüpfte voll und ganz gesättigt zur Seite und intonierte dabei fast tonlos sein Verdauungsständchen: Ich lasse einen in alle vier Windrichtungen fliegen.”
„Hört sich glatt nach neuen Reisezielen an!“
„So dachte der wohl auch. Er fragte, ob er sich uns anschließen könnte.“
„Gegen ein Trio auf Reisen ist nichts einzuwenden, und wie ist dein Name?“
„Fetz.“
„OK, du fetter Fetz, dann krächze doch mal zur Einstimmung die Lyrics deiner vierschrötigen Windnummer.“
„YEAH!
Dann hört mal gut zu!”
„Super, Domino Grandmaster Flash!”
„Okey-dokey, supi-dupi. Alles easy, gern geschehen!”
„Arrrgh!”
„Arrrgh!“
„Auf geht’s!“