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Kapitel 2

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Drei Tage später saßen Despina und Ryan an der Strandbar ‚Porto Paradiso‘, direkt am kleinen Sandstrand von Bali. Die nach allen Seiten offene Bar hatte für sie eine besondere Bedeutung. Es war die Strandbar, in der sich Despina und Tákis das erste Mal über den Weg liefen und ihr gemeinsames Leben begann. Nebenbei war die Bar auch für Ryan und Tákis schon immer ihr liebstes Lokal gewesen. Inzwischen kannten sie den Besitzer Giannis, der seit fast zwanzig Jahren mit seiner Familie und einigen Freunden die Bar führte, sehr gut. Unzählige Nächte hatten sie an der Bar verbracht und nicht immer hatten sie das Lokal nüchtern verlassen.

Von der Frontseite der Strandbar aus konnte man den gesamten Strandabschnitt überblicken, der nur durch eine wenig befahrene Zufahrtsstraße von der Bar getrennt war. Zum ‚Porto Paradiso‘ gehörte auch das angeschlossene Restaurant, welches neben den griechischen Speisen für seine großen und vorzüglichen Pizzen bekannt war. Dort saß man auf gemütlichen Holzstühlen, während die Bar mit Rattansesseln, in die man sich richtig hineinfallen lassen konnte, und niedrigen Tischen ausgestattet war. Es gab auch einige sehr einladende Couches, die Platz für zwei boten. Das Herzstück der Strandbar war die kreisrunde Theke, das Reich von Giannis und seinem Freund Theo. Unter einem Bambusdach standen rund um die mittlere Säule alle möglichen Getränke. Von unterschiedlichen Whiskeys, mehreren Sorten Tequila und jede Menge Schnäpse bis zu Fruchtsäften fand sich alles hier. Rund um die Theke waren unterschiedlichste Dekorationen aufgebaut. Eine hölzerne Schildkröte mit einem Stößel im Maul, mehrere Shaker, ein Skelett auf einem Motorrad und eine Nachbildung des Fußball-Europameister-Pokals, den Griechenland gewonnen hatte, waren nur einige der Dinge. In einer Hängematte ruhte ein riesiger Plüschaffe mit einer überdimensionalen, aufgeblasenen Banane und blickte auf die Massen an Touristen, die den ganzen Sommer über vorbeikamen.

Kaum hatten es sich Despina und Ryan in einem der grünen Rattansessel bequem gemacht, brachte Giannis ihnen beiden je ein großes 'Mythos', das bekannteste, griechische Bier auf Kreta.

Ryan hatte sich von seiner langen Jeans verabschiedet und trug nun knielange Badeshorts. Im Gegensatz zur durchgehend braun gebrannten Despina war Ryans Körper noch recht blass. Despina trug einen sehr stoffarmen Bikini, das dunkelblaue Oberteil verdeckte nahezu nichts. Sie bemerkte Ryans Blicke und lächelte ihn süffisant an.

»Gefallen sie Dir? Wenn Du nicht Tákis bester Freund wärst …«

»Ich weiß, Du und Tákis habt eine sehr …, sagen wir, offene Beziehung. Tákis hat mir einige nette Details geschrieben. Ich muss schon sagen, ich kenne meinen Freund schon so lange, aber Dank Dir, erfahre ich immer neue Seiten an ihm.«

»Wir machen einfach, was uns Spaß macht. Ich glaube, dagegen kann niemand etwas einwenden, oder?«

»Garantiert nicht.« Ryan hob sein gekühltes Glas.

»Auf Tákis, Dich und Eure wirklich einzigartige Beziehung.«

»Das klingt fast, als wärst Du ein klein wenig neidisch, Ryan.«

Ryan antwortete ihr nicht und blickte auf den Strand hinaus. Einige Sekunden später sah er wieder zu Despina.

»Vorerst dreht sich alles um den Plan«, meinte er entschlossen.

Sie stießen mit ihren Biergläsern an und nahmen beide einen großen Schluck.

»Glaubst Du wirklich, es wird so leicht, an diese Maria heranzukommen?«, fragte Despina.

»Den ersten Schritt macht Tákis gerade am Flughafen, danach werde ich mein Bestes geben. Ein paar Kleinigkeiten werden auch auf Dich zukommen, Lockenkopf.«

»Keine Sorge, ich bin voll und ganz dabei«, versicherte Despina ihm.

Unterdessen hatte Tákis am Flughafen den Mann ausfindig gemacht, der Victor Granats Tochter abholen sollte. Es war einer von Granats Bodyguards, ein russischer Koloss, der trotz der Hitze im Anzug in der Ankunftshalle stand. Tákis sah sich etwas um, unter seinem Arm hielt er eine Tafel mit einem erfundenen Namen. Er selbst war nicht wieder zu erkennen. Er trug Ryans Jeans, ein langes, viel zu großes Hemd, das er bis zum Hals zugeknöpft hatte und eine Krawatte. Seine langen Haare waren rotblond gefärbt, zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden und eine schwarze Sonnenbrille verdeckte seine Augen. Sogar sein Paracord-Armband hatte er abgelegt.

Scheinbar gelangweilt schlenderte er herum, blickte immer wieder auf die Anzeigetafel und kam dabei dem russischen Mann näher. Die Uhr an der Wand zeigte zwei Minuten vor vierzehn Uhr. Tákis griff in seine Hosentasche und fischte eine kleine längliche Glasphiole heraus, die in seiner Handfläche verschwand. Aus einer Seitentür erschienen mehrere Polizisten mit Spürhunden. Genau wie von Eleni versprochen, bereiteten sich die Drogenspürhunde für ihre routinemäßige Runde vor. Den Männern war anzusehen, dass sie gelangweilt von der Patrouille waren. Bislang hatten ihre Hunde nur bei selbst versteckten Drogenpäckchen Erfolge verzeichnen können. Im Gegensatz zur Drogenabteilung am Hafen war es am Flughafen relativ ruhig.

Tákis machte einen Schritt auf den Bodyguard zu, stand dicht an seinem Rücken und blickte sich noch einmal um. Blitzschnell öffnete er die Phiole, sehr darauf bedacht, nicht mit der Flüssigkeit darin in Kontakt zu kommen. Im Vorbeigehen schüttete er die klare Flüssigkeit auf den Anzug des Mannes. Gleich beim nächsten Mülleimer warf er die Phiole fest verschlossen weg und stellte sich zum Ausgang.

Tákis blickte zwischen dem russischen Mann, der nichts mitbekommen hatte, und der kleinen Hundestaffel hin und her. Plötzlich erkannte er, wie der erste Hund die Witterung aufnahm, gleich darauf der nächste.

»Überraschung!«, flüsterte Tákis triumphierend.

Die Hundeführer reagierten zuerst überrascht, einer fragte, ob es eine Übung sei. Als diese Frage verneint wurde, wurde es hektisch.

Drei Hunde wurden von der Leine gelassen, gleichzeitig zogen die Polizisten ihre Waffen. Alle drei Schäferhunde stürmten auf den Bodyguard zu, der immer noch nichts bemerkte. Erst als der erste Hund ihn ansprang, schreckte er hoch und griff nach dem vierbeinigen Angreifer. Im nächsten Moment biss der zweite Hund in das Bein des Mannes. Er fluchte laut auf Russisch. Durch den Hundeangriff auf die Knie gezwungen sah er sich plötzlich vier bewaffneten Polizisten gegenüber, die ihre Dienstwaffen auf ihn richteten.

»Keine Bewegung, Hände hoch!«, schrien sie ihn an.

Der Mann wusste nicht, wie ihm geschah, und fluchte weiterhin, auch als zwei Männer ihn festhielten und ihm die Hände am Rücken mit Handschellen fixiert wurden. Binnen einer Minute war das Schauspiel vorüber und der russische Bodyguard verschwand in einem der Hinterräume.

Tákis sah erneut zur Anzeigetafel. Das Flugzeug aus Wien mit Maria Granat an Bord würde in zehn Minuten landen.

Bis die ersten Passagiere des Fluges aus Wien mit ihren Koffern erschienen, vergingen noch weitere fünfundzwanzig Minuten. Tákis hatte inzwischen versucht, Despina zu erreichen, die aber nicht ans Telefon ging. Er vermutete, dass sie zusammen mit Ryan im Meer schwamm und damit lag er auch richtig. Sein Schild hatte er inzwischen ausgetauscht, nun stand darauf »Ms. Maria Granat«.

Als Maria die Ankunftshalle betrat, erkannte Tákis sie sofort. Er kannte die Bilder, die Ryan von ihrer Festplatte kopiert hatte.

Die junge Frau sah noch jünger aus, als ihre eigentlich sechsundzwanzig Jahre. Sie trug ihre langen blonden Haare offen und war geschminkt, auffällig aber dennoch nicht übertrieben. Sowohl die weiße eng anliegende Hose als auch ihr blumiges Oberteil schienen wie zugeschnitten zu sein und betonten ihre dünne Figur und ihre, für Tákis Geschmack viel zu kleine, Brust. Ihr makelloses Gesicht und ihre gesamte Ausstrahlung sorgten dafür, dass sich einige Männer in der Halle nach ihr umdrehten und mehr als nur einen schnellen Blick riskierten. An den Finger waren zwei Ringe mit funkelnden Steinen zu erkennen, eine goldene Armbanduhr glänzte auffällig am Handgelenk. Sie sah sich mit ihren graugrünen Augen um und versuchte ein vertrautes Gesicht zu finden. Als sie Tákis und die Tafel mit ihrem Namen sah, spazierte sie auf Stöckelschuhen zu ihm.

»Sie sind mein Chauffeur, der mich zu meinem Vater bringt?«, fragte sie mit heller, bestimmender Tonlage. Ohne auf eine Antwort zu warten, stellte sie die Koffer vor Tákis und musterte ihn leicht herablassend.

Ein reiches, verzogenes Mädchen, genau wie erwartet, dachte Tákis.

»Jawohl Fräulein Granat. Wenn Sie mir bitte folgen würden und ich ihren Koffer tragen darf?«, antwortete er, wie er es die letzten Tage gelernt hatte. Er griff nach ihren beiden großen, sichtlich vollgestopften Koffern und ging voran aus der Halle in Richtung seiner ausgeborgten Limousine. Zu seinem Glück hatten beide Koffer Räder, da sie richtig schwer waren, sogar für einen durchtrainierten, kräftigen Mann wie Tákis. Ohne weitere Worte folgte Maria ihm, ließ sich die Tür aufhalten und setzte sich auf die Rückbank der großen Limousine. Tákis verstaute die Koffer und fuhr sofort los.

Despina und Ryan hatten unterdessen ihren Spaß im Meer. Sie schwammen, redeten und alberten ausgelassen herum. Als Unwissender musste man glauben, dass es sich hier um ein glückliches Pärchen auf Urlaub handelte.

Despina fragte Ryan weiter aus, warum er lieber alleine war, als eine ernsthafte Beziehung zu wagen.

»Du bist doch ein guter Fang, also wo liegt das Problem?«

»Ich genieße einfach meine Freiheit und solange nicht die richtige Frau für mich...«

»Ich glaube, damit suchst Du nur eine Ausrede, um flüchten zu können, wenn es Dir zu ernst wird«, konterte Despina.

»Willst Du jetzt die Psychologin spielen? Das ist eigentlich meine Aufgabe hier.«

Despina blickte auf ihre Uhr.

»Apropos Aufgabe, wir sollten uns auf den Weg machen. Wenn alles wie geplant geklappt hat, sind mein Schatz und diese Maria schon unterwegs.«

Hinter der Strandbar zog sich Ryan bei seinem Mietwagen um. Dass Despina ihm dabei zusah, störte ihn nicht. Als er ihren Blick bemerkte, grinste Ryan sie an.

»Gefällt Dir, was Du siehst?«, fragte er sie spöttisch.

»Ein sehr nettes, gut gebautes Spielzeug. Es wird eindeutig Zeit, dass ich meinen Schatz wieder in die Finger bekomme, ich bin schon sehr …«, sie überlegte, wie das richtige Wort auf Deutsch hieß, »läufig?«

Ryan lachte auf.

»Läufig heißt es eigentlich nur bei Tieren, aber ich weiß schon, was Du meinst, lüsterner Lockenkopf.«

»Neidisch?«

»Um ehrlich zu sein, vielleicht etwas. Es kommt nicht oft vor, dass sich zwei Menschen finden, die so perfekt zusammenpassen, wie Tákis und Du.«

Mit trockener Kleidung am Körper spazierten sie in Richtung des Aparthotels, wo sie in Ryans Zimmer auf Tákis warten wollten.

Tákis fuhr die Küstenstraße entlang und blickte mehrmals im Rückspiegel zurück zu Maria. Sie sah gedankenverloren hinaus auf die Berge auf der einen Seite und die Klippen und das Meer rechts von ihr.

»Ist das ihre erste Besuch auf Kreta, Miss?«, fragte er nach.

»Ja, und dass obwohl mein Vater schon seit Jahren hier ein Haus besitzt. Aber bislang habe ich meine Urlaube lieber an anderen Orten genossen. Was kann man denn in so einem kleinen Ort wie Bali erwarten?«

Kurz huschte ein Schmunzeln über Tákis Gesicht.

»Bali ist kein Ort für Partymenschen, …«

»Party machen ist nicht mein Ding, ich suche schon etwas Niveauvolleres«, fiel sie ihm ins Wort.

»Aber es gibt einige nette Lokale und Möglichkeiten, gut essen zu gehen. Wenn ich Ihnen ein Lokal besonders empfehlen darf, das ‚Porto Paradiso‘.«

Maria zuckte zusammen und blickte erstaunt auf. In ihr kam die Erinnerung an den Chat vor einigen Wochen hoch.

»Es liegt direkt am Strand, hat einen Teil als Restaurant und eine Strandbar. Sehr gemütlich mit angenehme Musik…«

»Angenehmer Musik heißt das«, besserte Maria ihn aus.

»Es tut mir leid, Miss. Angenehmer Musik und sehr guten Cocktails. Diese Bar kann ich ihnen wirklich empfehlen.«

»Ich werde sicherlich vorbeischauen, immerhin bin ich einige Zeit hier.«

Maria blickte hinaus auf das tiefblaue Meer und war in Gedanken bei ihrem nächtlichen Chat. Bis heute wunderte sie sich, woher die unbekannte Person ihren Namen gewusst hatte.

»Darf ich fragen, wie lange sie bleiben werden?«, unterbrach Tákis ihr Nachdenken.

»Soweit ich weiß, drei Wochen, aber das werde ich noch mit meinem Vater besprechen.«

»Wenn Sie Interesse haben, die Insel zu erkunden …«

»Dann werde ich meinem Vater Bescheid geben und mit einem seiner Leute fahren«, unterbrach sie ihn.

Tákis krampfte seine Finger um das Lenkrad. Zu gerne hätte er mehr gesagt oder dieser hochnäsigen Person ordentlich die Meinung gesagt. Aber er unterdrückte seine Wut und dachte an Despina und Ryan, mit denen er Maria und ihrem Vater das Leben zur Hölle machen wollte.

Eine halbe Stunde später bog Tákis von der Hauptstraße ab. Ein großes Hinweisschild mit einigen Einschuss-löchern wies auf den Ort Mpali hin, die griechische Schreibweise von Bali.

»Das scheint eine gefährliche Gegend zu sein«, mutmaßte Maria beim Blick auf die Tafel.

»Nein, Miss. Das sind meistens Jugendliche, die mit den Gewehren ihrer Väter üben oder angeben wollen. Die wilden Zeiten auf Kreta sind schon lange vorbei.«

Als sie durch den Ort fuhren, sah Tákis, wie Maria wenig begeistert aus dem Fenster blickte. Die verlassenen Rohbauten und die karge Landschaft machten auf sie keinen attraktiven Eindruck. Bei den Touristenshops und Bekleidungsgeschäften wiederum hellte sich ihre Miene etwas auf. Die Straße ging in mehreren Kurven durch den Ort und schlängelte sich bergauf, bergab an Hotels, Geschäften und Lokalen vorbei.

Bali war ein kleiner Ort, der aufgrund seiner Lage nicht zu sehr verbaut war. Außer einer größeren Hotelanlage befanden sich fast nur kleinere Hotels und Appartmentanlagen im Ort.

»Wie sieht es hier mit dem Strand aus?«, fragte Maria neugierig.

»Sie haben hier Sandstrände, unterbrochen von mehreren Felsen. Am Ortsanfang wäre der größte Strand, hier vor uns kommen sie zu dem Varkotopos Strand. Dort finden Sie auch Strandbar Porto Paradiso.«

Wieder zuckte Maria zusammen, was Tákis ein Lächeln entlockte. Er fuhr mehrere Kurven hinauf und an einer kleinen Kirche vorbei, bog ab und entfernte sich vom Meer. Tákis konnte die Villa von Victor Granat sehen, die einsam am Berghang stand. In der näheren Umgebung waren nur ein paar Unterstände zu sehen, die von den Bauern benutzt wurden, wenn sie ihre Schafe und Ziegen besuchten.

Der schlecht asphaltierte Weg war an beiden Seiten mit Büschen und Bäumen flankiert. Die Villa stand alleine an der Straße, umringt von Bäumen und landwirtschaftlich genutzten Feldern. Der große Bau bestand bei näherer Betrachtung aus zwei Häusern, die mit einem hohen, überdachten Gang verbunden waren. Die blassgelben Häuser erinnerten mehr an eine Ferienwohnungsanlage, als an eine Villa für eine einzelne Person. Von den Balkonen musste man einen herrlichen Blick über die Ortschaft, das Hinterland und auch hinaus auf das Meer haben.

Tákis hielt vor dem Stiegenaufgang zum Eingangstor und hastete ins Freie. Er holte zuerst die schweren Koffer und stellte sie zur Stiege, bevor er ihr die Tür aufhielt. Maria stieg aus und sah sich um.

»Nicht sehr vielversprechend«, meinte sie missmutig. Maria ging zu den Stiegen und im selben Moment rannte Tákis los. Er spurtete zur Fahrerseite, warf sich in den Wagen und startete. Überrascht drehte sich Maria zu ihm um und wollte etwas sagen, als sich das Eingangstor öffnete und ihr Vater erschien.

Victor Granat war ein grauhaariger, relativ schlanker Mann, mit einem stechenden Blick, der wenig einladend wirkte. Doch beim Anblick seiner Tochter setzte er ein Lächeln auf, auch wenn er nervös wirkte und sich andauernd umsah. Trotz der sommerlichen Temperaturen trug der 55-jährige Mann einen schwarzen Anzug, ein weißes Hemd, das bis zum Hals zugeknöpft war und eine schwarze Fliege. Seine dichten Haare waren sorgfältig nach hinten gekämmt.

»Maria, mein Kind! Schön Dich zu sehen«, rief er erfreut und kam die Stiegen herab, dicht gefolgt von seinem persönlichen Bodyguard, Chin Lee. Dem Chinesen waren seine vierzig Jahre nicht anzusehen, soweit Maria ausmachen konnte, hatte er keine Falten im Gesicht. Sein jugendliches Aussehen wurde durch seine legere Kleidung noch verstärkt. Unter seinem dunkelgrauen T-Shirt war deutlich zu erkennen, dass er sehr athletisch war. Die kurzen pechschwarzen Haare glänzten aufgrund des vielen Gels. Seine dunklen Augen blickten ebenso nervös herum. Er nickte Maria nur kurz zu und ging rasch an ihr vorbei zur Straße.

Damit hatte Tákis gerechnet. Inzwischen war schon viel Zeit vergangen und Victor Granat hatte mit Sicherheit schon von dem Vorfall am Flughafen gehört. Tákis gab Gas und fuhr eiligst davon. Im Rückspiegel sah er den Chinesen, von dem er annahm, dass er mehr über den Tod seines Vaters wusste. Tákis beschleunigte und bog ein paar Hundert Meter von der Villa entfernt in einen Feldweg ein. Er rechnete nicht damit, verfolgt zu werden, dennoch hatte er eine Route im Kopf, die ihn zunächst zur Küstenstraße bringen sollte, bevor er zurück nach Bali fahren wollte.

Während Tákis die Familie Granat und den Bodyguard nicht mehr sehen konnte, beobachteten Despina und Ryan aus sicherer Entfernung das Geschehen. Die beiden saßen auf dem kleinen Balkon von Ryans Studio, das ihnen einen idealen Blick auf die Villa bot.

Das Zimmer selbst war einfach und zweckmäßig eingerichtet. Ein kleines Badezimmer mit Dusche, ein größerer Raum mit Kochecke, Esstisch, einem Doppelbett, einem kleinen Schreibtisch und der Balkon. Mehr war für Ryan nicht notwendig, geschweige denn, dass er sich etwas Luxuriöses nicht leisten konnte. Seine Koffer waren schon im Studio, Tákis‘ Bruder hatte sie abgeliefert, als er mit Despina am Strand war.

Nun saß Ryan mit Despina auf zwei Plastiksesseln, zwischen ihnen auf dem runden Tisch lag eine Spiegelreflexkamera mit einem knapp vierzig Zentimeter langen Objektiv. Mit diesem Monstrum hatten sie abwechselnd die Villa beobachtet und die Ankunft von Maria hautnah mitbekommen.

»Ich muss sagen, sie sieht nicht schlecht aus, oder?«

»Natürlich ist sie kein Vergleich zu Dir, wilder Lockenkopf«, meinte Ryan. Despina hatte sich, im Gegensatz zu ihm, nicht umgezogen und trug immer noch ihren knappen Bikini. Nur einen kurzen Rock hatte sie sich zwischenzeitig noch angezogen. Ryan saß in knielangen Shorts und einem offenen Hawaiihemd, auf welchen Palmen, Blumen und Wellen in unterschiedlichen Blautönen zu erkennen waren, vor ihr.

»Ich glaube, in der Aufmachung wirst Du sie aber nicht beeindrucken, Ryan«, stellte Despina fest.

»Keine Sorge, bei unserem ersten Treffen werde ich Maria anders gegenübertreten.«

»Du hast Dir das alles wirklich gut überlegt und durchdacht, oder?«

Ryan blickte noch einmal durch die Kamera. Er sah, wie der chinesische Bodyguard die Koffer nahm und sich mit ihnen abmühte. Maria und ihr Vater waren inzwischen schon im Haus verschwunden.

»Ich will, genauso wie Tákis, dass diese Verbrecher zur Rechenschaft gezogen werden. Von offizieller Seite aus kann niemand etwas machen, deshalb haben wir keine andere Möglichkeit. Mein Chef weiß selbst nicht genau, was ich hier mache, was auch gut so ist. Ich habe ihm nur gesagt, dass ich Bali gut kenne und mich etwas über Victor Granat erkundigen werde. Ich glaube nicht, dass er große Hoffnungen in mich setzt. Und ganz ehrlich, in erste Linie geht es mir um Tákis und nicht um die griechische Regierung.«

Despina griff nach der Wasserflasche und nahm einen großen Schluck, bevor sie die Flasche Ryan reichte.

»Ich will nur nicht, dass ihr Euch in Gefahr bringt. Mein Schatz hatte schon genug Probleme und das soll nicht noch einmal vorkommen.«

Ryan nickte ihr zu, antwortete aber nicht. Er hoffte, dass es keine Komplikationen geben würde. Aber noch war er sich nicht sicher, ob alles so einwandfrei klappen würde, wie er es sich vorgestellt hatte.

Die nächste halbe Stunde war nichts mehr bei der Villa zu sehen, Maria und ihr Vater blieben im Haus und damit außer Sichtweite. Tákis klopfte an der Tür zu Ryans Zimmer. Sofort sprang Despina auf und öffnete ihm. Nach einem langen Begrüßungskuss setzten sie sich zu dritt an den Esstisch.

»Sie ist bei der Erwähnung der Strandbar sofort nervösig geworden. Ich hoffe, Du hast recht und sie erscheint wirklich.«

»Davon gehe ich aus, Tákis. Tolle Haarfarbe, übrigens.«

Tákis warf ihm einen bösen Blick zu.

»Ich hoffe, das geht alles wieder raus. Diese Frau ist ein sehr … wie, sagt man das … Weib, das alles besser weiß und glaubt, etwas Besseres zu sein.«

»Hochnäsig, präpotent. Ja, das ist sie und das wird ihr zum Verhängnis werden.«

»Was erwartet ihr Euch von dem Ganzen?«, fragte Despina.

Ryan grinste sie verschwörerisch an.

»Wenn es klappt, dann wird Victor Granat zur Rechenschaft gezogen. Nebenbei bin ich mir sicher, dass für uns drei auch etwas herausspringt, finanziell gesehen. Victor muss in dieser Villa sein Vermögen gehortet haben, wenn er demnächst Europa verlassen will. Wenn wir das finden …«

»Das hat mein Schatz also gemeint mit einem neuen Leben«, meinte Despina und lehnte sich an ihren muskulösen Freund.

»Genau. Zu zweit ein Leben aufbauen, mit einem kleinen Geldsegen und mit dem Wissen, dass der Mörder meines Vaters zur Strecke gebracht wurde.«

»Aber vorher müssen wir noch einiges an Arbeit verrichten«, erinnerte Ryan.

Es war kurz nach einundzwanzig Uhr, als Ryans Handy läutete. Er war alleine im Zimmer, Despina und Tákis waren schon seit Längerem weg und wollten den Abend daheim verbringen. Am Display stand ‚Porto Paradiso‘, eine der vielen Nummern, die er sich vor seinem Flug nach Kreta zusammengesucht hatte.

»Hallo, Ryan. Du hast gesagt, ich solle mich melden, wenn diese Frau von dem Foto vorbeikommt.« Es war Giannis, der Besitzer der Strandbar. Tákis und Ryan hatten ihn vor ein paar Tagen gebeten, nach Maria Ausschau zu halten und Ryan gegebenenfalls zu informieren.

»Ich nehme an, sie ist nicht alleine.«

»Nein, ein Chinese ist bei ihr.«

»Danke, Giannis. Bis gleich.«

Es dauerte keine zehn Minuten, bis Ryan fertig angezogen war und sich auf den Weg zur Bar machte. Obwohl es noch sehr warm war, hatte er eine lange dunkle Stoffhose an, aufpolierte Lederschuhe und trug ein Hemd, auf dem das Logo einer Designerfirma deutlich zu sehen war. Alleine das Hemd hatte über hundert Euro gekostet, aber damit sein Plan aufgehen würde, musste Ryan tief in die Trickkiste greifen. Dazu gehörte auch seine neue Uhr, eine edle Breitling. Die Zahlen und Zeiger auf dem schwarzen Ziffernblatt glänzten in Gold, das Armband bestand aus echtem Rotgold. Normalerweise würde die Uhr über 30.000 Euro kosten. Ryan hatte sie bei einem mehr als seltsamen Händler in einer wenig sympathischen Gegend in Wien gekauft, um mehrere hundert Euro. Eine identische Kopie aus billigem Material hatte er um gerade einmal fünfzig Euro erstanden.

Außerdem setzte er eine Brille auf, eine täuschend echte Ralph Lauren. Sie würde ihm noch wertvolle Dienste leisten.

In Gedanken ging Ryan noch einmal alles durch, was er die letzten Wochen und Monate studiert hatte. Er hatte alle Möglichkeiten genutzt, um so viel wie möglich über Maria zu erfahren. Nun war der Moment, wo er es einsetzen musste, ohne dabei aufzufallen.

Die Bar war gut besucht, fast alle Stühle waren besetzt. Maria und der Chinese fielen ihm sofort auf. Beide passten nicht in das Bild einer gemütlichen Strandbar.

Maria war angezogen, als würde sie heute noch auf einem noblen Ball gehen. Ein dunkelrotes Abendkleid, eng geschnitten und perfekt anliegend, trägerlos und mit einigen kleinen, glitzernden Steinen besetzt, die ihr Dekolleté hervorhoben. Sie war dezent geschminkt, die offenen Haare saßen perfekt und ihr Blick ging vom Strand zur Bar und wieder zurück. Das ganze Ambiente schien sie nicht besonders zu überzeugen.

Der Chinese, der ihr gegenübersaß, war im Gegensatz zu Maria eher sportlich gekleidet, Jeans und T-Shirt. Sein Blick ging ruhelos durch die Bar und über den Strand, scheinbar nahm er seinen Job als Bodyguard sehr ernst.

Vor ihnen standen zwei Shakes am Tisch, da sie keine Dekorationen hatten, wohl Milchshakes. Maria hatte ihr Handy in der Hand und tippte herum. Aus der Entfernung konnte Ryan nicht erkennen, welche Marke es war.

Ryan stellte sich an die Bar, begrüßte Giannis und bestellte einen alkoholfreien Fruchtcocktail.

Sie plauderten über die Bar und wie das Wetter schon seit Mitte Mai zum Baden einlud. Auf Giannis' Frage, wie lang er dieses Jahr bleiben würde, hob Ryan die Schultern.

»Schwer zu sagen, aber drei Wochen werden es schon werden. Es ist für mich ja schon so, dass ich nicht nur auf Urlaub hier sein, sondern einen Besuch bei meiner Zweitfamilie mache.«

Nebenbei beobachtete er aus den Augenwinkeln wie Maria und ihr Aufpasser ebenfalls miteinander redeten.

»Wenn ich also etwas von der Insel sehen möchte, stehst Du mir mit der Limousine zur Verfügung, Chin Lee?«, stellte Maria fest.

Es war sehr praktisch, dass Ryan sich mühevoll das Lippenlesen beigebracht hatte. Chin Lees Gesicht konnte er nicht sehen, aber sein Kopfnicken verriet, dass er ihr zustimmte.

Ryan ließ sich noch etwas Zeit und bestellte dann bei Giannis ein Glas Champagner.

Mit dem Glas in der Hand stand er auf und ging zum Tisch von Maria und Chin Lee.

»Werte Dame, ein passenderes Getränk für eine Frau wie Dich«, sagte er höflich und stellte das Glas vor Maria auf den Tisch. Dabei registrierte er, dass Marias Handy ein Nokia Lumia 925 in einem edlen Silbergehäuse war.

Verwundert blickte sie zu ihm auf. Chin Lee spannte sofort seine Muskeln an und fixierte Ryan.

»Ganz ruhig, großer Mann. Es macht nicht den Anschein, als bräuchte diese Dame einen Bodyguard. Ich bin mir sicher, dass sie sehr gut alleine auf sich aufpassen kann.«

»Danke für das ... Was habe ich hier bekommen?«, fragte Maria, immer noch verwundert nach.

»Champagner Premier Cru, brut, sicherlich ist Dir der bekannt.«

Ihre Körpersprache verriet ihm, dass sie neugierig geworden war.

»Und was lässt Dich annehmen, dass ...«

»Dass hier eine Frau sitzt, die weit über den üblichen Touristen steht, die ansonsten hier herumlaufen? Eine Frau, die nicht mit einem billigen Plagiat angeben will, sondern ein echtes, maßgeschneidertes Escada-Kleid trägt. Eine Gucci-Tasche, aus der letztjährigen Kollektion und eine echte Rolex am Handgelenk, im Wert eines Kleinwagens? Wobei ich sagen muss, Gold steht Dir nicht so gut.«

»Die Uhr ist ein Geschenk meines Vaters«, unterbrach ihn Maria.

»Dennoch würde ich meinen, zu einer hübschen, anspruchsvollen und besonderen Frau wie Dir passt ein Prunkstück aus Silber besser. Dezenter und eleganter, vielleicht mit Kristallbesetzung, so wie die kleinen Swarovski-Steine auf Deinem Kleid.«

Maria starrte ihn mit offenem Mund an. Sie war sichtlich beeindruckt, wie Ryan sie ansprach und einschätzte.

»Deine Uhr sieht auch recht ansehnlich aus.« Maria deutete auf Ryans Uhr.

»Eine Breitling Navitimer. Nichts Besonderes. Wenn Du noch weiter reden willst, wäre es angebracht, mir einen Platz an Eurem Tisch anzubieten«, meinte Ryan leicht gelangweilt.

Maria rutschte auf der Bank zur Seite und deutete neben sich.

Chin Lee ließ ihn nicht aus den Augen und musterte ihn weiter argwöhnisch.

»Ich heiße Ryan, und mit wem habe ich die Ehre?«

»Maria. Mein Aufpasser hier ist Chin Lee. Du scheinst auch kein Kind armer Eltern zu sein.«

Ryan lachte amüsiert auf.

»Wenn Du es so nennen willst.«

Chin Lee lehnte sich vor und fixierte ihn mit seinen dunklen Augen.

»Du könntest uns ja Deinen ganzen Namen verraten ...«

»Damit Du Dein tolles Handy zücken kannst und nachforschen kannst?«

»Genau.«

Ryan lachte dem misstrauischen Chinesen ins Gesicht und studierte seine Körpersprache. Diesen Mann zu überzeugen würde nicht leicht werden, dessen war er sich sicher.

»Ich hoffe, Du hast einen guten Viren- und Spamschutz auf dem Handy.«

»Nicht, dass es Dich etwas angehen würde, aber ja«, antwortete Chin Lee etwas gereizt.

»Welches Programm?«, fragte Ryan weiter nach.

»BIS Firewall für Handy, eine ...«

Ryan lehnte sich zurück, blickte Chin Lee arrogant an und winkte Giannis an der Bar zu.

»Noch eine Runde. Chin Lee, Du darfst auch etwas bestellen. Immerhin sorgst Du gerade dafür, dass mein Familienvermögen weiter wächst.«

Maris und Chin Lee sahen ihn verständnislos an.

»Such nach Bradly, Martin Bradly. Geschäftsführer von Bradly Internet Security, kurz BIS. Meine Familie hat dieses Unternehmen gegründet und es zum weltweiten Markführer in Sachen Internetsicherheit gemacht.«

Sofort tippte Chin Lee auf seinem Smartphone herum.

Ryan wandte sich wieder Maria zu.

»Was verschlägt eine Frau wie Dich auf die Insel? Es muss doch unzählige bessere Orte geben, die besser zu Dir passen und angemessener wären.«

»Mein Vater hat hier eine Villa und ich bin hier, um zusammen mit ihm unser neues Imperium aufzubauen. Und das wird sicher nicht in Griechenland sein.«

Maria trank ihr Glas aus und blickte Ryan interessiert an. Dabei strich sie ihre Haare nach hinten und neigte den Kopf leicht zur Seite.

Ich habe wohl Dein Interesse geweckt, dachte Ryan.

»Aber dieselbe Frage kann ich Dir stellen. Wenn Du in meiner Liga mitspielst ...«

Ryans herablassendes Lächeln ließ Maria verstummen.

»Schönheit, glaub mir, meine Liga ist ... Ich würde behaupten, sehr weit über Dir. Wenn Dein Bodyguard fertig gelesen hat, wird er es Dir bestätigen.«

Chin Lee blickte auf.

»Martin Bradly hat einen Sohn, aber es gibt keine Bilder von ihm.«

»Das ist korrekt, Chin Lee. Mein Vater ist einer der wenigen Menschen, der die Bedeutung und auch Gefahr des Internets erkannt hat. Nicht umsonst sind die BIS- Programme die besten auf dem Markt. Er hat einmal gesagt, es ist nahezu unmöglich, in der heutigen Zeit unbekannt im Netz zu bleiben. Aber gleichzeitig hat er den Beweis geliefert, dass es möglich ist. Weder von meiner Mutter noch von mir gibt es Bilder oder Privates im Netz. Kein Facebook, kein Twitter, keinen Blog. Er und seine Firma sind präsent, sein Privatleben ist tabu.«

»Interessant. Aber das kann natürlich jeder behaupten«, war Chin Lees Meinung dazu.

»Aber nicht jeder kann mit einem Wimpernschlag eine ganze Bar kaufen. Oder warum glaubst Du, gibt es hier in dieser kleinen Bar einen Champagner, der pro Flasche mehr als einen Monatslohn der Kellnerin kostet?«

Besagte Kellnerin erschien gerade am Tisch. Die junge, attraktive Frau lächelte ihn mit ihrem breiten Mund an. Auf Griechisch erklärte Ryan ihr, dass sie noch drei Gläser vom speziellen Champagner bringen sollte.

»Für einen Amerikaner sprichst Du sehr gut deutsch und auch noch griechisch«, fiel Maria auf.

»Gut erkannt. Ich habe mehrere Privatschulen besucht, unter anderem in der Schweiz, Deutschland, Österreich und auch in den Staaten. Was meine Griechischkenntnisse betrifft ...« Er zog seine Geldbörse hervor. Als Ryan sie öffnete, war ein Bündel 100-Euro-Scheine zu erkennen. Ebenfalls gut zu erkennen waren zwei Kreditkarten, beide mit Platinstatus. Er zog eine kleine Karte hervor und reichte sie Chin Lee.

»Gib diese Adresse ein.«

Eine halbe Minute später riss Chin Lee die Augen überrascht auf.

»Eine Abhandlung der griechischen Mythologie, Bezug nehmend auf wahre Geschehnisse und Vergleiche zur heutigen Gesellschaft in Amerika. Geschrieben von Ryan Bradly, Sohn des Milliardärs Martin Bradly«, las Chin Lee vor.

»Für meine Recherchen habe ich die Sprache gelernt. Ich habe für Fremdsprachen eine gewisse Begabung.«

»Wieso bist Du dann in Bali gelandet?«, wollte Maria wissen.

»Weil ich damals hier viele Leute getroffen habe, die mich mit nützlichen Informationen versorgt haben.«

Die Getränke kamen. Ryan beobachtete, wie die langen, schwarzen Haare der Kellnerin fast ins Glas eintauchten, als sie die Gläser austeilte. Sie zitterte leicht und war noch nicht sicher in ihrem Job an der Bar. Dafür machte sie es mit einem sehr freundlichen, ehrlichen Lächeln. Ryan fiel ihre Halskette auf, ein silbernes Herz, das sich öffnen ließ. Wahrscheinlich trägt sie ein Bild von ihrem Freund bei sich, dachte Ryan, bevor er sich wieder auf seine Lügengeschichte konzentrierte. Seine Geldbörse stecke er schnell wieder ein, die nachgemachten Geldscheine und Kreditkarten sollten von Maria oder Chin Lee nicht näher betrachtet werden.

»Auf unser interessantes Treffen heute Abend und auf eine halbwegs schöne Zeit auf Kreta.«

Der Champagner schmeckte für Ryan nicht nach etwas Besonderen. Um den Preis hatte er sich weitaus mehr erwartet, aber er ließ sich nichts anmerken.

»Ich bin gespannt, ob mir diese Insel noch zusagen wird«, war Maria skeptisch.

»Vielleicht habe ich da eine Möglichkeit, Schönheit. Es gibt in Rethymnon, nicht einmal eine Stunde von hier, einige sehr gute Juweliere, die sich auf Silberwaren spezialisiert haben. Wenn Du morgen Zeit hast, zeige ich sie Dir gerne.«

»Morgen bin ich den ganzen Tag lang mit meinem Vater unterwegs.«

»Ich bin noch länger hier, wenn Du Interesse hast, kannst Du mir ja eine Nachricht in meinem Hotel hinterlassen. Ich wohne unweit von hier im Aparthotel Blue Horizon.«

»Das Blue Horizon?«, wunderte sich Chin Lee, »Außer dem Bali Star Hotel gibt es hier im Ort wohl kaum etwas ...«

»Du verstehst es immer noch nicht. Ich habe zwar ein verhältnismäßig winziges Loch als Zimmer, aber so bekomme ich vorgeführt, wie privilegiert ich eigentlich bin ... sagt mein geliebter Vater. Aber nebenbei erwähnt, mir gefällt diese Schlichtheit, ich werde die Hotelanlage wohl kaufen«, log Ryan. In Wahrheit war das Studio ein Traum für ihn. Einfach und dennoch alles, was er benötigte, war im Zimmer vorhanden. Noch dazu hatte er einen direkten Blick auf Marias Villa.

»Meine Zimmernummer ist 214, wenn Du also Deine Schmucksammlung erweitern willst, lass es mich einfach wissen, wann ich Dich abholen soll.«

Ryan trank sein Glas aus und erhob sich. Er reichte Maria die Hand.

»Es war mir eine Ehre, Dich getroffen zu haben. Du machst einen interessanten Eindruck, ich hätte nichts dagegen, Dich besser kennenzulernen, Maria.«

Ihr war anzusehen, dass sie Ryan interessiert fand.

»Ich werde es mir überlegen und Dich wissen lassen.«

Ryan gab auch Chin Lee die Hand, blickte ihn nochmals abfällig an und ging zu Giannis. Er zahlte die Champagnerrunden und winkte dann noch die Kellnerin zu sich.

»Dein erster Tag heute?«, fragte er sie auf Griechisch.

»Ja, warum? Erkennt man das so schnell?«

»Etwas. Pass das nächste Mal etwas auf Deine schönen, langen Haare auf und lass Dich nicht von scheinbar reichen Snobs beeindrucken. Das sind auch nur Menschen, einige davon glauben nur, sie sind etwas Besseres.«

»Ach, wirklich? Ich weiß nicht, ob Du gerade der Richtige bist, um das zu beurteilen.«

Ryan schmunzelte, gab ihr einen 10-Euro-Schein Trinkgeld und verabschiedete sich von ihr und Giannis, mit dem Versprechen, schon morgen wieder zu kommen. Er blickte noch einmal zu Maria und Chin Lee, die sich nach vorne gebeugt miteinander unterhielten.

»Ernsthaft, Milliarden? Dann hat er wohl wirklich Recht und spielt in einer anderen Liga. Aber in einer für mich sehr interessanten«, konnte Ryan von Marias Lippen ablesen. Chin Lee sprach zu ihr. Sie schüttelte den Kopf und blickte für einen Moment zu Ryan.

Als sich ihre Blicke trafen, blickte Maria schnell wieder zu Chin Lee, ein verschmitztes Lächeln auf den Lippen. Ihre Körpersprache verriet ihm, dass sie zumindest neugierig geworden war.

»Nein, ich werde alleine mit ihm fahren. Ich kann schon auf mich aufpassen«, sagte Maria.

Sehr gut, dann läuft ja alles nach Plan, freute sich Ryan und verließ die Bar. Für heute hatte er genug erreicht.

Im Zimmer angekommen zog er umgehend die für ihn untypischen Klamotten aus und legte die Brille ab, an die er sich noch immer nicht wirklich gewöhnt hatte. Danach ging er mit seiner Kamera auf den Balkon und spionierte die Villa aus. Er musste einige Zeit warten, bis im Haus Lichter angingen. Im Erdgeschoss wurde es nur hell, im Obergeschoss blieben zwei Zimmer beleuchtet. Ryan holte sich eine Wasserflasche aus dem Kühlschrank und wartete, um herauszufinden, wo Marias Zimmer lag. Er musste mehrere Minuten warten, bis er Erfolg hatte. Durch das Objektiv seiner Kamera sah er deutlich, wie Maria im Bademantel in ihr Zimmer kam. Soweit Ryan sehen konnte, war das Zimmer mit weißen Möbeln eingerichtet. Zwei Kästen, ein Schreibtisch mit einem Laptop und ein Bett konnte er erkennen. Ryan sah zu, wie die junge Frau ihren Bademantel abstreifte und splitternackt vor dem Spiegel des Schreibtisches stand.

Maria hatte einen sehr anziehenden Körper, schlank aber nicht zu dünn und auch ohne Make-up eine äußerst hübsche Frau. Ryan erkannte sogar ihr Piercing, das ihren Schamhügel zierte. Er ging davon aus, dass der kleine glänzende Stein ein Edelstein war. Sie kämmte sich ihre blonden, noch nassen Haare mehrere Minuten lang glatt und war scheinbar tief in Gedanken versunken.

So ansprechend sie auch war, Ryan kannte das alles schon von den eindeutigen Fotos, die er von ihrer Festplatte kopiert hatte. Als sich Maria ins Bett legte, konnte er nur noch die Füße sehen. Das Licht erlosch und die Vorstellung war vorüber.

Nachdenklich lehnte er sich zurück und sah zu den Sternen am wolkenlosen Himmel.

Einen Tag hatte er nun frei, bevor das Lügenspiel weiterging. Er hoffte, dass Maria sich wirklich melden würde, damit seine Chancen bei ihr stiegen. Soweit er erkannt hatte, war sie neugierig geworden, ein sehr guter Anfang.

Bittersüßer Rakomelo

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