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Kapitel 5

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Ryan stand schon eine halbe Stunde vor dem geplanten Treffen am Hafen von Bali. Der kleine Hafen passte zu diesem, noch recht ursprünglichen, Ort und lag am Beginn der eigentlichen Altstadt von Bali. Neben einem Restaurant führten Stiegen hinauf zur Hauptstraße, wo sich der touristische Teil der Ortschaft erstreckte. Auf der anderen Seite führte der Weg hinauf in die kleinen Gassen Balis, wo sich die Wohnhäuser der Ortsansässigen aneinanderreihten. Ryan war über die einzige Zufahrtsstraße zum Strand spaziert, die ebenfalls nicht dem Tourismus verfallen war. Vielmehr fand man dort Einheimische vor ihren Häusern sitzen, die Frauen beim tratschen, die Männer spielten mit ihrem Komboloi. Diese kleinen Kettchen aus Glas-, Bernstein- oder auch Plastikperlen, die auf einem Faden befestigt waren, gehörten in Kreta zu den einheimischen Männern, wie die Farbe schwarz zu den Frauen. Sie galten sowohl als Glücksbringer als auch Fingerspiel oder einfach nur zum Zeitvertreib.

Am kleinen Strand versammelten sich die ersten Wassersüchtigen, die Lokale waren nur wenig besucht und er konnte zusehen, wie die Getränkelieferanten eifrig herumwuselten. Neben den obligaten Sonnenliegen lagen auch einige Tretboote, Jet-Skis und Kanus am Strand.

Die Fischerboote waren schon ausgefahren, um für die Restaurants und Geschäfte frischem Fisch zu angeln. Am Pier waren nur noch wenige Schiffe, vorwiegend die Ausflugsboote, die am Vormittag losfuhren.

Ryan blickte über das Wasser zu einem bewaldeten Berg, der von jedem Strand aus zu sehen war. Es war kein besonders großer Berg, ohne Namen und mit einer Höhe von gerade einmal 600 Metern. Vor vielen Jahren waren Ryan und Tákis über einen Feldweg und quer über Wiesen und steinigen Boden gewandert, bis sie den Gipfel erreicht hatten. Die Aussicht auf das Meer und auf Bali hatte sie beide damals beeindruckt. Ryan konnte sich noch gut daran erinnern, wie sie am Gipfel in der Sonne lagen und über ihre Zukunft sprachen. Damals, mit fünfzehn Jahren, sprachen sie noch auf Englisch miteinander. Ryan konnte den jungen Tákis in seinem Kopf hören.

»Wenn ich einmal eine richtige Freundin habe, dann werde ich mit ihr hier hinauf wandern. Der Platz ist ideal, um mit einer Frau alleine zu sein.«

Nachdem er einige Wochen mit Despina zusammen war, hatte Tákis Ryan eine kurze E-Mail geschrieben, die nur zwei Sätze enthielt: Erinnerst Du Dich an unseren Tag am Berg und was ich damals sagte? Ich war mit Despina oben und ich kann Dir nur sagen, es war der beste Tag und die beste Nacht meines Lebens.

Ansonsten hatte Tákis nie große berufliche Pläne. Ihm war es wichtiger, dass es seiner Familie gut ging und er immer für seine Eltern und seine kleineren Geschwister da sein konnte. Ryan hatte damals noch den Traum, Lehrer zu werden. Aber dieser Traum war ebenso schnell ausgeträumt, wie viele weitere Berufswünsche. Eigentlich war Ryan zum ersten Mal wirklich zufrieden mit seinem Beruf, als er bei der griechischen Botschaft anfing. Dann, als er vom Unfall von Tákis Vater erfuhr und sich herausstellte, dass Victor Granat Schuld an dessen Tod hatte, konzentrierte sich Ryan nur noch auf ein Ziel: Rache an Victor Granat und den Menschen, die ihn umgaben.

Der Wagen von Chin Lee erschien und holte Ryan wieder in die Gegenwart zurück. Für den heutigen Tag hatte er auf die scheinbar teure Kleidung verzichtet. Er trug knielange Badeshorts, ein orangefarbenes T-Shirt und natürlich seine Brille, die er als Ryan Bradly immer trug. In seinem Rucksack hatte er neben einem Badetuch noch eine zusammengefaltete Luftmatratze eingepackt, zwei Schwimmbrillen, eine Trinkflasche und einen kleinen wasserdichten Beutel. Maria stieg aus und Ryan musste erneut zugeben, dass er es mit einer äußerst attraktiven Person zu tun hatte. Wenn nur der Charakter nicht so verdorben wäre. Die weiße, hautenge Hotpants und ihr ebenso enges Shirt betonten ihren Körper perfekt. Unter dem Shirt konnte Ryan einen roten Bikini erkennen. Sie winkte ihm zu, schnappte sich ihren Rucksack aus dem Wagen und spazierte ihm entgegen. Chin Lee wendete und verschwand umgehend wieder.

»Morgen! Wow, Du siehst fantastisch aus.«

Ausnahmsweise musste Ryan nicht lügen.

»Danke, ich habe mich bemüht. Lass uns etwas essen gehen, bevor wir uns aufs Meer hinauswagen.«

Ryan deutete auf ein Restaurant, dessen Terrasse einen direkten Blick über den Hafen bot. Vorsichtig legte er den Arm um Marias Schultern. Als er merkte, dass sie nicht abgeneigt war, führte er sie in Richtung des Lokals.

Während Maria und Ryan bei Fruchtsaft und einer üppigen Speiseplatte saßen und über gefüllte Weinblätter und Tzatziki plauderten, war Tákis von seinem Bruder in der hügeligen Gegend hinter Bali unterwegs. Nikos ließ ihn bei einem großen Ziegengehege aussteigen, reichte ihm die schwarze Sporttasche und verabschiedete sich mit den Worten: »Ich will gar nicht wissen, was Du machst, aber bitte, pass auf Dich auf.«

Tákis machte sich auf den Weg, den Berg schnellst-möglich zu besteigen. Mit der Tasche um die Schulter ging er den Weg entlang, von dem er wusste, dass er nach knapp einem Kilometer endete. Ab dann musste er über ein Steinfeld nur noch geradeaus bis zum Gipfel.

Tákis erinnerte sich an seine Wanderung auf den Berg, zusammen mit Ryan. Und auch seine erste Wanderung mit Despina war ihm noch gut in Erinnerung. Schon am Weg bis zum Berggipfel konnten sie damals kaum die Hände voneinander lassen. Am höchsten Punkt angekommen, präsentierte er ihr den herrlichen Ausblick und Despina bedankte sich auf ihre ganz spezielle Art und Weise bei ihm. Tákis wollte seine Trinkflasche aus dem Rucksack holen, als seine Freundin schon nackt vor ihm stand. Bis sie sich wieder anzogen, sollte es bis zum nächsten Morgen dauern.

Dieses Mal hatte er einen ganz anderen Grund für seine Wanderung. Ein Blick auf seine Uhr verriet ihm, dass er noch genügend Zeit hatte. Dennoch wollte Tákis so schnell wie möglich den Aufstieg hinter sich bringen, um sich voll und ganz auf seinen Auftrag zu konzentrieren.

Nach dem ausgiebigen Frühstück erkundigte sich Ryan beim Bootsverleih und wurde enttäuscht. Alle Motor-boote waren unterwegs.

»Wir haben noch zwei Tretboote, ansonsten ...«, erklärte ihm die Frau vom Verleih auf Griechisch. Maria stand neben Ryan und verstand kein Wort.

»Aber Tákis hat mir versichert, dass ihr für uns ein Boot ...«

»Tákis?«, sofort veränderte die Frau ihren gelangweilten Gesichtsausdruck und blickte ihn verschwörerisch an, »Warum sagst Du das denn nicht gleich. Wir haben ein Boot, natürlich.« Die Frau sah ihn kurz fragend an und blickte von ihm zu Maria.

Ryan verstand.

»Du kannst reden, sie versteht uns nicht«

»Sehr gut. Wir haben ein Elektroboot, das auch eine gute Geschwindigkeit hat. Aber es ist schon älter und wird wohl bald entsorgt werden.«

»Das glaube ich auch. Wird es Probleme geben beim ... entsorgen?«

»Keine. Wir werden es zwar bergen müssen, aber solche kleinen Unfälle können passieren. Tákis bekommt sein Geld wie besprochen am Abend.«

Ryan zog ein kleines Bündel Geldscheine hervor und legte es der Vermieterin in die Hand.

»Der Oberste ist für Dich, den Rest würde ich schnellstens verschwinden lassen. Es sind sehr schlechte Kopien.«

Mit einem breiten Lächeln steckte sie die Scheine ein.

»Ich hole sofort Euer Boot.«

»Gibt es Probleme?«, fragte Maria, die ahnungslos neben Ryan stand und die Unterhaltung nicht deuten konnte.

»Nein, wir steigen nur um auf eine umweltbewusstere Variante. Da keine Motorboote mehr zur Verfügung stehen, nehmen wir eines der Elektroboote. Die sind ebenfalls sehr gut motorisiert, dafür sogar leiser.« Maria hatte keine Einwände. Ihr Boot wurde ins Wasser geschoben und Ryan bekam eine kurze Einweisung. Ein Gashebel, das Lenkrad und der Hinweis, beim Aussteigen daran zu denken, dass das Boot keinen Anker hatte. Maria musterte das Boot abschätzig. Es war schon lange im Einsatz und hatte dementsprechend Abnutzungs-erscheinungen. Die dunkelrote Farbe war an mehreren Stellen ausgebleicht, die Sitzplätze vom Wetter leicht in Mitleidenschaft gezogen. Ryan sah ihren Ausdruck und lächelte.

»Die Zeit war etwas knapp um ein besseres Schiff aus Rethymnon oder Heraklion holen zu lassen. Aber für einen ersten Ausflug wird es genügen. Wenn es Dir zusagt, dann können wir das gerne wiederholen und dann habe ich etwas Vorbereitungszeit.«

Maria nickte ihm zu und ergriff seine Hand, um ins Boot zu steigen. Sie machte es sich auf dem Platz neben dem Lenkrad bequem und setzte ihre Sonnenbrille auf. Interessiert sah sie Ryan zu, wie er das Boot vom Strand weg steuerte und aufs offene Meer hinaus fuhr.

»Wie war Dein Buch?«, fragte Ryan nach. Maria musste kurz überlegen, was er meinte.

»Ach so, ja, das war interessant. Vielleicht kennst Du es, ‚Dino Park‘ von Michael Crichton. Es ist recht ähnlich zum Kinoklassiker ‚Jurassic Park‘.«

Ryan unterdrückte sein Lachen. Er versuchte möglichst normal zu klingen, wobei er sie am liebsten lautstark ausgelacht hätte.

»Soweit ich weiß, ist der Film auf Grundlage des Buches erschienen«, klärte er sie auf. Sie hatten inzwischen genug Abstand zum Strand, Ryan beschleunigte und das Boot schoss über das ruhige Meer.

Eine Waffe zu besitzen war auf Kreta nichts Unge-wöhnliches, aber ein richtiges Scharfschützengewehr hatte nicht jeder in seinem Besitz. Tákis kannte sehr viele Leute auf der Insel, darunter auch einige Personen, die sich nicht nur legal durchs Leben schlugen. Das Gewehr, welches neben ihm lag, war schnell zusammengebaut, ihm hatte eine kurze Einweisung gereicht.

Er hockte am Gipfel des Berges, hatte bei dem wolkenlosen Wetter eine herrliche Aussicht weit ins Landesinnere und über das Meer. Es war windstill, ideal für Tákis. Von seinem Platz aus konnte er einige Boote im Meer ausmachen. Mit einigen größeren Steinen hatte er sich ein provisorisches Stativ aufgebaut. Er platzierte das Gewehr darauf und blickte durch das Zielfernrohr. Sein Blick schwenkte über das Meer, von einem Boot zum nächsten. Die Uhr verriet ihm, dass er noch Zeit hatte. Ausgemacht war halb elf, noch vierzig Minuten.

Maria holte ihre Sonnencreme aus dem Rucksack. Betont lasziv zog sie ihr Shirt aus, verstaute es im Rucksack und lehnte sich zurück. Natürlich wusste sie genau, dass auf diese Weise ihr roter Bikini und ihr Körper schön zur Geltung kamen.

Unter anderen Umständen, wäre es wirklich schwer, Dir zu widerstehen, ging Ryan durch den Kopf. Er sah ihr zu, wie sie sich die Arme und das Gesicht eincremte, unterdessen lenkte er das Boot immer weiter weg von Bali. Weit und breit waren keine anderen Schiffe. Inzwischen waren sie näher an den Klippen, die neben der Küstenstraße lagen. Ryan sah auf seine Uhr, das Imitat der Breitling. Sie würde den Tag wohl nicht überstehen, dachte er sich, dafür kam sie nun viel deutlicher zum Vorschein.

»Hast Du den Rakí gekostet?«, fragte er und fixierte dabei Marias wohlgeformte Oberweite.

»Oh ja. Obwohl ich normalerweise keine harten Getränke bevorzuge, dieser Honigschnaps war sehr lecker. Er brennt zwar etwas, schmeckt aber gut. Wenn wir das nächste Mal in diese Stadt fahren, dann werden wir neben dem Juwelier auch noch eine Flasche von dem Schnaps mitnehmen. Mein Vater wird sich darüber freuen.«

»Genau genommen nennt sich dieser Schnaps Rakomelo, eine Variation von Rakí mit Honig. Wenn Du einen wirklich gut gebrannten Rakí möchtest, werde ich Dir ein Geschäft direkt in Bali zeigen.« Ryan löste sich von Marias Körper und blickte wieder gerade aus. Aus den Augenwinkeln konnte er aber feststellen, wie sie von seinen Blicken geschmeichelt war.

Einige Zeit später stellte Ryan den Motor ab. Inzwischen waren sie auf offener See, bis zum nächstgelegenen Felsen, der nahe der Küstenstraße aus dem Meer ragte, war es ein weiter Weg.

»Ist es hier ideal für Dich zum Baden?«, fragte er. Inzwischen war es kurz vor halb elf, Ryan hoffte darauf, dass Tákis bereits in Position war.

Maria stand auf und sah sich um. Das Meer schimmerte tiefblau. Leise war der Verkehr von der Küstenstraße zu vernehmen, ansonsten waren Maria und Ryan ungestört.

»Mir gefällt es hier«, entschied Maria und zog sich ihre Hotpants hinunter. Zum Vorschein kam ihr rotes Bikinihöschen. Als sie über den Sitz auf die hintere Fläche des Boots kletterte, konnte Ryan nicht anders, als ihr nachzusehen.

»Bleibst Du an Bord, Ryan?«

»Vorerst ja. Aber gleich leiste ich Dir Gesellschaft«, meinte er, wobei er ganz andere Gründe hatte.

Maria lächelte Ryan an und sprang dann mit einem Kopfsprung ins Wasser. Kaum war sie untergetaucht, richtete Ryan den Blick zum Berg hinauf, wo Tákis ihn sehen sollte.

»Jetzt, mein Freund, liegt es an Dir. Ich baue voll auf Dich«, murmelte Ryan. Maria tauchte neben dem Boot auf.

»Das Wasser ist herrlich. Etwas kühl, aber so erfrischend und … was soll ich sagen, einfach traumhaft. Willst Du nicht auch einen Sprung riskieren?«, meinte sie begeistert.

»Warum nicht? Wenn Du möchtest, ich habe noch eine Schwimmbrille für Dich.«

Das Angebot nahm Maria gerne an und ließ sich eine von Ryan reichen. Er selbst zog sein Shirt aus und kramte nach der zweiten Schwimmbrille.

Ryan blickte zu Maria, die es sichtlich genoss, ungestört im Meer zu schwimmen. Ein kurzes Aufblitzen vom Berggipfel entlockte ihm ein breites Grinsen. Auf seinen besten Freund war Verlass. Ryan sprang ins Wasser und gesellte sich zu Maria.

Anita, die Vermieterin vom Hafen, kannte Tákis schon seit Kindheitstagen. Die fast 50-jährige Frau war schon immer am Hafen tätig. Neben der Bootsvermietung bot sie auch einige geführte Ausflüge an, organisierte aus Wunsch spezielle Fischlieferungen für die Restaurants und manchmal war sie auch als Taxiunternehmen tätig. Denn ihr Prunkstück, ein blau-weißes Schnellboot, durfte nur von ihr gesteuert werden. Sie hatte vor Längerem schon mit Tákis gesprochen, da sie eines der Elektroboote loswerden wollte, aber keinen Käufer fand. Bei einem Unfall würde wenigstens ein kleiner Betrag von der Versicherung gezahlt werden, mehr als ihr bislang für das Boot geboten worden war. Tákis galt als verschwiegen und verlässlich und hatte sofort zugestimmt. Anita hatte noch einen Vorteil auf ihrer Seite. Die Untersuchung nach der Ursache würde nichts Auffälliges ergeben, dafür würde ihr Mann schon sorgen. Es war praktisch einen Polizisten als Ehemann zu haben. Ihre einzige Bedingung war, dass niemand zu Schaden kommen dürfe, was Tákis ihr versichern konnte.

Nun kniete Tákis auf dem Berggipfel und hatte Ryan genau um Visier.

Er hatte nicht lange suchen müssen, um Maria und Ryan ausfindig zu machen. Tákis wusste, mit welchem Boot sie unterwegs waren und wohin Ryan steuern würde.

Das Scharfschützengewehr hatte eine hervorragende Zielvorrichtung. Tákis konnte erkennen, wie Maria etwas abseits des Bootes schwamm und Ryan sich bereit machte, ihr zu folgen. Tákis holte einen runden Spiegel hervor und schwenkte ihn gegen die Sonne. Ryan hob kurz die Hand, Daumen hoch. Nun lag es an ihm.

In Griechenland galt die allgemeine Wehrpflicht, neun Monate lang hatte Tákis den Militärdienst absolviert. Dabei war er mit verschiedenen Waffen vertraut geworden, darunter auch Scharfschützengewehre. Obwohl es schon einige Zeit zurücklag, die Handhabung hatte er nicht verlernt.

Kaum war das Boot verlassen suchte er auf der Ladefläche eine vorpräparierte Stelle. Anita hatte keine genauen Informationen, was Tákis‘ Plan war und wollte auch nichts Näheres wissen. Aber sie kannte ihre Boote in und auswendig, vor allem die Schwachstellen. Genau eine dieser Schwachstellen visierte Tákis nun an.

Entspannt paddelte Ryan mit den Beinen unter Wasser und drehte sich dabei, dass Maria dem Boot den Rücken zukehrte.

»Du hast recht, Schönheit. Herrlich erfrischend. Wie ist die Aussicht unter Wasser?«

»Hol tief Luft und finde es mit mir heraus«, forderte Maria ihn auf und tauchte vor ihm hinab. Ryan blickte noch einmal hinauf zu der Position, wo er Tákis vermutete. Plötzlich traf ein Schuss das Boot, gleich darauf folgte ein weiterer. Damit ist Dein Teil auch schon wieder erledigt, Bruder, dachte Ryan und tauchte ebenfalls ab.

Das Wasser war klar, mit ihren Schwimmbrillen konnten sie bis zum Meeresgrund hinab sehen. Ungefähr sieben Meter tief war das Wasser an dieser Stelle, unter ihnen war der Meeresboden sandig mit vielen großen Steinen. Einige Fischschwärme zogen vorbei, kein Fisch größer als zwanzig Zentimeter. Elegant und ruhig schwamm Maria im Wasser und sah sich um. Ryan tauchte in Richtung Boot und erkannte die Stellen, an denen das Wasser ins Boot eindrang.

Wieder an der Wasseroberfläche schwammen sie näher an ihr Elektroboot. Ryan erkannte Marias Augen durch die Schwimmbrille nur verschwommen, aber trotzdem war deutlich zu sehen, wie ihr der Ausflug gefiel.

»Ich habe eine Luftmatratze im Rucksack, wenn Du noch etwas hier heraußen entspannen willst«, schlug er ihr vor.

»Gute Idee«, plötzlich sah sie ihn überrascht an, »Deine Uhr!«

»Ups, na hoffentlich ist sie wasserdicht«, meinte er nur lapidar.

Maria entschied sich, noch im Wasser zu bleiben, während Ryan wieder ins Boot stieg und die Luftmatratze auspackte. Ein kurzer Blick auf den Boden reichte aus, um zu erkennen, dass das Wasser langsam anstieg. Noch war es nur eine kleine Pfütze.

Es dauerte mehrere Minuten, bis Ryan die leuchtend gelbe Luftmatratze aufgeblasen hatte. Maria hing mit den Händen an der Leiter, die den Einstieg in das Boot erleichterte, und sah ihm zu.

»Na Du hast wohl viel Luft in Deinen Lungen«, meinte sie anerkennend.

»Einer der Gründe, warum ich Nichtraucher bin.« Und wieder ein Pluspunkt bei Dir, fügte er ihn Gedanken hinzu.

Maria stieg zurück ins Boot und holte eine Wasserflasche aus ihrem Rucksack.

»Ganz schön nass hier im Boot«, stellte sie fest. Als sie die Luftmatratze etwas anhob, sprang sie erschrocken zurück.

»Ryan!«, kreischte sie auf.

»Was ist denn, Schönheit?«

»Ein Loch! Wir haben hier ein Loch!«, schrie sie voll Entsetzen auf.

Ryan legte die Luftmatratze zur Seite und sah den Einschuss von Tákis aus der Nähe. Durch das kleine, ausgefranste Loch sprudelte langsam Wasser herein.

»Das stand nicht auf dem Programm. Wir werden wohl den Ausflug abbrechen müssen und zurückfahren.«

»Gute Idee, am besten so schnell wie möglich.«

Ryan startete den Motor und wendete das Boot. Er beschleunigte und ließ den Elektromotor auf Höchst-leistung laufen. Maria saß neben ihm und blickte nervös zwischen ihm und dem Loch hin und her. Sie waren keine fünf Minuten unterwegs und noch weit entfernt vom Festland, als der Motor stotterte und dann verstummte. Entgeistert blickte Maria Ryan an.

»Die Batterie ist leer«, stellte Ryan emotionslos fest. Maria sah sich um und wurde weiß im Gesicht. Ryan sah, wie ihre Hände zu zittern anfingen.

»Bist Du verrückt? Was soll das heißen, die Batterie ist leer? Wie kommen wir … das Wasser, steigt immer mehr. Dieses Boot wird sinken und wir sind mitten auf dem Meer!«, stammelte Maria entsetzt.

Ryan behielt die Ruhe, musste sich bemühen, sich nicht zu verraten. Wenn sie von hier aus bis zu den Felsen bei der Küstenstraße schwimmen würden, wären sie in einer Viertelstunde wieder an Land. Doch die Angst ließ Maria nicht mehr rational denken und somit konnte er seinem Plan weiter nachgehen.

»Du kannst doch gut schwimmen, Maria?«

»Ja, aber wir können doch nicht von hier bis nach Bali …«

»Gib mir alle wichtigen Sachen von Dir. Ich habe im Rucksack einen wasserdichten Beutel. Da passiert unserem Geld und den anderen wichtigen Gegenständen nichts. Wir werden mit der Luftmatratze an Land schwimmen.«

Maria riss die Augen noch weiter auf.

»Wie bitte? Mit der …« Sie überlegte und blickte von der Matratze zu dem kleinen Loch und dann zum Strand.

»Ja, es wird ein etwas längerer Schwimmausflug. Aber auf der Luftmatratze können wir uns beide festhalten und uns zwischendurch etwas erholen, falls die Strömung etwas stärker wird«, erklärte Ryan, der immer noch ruhig blieb. Er drückte ihr den durchsichtigen Beutel in die Hand und Maria gab ihren Schmuck und ihre Geldbörse hinein. Es folgte eine kleine Digitalkamera, die sich Ryan schnell einprägte. Auch ihr Handy wanderte in den Beutel, bevor Ryan seines dazulegte. Das geklonte Handy hatte er bei Despina gelassen. Ansonsten gab er nur noch seine Geldbörse und seine Brille hinein und verschloss den Beutel.

»Weißt Du eigentlich, wie weit es bis zum Hafen von Bali ist?«, fragte Maria aufgeregt und deutete auf die Ortschaft in der Ferne.

»Du siehst so aus, als wärst Du gut durchtrainiert, Maria.«

»Nicht so gut um eine derart lange Strecke zu schwimmen.«

Ryan nahm Marias Oberarme und zog sie leicht zu sich. Dabei sah er ihr tief in die Augen. Sie wurde noch nervöser, vermutete wahrscheinlich, dass er die Situation ausnutzen würde.

»Keine Sorge, wenn Du erschöpft bist, hast Du ja die Luftmatratze. Ich werde Dich sicher an Land bringen, Schönheit. Das verspreche ich Dir«, sagte er gefasst. Er ließ sie wieder los und kletterte über seinen Sitz zum hinteren Teil des Bootes. Hier stand das Wasser inzwischen bis zu den Knöcheln. Ryan warf die Luftmatratze über Bord und sprang mit dem Beutel in der Hand hinterher. Er landete neben der Luftmatratze im Wasser und deutete Maria, zu ihm zu kommen.

»Und mir soll Kreta sympathisch werden?«, zweifelte Maria und sprang hinterher. Sie krallte sich an der Luftmatratze fest und blickte ängstlich zum Boot.

»Wir haben einen weiten Weg vor uns, gehen wir es langsam an«, versuchte Ryan, sie etwas zu motivieren. Sie hingen an der Längsseite der Matratze, den durchsichtigen Beutel mit ihren Utensilien vor sich in der Mitte und tauchten langsam mit ihren Füßen an. Dabei entfernten sie sich immer weiter vom Boot. Die Situation war alles andere als gefährlich, das wusste Ryan. Die leuchtend gelbe Luftmatratze war leicht zu finden und selbst ohne wären sie innerhalb einer halben Stunde nah genug am Strand, um entdeckt zu werden. Aber Maria sollte ruhig etwas Panik bekommen und dementsprechend Ryan als ihren Retter sehen. Das war von Anfang an sein Plan gewesen.

»Siehst Du, alles nicht so schlimm. Wir paddeln ganz einfach in Richtung Bali zurück, werden mit der Matratze in den Hafen einlaufen und ich werde der netten Dame von der Bootsvermietung erklären, dass ihr Boot hier draußen zu suchen ist.«

»Du bist die Ruhe selbst, Ryan. Hast Du keine Angst?«

»Nein, Maria, warum auch? Wir sind nur vom Boot auf die Luftmatratze umgestiegen. Ich habe Dir versprochen, dass Du sicher an Land kommst und dieses Versprechen werde ich halten, davon kannst Du ausgehen.« Seine Antwort schien Maria nur geringfügig zu beruhigen. Wortlos bewegte sie ihre Beine, sah konzentriert nach vorne und ihre Finger krampften sich um das gelbe Plastik der Matratze.

Mehrere Minuten lang schwammen sie schweigend vor sich hin. Ryan glitt in Gedanken ab. Er dachte an Tákis und Despina, ihre innige und dennoch sehr offene Beziehung und ihr Vorhaben, am Abend in Heraklion einen Swinger-Club zu besuchen. Ryan wusste viel von Tákis Beziehung mit Despina, auch über deren hemmungsloses Sexleben. Deshalb überraschte ihn ihr Abendprogramm nicht besonders. Tákis hatte ihm seit dem Beginn der Beziehung schon viel über ihre Spielarten verraten und diese gingen weit über normalen Kuschelsex hinaus. Ryan wusste gar nicht, ob Despina je erfahren hatte, woher einige der ausgefallenen Spielsachen kamen. Diverse Utensilien hatte er für Tákis bei seinen Besuchen mitgebracht. Da Despina sehr freizügig war und kein Problem damit hatte, wenn andere sie sahen, kannte Ryan auch einige intime Bilder von ihr. In gewisser Weise beneidete er Tákis, der mit Despina in jeder Hinsicht wunschlos glücklich war. Schon mehrmals hatte er geschrieben, dass sie für ihn das Wichtigste auf der Welt war. Sie und seine Familie, dafür lebte Tákis. Ryan hatte in seinen bisherigen Urlauben in Kreta zwar auch hin und wieder etwas Spaß mit Touristinnen. Dieses Gefühl, so wie Tákis es ihm beschrieb, das hatte er bislang noch nie erlebt. In Wien waren seine Beziehungen nie von langer Dauer gewesen. Wie er zu Maria gesagt hatte, er lebte gern etwas zurückgezogen und wollte sich nicht von einer Frau abhängig machen lassen. Es sei denn, er würde eine Frau finden, die dieselbe Wirkung auf ihn hatte, wie Despina auf Tákis. Außerdem war Ryan die letzten Monate nur mit Maria beschäftigt und hatte so gut wie keine Zeit für andere Aktivitäten.

Er blickte zu ihr hinüber. Ihr stand der Schreck noch immer ins Gesicht geschrieben. Sie bemerkte seinen Blick und schenkte ihm ein zögerndes Lächeln.

»Zum Glück hast Du die Luftmatratze mitgenommen. Ansonsten wäre es richtig anstrengend geworden.«

»Dabei war sie nur für Dich gedacht, damit Du etwas auf dem Meer relaxen kannst.«

Maria griff mit einer Hand hinüber und hielt sich an Ryans Handgelenk an.

»Nett von Dir. Ich muss sagen, mit Dir wird es nicht langweilig, Ryan.«

Ryan nahm seine freie Hand und streichelte ihre sanft.

»Es soll doch auch ein besonderer Urlaub für Dich sein, auch wenn ich ihn mir etwas anders vorgestellt habe.«

Ryan blickte zurück und konnte zusehen, wie das Elektroboot langsam versank.

»Das war es dann mit unserem Bootsausflug«, kommentierte er den Untergang.

»Nur gut, dass wir es rechtzeitig gemerkt haben.« Maria bekam langsam wieder Farbe ins Gesicht, wahrscheinlich mehr wegen der Anstrengung.

Sie paddelten in der prallen Sonne weiter, Maria blickte immer wieder zu Ryan und dieser erkannte, wie sie ihn verzückt ansah. Inzwischen waren die Strände schon deutlich zu erkennen. Ryan überlegte schnell seine Möglichkeiten und fasste spontan einen neuen Plan. Er steuerte auf den Strand vor dem ‚Porto Paradiso‘ an.

»Wir werden an diesem Strand an Land gehen, Schönheit. Dort kannst Du Dich stärken und etwas trinken, ich kümmere mich um das gesunkene Boot.«

Maria schien sein Vorschlag zu gefallen. Je näher sie dem Strand kamen, desto motivierter war Maria und strengte sich an.

Als sie endlich den sandigen Boden unter den Füßen spürten, war über eine Stunde seit dem Untergang des Bootes vergangen.

Maria war etwas erschöpft und ließ sich bereitwillig von Ryan stützen. Er legte den Arm um ihre schlanke Taille und führte sie zur Strandbar. Die Luftmatratze lehnte er an die Steinmauer, Maria ließ sich in einem der breiten Rattansessel fallen. Christina sah ihn und grüßte freundlich.

»Hallo, junge Frau. Kannst Du der Dame dort ein Glas von dem speziellen Champagner bringen, Giannis weiß schon welchen ich meine. Egal was sie bestellt, schreib es auf meine Rechnung, ich werde es später zahlen«, meinte Ryan auf Griechisch.

»Egal was sie bestellt? Du bist aber großzügig, dazu noch den teuren Champagner?«, meinte sie spöttisch.

Ryan tätschelte ihre Schulter.

»Wenn Du am Abend auch hier bist, lade ich Dich gerne auch auf ein Getränk ein.«

»Darauf komme ich zurück.«

Ryan ging zurück zu Maria an den Tisch.

»Schönheit, ich habe Bescheid gesagt, gleich kommt ein Getränk. Prosecco mit Erdbeeren haben sie hier leider nicht, dafür Champagner. Iss eine Kleinigkeit, ich bin in einer halben Stunde wieder hier bei Dir.«

Ryan schnappte sich den Beutel, verabschiedete sich höflich bei Maria und versprach ihr, dass sie sich nun erholen konnte, ohne weiteren Stress.

Schnell marschierte er die steile Gasse neben dem Strand hinauf, blickte dabei mehrmals zu Maria zurück. Sie hatte ihr Glas Champagner schon erhalten und sah ihm nach. Er winkte ihr noch einmal und verschwand dann aus ihrem Blickwinkel.

Sofort holte er sein Handy aus dem Beutel und rief Despina an.

»Hi, Ryan. Mein Schatz hat mir schon alles erzählt. Interessante Theorie, wie Du Dich an diese Frau ranmachst.«

»Danke und jetzt brauche ich spontan und schnell Deine Hilfe. Bist Du im Laden?«

»Ja, ich bin im Supermarkt. Was genau benötigst Du?«

»Dich, einen Computer und eine Deiner SD–Karten. Ich bin gleich bei Dir und erkläre Dir alles.«

Ryan erschien nach zwanzig Minuten wieder bei Maria an der Bar. Nun trug er auch wieder seine Brille. Maria hatte inzwischen einen Milchshake und eine Pizza vor sich stehen. Er legte den Beutel vor ihr auf den Tisch. Erst jetzt realisierte sie, dass sie Ryan mit all ihren Sachen hatte davongehen lassen. Ryan bestellte sich ein großes Glas Soda und setzte sich zu Maria an den Tisch. Mittlerweile hatte sie ihre Fassung wiedergefunden.

»Also, was machen wir nun mit dem restlichen Tag, immerhin ist es erst kurz nach mittags«, fragte Maria. Damit war für Ryan klar, dass er heute noch mehr Zeit mit ihr verbringen konnte. Ein Blick auf seine Uhr verriet, dass das Imitat nicht wasserdicht war. Er nahm sie ab, ging zur Theke und drückte sie Giannis in die Hand.

»Kannst Du sie bitte entsorgen, das Meerwasser war etwas zu viel.«

Giannis sah die goldene Uhr bewundernd an.

»Die sieht nur gut aus, Giannis, ist aber unecht«, erklärte Ryan ihm auf Griechisch. Mit einem Lächeln warf Giannis die Uhr hinter sich in den Mülleimer. Ryan wandte sich um und ging zurück zu Maria.

»Ich habe heute nichts mehr geplant und stehe Dir gerne zur Verfügung. Sag mir einfach, was Du möchtest«, meinte er, als er zurückkam. Maria starrte ihn mit offenem Mund an.

»Hast Du gerade eine … eine Breitling-Uhr weggeworfen … einfach so?«, stotterte sie.

»Sie war hinüber und damit für mich wertlos. Ich werde schon eine neue Uhr finden«, sagte Ryan lässig.

Maria überlegte beim Essen, was sie heute noch wollte, Ryan bestellte sich ein Sandwich mit Pommes und hoffte, dass Maria noch Lust auf ihn hatte.

»Hast Du noch Vorschläge, Ryan?«

»Das kommt darauf an, was Dich interessiert.«

»Shoppen lassen wir heute einmal aus«, Maria war am Grübeln. Sie musterte Ryan, der mit freiem Oberkörper vor ihr saß. Vielleicht überlegt sie gerade, ob sie ihre Prinzipien doch über Bord werfen soll und mich mitnimmt, dachte Ryan. Im Moment hatte er nichts mehr auf Lager, um ihre Meinung zu beeinflussen.

»Du wohnst doch gleich hier in der Nähe, Ryan. Du kannst Dir etwas zum Anziehen holen und mich heimfahren. Dafür kannst Du Dich mit mir an den Pool legen, dort können wir garantiert nicht untergehen.«

Bingo, damit komme ich endlich in die Villa, jubelte Ryan innerlich.

Nachdem er bei Christina bezahlt hatte, spazierten sie Hände haltend zu Ryans Studio. Am Weg zum Hotel überlegte Ryan fieberhaft, wie es in seinem Zimmer aussah. Die Kamera hatte er im Kasten verstaut, aber seine Klamotten lagen noch herum, vor allem seine normale Kleidung, die Maria nicht unbedingt sehen musste. Aber Maria machte es ihm leicht, sie blieb neben der Tür stehen und zog ihr Handy heraus.

»Ich sage meinem Vater Bescheid, damit er sich nicht wundert … und auch mein persönlicher Aufpasser informiert ist«, erklärte sie und schenkte ihm ein Lächeln.

Ryan beeilte sich, zog sich ein Hemd an und schrieb Tákis eine Nachricht: Bin am Nachmittag bei Maria. Bis morgen, Meditation am Strand bei Sonnenaufgang

Mit dem Autoschlüssel in der Hand ging er wieder hinaus.

»Lass uns fahren, Schönheit.«

Es dauerte nur wenige Minuten, bis sie vor der Villa einparkten. Ryan half Maria aus dem Wagen und begleitete sie die Stiegen hinauf. Beim massiven Eisentor wartete bereits Chin Lee auf sie und öffnete ihnen das Tor. Ryan richtete seine Brille und betätigte dabei einen kleinen, nahezu unsichtbaren Knopf auf der Innenseite des Bügels. Maria ging vor und wartete auf ihn. Ryan trat in das Haus und stand in einem großen hellen Vorraum. Die Wände, die verzierten Säulen, alles war in Weiß gehalten und erinnerte an ein altes Herrenhaus. Eine breite Treppe führte in den oberen Stock, wo auch Marias Zimmer lag. Auf dieser Treppe stand Victor Granat im dunklen Anzug und Krawatte. Sein Blick war kalt und skeptisch.

»Ryan Bradly, ich habe schon von Ihnen gehört. Victor Granat«, stellte er sich vor, ohne sich von seiner erhöhten Position zu bewegen.

Ryan blickte ihn an. Zum ersten Mal stand er dem Mann gegenüber, der für alles verantwortlich war. Alle Vorbereitungen, Entbehrungen, alles, worauf er sich konzentriert und gelernt hatte, lief darauf hinaus, diesen Mann zu treffen. Hier in dieser Villa zu stehen, neben Maria, war ein großer Erfolg für Ryan, aber dennoch nur der Anfang.

»Mein Kind, Du hast Dich am Telefon sehr kurz gefasst, was ist passiert?«, fragte Victor Granat mit ernster Stimme nach.

Er bekam von seiner Tochter eine Kurzfassung des Bootsausflugs und ließ dabei Ryan nicht aus den Augen. Als Maria fertig war, sah er Ryan argwöhnisch an.

»Was haben Sie wegen des defekten Bootes mit dem Vermieter gemacht?«

»Die Vermieterin war ziemlich geschockt und wollte mir das Geld zurückgeben. Ich habe ihr noch etwas mehr gegeben und empfohlen, alle Boote überprüfen zu lassen.«

»Bei ihnen sitzt das Geld wohl sehr locker.« Ryan vermutete eine Fangfrage von Herrn Granat.

»Mitnichten, aber wir reden hier von ein paar Hundert Euro. Bei unserem kleinen Unfall wurde meine Uhr kaputt, das ärgert mich viel mehr. Immerhin war es eine Sonderedition mit einem goldenen Ziffernblatt und eingearbeiteten Diamanten.«

»Das klingt nach einem wertvollen Verlust.«

»Die paar tausend Euro sind mir egal. Die Anfertigung hat damals mehr als einen Monat gedauert, das stört mich.«

Ryan erkannte an Victor Granats Gesichtsausdruck, dass er stutzig wurde.

»Sie haben meinem Kind eine kleine Kostprobe eines heimischen Schnaps geschenkt.«

Und weiter, dachte Ryan, was willst Du wirklich wissen? Er sah dem Mann weiterhin in die Augen und hielt seinem prüfenden Blick stand.

»Das stimmt, Herr Granat. Maria hat mir verraten, dass Sie vielleicht auch Interesse daran hätten. In diesem Fall kann ich ihnen einen Laden im Ort empfehlen, der meiner Meinung nach den besten Rakomelo verkauft. Dort gibt es mehrere Produkte, die auf der Insel hergestellt werden.«

»Wenn der Laden so gut ist, warum kaufen Sie ihn dann nicht auf?«, konterte Marias Vater und zu ersten Mal schien er etwas zu lächeln.

»Die Leute auf Kreta sind sehr stolz. Solange sie von dem Verdienst leben können, sind sie glücklich. Außerdem bin ich zurzeit eher an dem Aparthotel interessiert, in dem ich wohne.«

Maria schien genug gehört zu haben.

»Vater, Du kannst Ryan auch später ausfragen, jetzt entschuldige uns bitte, der Pool ruft.«

Victor Granat erklärte ihnen noch, dass die Bar am Pool frisch aufgefüllt war und er in seinem Zimmer wäre. Weiters informierte er Maria, dass er morgen mit Chin Lee unterwegs sein würde.

Nach einer kurzen und höflichen Verabschiedung führte Maria ihren Gast zum Pool. Schnell entledigten sie sich ihrer Kleidung und setzten sich in den seichten Teil des Pools, um sich abzukühlen.

Der ovale Pool hatte eine Länge von mindestens fünf Metern. Er war angenehm temperiert und Ryan erkannte mehrere Unterwasserscheinwerfer, die den Pool in der Nacht sicherlich wunderschön aussehen ließen. An einer der Hauswände stand unter einer großen, ausgefahrenen Markise ein Holztisch mit vier Sesseln. Daneben ein kleiner, hölzerner Kasten, der die Minibar beherbergte. Der Pool lag gut geschützt zwischen den beiden Häusern, vorne diente der überdachte Durchgang als Sichtschutz, die Rückseite wurde von einer hohen Mauer abgegrenzt. Zwei große Schiebetüren aus Glas führten ins Innere. Im ersten Stock waren ebenfalls Fenster, hinter einem vermutete Ryan Victor Granat, der auf sie herunterblickte und kontrollierte, was vor sich ging.

Maria hatte eine Flasche Sekt geöffnet, die Gläser standen vor ihnen im trockenen Bereich neben dem Pool.

»Was kannst Du mir für morgen anbieten, Ryan?«

Sie war davon überzeugt, ihn bereits um den Finger gewickelt zu haben. Deshalb spielte sie auch so offensichtlich mit ihren Reizen, denen Ryan scheinbar schon längst erlegen war.

Ryan musste sich eingestehen, dass Maria noch besser aussah, als auf den, ihm bekannten, Bildern. Er konnte die Umrisse des Intimpiercings erkennen und ihre makellose, glatt rasierte Haut, die recht hell war, bewundern und ihr Lächeln war bezaubernd. Sie machte einen leicht naiven Eindruck, den er aber nicht unterschätzte. Mit diesem Eindruck hatte sie wohl auch ihre Professoren an der Universität um den Verstand und ins Bett gebracht.

»Wenn Du den ganzen Tag lang Zeit hast ... wie wäre es mit einem Strandbesuch.«

»So etwas Gewöhnliches?«

Ryan grinste verschwörerisch.

»So gewöhnlich aber dennoch ganz speziell. Wie würde Dir ein Strand nur für Dich alleine gefallen? Ein Picknick am Sandstrand, ohne störende Touristen oder Einheimische?«

»Also, diese Idee gefällt mir sogar sehr. Wenn Du das organisieren kannst, dann …«, Maria setzte einen verführerischen Blick auf, lehnte sich zurück und spreizte etwas ihre Beine vor Ryan, »… dann würde ich mich sicherlich erkenntlich zeigen.«

Ryan sah sie von Kopf bis Fuß an, seine Augen strahlten und Maria war mit Sicherheit davon überzeugt, dass er ihr inzwischen komplett verfallen war. Ryan freute sich inzwischen sogar darauf, Maria näher zu kommen und alles, was er bislang von Bildern kannte, auch in natura zu sehen.

Maria wechselte schnell das Thema und erzählte ihm, was sie bislang von ihrem Roman gelesen hatte. Ohne die Augen von ihrem Körper zu lassen, hörte Ryan ihr scheinbar interessiert zu. Als sie sich im Wasser räkelte und um die Sonnencreme bat, sprang Ryan auf und stieg aus dem Pool, um die kleine Flasche, die etwas abseits im Schatten stand, zu holen.

»Bevor ich Dich um Erlaubnis frage, Deinen entzückenden Rücken einzucremen, muss ich ganz kurz noch telefonieren. Kleinen Anstandsanruf bei der Familie, wenn Du verstehst.«

Maria nickte ihm zu und Ryan nahm sein Telefon, stellte sich etwas abseits in den Schatten und wählte Tákis Nummer.

»Hallo Ryan, ich habe Deine Nachricht bekommen, alles …«

»Hallo, hör mir bitte zu, ich kann nur kurz reden, Bruder. Du hast mir einmal geschrieben, dass Du mit Despina einen Tag alleine am Strand warst, den Du vorher abgesperrt hast, erinnerst Du Dich?«, fiel ihm Ryan leise ins Wort.

»Natürlich, das war einer dieser Tage, die man nicht vergisst, wenn man eine Frau wie Despina hat.«

»Du bist deiner Frau echt komplett verfallen, das freut mich. Kannst Du das noch einmal organisieren, für morgen?«

»Natürlich. Hast Du sie schon so weit?«

»So ziemlich. Ich habe vorhin schon den Vater kennengelernt. Wenn ihr zwei morgen Abend Zeit habt, werden wir unseren weiteren Plan genau durchgehen, einverstanden? Richte bitte alles für einen einsamen Tag am Strand her, luxuriösen Picknickkorb inklusive.«

»Mache ich. Ich schicke eine E-Mail mit dem Plan zum Strand. Bis morgen zum Sonnenaufgang.«

»Schönen Abend, Tákis … und viel Spaß!«

»Danke, Ryan. Glaub mir, den werden wir heute haben.«

Zurück am Pool wartete Maria schon mit dem Rücken zu ihm gedreht, die Beine hingen wieder im Wasser.

»Wenn Du mir jetzt bitte den Rücken eincremen würdest, Ryan.«

»Aber natürlich, Schönheit.«

Ryan nahm die Sonnencreme und kniete sich hinter Maria auf den harten Betonboden.

Alleine dafür werde ich Dich büßen lassen, dachte er. Langsam massierte er ihren Rücken ein, begann beim Hals und den Schultern und fuhr hinab bis zum Ansatz ihres roten Höschens. Maria sagte kein Wort, genoss die Situation und drehte sich nur einmal um, um den Anblick auszukosten, wie er hinter ihr kniete. Als Ryan fertig war, verteilte er den Rest in seinen Händen über sein Gesicht und gesellte sich wieder zu Maria in den Pool. Er war drei, vier Minuten lang auf den Knien gewesen, seine Kniescheiben taten höllisch weh. Aber er ließ sich nichts anmerken, spielte weiter den Verliebten. Da Maria noch sitzen blieb, begab sich Ryan wieder ins kühlende Nass. Er schwamm mehrmals von einem Ende des Pools zum anderen, ließ Maria aber nie lange aus den Augen.

Etwas später entschied sich Maria, ihm Gesellschaft zu leisten. Ihr kleines Abenteuer am Vormittag schien vergessen, Maria war wieder ganz die Alte. Sie gab mit ihrem Wissen vom Wirtschaftsstudium an, Ryan erzählte ihr von dem Aufbau eine Internetinfrastruktur in Kenia. Den Bericht dazu hatte er vor Wochen schon auswendig gelernt. Dieses Spielchen ging bis in den späten Nachmittag. Ryan war beeindruckt, wie selbstsicher Maria von ihren Erfolgen an der Universität berichtete, von denen er wusste, dass sie erpresst und erlogen waren. Das Lügen fiel ihr nicht schwer, auch wenn Ryan sie hin und wieder mit einigen speziellen Fragen etwas nervös zu machen schien.

Es war schon nach neunzehn Uhr, als Chin Lee am Pool auftauchte. Sein Blick, Ryan gegenüber, war immer noch sehr misstrauisch. Ryan war sich sicher, dass der persönliche Bodyguard von Victor Granat viel Zeit damit verbrachte, alles über Ryan Bradly und dessen Umfeld herauszufinden. In dieser Hinsicht musste Ryan darauf hoffen, dass seine Tarnung wirklich so perfekt war, wie er sie sich aufgebaut hatte.

»Maria, Dein Vater schickt mich. Ihr beide seid heute noch zu einem Essen eingeladen und er möchte, dass Du Dich …«

»… langsam verabschiede und fertigmache, schon verstanden, Chin Lee.«

In gewisser Weise war Ryan erleichtert. Den ganzen Nachmittag über hatte er diesen wunderschönen Körper vor sich und musste sich zügeln. Immer wieder sagte er sich, dass er morgen wahrscheinlich einen weiteren großen Schritt machen würde und das konnte er einfach nicht aufs Spiel setzen. Er stieg aus dem Wasser, half Maria hinaus und reichte ihr ein Badetuch.

»Dann werde ich Dich nun alleine lassen, Schönheit. Vielen Dank für den aufregenden Tag, sowohl im Meer als auch hier am Pool. Wann darf ich Dich morgen abholen?«

Maria überlegte kurz und bestimmte dann, dass Ryan wieder um neun Uhr vor der Tür stehen sollte. Ihr stand die Vorfreude ins Gesicht geschrieben.

Zurück im eigenen Zimmer stellte sich Ryan als Erstes unter die kalte Dusche. Er genoss die Abkühlung und überlegte, wie seine Abendunterhaltung aussehen würde. Despina und Tákis waren in Heraklion, Maria vermutlich außerhalb von Bali, somit konnte er einen ganz normalen Abend als Tourist in Bali verbringen. Er entschied sich für das ‚Porto Paradiso‘, einem Ort, wo er sich immer am wohlsten fühlte.

Bei Souvlaki, einer der bekanntesten griechischen Hauptspeisen, und einem großen Bier, entspannte Ryan eine halbe Stunde später in der Strandbar. Von dort hatte er einen freien Blick auf den Strand, der auch nach Einbruch der Dunkelheit noch besucht wurde. Nach dem Essen bestellte er sich noch einen Cocktail, dieses Mal einen richtig starken: Einen Long Island Icetea.

Ryans Gedanken kreisten um den morgigen Tag mit Maria. Er musste sich eingestehen, so eingebildet und naiv sie auch war, sie übte doch einen gewissen Reiz aus. Ryan war sich noch nicht sicher, ob sie über die dunklen Geheimnisse ihres Vaters Bescheid wusste. Doch er hatte nur diese Möglichkeit, um an Victor Granat heranzu-kommen. Dass sie dabei nur ausgenutzt wurde, war ein notwendiges Übel. Sollte es morgen am Strand wirklich so laufen, wie Ryan hoffte, dann würde Maria auch auf ihre Kosten kommen.

Während er in Gedanken versunken war, kam Christina und räumte sein leeres Glas ab.

»Wieso bist Du denn heute ganz alleine?«, riss sie und ihn aus seinen Gedanken. Er blickte in ihr scheinbar immer fröhliches Gesicht und lächelte ebenfalls.

»Es tut gut, auch mal ganz für sich zu sein.«

»Und wo hast Du Deine Freunde und die reiche Lady gelassen?«

»Die haben allesamt andere Pläne.«

»Weißt Du, Ryan, ich habe heute von Giannis erfahren, dass Du diesen sündhaft teuren Champagner mitgebracht hast. Aber Du hast ihn jedes Mal bei mir bezahlt. Zahlst Du wirklich zweimal?«

Ryan grinste.

»Ja, Christina, das ist wahr.«

»Für mich klingt das sehr verrückt, ganz ehrlich.«

»Das alles zu erklären wäre viel zu kompliziert, schönes Mädchen. Sagen wir einfach, es gibt gute Gründe dafür. Außerdem steigst Du so auch mit einem guten Trinkgeld aus.«

Christinas Miene änderte sich schlagartig.

»Schon klar, wenn es einem nur ums Geld geht und man genug davon hat, kann man sich ja auch alles leisten.«

Sie drehte sich erbost um und verschwand mit Ryans leerem Glas, ohne zu fragen, ob er noch etwas trinken wollte.

Als er ihr kurz darauf deutete, zahlen zu wollen, kam sie ohne ihr typisches Lächeln zu ihm.

»Es tut mir leid, Christina, Du hast es falsch aufgefasst«, versuchte Ryan, sich zu entschuldigen.

»Habe ich das? So wie es für mich aussieht, wirfst Du mit dem Geld herum, um dieser Frau zu imponieren. Aber wenn sie sich davon beeindrucken lässt, dann machst Du ja alles richtig.«

»Wenn es nur so einfach wäre. Glaub mir, ich bin nicht der Typ, den Du hier an manchen Abenden siehst.« Ryan verstummte. Verdammt, was soll das, schimpfte er sich in Gedanken selbst. Willst Du ihr vielleicht gleich alles erzählen und damit alles riskieren?

Ryan beeilte sich, zahlte schnell und machte sich auf den Heimweg. Die Hitze und der Alkohol waren für ihn keine gute Mischung gewesen, es war Zeit für ihn, ins Bett zu gehen.

Bittersüßer Rakomelo

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