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3. Kapitel: Wie sollte mein Selbstbild aussehen?

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„Sobald du dir vertraust, sobald weißt du zu leben.“

(Johann Wolfgang von Goethe 1749-1832)

Haben Sie eine hinreichend genaue Vorstellung, wer Sie sind? Klar, eine Frau oder ein Mann, groß oder klein, dick oder dünn, ledig, verheiratet oder geschieden, reich oder arm, studiert oder nicht, gesund oder krank – was auch immer? Natürlich könnten Sie alle diese normalen Formularfragen und noch viel mehr zufrieden stellend beantworten. Doch das ist hier nicht gemeint! Es geht, wie der Name schon sagt, um das Bild, das Sie von sich selbst haben. Um sinnvolle Selbsteinschätzung mit Augenmaß. Das Problem ist seit der Antike bekannt. So stand nicht ohne Grund am Apollotempel, in dem das Orakel von Delphi saß, der berühmte Satz: „Erkenne dich selbst!“ Er hat auch heute, genauso wie im 5. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung, seine Gültigkeit.

Wenn Sie, nehmen wir mal an, recht genau wissen, wer Sie sind, dann geht es Ihnen schon besser als vielen ihrer Zeitgenossen, die sich oft die Frage stellen: „Wer bin ich eigentlich?“ Wenn Sie ehrlich zu sich selbst sind, werden Sie zugeben müssen, dass es Phasen in Ihrem Leben gibt, vielleicht auch nur Momente, wo Sie Schwierigkeiten haben, sich zu entscheiden. Warum ist das so? Weil Sie unsicher sind bei der Prüfung, ob diese Entscheidung mit Ihrem Selbstbild übereinstimmt und möglicherweise Ihr Selbstwertgefühl verletzt. Dieser Prozess der Bewertung läuft sowohl emotional wie rational ab. Es kommt darauf an, was Sie entscheiden müssen. Die Partnerwahl ist etwas anderes als ein Computerkauf. Für Ihr zukünftiges Leben ist es außerordentlich wichtig, mehr über Ihr eigenes Bild und das Bild, das andere von Ihnen haben, zu wissen. Deshalb sollten Sie unbedingt in die Materie einsteigen!

Das Geheimnis eines angemessenen Selbstbildes

Zunächst einmal erscheint es bedeutsam, sich von der verbreiteten Vorstellung zu lösen, ein Selbstbild wäre etwas Statisches. Wer einmal von sich in dieser oder anderer Weise überzeugt wäre, sei für immer und ewig festgelegt. Diese irrige Ansicht hat schon so manche Biografie weit unter ihrem Potenzial gehalten, was natürlich für das Umfeld bequem und angenehm sein mag. Hier geht es aber um Sie und Sie sollten sich unmissverständlich klar machen: Die Ar-beit an Ihrem Selbstbild ist ein lebenslanger Prozess! Nichts, aber auch gar nichts wird Sie mehr in Ihren Vorstellungen und Ihrem Verhalten leiten als das Bild, das Sie von sich selbst haben. Es ist also überhaupt nicht egal, was Sie über sich denken. Und es ist auf jeden Fall sehr viel wichtiger, als das, was andere über Sie denken.

Verschwenden Sie nicht zu viele Gedanken, was andere denken könnten. Die Wahrheit ist, sie können alles denken und es kann auf den Punkt richtig oder meilenweit daneben sein. Sie wissen es oft nicht und können es auch nicht immer ändern. Was Ihr Selbstbild jedoch angeht, das hat auf jeden Fall die Kraft, einen großen Teil der Meinung anderer Menschen über Sie zu beeinflussen. Und nicht nur das, es kann auch ihr Sinndefizit spürbar reduzieren. Also gehen Sie bitte intelligent und behutsam mit dem Konzept um, das Sie für Ihr eigenes Leben entwerfen. Erwarten Sie nicht, es würde über Ihre Kindheit hinaus jemand anders besser können als Sie selbst! Geben Sie also niemand anders die Schuld, wenn Sie unzufrieden sind, weil es Sie nur ablenken würde, aktiv zu werden. Es gehört zu den großen Tragödien des Lebens, nicht von Anfang an gelehrt zu bekommen, dass wir selbst verantwortlich denken und handeln sollten. Wir müssen es sogar, wenn wir unser Bewusstsein so weit stärken wollen, dass wir Freiheit als positiv erleben.

Sie können nicht alles in Ihrem Leben vollkommen autonom gestalten, weil Sie bei vielen Entscheidungen auf die Mitwirkung von Partnern angewiesen sind. Das gilt gerade für Weichen stellende Dinge im Privat- und Berufsleben. Sehr viele Menschen, teils hoch gebildet, sehen es als Preisgabe ihrer Unabhängigkeit an, teamfähig zu werden und handeln damit oft konträr zu ihrem Selbstbild. Nicht selten geschieht dies unbewusst. Es ist sehr viel schwieriger als allgemein angenommen wird, sich eine verlässliche Grundorientierung zu schaffen, die nachhaltig wirkt. Kinder aus Familien, deren Vorfahren hier schon Fundamente geschaffen haben, tun sich da manchmal leichter, weil sie vertraute Vorbilder haben. Wer bei seiner Orientierung auf sich gestellt ist, sollte aufpassen, welchen Weg er wählt. Ängste und unrealistische Wünsche sind nicht die besten Ratgeber, zu viel Vorsicht auch nicht.

Um eine eigenständige Identität zu entwickeln, brauchen Sie die Nähe und zugleich die Distanz zu anderen Menschen. Hier das richtige Augenmaß zu haben, ist eine der schwierigsten Aufgaben, die Ihnen das Leben stellt. Die soziale Anpassung ist ja nicht als unkritische Übernahme von Normen zu verstehen, sondern als das rechtzeitige Erkennen sich wandelnder gesellschaftlicher Anforderungen und sich ändernder persönlicher Motive und Ziele. Gerade heute tun sich bekanntlich viele Institutionen und deren Mitglieder sehr schwer damit, die Zeichen der Zeit zu erkennen. Auch in den digitalen Netzwerken werden andere Kriterien an Freunde und deren Verhalten angelegt, auf die der Begriff oberflächlich zu sein, schon wegen der durchschnittlich sehr großen Anzahl zutreffend ist.

Das Geheimnis eines angemessenen Selbstbildes besteht in der angenäherten Kongruenz zu unserem Idealbild. Wenn das, was wir sein wollen, zu stark von dem abweicht, was wir sind, bekommen wir Probleme. Ein altes afrikanisches Sprichwort sagt: „Wenn ein Zebra sich für einen Löwen hält, ist es bald auch kein Zebra mehr!“ Wenn eine zu große Lücke zwischen Selbst- und Idealbild klafft, treten Abwehrmechanismen auf den Plan, die eine wirklichkeits-treue Sicht auf unser Ich, die ohnehin schon eine Illusion ist, bis zur Unkenntlichkeit verzerren. Dann kann es ganz unmöglich werden, eine Freundschaft zu uns selbst aufzubauen und naturgemäß auch nicht zu anderen. Anstatt nur immer mit ihrem äußeren Bild unzufrieden zu sein, sollten die Menschen sich auch mit ihrem inneren Bild beschäftigen, das wesentlich komplizierter zu erfassen ist, aber die Erscheinung unglaublich stark mit prägt.

Die Hürden unserer Zeit

Der heutige Werte- und Zielpluralismus (von lateinisch plures: mehrere) verführt sehr leicht zur chaotischen Beliebigkeit im Leben. Sich als Jugendlicher zu lange in zu vielen Subkulturen zu verzetteln, erscheint ebenso problematisch wie als Erwachsener alle möglichen Berufe auszuprobieren. Dadurch kann die innere und äußere Wirklichkeit konturlos werden und gleichzeitig die Gestaltbarkeit verloren gehen. Wer unterschiedslos alle Impulse und Angebote aufgreift, die unsere Welt in reichem Maße bietet, wird im Prinzip handlungsunfähig. Die eigene Arbeit am Selbstbild einzustellen und stattdessen fremde Lebensentwürfe aus den Medien zu übernehmen, bedeutet zwangsläufig, sich den Weg für eine langfristige Perspektive zu verbauen. Dem Anpassungsdruck zu widerstehen und Perfektionismus dort zu vermeiden, wo er nicht erreichbar und auch gar nicht notwendig ist, kann ohne fundiertes Wissen kaum bewältigt werden.

Sich immer neuen Antwortmoden zu unterwerfen, die von selbsternannten Experten, vorrangig profitorientierten Industrien und heilsverkündenden Religionsbewegungen auf den Markt geworfen werden, ist sicherlich nicht empfehlenswert. Kein Mensch hat die Kraft, sich ständig total zu häuten und seine Höchstleistungen lebenslang zu übertreffen. In den letzten Jahren ist noch verstärkt hinzugekommen, dass die Menschen sich lieber an Scheinwelten orientieren als an der Wirklichkeit. An der Dokumentation, die auf Fakten basiert, sind offenbar immer weniger interessiert. Man erkennt es auch daran, dass beispielsweise das Medium Fernsehen solche Berichte oft genug wegen der Quote in die Nachtstunden verbannt.

Die Leute suchen inzwischen überall Unterhaltung. Sie erwarten von jedem, das er sie möglichst gut unterhält, damit sie ihren Spaß haben und ein angenehmes Gefühl. In Verbindung mit legalen und illegalen Drogen aller Art ziehen sie sich am liebsten alltagsferne Bilder rein, die dramatisch überhöht sind. Doch eines der Probleme ist, dass sie ihren Vorbildern aus der Traumwelt nacheifern, ohne sie jemals annähernd erreichen zu können. Stars sind nun einmal Lichtjahre von Normalbürgern entfernt und es ist ein Irrtum anzunehmen, es würde soziokulturell nützlich sein, über deren Leben bescheid zu wissen. Weder haben Fans das künstlich aufgepeppte Aussehen, noch das Geld für den gezeigten Luxus der einschlägigen Locations und auch nicht die Schlagfertigkeit der von professionellen Scriptwritern vorformulierten Dialoge. In der gelebten Realität des Alltags ist nichts so wie im Film und wie erträumt. Der Effekt ist verheerend, wenn das Infogap zu groß wird: Es greift die Seele an, das metaphysische Prinzip des Lebens, das unsere Individualität bestimmt!

Und noch ein Gedanke, der debattiert werden sollte: Die Wachstumsideologie! Nicht nur Po-litiker, auch viele Normalbürger halten offenbar mehrheitlich daran fest, mehr Wachstum würde mehr Arbeitsplätze bedeuten. Das ist deshalb abwegig, weil es heute gar keine klare Korrelation zwischen der Schaffung neuer Arbeitsplätze und Wachstumsraten mehr gibt. Die Produktivität lässt sich ohne mehr menschliche Arbeit erhöhen und die Produktion lässt sich ohne Qualitätseinbußen verlagern! Genau dies passiert ständig und seit Jahren. Solche Zusammenhänge zu begreifen und daraus Schlüsse zu ziehen, sollten die Wähler von Spitzenpolitikern erwarten können.

Wirtschaftliches Wachstum ist doch kein Selbstzweck, sondern nur dann sinnvoll, wenn es die Zufriedenheit der Menschen steigert. Eine Politik, die auf grenzenloses Wachstum setzt und mit untauglichen Instrumenten wie Konjunkturprogrammen, Subventionen und Niedriglöhnen neue Arbeitsplätze schaffen will, ist unglaubhaft. Arbeitslosigkeit lässt sich heute nur durch ein starkes „Orts-Community-Konzept“ wirksam und nachhaltig eindämmen, bei dem die Bürgermeister und Unternehmer mitmachen. Lokalisierung ist die intelligente Antwort auf Globalisierung. Die Problemlösung ist äußerst dringlich, denn Arbeitslosigkeit oder das Angewiesensein auf zusätzliche staatliche Unterstützung machen ungefähr so unglücklich wie der Tod eines Lebenspartners.

Das Selbstbild in der Praxis

Ich denke mal, Ihnen genug Gründe für die Arbeit an Ihrem persönlichen Selbstbild gegeben zu haben. Und so wie ich Sie einschätze, wenn Sie freiwillig bis zu dieser Stelle aufmerksam gelesen haben, werden Sie sich jetzt zu Recht die Frage stellen, wie Sie das praktisch an-stellen sollen.

Nun, ich gehe zunächst einmal von der Überlegung aus, dass wir uns in unserem Lebensweg und vielen Merkmalen unterscheiden. Das ist auch gut so! Ich bin vermutlich älter als Sie, habe wahrscheinlich eine andere Ausbildung genossen und andere berufliche Erfahrungen gemacht. Gerade wegen dieses Kontrastes einerseits und möglicherweise ähnlicher Bedürfnisse andererseits macht sicherlich die Annahme verschärft Sinn, es würde eigentlich keinen Grund für Sie geben, meine Fehler zu wiederholen. Ich habe erst relativ spät entdeckt, auf was es im Leben wirklich ankommt. Einfach weil mir in der Provinz niemand vorher vermitteln konnte, wie es in der Großstadt, die damals eine Insel war, West-Berlin, und wie es dann in Frankfurt und in der Weltstadt New York abging. Allein dadurch haben sich damals einige Umwege ergeben, die rückblickend nicht unbedingt notwendig waren. Diese Zeit können Sie vielleicht sparen oder auf jeden Fall besser nutzen!

Nach meiner Erkenntnis sind die allermeisten Menschen nicht stark genug, in der relativ kur-zen Zeit des jungen Erwachsenenlebens ständig andere Lebensentwürfe auszuprobieren und dann schlussendlich tatsächlich ein Ziel zu erreichen, was sie innerlich akzeptieren können. Wunsch und Wirklichkeit klaffen häufig viel zu lange zu weit auseinander und sind dann ab einem bestimmten Alter nicht mehr wunschgemäß näher zusammen zu bringen. Der Zug ist so zu sagen abgefahren, auf dem sich stark wandelnden Arbeitsmarkt machen gegenwärtig Millionen diese Leid bringende Erfahrung. Auch viele verpasste Partnerschaften und gar nicht erst zustande gekommene Beziehungen haben identische Phänomene als Ursache.

Deshalb behaupte ich, auch gegen die verbreitete Meinung, man müsse alles ausprobieren und seine Fehler selber machen, beizeiten so etwas wie Kontinuität in sein Leben zu bringen, wäre der wesentlich mehr Erfolg versprechende Weg. Einfach deshalb, weil die Herausforderungen und überraschenden Wendungen, die heute fast jedes Leben in bunter Vielfalt mit sich bringt, so besser bestanden werden können. Konservative Haltung hin und her, ich bin nicht dafür, alles zu bewahren, sondern danach zu schauen, was erhaltenswert ist und was verändert werden sollte. Wir müssen offen sein für das Neue, aber auch kritisch gegenüber seinen Risiken.

Oskar Wilde hat einmal gesagt: „Denke wie ein Künstler und lebe wie ein Bürger!“ Die Erkenntnis, dass kreatives Denken und Arbeiten nur dann wirklich für lange Zeit durchzuhalten ist, wenn man ein bürgerliches Leben führt, halte ich für sinnvoll. Einfach auch deshalb, weil die meisten Menschen gar nicht die Kraft für eine ständige Erneuerung und einen Wandel ihrer Lebensumstände haben, wie er uns als Zukunftsmusik gerne offeriert wird.

Wissen ist notwendig

Bekanntlich verstehen wir unter Wissen die wahre und gerechtfertigte Meinung. Sie setzt sich sinnvollerweise aus Fakten, Theorien und Regeln zusammen, die einen hohen Grad an Gewissheit haben. Als Wissenschaftler glaube ich nicht einfach an Behauptungen, sondern erwarte Beweise. Beispielsweise setze ich auf die Erkenntnis des Mathematikers und Philosophen Gottfried Wilhelm Freiherr von Leibniz, einem Mann des ausgehenden 17. und beginnenden 18. Jahrhunderts, der den großen Immanuel Kant beeinflusst hat. Er hat formuliert, dass unsere Welt „die beste aller möglichen Welten“ ist und auch, dass „die Natur keine Sprünge macht“. Die Wahrscheinlichkeitsinterpretation der Quantenphysik mag dem entgegenstehen, doch sie ist in ihrer Bedeutung für unseren Alltag wohl eher gering. Und noch etwas: Ich glaube an die Evolutionstheorie Darwins eher als an den Glauben der Kreationisten, die übrigens die Mehrheit der US-Bürger stellen, Gott hätte die Menschen vor zehntausend Jahren so geschaffen, wie sie heute sind. Vor zehntausend Jahren war in Europa gerade die letzte Eiszeit zu Ende und die Altsteinzeit auch, aus der wir Geräte und Waffen sowie erste Bilder von Menschen in Museen betrachten können.

Im Jahre 1997 wurden in Äthiopien 160.000 Jahre alte Skelettreste gefunden, die eindeutig dem Homo sapiens zuzuordnen sind. Wer wissenschaftliche Erkenntnisse nicht wahrnehmen will, dem ist wirklich nicht zu helfen. Fakten schaffen Orientierung, doch es ist gar nicht notwendig, immer die Ultima Ratio zu suchen, also das letzte, äußerste Mittel eines Beweises. Allerdings kann mich niemand davon überzeugen, dass der große Designer vier Milliarden Jahre damit zugebracht haben soll, eine vom Aussterben bedrohte Menschheit zu schaffen. Wenn es so wäre, würde ich eine Intension dieser Art nicht für anbetungswürdig halten.

Merke: Stetigkeit ist wichtig bei der Verfolgung Ihrer Ziele.

Gerade die soziale Durchlässigkeit von heute erfordert ein stabiles Selbstwertgefühl, das nur dann aufgebaut werden kann, wenn Sie ihr Leistungspotenzial zum richtigen Zeitpunkt abrufen können. Die Biathlonathletin Uschi Disl hat 15 Jahre gebraucht, um eine Goldmedaille in einem Einzelwettbewerb zu gewinnen. Und dann hat sie 2005, bevor sie ein Jahr später vom Leistungssport zurücktrat, um eine Familie zu gründen, bei den Weltmeisterschaften gleich zwei Goldne hintereinander geschafft. Zur Überraschung aller, denn die überragende Skiläuferin war eine eher unzuverlässige Schützin und auch schon jenseits von Mitte Dreißig. Übrigens hat sie dann in der Staffel, übermotiviert durch ihren sensationellen Erfolg und im Bewusstsein, dass sie treffen kann, beim Schiessen die so genannte „Nähmaschine“ in den Beinen bekommen. Wenn dieses Zittern einsetzt, sind Treffer reine Glücksache. Doch die Frohnatur hatte Glück, dank der Leistung ihrer anderen drei Staffelkameradinnen gewann sie noch Silber.

Wenn Sie nichts dafür tun, auf einem bestimmten Gebiet aktuelles Wissen präsent zu haben oder körperlich und psychisch vollkommen fit zu sein, wird es Ihnen aus dem Stand heraus meistens nicht gelingen, egal wie begabt sie sind. Sie müssen folglich trainieren. Möglicher-weise hassen Sie generell den Sport und wiederholen deshalb gerne Churchills ironisch gemeinten Satz „No Sports!“ mit Überzeugung. Ohne allerdings zu wissen, dass der junge Winston Churchill mal Leistungssportler war und ein ausgezeichneter Reiter im Burenkrieg. Verständlich, wenn Jahrzehnte später ein übergewichtiger alter Mann mit Zigarre sich nicht mehr aus dem Ohrensessel bewegen mag. Doch das kann, zumindest was den Sport angeht, kein Vorbild für jüngere sein.

Sport mag man normalerweise nur dann, wenn man ihn gut beherrscht, und das kann je nach Sportart mehrere Jahre dauern. Bei den technisch sehr schwierigen Sportarten Tennis und Golf, von denen ich ein bisschen was verstehe, weil ich sie selbst mit Begeisterung ausübe, dauert es rund zehn Jahre. Ich will mit diesem Beispiel nur sagen, genauso wie Sie am besten beraten sind, eine oder zwei Sportarten unter den traditionellen und hinreichend durchdachten Sportarten auszuwählen, statt jedes Jahr die Trendsportarten zu wechseln, ist es sinnvoll, sich ein berufliches Fachgebiet auszusuchen, auf dem man erkennbare Leistungen vollbringen will und dann möglichst dabei zu bleiben.

Sie sollten Sachen machen, die Ihnen schon beim Training und während der Ausbildung Spaß bringen, denn sonst sind die Chancen, diese manchmal frustrierende Zeit durchzuhalten, geringer. Kümmern Sie sich nicht um das modernistische Geschwätz, es würde keine lebenslang auszuübenden Berufe mehr geben. Komischerweise bleiben fast alle diese Freiberufler und Beamten in ihren einmal gewählten Berufen und Laufbahnen. Und auch die Manager und Ingenieure. Ganz zu schweigen von den Professoren und Pastoren und Lehrern. Mag ja sein, dass Sie im Leben mehrmals ihre Stellung wechseln wollen oder müssen, vielleicht sogar ihren Beruf, aber wenn Sie sich keine exzellente Grundlage auf einem oder mehreren Sektoren geschaffen haben, auf denen Sie aufbauen können, verringern Sie Ihre Möglichkeiten automatisch, wenn nicht sogar dramatisch.

Seit einigen Jahren wird das Ideal der superflexiblen Persönlichkeit propagiert, was auch da-mit zu tun hat, dass Journalisten und Manager sich aufgrund ihrer eigenen Tätigkeit damit auseinandersetzen müssen. Als Publizist, Dozent und Strategieberater habe ich selbst entsprechende Erfahrungen, was es in der Praxis heißt, mehrere unterschiedliche Anforderungsprofile parallel erfolgreich zu bedienen. Das Risiko ist allerdings relativ hoch, zu scheitern, wenn man nicht sehr viel Einsatz mitbringt, nicht außerordentlich gut organisiert ist und nicht auch noch zusätzlich das Glück hat, auf gleich gesinnte Förderer zu treffen. Beispielsweise auf Verleger, Lektoren, Professoren, Unternehmer – eben auf Entscheider, die bereit sind, Verträge zu unterschreiben, weil an eine geldwerte Leistung glauben. Und, wenn ich so darüber nachdenke, die Durchsetzungsbereitschaft in Konfliktsituationen sollte ebenfalls vorhanden sein. Was man heute Coolness nennt, ist sicherlich notwendig. Man braucht wirklich ein extrem gutes Nervenkostüm, wenn man mehrere unterschiedliche Bälle ohne Absturz länger in der Luft behalten will.

Was sind typische Karriereverläufe von heute?

Gegenüber dem seit Ende des 18. Jahrhunderts hierarchisch-pyramidal aufgebauten Beamten-tum, das unsere Vorstellung von Karriere als Sprossenleiter geprägt hat, also den Karren auf einem vorgespurten Weg, so zu sagen einer Laufbahn, zu fahren, sind bunte Erwerbsbiografien heute eher an der Tagesordnung. Doch wir müssen differenzieren. Was in den USA, in Großbritannien, in Skandinavien oder den Niederlanden ein Vorteil ist, kann in Frankreich, Deutschland, Spanien oder Italien eher ein Nachteil für die Karriere sein.

Ich selbst habe keine Probleme mit Leuten, die eine exotische Vita haben. Brüche in Lebensläufen sind für mich kein Negativum, wenn die Persönlichkeit zu der gewachsenen Unternehmenskultur passt. Diskontinuierliche Karrieren können schließlich auf viel Eigeninitiative, gute Auffassungsgabe und Organisationsfähigkeit hinweisen. Allerdings warne ich davor, die ständige Motivation auf etwas Neues zu übertreiben und die damit oft verbundene Belastung zu unterschätzen. Mir ist sehr bewusst, dass diejenigen, die es sich wegen ihrer finanziellen Ausstattung leisten können, ihre Wunschvorstellungen zu realisieren, leicht reden haben. Selbst wer heute als Akademiker auf Jobsuche ist, hat es mitunter schwer, seinen Karriere-Entwurf ohne Korrekturen und Verzichtphasen umzusetzen.

Für Ihre Identität ist es nie zu spät!

Ihr Selbst, ja es geht um Sie und um Ihr ganz persönliches Ich, und auch ums eigene und anderer Leute Bild davon, stellt auf alle Fälle eine Instanz für Lebenssinn dar. Ob es die letzte ist, wissen wir nicht. Und gerade weil wir an dieser Stelle nicht sicher sein können, ist es eine ganz besonders sinnvolle Idee, sich eine Autobiografie zu schaffen, nicht etwa literarisch gesehen, sondern psychologisch. Der persönliche Mythos kann eine Art Selbsttherapie sein, die wichtige konstruktive Elemente hervorhebt und der Fragmentierung von Erfahrungen entgegenwirkt.

Die ständige und oft verzweifelte Suche nach Identität ist ja nicht, wie gerne angenommen wird, die Konstruktion eines unverrückbaren Selbst, sondern die Annäherung an einen Sinn für Zusammenhänge. Das Kohärenzprinzip ist der philosophische Grundsatz der Verbindung alles Seienden und mit Kohärenz ist in der Physik das zeitlich unveränderte Verhalten eines Wellenfeldes an unterschiedlichen Orten gemeint, wie wir es beim Laser im Gegensatz zum natürlichen Licht vorfinden. In der Psychologie, die uns hier speziell interessiert, sind damit die Beziehungen und Verbindungen beschrieben, die das Ich mit der Außenwelt unterhält. Sie sollten dergestalt sein, dass sie strukturstiftend wirken. Struktur (lateinisch „struktura“: Bauart, Aufbau, Gefühle) ist die Bezeichnung für eine erkennbare Regelmäßigkeit oder die Anordnung von Teilen in einem Ganzen.

Ich möchte ganz dezidiert darauf aufmerksam machen, dass ein tragfähiges Selbstbild immer eine Struktur hat. Die Qualität Ihres Selbstbildes ist ebenso wichtig wie sein Vorhandensein. Sie sollten sich also klar machen, dass es keinen Menschen gibt, der nur positive oder negative Seiten hat. Natürlich handelt es sich bei einem Selbstbild immer um eine subjektive Einschätzung des eigenen Ichs. Aber normalerweise können Sie schon recht gut berücksichtigen, zu starke Tendenzen in die eine oder andere Richtung zu vermeiden. Zwischen einem ausgeprägten Minderwertigkeitsgefühl und Allmachtsvorstellungen bietet sich genügend Raum für einen halbwegs sinnvollen Bewusstwerdungsprozess. Auch sollten Sie unbedingt beachten, dass sich Selbstbilder nicht dafür eignen, andauernd gewechselt zu werden. Sie sind kein Schauspieler und sollten deshalb Ihr Leben nicht mit verschiedenen imaginären Rollen verwechseln. Weder würde flatterhaftes Verhalten Ihnen gut tun, noch von ihrem Umfeld positiv aufgenommen werden. Wenn wir freundlich sein wollen, sprechen wir gerne von Launenhaftigkeit, doch in extremer Form handelt es sich hierbei um manisch-depressive Menschen.

Die psychischen Störungen werden im Kapitel „Soll ich eine Therapie machen?“ ausführlich behandelt, aber in Zusammenhang mit dem Aufbau eines Selbstbildes ist sicherlich ganz interessant zu wissen, dass die Polaritäten Manie und Depression endogen entstehen, also von innen, aus dem Organismus heraus. Es handelt sich um funktionelle Psychosen, die nicht durch erkennbare Organkrankheiten verursacht werden. Manisch-depressive Erkrankungen, vielleicht sollten wir besser Störungen sagen, kommen häufiger vor, als wir annehmen. Sie sind zu einer Zeiterscheinung geworden. Wir treffen in jedem Unternehmen und allen Be-hörden Leute, die durch Aktionismus ohne Nutzeffekt auffallen. Die sich grundlos in heiterer oder gereizter Stimmung befinden, gerne viel reden oder nicht ruhig sitzen bleiben und nicht zuhören und sich konzentrieren können. Gelegentlich begegnen uns sogar Personen mit auffälliger Selbstüberschätzung und Anmaßung. Alle diese Menschen haben irgendeine Manie, die sie nicht selbst, wir aber schon als störend empfinden. Insbesondere auch deshalb, weil die Hochstimmung bei diesen Nervensägen ganz plötzlich umkippen und in ein depressives Verhalten münden kann.

Identität und Image

Es ist nicht besonders sinnvoll, sein Selbstbild entweder nur auf eigene Stärken oder nur auf eigene Schwächen auszurichten. Denn das führt automatisch in die Sackgassen, alle anderen Menschen für entweder stärker oder schwächer zu halten. Das sind sie aber nicht, sondern sie können durchaus ungefähr gleich stark sein, die Unterschiede sind oft nicht sehr groß. Weder in geistiger, noch in körperlicher Hinsicht. Wenn Sie darüber nachdenken und beispielsweise sich Ihre eigene Schulzeit in Erinnerung rufen, werden Sie wahrscheinlich sofort einsehen, dass in einem Jahrgang die Leistungsfähigkeit in etwa der Gaußschen Kurve, also der Normalverteilung, folgt. Es wäre ein Vorurteil, die Differenzen zu extrem anzunehmen und ein solches Bild würde nicht der Realität entsprechen. Es würde Sie nur dazu verführen, nicht in Wettbewerb mit anderen zu treten, weil Sie nach dieser Schwarz-Weiß-Einschätzung ent-weder unschlagbar überlegen oder inkompetent und schwach wären. Solange Sie nicht ein differenziertes Selbstbild haben, bleiben Sie in überholten Bewertungsmustern gefangen und erreichen kein gesundes Selbstbewusstsein.

Die Voraussetzung nun, realistische Vorstellungen für ihr zukünftiges Selbst zu entwickeln, ist ihr heutiges Selbst. Wer sind Sie jetzt, in diesem Augenblick? Es ist eine ganz schwer zu beantwortende, im Grunde eine philosophische Frage. Es wäre die Antwort darauf, wie ihre intrapsychische Intelligenz aussieht. Identität ist die Chiffre für ihre paradoxe, zwiespältige Lebenssituation geworden. Deshalb will ich versuchen, Ihnen einige Hinweise zu geben, wie Sie die Angelegenheit besser verstehen und anfassen können.

Zunächst einmal möchte ich das Thema, bei dem in der Regel viele Fragen und ebenso viele diffuse Antworten zu lesen und zu hören sind, dadurch konkretisieren, dass ich zwei Begriffe gegenüberstelle: „Identität“ und „Image“. Und mit dieser bewussten Polarisation gleichzeitig die strikte Aufforderung verbinden, sie auf keinen Fall zu verwechseln. Denn genau das kommt leider immer wieder vor, genau so wie die Auffassung, es würde sich um dasselbe handeln.

Ihr Image ist ihr äußeres Bild. So wie Sie gesehen werden möchten. Ihr Wunsch bedeutet aber keineswegs, dass Sie tatsächlich genau so sind wie Sie sich darstellen. Sie sind auf jeden Fall zumindest ein bisschen anders und es kommt darauf an wie viel anders. Manche Menschen unterscheiden sich vollkommen von ihrem Image. Ist der Unterschied zu groß, werden diese Personen von anderen Menschen zwangsläufig ganz anders als gedacht wahrgenommen. Die unbeabsichtigte Folge ist, die anderen entziehen ihnen teilweise oder ganz ihr Vertrauen.

Ihre Identität dagegen ist gleichzeitig Ihr inneres und Ihr äußeres Bild. Also wie Sie wirklich sind und wie Ihr Umfeld Sie wahrnimmt. Und jetzt kommt der entscheidende Punkt: Je kongruenter, also je deckungsgleicher, Image und Identität sind, desto besser für ihr Ich. Eine 100%ige Übereinstimmung von Image und Identität können Sie nicht erreichen, aber wenn Sie mehr als 80% schaffen würden, wäre das schon ein sehr authentisches Idealbild. Sie haben nach wie vor ihre kleinen Geheimnisse und Unzulänglichkeiten, die Sie nicht in der Öffentlichkeit ausbreiten, denn das machen nur die Naiven in den Talkshows der Asozialen. Und es ist natürlich auch nur eine Momentaufnahme, an der weiter gearbeitet werden muss, um die Kongruenz vielleicht noch ein paar Prozentpunkte zu verbessern.

Ihr Streben nach Authentizität ist für ihr Selbstbild extrem wichtig. Authentisch kommt aus dem Griechischen und heißt so viel wie verbürgt, echt. Eine „echte“ Persönlichkeit, die Vertrauen ausstrahlt, vielleicht sogar Charisma hat, wer wollte das nicht sein? Nicht leicht zu verwirklichen, doch eines ist klar: Wir sind immer wir selbst, gleichgültig wie wir uns verhalten! Aber es ist überhaupt nicht egal, was wir denken, fühlen, tun. Ein umfassendes Selbstbild besteht in einem lebenslangen Prozess der Selbstverwirklichung. Und die wohl entscheidende Frage ist: Wer will ich sein?

Meine Erfahrungen

Es ist sicherlich nie zu spät, sein eigenes Leben als persönliches Projekt zu begreifen. Doch im Gegensatz zur heutigen Erlebnisgesellschaft, die ihren Höhepunkt wohl inzwischen überschritten hat und aktuell auf der Kippe steht, habe ich schon früh und sicherlich auch teilweise intuitiv damit begonnen, drei Dinge in den Mittelpunkt zu stellen: meine Familie, meine künstlerische, ökonomische und wissenschaftliche Arbeit sowie meinen sportlichen Ausgleich. Alles wäre nicht ohne Anstrengungen und Askese gelungen und auch nicht ohne Rücksichtnahme und psychologisches Einfühlungsvermögen. Als Mann kann ich mein Verhalten natürlich nur aus der Männersicht, also durchaus einseitig beurteilen, aber ich will es auch gar nicht aus einem anderen Blickwinkel versuchen. Es macht keinen Sinn, wenn Männer sich bemühen wie Frauen zu denken und Frauen wie Männer. Die Identität ginge einfach dabei verloren.

Natürlich bietet sich die Frage an, ob es wissenschaftliche Erkenntnisse gibt, aus denen sich schließen lässt, dass Frauen überhaupt anders denken als Männer. Nun, die weiße Gehirnsubstanz bei Frauen ist etwa zehn Mal größer als bei Männern, während die graue Gehirnsubstanz bei Männern ungefähr sieben Mal größer ist als bei Frauen. Beide Substanzen unterscheiden sich und auch die Aktivitätszentren im Denkorgan sind unterschiedlich verteilt. Diese Tatsachen bedeuten nicht etwa, es gäbe bei den Geschlechtern keinen gleichen Intelligenzlevel. Sie lässt jedoch vermuten, dass es biologisch begründete, unterschiedliche Strategien des Denkens gibt.

Was auffällt in der heutigen Zeit, ist beispielsweise, dass die Illusion der persönlichen Verfügbarkeit sämtlicher Optionen mit einer erheblichen Rücksichtslosigkeit verbunden zu sein scheint. Nicht nur gegenüber anderen, sondern auch gegen sich selbst. Ist der Konsumkapitalismus etwa nicht teilweise zu einer Zumutung für unsere Intelligenz geworden? Sind Fakeprofile in Single-Börsen zum Zwecke von Vertragsabschlüssen etwa kein Betrug? Sind denn etwa nicht unsere gegenwärtigen Führungseliten von der grassierenden Geldgier und Machtgeilheit befallen? Von der sichtbaren Blindheit für das, was man tun darf und sollte, und was unter gar keinen Umständen? Nicht wenige Selbstbilder der Ex-Vorbilder stimmen nicht mehr und haben damit als Vorbilder ausgedient.

Im Klartext: Ein Selbstbild ohne Überzeugungen und Werte ist im wahrsten Sinne des Wortes nichts wert. Es ist zum Lifestyle degeneriert. An die Stelle des Bemühens wirksame Problemlösungen zu schaffen sind Gefühle und Symbole getreten. Das Selbst und die Bilder vom selben haben sich leider vielfach getrennt, entzweit, entkernt, schubladisiert und schizophrenisiert.

Es kommt auf die Balance an

Vermeiden Sie möglichst die beiden Extreme, sich entweder ein überhöhtes Selbstbild zu schaffen oder andere Menschen zu idealisieren. Das ist leichter gesagt als getan, hier eine Balance zu erkennen und durchzuhalten. Wenn Sie sich überschätzen, wozu immer mehr Menschen heute neigen, weil sie alleine leben und kein partnerschaftliches Korrektiv haben, steigt ihre Kränkbarkeit. Sie fangen dann an, nicht nur Positives, sondern auch Negatives verstärkt zu sich in Beziehung zu bringen. Vom Lob können wir gar nicht genug bekommen, aber wer hört schon gerne Kritik? Diese narzisstischen Kränkungen, die im Alter generell zunehmen, weil man eben auf vielen Gebieten gegenüber anderen zurückfällt und in unserer Kultur ältere Menschen nicht gerade besonders verehrt werden, führen unbewusst zu unangemessenen Reaktionen. Beispielsweise zu Kontaktarmut, man zieht sich zurück, oder auch zur übertriebenen Idealisierung anderer, die man auf ein zu hohes Podest stellt. Beides hemmt die Entwicklung eines eigenen Selbst.

Dieser ganze, überhand nehmende Starkult wird vor allem von jungen Menschen ohne bereits ausreichend vorhandenes Selbst getragen. Und leider auch von manchen Erwachsenen mit uneingestandenen Minderwertigkeitsgefühlen. Alle diese inszenierten Erhöhungen von Personen und Produkten sind lediglich Marketing-Strategien, ohne die unsere soziale Marktwirtschaft nicht auszukommen glaubt. Sehr wahrscheinlich basiert der gesamte Kapitalismus auf eben diesem Prinzip des Oben und Unten, man kann auch sagen, der Dialektik der Polarisierung. Berühmte Persönlichkeiten haben ebenfalls ihre Schattenseiten. Ihre Selbstmordrate ist rund zehnmal so hoch wie bei der übrigen Bevölkerung. Nicht jeder angehimmelte Prominente kann mit dem Druck, überall erkannt zu werden und bestimmte Erwartungen über längere Zeit zu erfüllen, fertig werden.

Sicherlich haben Sie den Begriff „Hybris“ schon gehört, der aus dem Griechischen kommt und verschiedene Bedeutungen wie Übermut, Stolz, Frevel und Trotz hat. In der antiken Ethik ist die Selbstüberhebung des Menschen, insbesondere gegenüber den Göttern, die darauf mit Zorn und Bestrafung reagieren, ein wichtiges Thema und das Leitmotiv der griechischen Tragödie. Das Trauerspiel ist neben der Komödie die bedeutendste Gattung des europäischen Dramas. Ich will damit ausdrücken, dass überhebliches Verhalten eine lange Geschichte hat und in Shakespeares Charaktertragödien die Helden allesamt diesen Konflikt in sich tragen.

Stört moderne Technik die Wahrnehmung?

Eine Vorstellung von sich selbst zu haben, setzt voraus, den anderen wahrzunehmen. Gerade diese unbedingte Voraussetzung für ein sinnvolles Selbstbild wird heute paradoxerweise durch die Informationstechnik teilweise behindert. Denn wir können, wenn wir uns der mo-dernen Kommunikationsmittel bedienen, Botschaften senden und empfangen, die mit der Wahrnehmung im ursprünglichen Sinne wenig zu tun haben. Ich behaupte, dass die Technik zwar einerseits eine Beschleunigung der Kommunikation gebracht hat, aber andererseits auch die Wahrnehmungsentwicklung stört.

Aus mehreren Gründen: Einmal in ganz erheblichen Maße, weil das persönliche Treffen, das Gespräch von Angesicht zu Angesicht, immer seltener wird. Wir verlernen das Deuten von direkten Reaktionen und die Einschätzung von Personen. Menschenkenntnis ist eine absterbende Fähigkeit. Und dann bremst auch die eingeschränkte Wahrnehmungsentwicklung andere Bereiche wie Motivation, Emotionalität und Motorik. Wir erleben immer mehr Menschen, die sich nicht selbst motivieren können und die glauben, andere wären dafür verantwortlich. Wir beobachten zudem ein Nachlassen der Gefühlsregungen zu Gunsten der „Coolness“. Und wir wissen, dass es ohne die motorischen Aktivitäten des Organismus keine sensomotorischen Koordinationsleistungen gibt. Es ist eine durch Studien erwiesene Tatsache, dass junge Leute sich immer schlechter bewegen können, weil sie zu lange vor diversen Bildschirmen hocken, um Botschaften größtenteils überflüssigen Inhalts zu empfangen und zu versenden.

Wissen und Selbstbild

Der Wahrnehmungsprozess wird sehr häufig in seiner Kompliziertheit unterschätzt, weil wir ihn als automatisch ablaufend erleben. Ob wir dabei allerdings Wahrnehmungstäuschungen unterliegen, die sehr oft vorkommen, wird uns nicht rückgemeldet. Wir können nur unseren Vorurteilen und Irrtümern einigermaßen vorbeugen, indem wir Wissen erwerben. Denn eines ist mal klar: Je weniger man weiß, desto einfacher wird das Selbstbild strukturiert sein! Dies muss nicht grundsätzlich nachteilig sein, wenn man in einer Gruppe lebt, die im Leben zu Recht kommt und sich gegenseitig hilft. Es fängt allerdings an problematisch zu werden, wenn Sie in unserer immer komplizierter werdenden Welt auf sich selbst gestellt sind und den beruflichen Anforderungen in Zukunft gerecht werden wollen.

Die hohe Arbeitslosigkeit in unserer Gesellschaft hat weniger mit der konjunkturellen Entwicklung zu tun, die immer schwanken wird, sondern vor allem mit dem massiven Fortfall von Arbeitsplätzen, für die geringe Qualifikationen ausreichten. Diese Arbeitsplätze in der Produktion und Verwaltung werden von Robotern und Computer-Netzwerken weitgehend eingenommen, oder ins erheblich günstigere Ausland verlagert. Um wettbewerbsfähig zu blei-ben, haben Unternehmer nicht nur die Tendenz, Kosten zu sparen, sondern sie werden von der Konkurrenz und ihren Kunden auch dazu gezwungen. Es ist ein Überlebenskampf, nicht nur der Personen, auch der Gesellschaften! Wer mehr Wissen hat als andere, verbessert seine Chancen deutlich.

Weg von illusionären Selbstbildern!

Die Übertragung eines falschen Selbstbildes der Eltern auf ihre Kinder, beispielsweise die verbreitete Ansicht, für die Erziehung und Ausbildung wären die Lehrer alleine zuständig, führt zur Chancenlosigkeit der nachfolgenden Generation. Viele Lehrer beklagen zu Recht, dass sich eine große Anzahl der heutigen Eltern zu wenig um ihre Kinder kümmern. Ihnen nichts vorlesen, zu wenig mit ihnen sprechen, kaum mit ihnen spielen und auch nicht immer auf gesunde Ernährung achten. Sie nehmen einfach ihre Elternrolle nicht so wahr, wie sie es tun müssten, um auf die Schule und das Leben vorzubereiten.

Die Illusion, man könne alles gleichzeitig haben, tagsüber einen Vollzeitberuf, nachts Party ohne Ende, dazu teuere Luxusgegenstände und den Aufbau einer funktionierenden Familie, ist auf Selbstbilder zurückzuführen, die in den Medien dargestellt werden und mit der normalen Wirklichkeit unvereinbar sind. Wenn Patchwork-Personen mit Patchwork-Selbstbildern etwas gestalten wollen, kommen natürlich nur wieder Flickenteppiche heraus. Die Schokoladenseite angeblichen Prominentenlebens, dieses getrennte Zusammenleben, taugt eben schlicht nicht zur Kopie, schon gar nicht, wenn Kinder da sind. Wird aber immer wieder gerne angestrebt und lässt Partnerschaften reihenweise scheitern.

Werdet endlich erwachsen!

Die Infantilisierung unserer Gesellschaft ist weit fortgeschritten, aber deshalb kein Grund für irgendjemand, auf dieser Welle mitzuschwimmen. Die Angelsachsen haben ja immer griffige Beschreibungen für alles. Middle Youth für Erwachsene, die wie Jugendliche leben und fühlen. Oder Kidults für jene, die bis in ihre Vierziger Jünglinge oder Mädchenfrauen bleiben. Die übertriebene Ausdehnung der Jugendphase ist ein Abwehrreflex auf die harte Wirklichkeit unseres Lebens und verewigt den Selbstfindungsprozess. Nichts ist letztlich eine hoffnungslosere Überforderung für jeden Erwachsenen, wenn er sein gesamtes Leben als pubertäre Orientierungslosigkeit begreift, in der Unreife, Entscheidungsschwäche und Bindungsangst absolut im Mittelpunkt stehen. Das Leben nur als Zuschauer zu sehen, vielleicht sogar phasenweise zu genießen, weil man keine Verantwortung trägt, reicht nicht.

Ein brauchbares Selbstkonzept umfasst die Gefühle und die Denkinhalte, die Sie sich selbst gegenüber haben. Dieses theoretische Konstrukt kann Ihnen in solchen Situationen als richtunggebender Leitfaden dienen, in denen ihr Ich beteiligt ist. Das Ich (lateinisch: ego) ist ihr Persönlichkeitskern. Nur dann, wenn man genügend Ichstärke hat, kann man Belastungen und Konflikte ohne seelische Beeinträchtigungen aushalten. Es lohnt sich wirklich sehr, sich immer wieder neue, frische Gedanken zu machen, welche Persönlichkeit man werden will und wie man das Wissen über sich selbst komplettiert, um zu mehr Selbstbewusstsein und Selbstverwirklichung zu kommen. Nur Mut! Man kann nicht auf Probe leben oder entlang bürgerlicher Lebensbaupläne, die es nicht mehr gibt. Nur wenn Sie mit Wissen und Erfahrung kontinuierlich und möglichst ohne zu viele radikale Schnitte an ihrem Selbstbild arbeiten, werden Sie wissen, was Sie wollen. In Würde alt werden. Beispielsweise.

Das vitale Ich

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