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Unsere Familie während des Krieges

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Vater wurde eingezogen

Wie schon beschrieben, wurde mein Vater Mitte 1941 eingezogen. Kurz danach: meine Geburt in Plauen. Die Stuttgarter Wohnung wurde vorübergehend aufgegeben, weil meine Geburt nicht in dieser noch fremden Stadt erfolgen sollte, denn meine Mutter wäre ziemlich allein gewesen – der Vater zum Kriegsdienst eingezogen, Freunde und Verwandte in Plauen.


Bild 15

Vaters Einsatzort als Landesschütze war Königsbronn, ein kleiner Ort bei Heidenheim. Er hatte seine angesehene und gut bezahlte Tätigkeit als Gebrauchsgraphiker gegen den widerwärtigen Kriegsdienst eintauschen müssen und das zu einer Zeit, in der er gerade Vater geworden ist, wo er bei seiner Familie gebraucht worden wäre. Aber da half alles nichts, Millionen Deutsche wurden in das Kriegsgeschehen ungewollt einbezogen.



Bild 16: Teil des Ortes Königsbronn, von unserem Vater als Ansichtskarte gezeichnet und seiner Familie geschickt


Seine Verbindung zur Familie bestand hauptsächlich aus mehr oder weniger intensivem Briefverkehr. Und was mein Vater besonders viel und gut machte: Er erstellte auch Tuschezeichnungen, teilweise noch koloriert, mit Motiven aus der Region oder von seiner Familie, und schickte sie als Ansichtskarten seiner geliebten Edith, denn in Gedanken war er stets bei ihr und seinem kleinen Sohn!

Heimaturlaub war zwar selten, aber er reichte, um mir Mitte 1943 ein Schwesterchen, die Evi, zu bescheren, auch in Plauen geboren. Wie schön wäre es gewesen, wenn es den unsinnigen, unheilvollen Krieg nicht gegeben hätte!















Bild 17: Eine Tuschezeichnung, die unser Vater von seiner Familie anfertigte und ebenfalls als Ansichtskarte auf den Weg brachte


Der für unseren in Königsbronn dienenden Vater relativ ungefährliche Kriegseinsatz änderte sich Anfang des Jahres 1945 schlagartig. Seine Einheit wurde aufgelöst, und er wurde nach Küstrin geschickt. Diese Stadt an der Oder, 90 km von Berlin entfernt, zählte zu den Eckpfeilern der deutschen Verteidigung gegen die anrückende Rote Armee. Ende Januar 1945 wurde Küstrin von der Heeresleitung zur Festungsstadt erklärt. Die anfangs über 12.000 Verteidiger wurden jedoch schon zwei Wochen später von den sowjetischen Truppen eingekesselt. Alle festen Verbindungen zur Stadt waren unterbrochen, nur ein schmaler Zugang ohne Straße und Bahn existierte noch. Über diesen wurde die Zivilbevölkerung weitgehend evakuiert. Durch Artilleriebeschuss fiel die Versorgung mit Strom, Gas und Wasser aus. Es gab weder Zeitung, noch Radio, auch Funkverbindungen zur Heeresleitung kamen kaum noch zustande. Die Verluste waren extrem hoch, trotzdem gab es vorerst noch genügend Lebensmittelvorräte. Außer den Soldaten gab es eine ganze Reihe weiterer Menschen, die eingeschlossen waren: einige Hundert Volkssturmmänner, Polizei, Feuerwehr, Leute der Notverwaltung, Beschäftigte in lebensnotwendigen Betrieben wie z.B. dem Heeresverpflegungsamt, der Heeresbäckerei, der Schlächterei, dem Nährmittellager und andere. Die unglücklichen Menschen, die vor Granaten, Bomben, Bordwaffenbeschuss und Geschossen aus den „Stalinorgeln“ (Raketenwerfer) in Kellern Schutz suchten, mussten mit der Kälte und dem zu dieser Jahreszeit üblichen ansteigenden Grundwasser, das vielfach 20 cm hoch die Kellerböden bedeckte, zurechtkommen! Wenn das Artilleriefeuer schwieg, kamen die russischen Kriegsflugzeuge und warfen erbarmungslos Bomben auf die Stadt. Und mit Bordwaffen wurde auf alles geschossen, was sich auf den Straßen noch bewegte. Die Verteidiger wurden nicht Herr der Lage. Schließlich waren es auch 50 000 Soldaten der Roten Armee, die mit aller Gewalt Küstrin einnehmen wollten.

Die deutsche Heeresführung brachte es nicht fertig, Nachschub an Soldaten, Waffen und Munition in die Stadt zu bringen oder einen Entlastungsschlag auszuführen. Die Situation wurde für die Eingeschlossenen immer furchtbarer. Ihre Gegenwehr brachte zwar den Angreifern ebenfalls sehr große Verluste, aber die Übermacht war zu groß. Flugzeuge mit dem roten Stern am Rumpf bedienten sich jetzt auch erbeuteter deutscher Bomben großen Kalibers (10 Zentner). Nachdem diese abgeworfen waren, hagelte es Phosphorkanister, die die zerstörten Gebäude in Brand setzten. Da die Häuser der Küstriner Altstadt mit viel Holz gebaut worden waren, dienten sie zusätzlich als Futter für das brennende Inferno. Ein von den Russen gestelltes Ultimatum zur Aufgabe des irrsinnigen Widerstandes wurde von Berlin mit „Nein, Kampf bis zur letzten Patrone“ beantwortet.

Die Angreifer waren mittlerweile wesentlich besser bewaffnet als die Deutschen. Schnellfeuergewehre und Maschinengewehre gehörten zur Standardausrüstung. Die Verteidiger mussten mit alten Gewehren auskommen, die, bevor ein Schuss abgegeben werden konnte, erneut durchgeladen werden mussten.

In dieser aussichtslosen Zeit, es war Mitte März 1945, hatte unser Vater einen letzten Brief an seine Familie schicken können. In ihm berichtete er, dass es ihm gut gehe, selbst die Verpflegung sei nicht schlecht, aber er mache sich Sorgen um uns – haben wir genügend zu essen, bleiben wir von den fürchterlichen Bombenangriffen der Amerikaner und Engländer verschont?

Ende März hatten die Belagerten keine Kraft mehr zum Widerstand. Es fehlte an Essen, Waffen und Munition. Die 1200 Übriggebliebenen entschlossen sich zu einem Ausbruch. Ohne Zusage aus Berlin wagten sie ihn in der regennassen Nacht vom 29. zum 30. März 1945. Etwa die Hälfte der ehemaligen Eingeschlossenen überlebte den Ausbruch aus der Hölle an der Oder.

Unser Vater gehörte nicht zu ihnen. Wir haben nie wieder von ihm gehört.


Alle Versuche, die ich vor wenigen Jahren beim Roten Kreuz, beim Volksbund für Deutsche Kriegsgräberfürsorge und bei der Deutschen Dienststelle für die Benachrichtigung der nächsten Angehörigen von Gefallenen der ehemaligen deutschen Wehrmacht unternahm, um Auskünfte über den Verbleib unseres Vaters zu erlangen, brachten kein Ergebnis.


Ein halbes Jahr vor dem traurigen Ende unseres Vaters in Küstrin hatte für mich die Zeit begonnen, an die ich mich auch jetzt noch erinnern kann, zumindest an für mich beeindruckende Ereignisse. Und eines dieser Ereignisse ergab sich zu dem letzten Heimaturlaub, den unser Vater bei seiner Familie verbringen durfte. Das war im Herbst 1944. Er war gerade beim Rasieren, beim Nassrasieren, und ich sah ihm dabei interessiert zu. Da kam er doch auf die Idee, mir seinen schaumgetränkten Rasierpinsel auf die Nase zu drücken, und dabei lachte er auch noch. Ich war entsetzt! Dass er darüber noch mehr lachte, das konnte ich einfach nicht verstehen, ich fühlte mich stark gekränkt, fing bitterlich an zu weinen und suchte sofort Beistand bei meiner Mutter. Ich zeigte ihr empört, was Vati mit mir angestellt hatte. Dabei war ich mir sicher, dass ich von ihr tröstende Worte erhalten würde, und für Vati sollte es „Ausgeschimpftes“ geben. Da kam schon die zweite derbe Enttäuschung: Statt mir überzuhelfen, begann sie lauthals zu lachen, zu komisch muss ich ausgesehen haben. Sie schickte mich ins Nachbarzimmer zu meinen Großeltern. In deren Wohnung spielte sich übrigens diese „Tragödie“ ab. Ich gehorchte und ging zu ihnen, stets darauf achtend, dass ich das Weiß auf der Nase keinesfalls wegwischte, denn die Eltern meines Vaters sollten die unverfälschte Wahrheit über diese ungeheure Verfehlung erkennen können.

Und so sahen mich also auch meine Großeltern: laut weinend und mit schaumverschmierter Nase, auf die ich immer wieder völlig empört zeigte. Aber welche Enttäuschung: Auch sie begannen, herzhaft zu lachen. Oma wischte mir wenigstens den Rasierschaum vom Gesicht und meinte, dass es doch nur ein Spaß gewesen sei, der überhaupt nicht schlimm ist. Ich sah es anders. Es war schwer für mich, das zu verdauen. Das ist zwar nicht die schönste Erinnerung an unseren Vater, aber die einzige, die ich an ihn habe. Zu diesem Zeitpunkt war ich ziemlich genau 3 Jahre alt.

Die Rasierpinsel-Story spielte sich in der Wohnung der Eltern meines Vaters ab, in der Pestalozzistraße in Plauen. Als unser Vater diesen Heimaturlaub beendete, glaubte niemand, dass es ein Abschied für immer sein sollte.

Meine Schwester und ich lebten in Plauen, aber dennoch getrennt. Evi wohnte zusammen mit unserer Mutter in der Wohnung ihrer Mutter, in der Bergstraße.

Mich umsorgten die Eltern unseres Vaters.


Bild 18: Trotz widriger Zustände im Krieg entstand dieses herrliche Bild von meiner Schwester und mir. Aufgenommen hat es unsere Mutter im August 1944. Sie war sehr stolz auf diese gelungene Aufnahme und ließ sie nach dem Krieg sogar als Ansichtskarte drucken.


Bislang war die Stadt von Bombardements verschont geblieben, denn die Bombenflugzeuge der Alliierten flogen keine Angriffe ohne Begleitschutz von Jagdflugzeugen. Diese mussten stets da sein, um gegebenenfalls Angriffe deutscher Jäger abzuwehren. Plauen konnte von den Bombern erreicht werden, aber ihr Begleitschutz reichte nicht bis hierher, ihr Aktionsradius war zu gering. Jedoch nach der am 6. Juni 1944 erfolgten Landung der Alliierten in der Normandie wurden die von ihnen eingenommenen Flugplätze für ihre Jäger genutzt. Sie starteten in Frankreich und schlossen sich den in England gestarteten Bombenflugzeugen zu deren Schutz an. Somit konnten die Bombenangriffe auf alle Städte Deutschlands ausgeweitet werden.

Außerdem geriet Plauen ins Visier der Zerstörungsplaner, weil es ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt war und vor allem: Hier wurden allein 1944 in der Vomag (Vogtländische Maschinenfabrik AG) u. a. mehr als 1.300 Jagdpanzer produziert. Hätte es nicht den furchtbaren Krieg gegeben, hätte das riesige vogtländische Unternehmen auch nicht auf die unheilvolle Rüstungsproduktion umstellen müssen. Die bis zu 6000 Beschäftigten hätten weiterhin die anerkannte Produktion von Lastkraftwagen und Omnibussen aufrecht erhalten können. Außerdem war die Vomag in einer Zeit gewaltigen technischen Fortschritts die größte Stickmaschinenfabrik Europas und Hersteller der leistungsfähigsten Rotationsdruckmaschinen auf unserem Kontinent.


Bomben auf unsere Heimatstadt Plauen


Die ersten Bomben fielen am 12. September 1944. Noch war die Anzahl der Angreifer mit 30 amerikanischen Flugzeugen vom Typ Boeing B-17 gering, aber das sollte sich bald ändern. Diesem Angriff und allen kommenden konnte unsere Familie entgehen, weil unsere Mutter uns kurz vorher vorsichtshalber mit nach Greiz zu ihrer Schwester nahm, denn die Ausweitung der Angriffe auf Plauen kündigte sich schon seit geraumer Zeit an. Bevor es zum Abwurf der ersten Bomben kam, gab es bereits häufig Fliegeralarm.

An einen solchen Alarm erinnere ich mich noch. Es war zu später Stunde, als mich meine Großeltern aus dem Bett holten. Schnell war ich angezogen, hatte meine Spielzeuglokomotive unter den Arm geklemmt und schloss mich mit meinen Großeltern den eilig nach unten gehenden Hausleuten an. Der Keller sollte Schutz bieten.

Insgesamt waren es 14 Luftangriffe, durch die Plauen letztlich zu 75 Prozent zerstört wurde. Rund 2.500 Bewohner der einst bis zu 128.000 Einwohner zählenden Stadt überlebten die Angriffe nicht.

Am 19. März 1945 wurde auch das Haus unserer Großeltern (Pestalozzistraße 51) getroffen. Alle anwesenden Hausbewohner befanden sich im Keller, als das Haus durch einen Volltreffer über ihnen zusammenbrach und den Kellerausgang verschüttete. Mein Opa war es, der mit einem Brecheisen die Wand zum Keller des Nachbarhauses durchbrach und so allen Eingeschlossenen das Entkommen aus dem völlig zerstörten Haus ermöglichte. Mein Großvater hatte nicht die ganze Dicke der tragenden Wand durchbrechen müssen, es reichte, einen bereits vorher vorgenommenen Durchbruch, der danach nur leicht wieder verschlossen worden war, aufzubrechen. Das war kein Zufall, sondern es bestand eine allgemeine Sicherheitsfestlegung, solche „Entkommensmöglichkeiten“ zu schaffen.


Die Bomber der USAAF flogen ihre Einsätze tagsüber, die Maschinen der Royal Air Force brachten ihre todbringende Last nachts ins Ziel. Eine deutsche Luftabwehr hatte es seit dem Herbst 1944 so gut wie nicht mehr gegeben. Der verheerendste Luftschlag erfolgte am 10. April 1945. Über 300 Lancaster-Fernbomber und einige Mosquitoes, stark motorisierte in Holzbauweise erstellte Schnellbomber mit erstaunlich guten Leistungsdaten, waren daran beteiligt und warfen mehr als 1000 t Bomben der verschiedensten Art ab. Es wurden nicht nur Gleisanlagen getroffen, auch Flächenbombardements mit einer noch nicht dagewesenen, ausgeklügelten Zerstörungstechnologie wurden vorgenommen.

Großen Anteil an der Zerstörung hatten die ca. 250 Luftminen mit je bis zu 1,5 t hochbrisantem Sprengstoff. Die enorme Druckwelle, die eine solche Mine auslöste, deckte im Umkreis von 80 Metern zumindest die Dächer der betroffenen Häuser ab. Danach kamen die Brandbomben zum Einsatz, um das Zerstörungswerk zu vollenden. Das entfachte Feuer brannte tagelang. Der feuerrot erhellte Himmel über Plauen war weithin sichtbar. Auch ich sah ihn vom 20 km entfernten Greiz aus.



Bild 19: Rot erleuchteter Himmel über Plauen, wie er nach dem Bombardement am 10. April 1945 von Greiz aus zu sehen war. Standpunkt, von dem aus ich das sah: Am Brand 26 (kein Druckfehler, die Straße hieß so und heißt auch heute noch so). Das Bild ist kein Originalfoto, ich habe es nach meinen Erinnerungen auf dem PC nachgestellt.


Die Wohnungen der Großmutter mütterlicherseits (Bergstraße 4) und die unserer Eltern in Stuttgart (Augustenstraße 65) waren zu diesem Zeitpunkt ebenfalls längst durch Bombentreffer zerstört.


Das musste mal raus!

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