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Kapitel 4
ОглавлениеPünktlich um neun Uhr fuhr Ryan mit dem Mietwagen bei der Villa der Familie Granat vor. Er hatte sich für ein dunkelrotes BMW Cabrio entschieden, in der Hoffnung, damit einen guten Eindruck bei Maria zu machen. Natürlich hatte er sich wieder entsprechend gekleidet, nur Markenkleidung, wenn auch großteils sehr gut kopierte.
Maria kam die Stiegen herab und Ryan musste sich erneut eingestehen, dass er es mit einer sehr attraktiven Frau zu tun hatte. Maria hatte sich für einen Minirock in Beige entschieden, dazu ein enges Oberteil in Weiß. Ryan musste sich ein Grinsen verkneifen. Zu blöd, dass ich Dich so gut kenne, um sofort zu erkennen, dass Du einen Push-up trägst, dachte er.
Er stieg aus und öffnete ihr die Beifahrertür.
»Ich wünsche Dir einen wunderschönen Morgen, Schönheit. Es freut mich, dass Du Dich dafür entschieden hast, mich nach Rethymnon zu begleiten.«
»Dein Angebot war recht verlockend. Ich könnte neuen Schmuck gut gebrauchen.«
»Dann nimm Platz. Offenes Verdeck, oder lieber geschlossen?«
Maria gefiel der schnittige, elegante Wagen. Sie setzte sich und strich über das gut gepflegte Armaturenbrett.
»Ich möchte es spüren, in einem Cabrio zu sitzen, also lass es offen.« Sie durchsuchte ihre kleine weiße Handtasche um sich zu vergewissern, alles Notwendige eingesteckt zu haben.
»Hast Du alles bei Dir? Geld, Handy, Pfefferspray?«, fragte Ryan nach.
»Werde ich denn einen Spray bei Dir brauchen?«
»Garantiert nicht, schöne Frau. Welche Musik darf es sein, ich habe neben griechischer Popmusik noch einen Sampler italienischer Sänger und ein Best-Of von Mariah Carey.«
Maria blickte ihn entzückt an und entschied sich für die Best-of CD.
Ryan fuhr los und jagte den Wagen über die engen Kurven in Richtung Küstenstraße. Dabei stellte er fest, dass Maria seinen schnellen Fahrstil zwar beein-druckend fand, aber leicht nervös wurde. In jeder engen Kurve hielt sie sich an der Tür fest und presste sich in den Sitz.
»Wenn Du möchtest, kannst Du mir bis zur Ankunft etwas über Dich erzählen, Maria. Ich nehme an, Du hast fertig studiert, wenn Du nun mit Deinem Vater zusammenarbeiten wirst.«
»Ganz genau. Ich habe mehrere Wirtschaftsstudien abgeschlossen. BWL, Unternehmensführung, Firmen-marketing und noch einige mehr.«
»Meinen Respekt. Da Du doch noch recht jung bist, musst Du ja ordentlich schnell gewesen sein«, meinte Ryan anerkennend. Ein Blick zu ihr auf den Beifahrersitz genügte, um zu sehen, wie sie kurz die Augen schloss und sich über die Nase strich.
Menschliche Psychologie, erste Stunde, dachte er, Lügen sind manchmal so einfach zu erkennen.
»Ja, ich habe mich ordentlich hineingekniet und meine Prioritäten klar gesetzt«, erklärte Maria.
»Weißt Du schon, wohin Dich Dein erster Job führen wird?«
»Weit weg von dieser eher bescheidenen Insel. Südamerika, genauer Venezuela wird es werden. Ich habe gestern nur die ersten Informationen erfahren. Mein Vater hat ein Angebot als Manager im Head Office, gleichzusetzen mit dem Posten eines Geschäftsführers. Wie sieht es bei Dir aus? Ich weiß nur, dass Du der Sohn eines der reichsten Männer der Welt bist, aber ansonsten hast Du noch nicht viel verraten.«
»Das liegt auch daran, dass ich nicht viel über das Familienvermögen und Privates rede. Aber bei Dir mache ich sehr gerne eine Ausnahme. Ich habe alles Notwendige gelernt, um die Firma meines Vaters übernehmen zu können. Sowohl im wirtschaftlichen als auch im technischen Bereich. Mein Vater hat seine ersten Programme noch selbst geschrieben und kann auch heute noch jedes seiner Sicherheitsprogramme selbst überprüfen und gegebenenfalls verbessern. Nach meinem Urlaub in Kreta und dem Rest von Europa werde ich wohl sehr bald in seine Fußstapfen treten. Bis dahin bleibe ich gerne anonym, was aus vielen Gründen vorteilhaft ist. Selbst in der Firma meines Vaters kennen mich nur die wenigsten und sind dementsprechend ehrlich. Wobei die Zufriedenheit unter unseren Mitarbeitern sehr hoch ist, darauf achten wir.«
Auf Marias Frage, was genau die Firma herstellt, begann Ryan mit einem, sorgfältig auswendig gelernten, Vortrag über die unterschiedlichen Programme und Dienste, die BIS anzubieten hatte. Er mischte auch viele Fachausdrücke hinein, bei denen Maria nur nickte, ohne etwas zu verstehen. Aber sie war beeindruckt und das war sein Ziel.
»… und selbst die Anti-Diebstahl-Sicherung in diesem BMW Cabrio ist über ein BIS-System vor fremden Zugriff gesichert«, beendete er seine Rede.
Maria genoss die Fahrt in dem offenen Wagen, zusammen mit einem reichen Mann. Sie bemerkte nicht, dass ihnen seit ihrer Auffahrt auf die Küstenstraße, die die schnellste Verbindung von Ost nach West in Kreta darstellte, ein Wagen folgte. Ryan achtete immer wieder darauf, dass ihr Verfolger sie nicht aus den Augen verlor.
Auf der rechten Seite blieb immer die Aussicht auf das Meer, das sich bis zum Horizont erstreckte. Die andere Seite bot einen Blick über ausgedehnte Plantagen, schroffe Felsen und zwischendurch konnte man von der Straße aus weit ins Landesinnere blicken. Maria war nicht sehr an der Umgebung interessiert, die meiste Zeit sah sie auf das Meer hinaus.
Nach einer knappen halben Stunde war die Kuppel der Moschee innerhalb der Festung von Rethymnon zu erkennen. Ryan erklärte Maria, dass sie in wenigen Kilometern die Schnellstraße verlassen und durch die Stadt bis zum Hafen fahren würden. Dort wären neben unzähligen weiteren Geschäften auch die Juweliere zu finden.
»War es eigentlich schwer, Deinen Bodyguard loszu-werden? Dein Vater muss sehr besorgt um Dich sein, wenn er Dir einen eigenen Aufpasser mitschickt.«
»Chin Lee ist schon seit Ewigkeiten für meinen Vater tätig. Auch wenn ich meinen Vater nie in Kreta besucht habe, jedes Mal wenn er zu mir gekommen ist, war Chin Lee dabei. Ich glaube sogar, die beiden sind inzwischen Freunde, nicht nur Chef und Angestellter. Mein Vater wollte zunächst auch, dass Chin Lee heute mitkommt, aber ganz ehrlich, ich bin alt genug, um auf mich selbst aufzupassen.«
Ryan griff hinüber und legte Maria die Hand sanft auf die Schulter.
»Keine Sorge, ich weiß was sich gehört und Du brauchst keine Bedenken zu haben. Das entspricht nicht meinem Charakter.«
»Dann bin ich ja beruhigt.«
Ryan parkte den Wagen am Hafen, von wo aus sie in nur wenigen Schritten mitten in der Altstadt von Rethymnon waren. Es war erneut ein wolkenloser, heißer Tag, doch die kleinen Gassen der Altstadt boten Schatten und machten die hochsommerlichen Temperaturen erträglicher. Maria, die zum ersten Mal etwas von Kreta zu sehen bekam, blieb bei jeder Auslage stehen, um die Angebote zu bestaunen. Die Kopfsteinplasterstrassen blieben autofrei, dafür waren sie auch nicht breit genug. Noch dazu hatten viele Händler ihre Stände auch vor den Geschäften auf der Straße aufgestellt. Die Souvenirläden waren für Maria weniger interessant, dafür sah sie sich die Lederwaren, die es reichlich gab, ausgiebig an. Auch die Bekleidungsgeschäfte interessierten sie. Ryan ließ ihr bei jedem Geschäft so viel Zeit, wie sie wollte, auch wenn er sich innerlich schon nach der zweiten Modeboutique langweilte. Sie fanden einen Juwelier, der eine große Auswahl an Silberketten, Ringen und Ohrschmuck in der Auslage hatte.
»Das ist ein guter Anfang, Du hattest Recht. Es gibt hier einige nette Schmuckstücke.«
»Schau Dich ruhig etwas um, ich bin kurz in diesem Laden mit traditionellen Produkten aus Kreta.«
Ryan sah ihr nach, wie sie im Geschäft verschwand. Er hingegen sah sich in dem gegenüberliegenden Kräuter- und Likörladen um, zog sein Handy und wählte Despinas Nummer.
»Wo bist Du, Ryan?«, fragte sie ohne lange Begrüßung.
»In der Arkadiou, Ecke Kornarou.«
»Ich bin bereit. Du kannst jederzeit loslegen.«
»Okay, gib Nikos Bescheid, in den nächsten zehn Minuten werden wir vorbeikommen.«
Ryan legte auf und steckte sein Handy wieder ein. Er verließ das Geschäft mit einer kleinen Flasche Rakomelo und wartete vor dem Schmuckladen auf Maria. Der spezielle Rakí, mit Honig verfeinert, wurde auf Kreta gerne und viel angeboten.
Nach fünf Minuten kam sie auf die Straße, in ihrer Hand eine kleine Tasche.
»Zwei neue Ohrringe und eine Halskette mit Anhänger. Für den Anfang nicht schlecht, kennst Du noch mehr solche Läden?«
Er lächelte sie an.
»Komm mit, ich zeig Dir einen, der zwar recht versteckt liegt, aber sicherlich noch etwas Passendes für Dich hat. Und für daheim, hier ein wirklich guter Likör.«
Maria packte die Flasche in ihre Handtasche und bedankte sich.
Ryan schnappte sich Marias Hand und spazierte los. Zunächst blickte Maria etwas skeptisch auf seine Hand, machte aber keine Anstalten, dass es sie stören würde.
Hand in Hand bogen sie in eine, noch eine Spur engere, ruhigere Gasse ein. Hier fehlten die Geschäfte. Die Eingangstüren waren alt und zum Teil morsch, die meisten Fenster verschlossen und Vorhänge verbargen den Blick ins Innere.
»Wohnt hier jemand?«, fragte Maria ungläubig.
»Ja, wir sind hier in einem wenig noblen Teil der Stadt. Man könnte sagen, hier wohnen die normalen Leute.«
Sie kamen an einem offenen Fenster vorbei und Maria riskierte einen Blick. Neben dem Fenster saß eine ältere Dame, in Schwarz gekleidet und häkelte langsam vor sich hin. Der Raum, in dem sie saß, schien der Einzige in ihrer Wohnung zu sein. Neben dem Bett waren eine Küchen-zeile und ein kleiner Schrank, ansonsten war das Zimmer kahl.
»Oh mein Gott, so kann man doch nicht leben!«, meinte Maria entsetzt.
»Nicht jeder hat das Privileg reicher Eltern«, antwortete Ryan und war bemüht, sich nicht anmerken zu lassen, was er von ihrer überheblichen Art hielt.
Bei der nächsten Kreuzung bog er mit ihr ab und landete nach wenigen Schritten vor einer Kirche. Der schlichte Bau war komplett in Weiß gehalten. Im Glockenturm waren vier gleichgroße Glocken befestigt, von denen jeweils ein Seil ins Innere der Kirche zu führen schien.
Maria blieb kurz stehen und begutachtete die Kirche.
»Willst Du hineingehen?«, fragte Ryan. Hinter Maria erschien ein junger Mann in der Gasse, der schnell auf sie zuging. Ryan erkannte den Griechen mit seiner strubbeligen Frisur und einem fast kindlichen Gesicht sofort. Nikos, Tákis jüngerer Bruder, kam ihnen entgegen und schien mit den Gedanken weit weg zu sein.
Maria drehte sich zu Ryan um und wollte gerade etwas sagen, als Nikos neben ihr vorbeiging. Blitzschnell packte er zu, entriss Maria ihre Handtasche und rannte los. Sie hatte keine Chance zu reagieren und schrie nur laut, schrill und erschrocken auf.
»Meine Tasche!«
Ryan zog sie sofort zu sich, hielt sie mit beiden Händen an den Oberarmen und sah ihr ins Gesicht.
»Bleib genau hier bei der Kirche stehen, ich bin gleich wieder da. Nicht weggehen!«, meinte er nachdrücklich. Dann spurtete er los und verfolgte Nikos, der in die nächste kleine Gasse abbog und verschwand. Ryan rannte ihm hinterher und war ebenfalls gleich verschwunden. Maria blickte ihnen nach und sah sich dann um. Sie war alleine auf dem Platz vor der Kirche. Nervosität stieg in ihr hoch. Sie erkannte leicht verängstigt, dass sie im Moment komplett hilflos war. Ohne Telefon und Geld konnte sie nichts machen und niemanden zu Hilfe rufen. Sie musste auf Ryan vertrauen, den sie gerade erst zum zweiten Mal getroffen hatte.
»So wird mir Kreta nicht sympathischer werden«, murmelte sie und stellte sich neben dem Eingangstor der Kirche in den Schatten.
Nikos rannte voran, dicht gefolgt von Ryan. Er bog mehrmals ab und entfernte sich immer weiter von dem Platz, wo er die Handtasche gestohlen hatte. Ryan lief ihm hinterher, aber nach wenigen Abbiegungen verlangsamte er sein Tempo. Nach zwei Minuten joggte er nur noch genüsslich um die Ecken, von Nikos war nichts mehr zu sehen. Ryan erreichte einen Torbogen und ging in den dahinterliegenden kleinen Hof. Von den drei Türen in diesem Hof war eine nur leicht angelehnt. Er öffnete sie und trat ein.
Der kleine Raum war nur schwach beleuchtet und spartanisch eingerichtet. Zwei Tische, ein paar Sessel, mehr nicht. Die grauen Wände waren leer, Fenster gab es auch nicht in dieser Art Abstellkammer.
Vor Ryan saßen Nikos und ein Freund, daneben auf einem eigenen Tisch saß Despina vor einem Computer.
»Wo bleibst Du denn, ist Dir die Puste ausgegangen?«, fragte sie schmunzelnd auf Griechisch.
Nikos erhob sich und umarmte Ryan.
»Endlich kann ich Dich auch begrüßen. Jetzt bist Du schon einige Tage hier und nie sind wir dazu gekommen. Schön Dich wiederzusehen.«
»Hallo, Nikos. Ich freue mich auch, Euch alle …«
»Könnt ihr Eure Höflichkeiten nachher austauschen, bitte. Wir haben nicht viel Zeit, sonst wird es auffällig«, unterbrach Despina. Nikos Freund stand auf und nahm Marias Handy vom Tisch. Der junge Mann wirkte alles andere als sympathisch. Er war ungepflegt, seine zotteligen Haare standen kreuz und quer und auch seine zerschlissene Kleidung hatte schon viel bessere Zeiten erlebt.
»Gleich ist es fertig. Sie wird nichts bemerken, Du solltest nur aufpassen, dass Du die Kopie nicht eingeschaltet hast, wenn Du in ihrer Nähe bist. Du kannst vom geklonten Handy nicht anrufen oder abheben, aber Du siehst, was sie sieht und Du kannst alle Telefonate mithören. Wenn sie das Internet benutzt oder eine Nachricht schreibt, kannst Du es sehen, aber nicht selber ihre Nachrichten durchsehen oder surfen. Das kann aber Despina über ihren Computer.«
»Fertig!«, jubelte Despina, »Du besitzt nun einen Klon von Marias Handy. Sie kann nichts mehr am Handy machen, ohne dass wir es wissen.«
Sie reichte ihm das Handy, Nikos drückte ihm die Handtasche in die Hand.
»Alleine die Tasche ist mehr wert, als ich in einem Monat verdiene. Wenn man bedenkt, wie viel Geld sie noch einstecken hat …«
Ryan legte ihm die Hand freundschaftlich auf die Schulter.
»Vertrau mir, wenn das alles vorüber ist, wird für uns alle auch ein ordentlicher Teil davon zu holen sein. Das verspreche ich Dir, kleiner Bruder«, versicherte Ryan. Ihr Plan war nie auf Geld ausgelegt, aber Ryan hoffte insgeheim schon auf eine satte Prämie, wenn sie Victor Granat überführen konnten.
»Und die andere Sache, willst Du das wirklich?«, fragte Nikos leicht besorgt.
»Ja, es soll doch glaubwürdig sein«, antwortete Ryan mit einem Grinsen. Im nächsten Moment schoss Nikos Faust vor und traf ihn genau an der Lippe. Der feste Schlag ließ ihn zurücktaumeln, bis er mit dem Rücken an die Wand stieß.
»Gut so?«, fragte Nikos nach. Ryan fuhr sich mit dem Handrücke über die blutige Lippe.
»Sehr gut, sogar mit einer Wunde. Auch wenn es blöd klingt, aber danke.«
Er verabschiedete sich von Despina und den beiden Männern und machte sich flott auf den Rückweg zu Maria. Den Weg zur Kirche kannte er, er hatte vor Marias Ankunft den Weg mehrmals mit Despina einstudiert.
Als er auf dem Kirchenplatz zurückkehrte, stand Maria immer noch im Schatten neben der orthodoxen Kirche, nervös und aufgelöst. Sie erinnerte ihn an ein kleines Kind, wie sie sich hilflos und alleine umsah. Sie rannte sofort zu ihm, als sie ihn erblickte.
»Hast Du meine Tasche, fehlt etwas? Wie siehst Du denn aus, hat er Dich etwas geschlagen?«, schoss es aus ihr heraus.
»Ganz ruhig, Schönheit, alles in Ordnung. Ich habe ihn erwischt, es dürfte nichts fehlen und der Schlag war es wert, wenn ich dafür Deine Tasche retten konnte.«
»Ich danke Dir, ich wäre ohne mein Handy und den anderen Sachen verloren gewesen.«
Sie kontrollierte den Inhalt ihrer kleinen Handtasche und kam zu dem Schluss, dass tatsächlich nichts fehlte.
»Nach diesem kleinen Schock hast Du vielleicht Lust an der Promenade etwas zu trinken. Der Schmuckladen läuft uns nicht davon«, schlug Ryan etwas keuchend vor.
»Sehr gerne, wir sollten auch etwas Eis für Deine Lippe finden. Also, wenn Du mir Kreta näher bringen wolltest, war das gerade nicht sehr hilfreich.«
Sie gab ihm die Hand und zusammen spazierten sie los.
»So etwas kann Dir überall passieren. Rethymnon ist eine Stadt wie jede andere auch. Neben den schönen hat sie auch ihre dunklen Seiten, aber das ist in Wien genauso«, versuchte Ryan, sie milde zu stimmen. Plötzlich blieb Maria stehen und blickte ihn ernst an.
»Wien? Wie kommst Du auf Wien? Ich habe nicht erwähnt, dass ich aus Wien komme«, fragte sie misstrauisch.
»Schönheit, das stimmt nur zur Hälfte. Du hast nicht erwähnt, woher Du kommst, aber dass Du in Wien studiert hast. Außerdem habe ich Deinen Dialekt erkannt. Du bist mit Sicherheit nicht aus Deutschland und Wien ist am wahrscheinlichsten«, erklärte ihr Ryan ruhig. Innerlich war er mit einem Schlag angespannt und darauf konzentriert sich nichts anmerken zu lassen.
Du Idiot, pass besser auf, schimpfte er sich in Gedanken selbst.
»Aber, wenn wir gerade dabei sind, woher stammst Du denn, Maria?«, fuhr er fort, um möglichst schnell die Situation zu klären.
»Mein Vater stammt eigentlich aus Moskau, aber er hat viele Jahre in Wien verbracht, wo ich auch geboren wurde. Nach dem Tod meiner Mutter vor … mehr als zwanzig Jahren, hat er sich voll auf seine Geschäfte konzentriert und dafür gesorgt, dass ich in die besten Schulen komme. Ich war in Internaten und Privatschulen, bis er mir eine eigene Wohnung in Wien finanzierte und ich zu studieren anfing. Sooft es ihm möglich war, hat er mich besucht und immer wieder unterstützt. Sein Wunsch war es, dass ich einmal mit ihm zusammen ein Unternehmen leite und dieser Traum wird nun demnächst wahr.«
Ryan hörte gespannt zu und beruhigte sich langsam wieder. Gerade noch die Kurve gekratzt, dachte Ryan. Hände haltend spazierten sie weiter in Richtung der Promenade.
»Passiert Dir so etwas öfter?«
»Was, Schönheit? Dass ich mit einer niveauvollen, bezaubernden Frau unterwegs bin, oder, dass ich mich schlagen lasse?«
»Beides«, meinte Maria mit einem freundlichen Lächeln.
»Ehrlich? Weder das eine noch das andere. Ich lebe lieber etwas zurückgezogen … aber bei Dir muss ich mich nicht verstecken. Es ist sehr angenehm, wenn man es mit einer Frau zu tun hat, die die schönen Seiten des Lebens ebenso genießen kann. Wo ich nicht verleugnen muss, dass Geld keine Rolle spielt.«
»Oh, Geld spielt bei mir sogar eine große Rolle.«
»Ja, aber wir beide haben ja auch genug davon, oder?«
»Ganz genau!«, gab Maria ihm Recht.
Binnen weniger Minuten waren sie an der Promenade angelangt. Hier reihte sich ein Lokal an das nächste, alle mit einem großzügigen Außenbereich. Ryan suchte scheinbar spontan eines aus, in Wahrheit hatte er sich vorher genau informiert. Sie setzten sich, und als die Kellnerin erschien, bestellte Ryan neben einem Glas mit Eiswürfeln noch zwei Prosecco.
»Möchtest Du ihn pur, oder mit Erdbeeren?«, fragte er und erkannte, wie sie ihn anstrahlte.
»Mit Erdbeeren klingt sehr gut, den nehme ich.«
So, für heute habe ich genug angegeben, dachte Ryan. Sie saßen gemütlich in den gepolsterten Sesseln, nippten an ihren Gläsern und Ryan gab Maria einen kleinen Überblick über Kreta. Er zählte auf, welche Sehenswürdigkeiten noch auf der Insel zu finden waren, sowohl geschichtliche als auch landschaftliche. Maria war nicht leicht zu beeindrucken, Kirchen, Ausgrabungen und Ähnliches interessierten sie nur wenig. Mehr Interesse zeigte sie bei den Stränden, von denen Ryan berichtete.
»Wenn Dir der Tag zu zweit zusagt, ich habe den Wagen noch länger und die Insel ist groß.«
»Es gibt da etwas, was ich gerne machen würde, aber scheinbar in Bali nicht angeboten wird. Einen Trip mit einem richtigen Motorboot. Ich habe nur diese kleinen Tretboote gesehen und anstrengen will ich mich sicherlich nicht.«
Ryan überlegte kurz und blickte sie dann verzückt an.
»Wie wäre es mit einem kleinen, aber recht flotten Motorboot? Eines mit Heckmotor, mit dem man über das Meer jagen kann und, abseits der Strände, im offenen Meer schwimmen kann?«
Marias Gesichtsausdruck verriet ihm ihre Meinung, noch bevor sie antworten konnte.
»Wenn Du das Boot organisierst, ich bin dabei.« Maria versuchte ihre Begeisterung zu verbergen, war dabei aber nicht sehr überzeugend.
Ryan nahm sich einen Eiswürfel aus dem Glas und kühlte sich seine kleine Platzwunde auf der Lippe.
»Tut es noch weh?«, fragte Maria, die sich schnell wieder gefasst hatte, nachdem sie ihre Tasche wiederhatte.
»Nicht weiter tragisch. Hauptsache, Du hast Deine Handtasche wieder.«
»Ja, ohne die wäre ich echt am Boden zerstört. Danke nochmals.«
Ryans Angebot nach einem Mittagessen zu zweit lehnte sie ab, da ihr bei diesen Temperaturen nicht nach Essen zumute war.
»Lieber wäre mir, wenn wir zurückfahren und ich den Nachmittag am Pool mit einem guten Buch verbringen kann«, erklärte sie Ryan.
»Und der Juwelier?«
»Den können wir uns für einen weiteren Besuch aufheben. Dann aber wieder in der Früh oder am späteren Nachmittag. Diese Hitze sagt mir nicht zu, wenn ich keine Möglichkeit habe, mich entsprechend abzukühlen.«
Ryan zahlte ihre Getränke und gemeinsam schlenderten sie zurück zu seinem Mietwagen. Am Rückweg fragte Ryan vorsichtig nach, ob sie den Nachmittag alleine verbringen wollte. Maria sprach davon, etwas Ruhe zu haben, alleine ihr Buch zu lesen und von persönlichen Dingen, die sie noch mit ihrem Vater zu besprechen hatte. Ihre Zurückhaltung und ihre gespielte Schüchternheit zeigte Ryan, dass sie ihn etwas zappeln lassen wollte. Wahrscheinlich wollte sie ihn nicht so schnell in ihr Heim lassen.
Nach den schlechten Erfahrungen mit den Männern willst Du Dir nun wohl etwas Zeit lassen, überlegte Ryan.
Er fuhr sie zur Villa und stieg aus, um ihr die Tür aufzuhalten. Höflich half er ihr aus dem Wagen.
»Auch wenn es nur ein kurzer Ausflug war, es war sehr schön. Ich würde es gerne wiederholen, wenn Du auch daran interessiert bist.«
»Ryan, bislang warst Du ein Gentleman, an dem ich nichts auszusetzen habe. Wenn Du weiterhin so zuvorkommen bist … Also, wie wäre es mit einem Ausflug auf dem Meer? Du besorgst das Motorboot, ich biete Dir dafür einen Blick auf meinen Körper im Bikini.«
Ryan nickte und schien zu überlegen. Er ging seine Möglichkeiten durch, die ihm dieser Ausflug bieten würde.
»Wie würde es Dir gefallen, morgen am Hafen brunchen zu gehen? Danach könnten wir mit einem der Boote hinausfahren und Du kommst dazu, im offenen Meer, ungestört von allen anderen, zu schwimmen«, schlug er vor.
Maria gefiel die Idee sehr gut und schlug vor, sich wieder um neun Uhr zu treffen, dieses Mal gleich direkt am Hafen. Ihr Aufpasser würde sie zum Lokal bringen, dann aber wieder heimfahren.
»Ich werde pünktlich auf Dich warten, Schönheit. Ich wünsche Dir noch einen schönen Tag, erhole Dich. Bis morgen, Maria.«
Er reichte ihr die Hand. Maria schien kurz zu zögern, beließ es dann aber dabei, ihm nur die Hand zu reichen. Ryan sah ihr nach, wie sie die Stiegen zum massiven Eisentor hinausging. Ohne sich noch einmal umzudrehen, verschwand sie im Inneren.
Wieder hinter dem Steuer seines sündhaft teuren Mietwagens, den er trotz Tákis´ Hilfe, komplett überteuert fand, setzte er seine Brille ab. Entschlossen und blickte er im Rückspiegel sein Spiegelbild an.
»Und so beginnt es«, murmelte er, startete den Wagen und fuhr los.
»Sie war von Deinem Fahrstil begeistert. Etwas wild, aber man fühlt sich dennoch sicher, hat sie ihrer Freundin geschrieben.«
Despina blickte von ihrem Computer zu Ryan und Tákis, die an einem kleinen Holztisch in ihrer Wohnung saßen.
»Du hast sie beeingedruckt, Bruder«
»Beeindruckt«, korrigierte Ryan seinen Freund. Unterhaltung zwischen Ryan, Tákis und Despina liefen meistens zwei-, manchmal sogar dreisprachig ab. Tákis war bemüht, sein Deutsch immer mehr zu verbessern. Despina hatte neben dem Selbststudium auch einen Kurs besucht, weshalb ihre Aussprache und Grammatik nahezu perfekt war.
Nach einem gemeinsamen Abendessen in Despinas Wohnung hatten sie noch eine Flasche Rakomelo geöffnet.
»Während in fast ganz Griechenland alle auf Ouzo schwören, gibt es für uns hier auf Kreta nur ein Nationalgetränk: den Rakí. Und der darf nicht mit dem türkischen Raki verwechselt werden. Es gibt nur wenige Betriebe auf Kreta, die die staatliche Berechtigung besitzen, um Rakí zu brennen. Genauso sieht es mit dem Rakomelo aus. Diese spezielle Mischung von Rakí, Honig und einigen Gewürzen findet man zwar in vielen Dörfern und Geschäften, die Qualität ist aber unterschiedlich. Die Marke, die wir im Laden verkaufen, hat auch eine staatliche Lizenz, aber das ist nicht der Grund, warum ich ihn so liebe. Tákis und ich haben schon viele Sorten ausprobiert, aber dieser hier ist so ziemlich der beste, den wir bisher getrunken haben.«
Mitten in ihrem kurzen Vortrag hatte das geklonte Telefon angefangen zu leuchten. Despina nahm das Handy und las vor, was zwischen Maria und ihrer Freundin geschrieben wurde.
»Vanessa will wissen, wie reich Du wirklich bist, Ryan«, las Despina vor.
Kurz darauf kam von Maria ein Bild als Antwort. Sie hatte ein Bild von Ryans Uhr aus dem Internet an ihre Freundin geschickt. Dazu schrieb sie: »Nur ein Beispiel, das ist seine Uhr, eine Breitling. Im Internet gibt es die um 30.000.«
Ihre Freundin war beeindruckt und riet ihr, Ryan nicht alles zahlen zu lassen, aber dennoch die Vorzüge eines »heißen Typs mit massig Kohle« auszukosten.
»Die beiden Frauen passen zusammen wie die Faust ins Auge«, meinte Tákis abfällig.
»Faust aufs Auge, Tákis. Hast Du morgen schon etwas vor?«, fragte Ryan.
»Noch nicht, aber ich nehme an …«
»Mein Schatz, morgen Abend haben wir eigentlich schon etwas vor«, unterbrach Despina ihm. Ryan bemerkte, dass es ihr im selben Moment unangenehm war, Tákis unterbrochen zu haben.
»Ich bräuchte Deine Hilfe am Vormittag bis ungefähr zu Mittag. Der Abend würde ganz Euch gehören, keine Sorge«, beruhigte Ryan sie, »Darf ich erfahren, was ihr am Abend Besonderes vorhabt?«
»Wir sind verabredet mit einigen Bekannten«, erklärte Tákis, der Despina etwas irritiert ansah.
»Du lügst.« Ryan kannte seinen besten Freund zu gut, abgesehen von seiner besonderen Begabung, Menschen sehr gut einschätzen zu können.
»Wir wollten einfach etwas Zeit für uns. Du weißt schon, was liebende Pärchen so tun. Ich glaube, das verstehst Du, oder?«, versuchte Despina ihm einzureden. Ryan erkannte sofort, dass auch das nicht ganz der Wahrheit entsprach.
»Das würde ich voll und ganz verstehen, aber ich muss Dir leider sagen, Lockenkopf, dass ich Dir nicht ganz glauben kann. Was habt ihr denn so Geheimnisvolles vor?«
»Erstens, Maria will morgen nichts überstürzen und sich Zeit lassen. Sie schreibt, wenn Du es ernst mit ihr meinst, dann wirst Du noch etwas warten. Und zweitens, zum Teufel mit Deinen Psychologiestudium und Deiner Menschenkenntnis«, fluchte Despina, nicht ganz im Ernst.
»Es waren nur ein paar Semester, die ich studiert habe«, verteidigte sich Ryan. Tákis lehnte sich zurück und grinste seine Freundin an.
»Egal, Du gehörst ja sowieso zur Familie«, gab sich Despina geschlagen, »Wir wollen morgen Abend in Heraklion in einen neuen Club gehen und … wie soll ich das sagen … Dieser Club ist mehr für Paare.«
Ryan lachte auf und nahm einen Schluck vom bereitgestellten Rakomelo.
»Ich verstehe. Nein, in einen Swinger-Club möchte ich nicht mitgehen, das überlasse ich ganz Euch.«
»Nachdem wir das nun besprochen haben, was hast Du genau vor?«
»Das hängt davon ab. Wie leicht kommst Du an eine Waffe, Tákis?«
»Pistole, Gewehr oder soll es ein Raketenwerfer sein?«, fragte dieser trocken nach.
»Ein Scharfschützengewehr und jemanden, der damit umgehen kann«, erklärte Ryan und sah in zwei sehr erstaunte Gesichter.