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Die Qual der Wahl

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Lolendo erwachte neben ihrem Geliebten. Moluki schnarchte leise vor sich hin, was sie keinesfalls störte. Im Schlaf drehte er sich mal auf diese, mal auf jene Seite. Jetzt lag er ihr zugewandt, seine Hand ruht auf ihrem Bauch, wo sie sehr willkommen war. Sie bewunderte seine kräftige Gestalt, den muskulösen Oberkörper, die ebenmäßigen Gesichtszüge ebenso wie die ihm eigenen angenehmen Umgangsformen. Sie kannte ihn seit Monaten, mit der Zeit blühten auch die Gefühle für ihn auf. Gleich ob er anwesend oder auf Reisen war, Moluki bestimmte immer mehr ihr Fühlen, Denken, überhaupt ihr Dasein. Offenbar ging es ihm ebenso: Gestern Abend bat er sie, seine Ehefrau zu werden. Auch wenn in ihr mitunter die Idee aufstieg, wie es wäre, für immer an seiner Seite zu leben, mit ihm ihr Dasein zu teilen, war es dennoch eine unbeschreibliche Überraschung, diese Worte aus seinem Munde zu hören. Er hatte sie zu diesem Vorschlag in ein altes ehrwürdiges Hotel von Bukavu eingeladen. Sie haben gut gegessen und teuren Wein getrunken, dann hat er ihr aus heiterem Himmel dieses Angebot unter­breitet.

Jetzt im Bett in dem riesengroßen Zimmer dieses Hotels fragte sie sich, wie sie sich entscheiden würde. Ihre innere Stimme sagte trotz allem kategorisch „Nein“ zu einer solchen Verbindung. Nicht erst gestern Abend, bereits die Wochen zuvor als aus Zuneigung Liebe wurde, stellte sie sich die Frage, was wäre wenn … In ihren Träumen schwebte sie stets im siebenten Himmel, die Logik ihrer Alltagserfahrungen diktierten ihr jedoch ein absolutes „Nein“. Ihre Mutter war die dritte Frau ihres Vaters – er teilte das Bett mit ihr, um Kinder zu zeugen, auch sie, aber ihre Mutter hatte bei ihm keinen Wert. Diese Erfahrung prägte sie. Lolendo wusste von Anbeginn, dass ihr Geliebter in einer anderen Stadt, in Mbuji-Mayi, in Kasai, bereits mit zwei Frauen verheiratet war. Seinen gelegentlichen Beteuerungen, dass jede von ihnen gleiche Rechte hätte, schließlich sei dies seine Pflicht als Moslem, misstraute sie. Moslems dürfen keinen Alkohol trinken, aber Bier, Wein und Hochprozentiges gehörten zu seinem Lebensstil. „Ich bin ein französischer Moslem“, war seine gängige Begründung. Vielleicht ist er auch ein kongolesischer Moslem und hält es nicht so genau mit der Gleichbehandlung seiner Frauen? Lolendo reagierte überrascht und freudig auf seinen Vorschlag, aber zugleich ausweichend. Moluki hatte durchaus etwas zu offerieren: Er war ein reicher Geschäftsmann mit offen­bar ausgezeichneten Beziehungen nach Abu Dhabi, dem Mekka der Händler. Ihr Leben würde zumindest materiell sicherer werden, doch nicht nur das, er hatte darüber hinaus andere Vorzüge. Dazu gehörte das, was sie während der letzten Nacht wiederholt genossen hatte.

Lolendo stieg vorsichtig aus dem Bett, um Moluki nicht zu wecken. Als sie nach der Morgendusche zu ihm zurückkehrte, wurde sie von ihrem Liebhaber erwartet. Er zog sie erneut auf das Bett und begann, ihren Körper mit Küssen zu bedecken … Irgendwann nahmen sie in dem ebenfalls über­dimensionierten Bad gemeinsam eine Dusche. Lolendo wusste, dass sie eine Schönheit war und betrachtete sich zur Bestätigung in dem riesigen Spiegel: Groß, schlank, von der Natur gut ausgestattet. Ihre nicht gänzlich schwarze Haut, hatte in den letzten Wochen dank teurer Hautaufheller weiter an Schwärze verloren. Ihr etwas ovales Gesicht mit einer nicht allzu breiten Nase, wohlgeformten Lippen und ein wenig mandelförmigen Augen war sie gut anzuschauen. Lolendo bemerkte durchaus wie Moluki es genoss, sich mit ihr in der Öffentlichkeit zu zeigen, vor allem wenn Männer sich zu ihr um­drehten.

Als sie mit dem Fahrstuhl zum Frühstück ins Erdgeschoß fahren wollten, gab dieses altehrwürdige Ungetüm nur einen schwachen Brummton von sich. Der Aufzug mit dem schmiedeeisernen Schutzgitter, um den sich herum eine breite Treppe wandt, war dennoch bestaunenswert. Er reprä­sentierte ebenso wie die riesigen Zimmer die koloniale Pracht der Weißen noch Jahrzehnte nach der Unabhängigkeit. Als Moluki mit Lolendo am Arm diese bemerkenswerte Treppe hinab­schritt, schwärmte er von der ex­zellenten Erdbeerkon­fitüre in diesem Hotel, die aus der Umgebung von Bukavu stamme.

Moluki kam beim Frühstück nicht auf sein gestriges Angebot zurück. Er wusste, Lolendo brauchte Zeit. Sie hatte ihm vor Wochen von der tragischen Situation ihrer Mutter als dritte Frau ihres Vaters erzählt. Er informierte sie, dass er jetzt nach Kigali reise, um dort ein Flugzeug nach Nairobi zu nehmen. Erst beim Abschied an der Grenze zu Rwanda bat er seine Geliebte, über seinen Vorschlag nachzudenken – hoffentlich zu seinen Gunsten!

Gedankenverloren ging Lolendo zu ihrer Holz­hütte zurück, die sie sich mit ihrer Freundin Bozwi teilte. Der Unterschied hätte nicht frappierender sein können: Letzte Nacht das Luxushotel mit Resten kolonialer Pracht­entfaltung, heute ihre erbärmliche Holzhütte. Auch wenn sie es sich mit ihrer Freundin wohnlich eingerichtet hatte – es blieb eine kleine Holzhütte ohne Wasser, Toilette oder Kochgelegenheit. Sicherlich, besser als nichts, aber will sie immer so leben? Von Zeit zu Zeit erhielt sie von Moluki Zuwendungen, mitunter steuerte Bozwi etwas zum Lebensunterhalt bei. Aber schon die monatliche Miete für die Holzhütte war ein Albtraum, mehr noch der Vermieter. Vorsichtshalber hatte sie den mündlich vereinbarten Betrag auf Empfehlung eines Freundes nochmals handschriftlich zu Papier gebracht. Dies sollte für ein Jahr gelten, der Vermieter unterschrieb es sogar. Zwei Wochen später forderte er deutlich mehr Miete – was sind Verträge wert? Wegen einer solchen Vertragsverletzung die Justiz aufzusuchen? Nein, das ist sinnlos. Entweder man zahlt – oder man sucht sich etwas Anderes. Sie ärgerte sich noch immer über die Unverschämtheit dieses Mannes, während Bozwi diese Forderung mit Gleichmut akzeptierte. Lolendo schluckte ihren Ärger hinunter, das Angebot ihres Liebhabers war wichtiger, ja lebens­entscheidend. Sollte sie möglicherweise bis zu ihrem Lebensende in einer solchen Hütte ihr Dasein fristen oder besser in der Sicherheit einer Drittfrau leben, zumindest in einem richtigen Haus, wo Essen und Trinken stets verfügbar sein werden?

Wieder dachte Lolendo an ihre Mutter und an ihre Kindheit. Ihr Vater hatte Mutter sogar in einem guten Stadtviertel ein Haus gebaut, aber dann kam er immer seltener, bis er sich überhaupt nicht mehr sehen ließ. Vater stellte sogar seine Zuwendungen an seine Frau ein, er akzeptierte nur noch mich, seine Tochter, für Geldüberweisungen. Zum Leidwesen aller anderen in der Großfamilie schickte er nur mir Geld, das ich getreulich bei Mutter ablieferte. Bei allen anderen war er geizig. Ihr Neid war ständig zu spüren. Jedenfalls war Mutter allein mit ihren drei Kindern. Sicherlich gab es Tanten und Onkels, doch sie waren kein Ersatz für ihren Mann. Andere Männer wollte sie nicht, schon eine solche Idee lehnte sie ab. Dann wurde Mutter im Kopf krank, möglicherweise infolge der Zurückweisung durch ihren Mann. Die Behandlung war teuer, jedenfalls für unsere Verhältnisse. Als eines Tages überhaupt weder Geld noch Nahrung im Hause waren, wollte sie tatsächlich mit uns sterben. Sie verschloss alle Türen und Fenster; wir durften nicht hinaus, auf Klopfen reagierte sie nicht. Nur albtraumhaft dachte Lolendo an diesen Vorfall: „Sie hielt mir den Mund zu, wenn jemand vor der Tür nach uns rief. Ich hörte sogar meine Großmutter und die Tante! Die Geschwister waren zu klein, um das zu verstehen. Nach zwei oder drei Tagen gelang es mir, mich durch einen Spalt im Fenster zu zwängen und Hilfe zu holen. Damals war ich so dürr, dass die Flucht gelang. Dabei liebte Mutter ihre Kinder über alles.“

All dieses Elend hatte sich tief in Lolendos Seele eingegraben. Dabei war Mutter zum Zeitpunkt der Hochzeit, so hatte sie es wiederholt kundgetan, die glücklichste Frau der Welt! Doch dann holte sie die Realität des Lebens ein. „Bin ich auf dem besten Weg, in die gleiche Falle wie meine Mutter zu laufen?“, fragte sich Lolendo.

Sie kannte viele Freundinnen aus polygamen Familien, aber an welche Bekannte konnte sie sich wirklich fragen? Sie wollte jedenfalls nicht jeder Freundin ihr Verhältnis zu einem reichen Geschäfts­mann offenbaren. Ihre Gefährtin, mit der sie die Holzhütte bewohnte, war mehr oder weniger von ihrer Familie verstoßen worden als ihre Eltern starben. Sie verbrachte als Straßenkind eine schwierige Kindheit. Die in dieser Zeit zum Selbstschutz angeeigneten ag­gres­siven Instinkte, kamen noch heute mitunter bei ihr durch. Bozwi konnte sie auf keinem Fall fragen, die Angst vor einer Zukunft ohne Lolendo hätten mög­licher­weise sofort unbedachte Handlungen bei ihr aus­gelöst.

„Freundin Koyeba“, fiel Lolendo ein, „mit ihr werde ich sprechen! Sie kommt ebenfalls aus einer polygamen Familie, hielt sich aber stets bedeckt, was ihre Kindheit oder die Mutter anging. Sie könnte mir einen Rat geben!“

Sie lief einige Geschäftsstraßen entlang, bog in die Avenue Lumumba ein, suchte und fand die kleine Seitenstraße, von der eine noch schmalere Gasse zu einer Parzelle führte. Dort wohnte Koyeba neben einem würdigen Steinhaus in einem Unterschlupf aus Stein und Holz. Sie säuberte bei einigen Familien die Wohnung, erledigte kleinere Aufträge für sie, mitunter half sie den Kindern bei ihren Hausaufgaben. Lolendo hatte Glück, Koyeba war zu Hause, hatte sogar Zeit für sie. Koyebas Unterkunft sah von außen ziemlich trost­los aus, innen hatte sie es sich gut eingerichtet. Sicher­lich bescheiden, aber mit Geschmack und Liebe, wie Lolendo für sich konstatierte.

„Schick hast du es hier“, meinte Lolendo be­wundernd.

„Manchmal fällt etwas bei den Leuten ab, wo ich arbeite. Nach dem Tod meiner Mutter habe ich schnell ein paar kleine Möbelstücke mitgehen lassen, bevor die Familie meines Vaters alles abholt. Um dieses kleine Schränkchen gab es mächtigen Streit“, lachte sie. „Mein Vater wollte es aus irgendeinem Grunde zurück, aber es war nicht mehr da. Ich wusste auch nicht, wer es abtransportiert haben könnte. Keine Ahnung! Meine Geschwister haben andere Dinge mitgenommen. Warum auch nicht! Wir hätten alles weggetragen, leider fehlte die Zeit. Für die Beerdigung meiner Mutter rückte dieser Geizkragen keinen einzigen Franc heraus! Dabei liebte meine Mutter ihn bis zum Ende ihrer Tage“, schloss sie. Nach einem Moment kurzer Be­sinnung fragte sie Lolendo, was sie eigentlich zu ihr führe.

Lolendo erzählte ihr die Geschichte mit ihrem Liebhaber und ging auf sein Heiratsangebot ein. „Ich habe immer meine Mutter vor Augen und nie, wirklich nie, wollte ich die Zweit- oder Drittfrau von irgendeinem Mann werden. Doch mein Liebhaber ist ein reicher Geschäftsmann, er kann sicherlich drei Frauen und ihre Kinder unterhalten. Er ist Moslem und ihre Religion schreibt wohl vor, jeder Ehefrau die gleichen Lebensbedingungen zu garantieren.“

„Wenn ich jetzt sage, folge deinem Herzen, bist du wahrscheinlich auch nicht schlauer“, meinte Koyeba. „Einige Männer boten mir die Hochzeit an, traditionell versteht sich. Zwei von ihnen sagten wenigstens, dass sie bereits verheiratet wären. Auf einen Dritten wäre ich fast hereingefallen. Er beteuerte, dass er ledig sei, dabei hatte er schon zwei Frauen, die ihn ernährten – nicht umgekehrt! Ich habe hier mein Auskommen, wenn das Glück mir zufällig einen Mann beschert, dann denke ich über eine Hochzeit nach. Vorher werde ich aber prüfen, ob er die Wahrheit sagt oder schon eine mehr oder weniger Glückliche an seiner Seite hat. Ich sehe schon im Falle einer Hochzeit meinen werten Vater dem Brautgeld entgegenhecheln. Aber Drittfrau von irgendeinem Moslem werden? Nein danke!“

Koyeba stutzte einen Moment und lachte auf einmal schallend auf. „Das muss ich dir erzählen! Ich war mal kurz mit einem Moslem liiert, das war unglaublich! Wir wollten uns lieben, wir waren in den Kostümen, wie der Schöpfer uns geschaffen hat, er war ganz offensichtlich bereit – und dann? Du glaubst es nicht – nichts. Mein lieber Moslem erschrak und meinte, dass sein Fetisch ihm verboten habe, heute eine Frau zu lieben! Sprachs und stieg wieder in seine Hose. Ich zog danach einen Schlussstrich unter diese Affäre. Wenn ich heute daran denke, weiß ich noch immer nicht, ob ich heulen oder lachen soll! Lasse dich überraschen von deinem Moslem.“

„Na du hast seltsame Erlebnisse“, erwiderte kopfschüttelnd Lolendo. „Aber etwas anderes“, fuhr sie fort. „kennst du eigentlich Familien, wo Männer mit ihren Frauen einigermaßen in Frieden und Eintracht leben?“, fragte Lolendo ihre Freundin.

„Vielleicht auf dem Dorf, weit weg von den Städten, dort sind die Lebensbedingungen anders als hier. Offen gestanden bezweifle ich dennoch, dass dort alle in Frieden und Eintracht leben. Man kann sich auch um kleinste Dinge trefflich streiten! Und hier in Bukavu? Schaut man genauer hin, herrscht überall Eifer­sucht, Streit um materielle Zuwendungen, mit­unter heißer Krieg, öfter jedoch ein nervender Klein­krieg. Bei einigen Familien, wo ich die Wohnung säubere, hat der Mann eine Zweitfrau oder ein zweites Büro, die Erstfrau versucht das wegzustecken, aber es gelingt nicht auf Dauer. Irgendwann bricht sich die Erniedrigung Bahn und manifestiert sich. Dann ist Bürgerkrieg! Obwohl ich das Geld brauche, kündigte ich bei einer Familie. Das war nicht auszuhalten! Bei einer anderen Familie gab es fortwährend nur Auseinander­setzungen. Ich muss sagen, da hat die Frau dem Mann das Leben zur Hölle gemacht. Er wollte sich scheiden lassen, gab es aber auf. Ständig Streit mit der eigenen Großfamilie und die der Frau, mir tat dieser Mann wirklich leid. Letztendlich nahm er sich eine Zweitfrau und lebt bei ihr. Auch das gibt es.“

„Koyeba, deine Mutter war doch, wenn ich mich recht entsinne, Zweitfrau. Wie war das bei Euch? Stellte dein Vater auch irgendwann die Unterstützung für deine Mutter ein? Gab es überhaupt Probleme?“, wollte Lolendo wissen.

„Ob es Probleme gab?“, lachte Koyeba. „Die ganze Situation war ein einziges Problem! Fünf Tage in der Woche war Vater bei der Erstfrau, zwei Tage bei meiner Mutter. Während dieser zwei Tage war meine Mutter die liebste und netteste Frau der Welt. Die anderen fünf Tage war sie, liebe Mutter verzeih, ein Drachen! Bei jeder Kleinigkeit setzte es Schläge, gab es unendliche Schimpftiraden. Wir Geschwister gehen heute davon aus, dass dies aus einem Gefühl des steten Zurückgesetztseins entsprang. Eifersucht nagte fort­während an ihr und belastete uns alle. Mein Vater lebte mit seiner Erstfrau und ihren Kindern in einem schicken Steinhaus, wir in einem zugigen Holzhaus. Seine Kinder studierten, bei uns reichte das Geld nicht. Dabei war mein Abitur deutlich besser als das der Kinder der Erstfrau. Ich spreche von denen, die es überhaupt bis dahin schafften. Du merkst Lolendo, ich werde sar­kastisch. Es gab damals keine Beziehungen zwischen den Kindern der Erstfrau und uns. Auf uns schauten sie herab. Einbildung war eben ihre Bildung. Und heute? Einige haben bereits gut bezahlte Posten, andere studieren, ich bin Putzfrau. Entschuldige Lolendo, deine Frage hat mich wieder aufgewühlt. Eigentlich habe ich das alles in mir beerdigt, eine Frage reicht und es kommt wieder hoch.“

„Beantwortet hast du meine Frage nicht, aber mir den Weg aufgezeigt, was ich erleben könnte …,“ zog Lolendo vorsichtig Bilanz. Sie wusste, ihre Freundin würde sich hüten, ihre Frage zu beantworten.

„Warte, ich will dir noch etwas anderes er­zählen“, begann Koyeba erneut. „Eine Freundin meiner Mutter lebte in der gleichen Situation wie sie. Die Männer sind oft viel älter als ihre Frauen, jedenfalls starb ihr Mann. Die Trauerfeier fand auf der Parzelle des Mannes, also bei der Erstfrau statt. Die Freundin meiner Mutter und ihre Kinder hatten natürlich keinen Zutritt, obwohl sonst alle Welt dort war. Bei dem Trauergottesdienst in der Kirche schmuggelten sie sich heimlich unter all die Besucher. Was für eine Erniedrigung! Die Erstfrau saß, wie es sich gehört, in der ersten Reihe. Der Priester erwähnte stets nur die Erstfrau und ihre Kinder, obwohl sie auch nur traditionell mit dem Verstorbenen verbunden waren. Und dann die wiederholten Rufe des Priesters, dass in tausenden und abertausenden Jahren die Erstfrau mit dem Verstorbenen wieder vereint sein werde. Für die Zweitfrau gilt das offenbar nicht. So ist das Lolendo, das Leben einer Zweit- oder Drittfrau. Ach ja, dein Geliebter ist ein Moslem. Keine Ahnung wie es in ihrem Paradies für eine Drittfrau sein wird.“

Lolendo dankte ihre Freundin für ihre offenen Worte. Langsam ging sie nach Hause. Sie wusste, dass ihre Freundin die traurige Wahrheit sagte. Ist aber ihr Moluki auch so ein fieser Typ wie diese anderen Männer? Lolendo hatte Schwierigkeiten, sich das vorzustellen. Andererseits waren all diese Frauen auch verliebt gewesen als sie Ja zu einer Ehe als Zweit- oder Drittfrau sagten. Zumindest garantierte Moluki ihr und ihren künftigen Kindern mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Leben in materieller Sicherheit. Jetzt war sie für sich selbst Mama und Papa, hatte niemanden. Auf die Mitbewohnerin ihrer Holzhütte konnte sie jedenfalls nicht zählen. „Was passiert, wenn ich wirklich ernsthaft erkranke? Eines Tages will ich auch Kinder haben, aber besser als Zweit- oder Drittfrau eines Mannes als mit einem verschwundenen Mann.“

Lolendo prüfte in den kommenden Tagen immer wieder ihr Inneres und fragte sich, was ist richtig, was ist falsch? Sie begann auch eine völlig andere Möglichkeit abzuwägen, die immer wieder mal vage, mal stärker im Raum stand. Ein etwas undurchsichtiger Freund einer Bekannten organisiert Reisen nach Westeuropa. Viele tausend Dollar sollen sie kosten und obendrein gefährlich sein. „Eigentlich brauch ich nicht darüber nachzudenken. So eine Dollar-Summen habe ich noch nie gesehen, von besitzen will ich überhaupt nicht reden. Andererseits soll es Geschäftsleute geben, die für eine solche Reise einen Kredit gewähren. Ob es tatsächlich das Paradies ist, wie manche meinen? Einerseits spricht man davon, dass dort hart gearbeitet wird, andererseits sollen selbst Arbeitslose mit dem Auto zum Arbeitsamt fahren, um dort Geld abzuholen!“

„Wie werde ich mich entscheiden? Wie wird meine Zukunft aussehen?“, fragte sich Lolendo.



Großfamilien-Bande

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