Читать книгу Jennings, Erdprotektor - Joachim Reinhold - Страница 10
Engel und Teufel
ОглавлениеEine alles verzehrende Helligkeit. Die Farbe Weiß ist zu dunkel und zu kalt, um das grelle heiße Licht zu beschreiben. Bunte Reflexe verdichten sich hinter meinen geschlossenen Augenlidern zur Farbe Pink. Bin ich tot?
Ich öffne die Augen, blinzele. Es dauert ein paar Minuten bis ich einwandfrei sehen kann. Das Jenseits ist eine pinkfarbene Hohlkugel mit einem Schönheitsfehler: Ich sitze nackt auf einem Stuhl, gefesselt, und starre ins Leere. Mein Körper fühlt sich an, als hätte eine Horde Elefanten auf ihm Tango getanzt.
Glück im Unglück. Gefesselt zu sein, kann nur eines bedeuten: Die SAS hat in letzter Sekunde zugeschlagen und uns herausgeholt. Inzwischen ist mein Gesicht bekannt, zweimal in wenigen Tagen der SAS in die Hände zu fallen, spricht nicht gerade für meinen guten Ruf. Egal, ich lebe. Alles andere wird sich regeln.
Katee. Philipp. Die Erinnerungen stürzen brutal auf mich ein. Um mich herum herrscht Totenstille, und mein Unbehagen wächst, beginnt an meiner Seele zu kratzen. Meine Blase drückt.
»Hey!«, brülle ich. »Ich muss auf die Toilette! Bitte! Ich mache Ihnen auch keine Schwierigkeiten. Versprochen!«
Meine Worte verhallen im Nichts. Minuten verstreichen. Der Druck geht in stechenden Schmerz über. Sich im Schlamm von Stonehenge in die Hose zu machen ist das eine, hier, in dieser als klinisch zu bezeichnenden Zelle sträube ich mich, auf den Boden zu pinkeln. Ich keuche, kämpfe. Zwecklos. Beschämt, aber erleichtert höre ich, wie das Rinnsal auf den Boden plätschert.
»Guten Morgen«, haucht eine sanfte Frauenstimme hinter mir.
Wäre ich nicht gefesselt, würde ich augenblicklich im Boden versinken. Ich suche krampfhaft nach reinigenden Worten, leider will mir nichts Vernünftiges einfallen. Während meine Gedanken Purzelbäume schlagen, kriecht ein widerlich süßer Geruch nach Bienenhonig und Mandeln in meine Nasenflügel. So ekelerregend süß und betäubend, dass ich für einen Moment befürchte, in einer Gaskammer gelandet zu sein.
Die Frau legt ihre Hand behutsam auf meine rechte Schulter. Ich drehe ihr den Kopf zu, viel mehr als ihren Schatten kann ich nicht erhaschen. Offenbar möchte sie nicht, dass ich sie näher in Augenschein nehme.
Mir wird übel. Wie es ein Mensch in einer solchen Duftwolke aushalten kann, ist mir schleierhaft. Noch befremdender ist mir die Vorstellung, dass man von diesem Pesthauch einen Ständer kriegen kann. Aber genau das passiert! Mein kleiner Kumpel schwillt an und wird steinhart. Doch es kommt noch schlimmer: Ich beginne zu phantasieren, kralle mich an die metallenen Stuhllehnen, schreie vor Ekstase, bettele um Erlösung. Ohne dass ich es verhindern kann, spannt sich mein Beckenboden an und beginnt rhythmisch zu zucken. In meiner Vorstellung bohre ich mich wie ein Speer in die Frau hinein. Im Gegenzug sticht eine dicke Nadel langsam in meine Halsvene. Eiskalte Flüssigkeit schießt durch meine Adern, beendet den Gestank und auch meine Erektion.
Mein Herz beruhigt sich langsam, ich schnappe nach Luft.
»Entschuldige. Es war nicht meine Absicht, dich unnötig zu quälen. Du verträgst meine Pheromone nicht. Wie es aussieht, hat man dir das AntiNy nicht gespritzt?«
Die Sache mit dem AntiNy überhöre ich, lediglich das Wort Pheromone bleibt in meinem Bewusstsein hängen. Gut, dass ich gefesselt bin. Am Ende wäre ich aufgesprungen und hätte mich an meiner Besucherin vergriffen. Ich lasse den Kopf hängen.
»Ich heiße Ny'Chelle.«
Ihre Stimme hat den Tonfall einer lieben Freundin. Ny'Chelle streicht mir behutsam über die Wange, gibt mir einen Hauch von menschlicher Wärme. Eine Sekunde später fahre ich zusammen. Ny'Chelle greift mir von hinten in den Schritt und kratzt mit ihrem Fingernagel über die Eichel.
»Hey, was soll das?«, rufe ich mit zusammengepressten Lippen. Ich höre, wie Ny'Chelle ihren Finger genüsslich ableckt.
»Dein Samen schmeckt blutig. Wann hattest du deinen letzten Erguss?«
»Das geht Sie einen verdammten Scheißdreck an! Hände weg von meinem Schwanz!«
Ny'Chelle lacht glockenhell. »Männer! Hättet ihr häufigeren Sex und würdet ihr weniger Milch trinken, hättet ihr auch weniger Probleme mit eurer Prostata.«
»Wen interessiert das?«
Ausgebrannt habe ich keine Lust auf eine andrologische Beratung. Meine Peinigerin scheint das ähnlich zu sehen und tritt in mein Sichtfeld. Ihr Anblick ist atemberaubend und nicht von dieser Welt. Sie ist hochgewachsen und trägt einen knallengen, hautfarbenen Einteiler. Außer ihren Händen und Füßen spart er zwei weitere Körperteile aus: Ihren Kopf mit hüftlangen, weißblonden Haaren sowie ihre weiß gefederten Engelsflügel.
Mir fällt ein Stein vom Herzen. Entweder rase ich im Krankenwagen einer ungewissen komatösen Zukunft entgegen oder ich bin tot und trotz meiner Sünden im Himmel gelandet. Statt Petrus hat mich Erzengel Ny'Chelle in Empfang genommen und mir zur Begrüßung einen phantastischen Orgasmus beschert. Was für ein Start ins ewige Leben! Ny'Chelle blickt mich aus rotgoldenen Augen und einem von Make-up unpervertierten Gesicht an. Ich schmachte für den Moment, an dem sie mich losbinden und ich mich in ihre Arme schmiegen würde. Da bekommt meine neue Flamme einen Lachanfall und entblößt ein grässliches Raubtiergebiss mit langen, spitzen Reißzähnen. Die Göttin hat sich verabschiedet und den Satan hervorgekehrt.
»Programm starten!«, befiehlt sie und fixiert mich wie die Schlange das Kaninchen. »Wir gehen wie folgt vor: Du beantwortest meine Fragen, und dafür garantiere ich dir einen schmerzlosen Tod. Einverstanden?«
Ein heftiger Stich fährt mir durchs Herz. Habe ich entgegen aller Wahrscheinlichkeiten am Ende überlebt? Falls ja, wie passt Ny'Chelle ins Bild? Sie ist kein Mensch. Bestenfalls ein Produkt meiner in Stonehenge zerbrochenen Psyche. Nein, es gibt nur zwei Möglichkeiten: Ich bin tot, das Jenseits ist anders, als es uns die Pfaffen weismachen wollen, oder ich bin in einem Albtraum gefangen. Ich entscheide mich, das Beste aus meiner Situation zu machen und wähle den Weg des geringsten Widerstandes: Kopfkino. Film ab!
»Einverstanden«, sage ich und empfinde plötzlich Freude an meiner ungewöhnlichen Rolle. »Was möchten Sie wissen?«
»Wir haben zwei Fragen an dich: Erstens, wie bist du hier hergekommen, und zweitens, wie lautet das Passwort?«
Ich muss laut lachen, der Traum ist mehr als merkwürdig. »Ich habe keine Ahnung, sorry.«
Ny'Chelle wird ungeduldig, fühlt sich offensichtlich von mir veräppelt. Ihr Antlitz verfinstert sich, und ich versuche, den verständnisvollen Helden zu mimen.
»Also gut, ich hätte nicht lachen dürfen. Es tut mir leid. Ich wollte Sie nicht verärgern. Ehrlich! Ich habe keine Ahnung, wie ich auf diesen Stuhl gekommen bin.«
Eine Sonne explodiert in meinem Kopf. Mein lauter, markdurchbohrender Schrei geht in einem kläglichen Wimmern unter. Ny'Chelle hat ohne Vorwarnung meinen kleinen rechten Finger gepackt, nach hinten gebogen und mit einem dumpfen Knirschen gebrochen. Nebel wallt vor meinen Augen. Jenseits und Kopfkino adé, ich lebe und bin bei vollem Bewusstsein!
»Du hast noch neun Finger, zweiunddreißig von Karies befallene Zähne und zwei Augen«, flüstert Ny'Chelle und bläst mir ihren heißen Atem ins Ohr. »Bitte zwinge mich nicht bis vierundvierzig zu zählen.« Ich spüre, wie sie meinen Ringfinger umschließt.
»Bitte! Ich weiß nicht, wovon Sie reden.«
Das Knacken meiner Knochen geht in einem weiteren Schrei unter. Gegen Ny'Chelles Praktiken sind Ironfists Methoden ein freundliches Tätscheln gewesen.
»Mach dir keine falschen Hoffnungen, auf diesem Stuhl hat bisher jeder Mensch ausgepackt. Da deine Beseitigung beschlossene Sache ist, appelliere ich an deine Vernunft: Wozu lange leiden?«
Ihre eiskalte Logik jagt mir eine Heidenangst ein. Ich werfe mich in meine Fesseln, sacke kraftlos in den Sitz zurück. Wo um alles in der Welt bin ich?
»Bitte, ich möchte ja kooperieren! Aber ich weiß nicht, was Sie von mir wollen.«
Knack.
Ein weiterer Schrei und mein Mittelfinger ist Geschichte.
»Ich war mit meinen Freunden in Stonehenge«, stottere ich. »Mit Katee und Philipp. Chucky hielt eine Rede. Dann kamen die Schlächter.«
Ny'Chelle umklammert meinen Zeigefinger, zögert. »Weiter.«
»Die Terroristen stellten ein Ultimatum.«
»Davon wissen wir. Das Ultimatum lief ab, ohne dass den Forderungen nachgegeben wurde. Bitte langweile mich nicht.« Der leichte Druck um meinen Zeigefinger sagt mir, dass ich mich beeilen muss.
»Okay, okay, das wissen Sie. Katee wurde ermordet, Philipp und ich saßen bei ihr. Irgendwann ging die Bombe hoch.«
Knack.
»Damit wir uns verstehen: Das AntiNy verhindert, dass du vor Schmerz ohnmächtig wirst.«
Ich brauche ein paar Sekunden, bis ich die Bedeutung ihrer Worte verarbeitet habe. Mein Daumen befindet sich bereits in ihrer Klaue.
»Da war nichts. Ich schwöre! Ich dachte, wir wären tot. Oder tödlich verletzt, im Koma, Sie ein Engel. Was weiß ich?«
Zu meiner Überraschung lässt Ny'Chelle meinen Daumen los und beginnt nervös im Kreis zu laufen. Bei jeder Runde verschwindet sie für einen kurzen Moment hinter mir. Ich habe panische Angst, sie könnte mich von hinten durchbohren, mir das Genick brechen oder meine Eier abreißen. Plötzlich spüre ich den Druck ihrer Reißzähne an meiner linken Halsschlagader. Ich halte die Luft an, warte auf den tödlichen Biss.
»Ich glaube dir«, wispert sie und ich fühle, wie ihre Zunge über meinen Hals in mein Ohr wandert. »Machen wir weiter, ja? Deine Erinnerung endet mit der Zündung des nuklearen Sprengkopfes. Und du weißt nicht, wo du bist? Korrekt?«
»Ich habe keinen blassen Schimmer.« Ich zittere. »Wie kann es sein, dass ich eine Atombombenexplosion überlebt habe? Sagen Sie es mir. Vielleicht hilft das, mich zu erinnern.«
»Warum nicht?«, sagt Ny'Chelle und setzt ihre Wanderung fort. »Im Moment der nuklearen Explosion hat sich das energetische Potenzial von Stonehenge mit dem unserer Basis überlappt. Du befindest dich nach wie vor in der Region um Stonehenge, jedoch nicht in deiner gewohnten Umgebung, sondern in Morgiana's Lair. Das muss dir genügen.«
Morgiana's Lair? Eine Eisschicht legt sich um mein Herz und presst es zusammen. Ich habe gehofft, einen Hinweis auf meine Lage zu bekommen, irgendetwas, stattdessen ist das Rätsel noch größer geworden. Ich schüttele hilflos den Kopf.
»Das dachte ich mir«, nickt Ny'Chelle verständnisvoll. »Machen wir Schluss, okay? Gib mir das Passwort, und ich erlöse dich von deinen Schmerzen.«
Meine Hand ist gebrochen, mein Leben gelaufen. Ich habe nichts mehr zu verlieren. Bereitwillig spreize ich den Daumen ab und biete ihn meiner Kerkermeisterin an. »Ich weiß nichts von einem Passwort.« Ich schließe die Augen und warte auf die erneute Explosion in meinem Kopf.
»Bewundernswert.«
Ich zermartere mir das Gehirn. Als Computerfreak bin ich im Internet nicht immer mit legalen Tools unterwegs, lade mir runter, was das Uni-Modem hergibt. Aber Passworte hacken? Nein, ich respektiere die Privatsphäre anderer Leute.
»Haben Sie ein Zugriffsprotokoll, ein Logfile? Falls ja, bin ich gerne bereit, nach Ihrem Passwort zu suchen.«
Ny'Chelle verzieht verächtlich die Lippen. »Wie du willst«, sagt sie und rollt einen kleinen Beistellwagen in mein Blickfeld.
Auf ihm liegt ein mit schwarzen Tüchern verhüllter Gegenstand. Ein letzter fragender Blick in meine Richtung, und Ny'Chelle entfernt die Tücher vom Wagen. Katees längs gespaltener Schädel samt seinen fein präparierten Hirnhälften und der silbernen Kugel zwischen Groß- und Kleinhirn tanzen vor meinen Augen. Kurz drifte ich weg und wieder zurück. Mein Mund schäumt, der Anfall kämpft um die Kontrolle über meinen Körper, schafft es nicht. Ich würge, mein Magen zieht sich zusammen, ich erbreche Gallensaft.
»Nehmen Sie das weg. Bitte!«
Ny'Chelle denkt nicht daran. »Du kannst dir die Show sparen. Deine Epilepsie versucht die psychochemische Bindung des AntiNy zu kompensieren. Das wird nicht funktionieren. Gib mir den Zugangscode und ich erlöse dich.«
»Wofür?«, hauche ich und warte sehnsüchtig auf die Bewusstlosigkeit.
»Zum K-db!«
K-db! Die Erkenntnis jagt einem Stromschlag gleich durch meinen Körper. Da war es: Katees unheimliches Gestammel. »Hd-k-db.«
»Ich weiß nichts von einem KahDehBeh.«
»Du willst mir allen Ernstes sagen, dass du seit über einem Jahrzehnt ein HD dein Eigen nennst, das Ding gevögelt hast, ohne zu wissen, was da in deinen Armen gelegen hat?«
»HahDeh?«
Ny'Chelle verliert die Fassung, holt Luft und brüllt mit aller Kraft in mein rechtes Ohr.
»Human device! Und wenn ich nicht sofort das Passwort zum Kernel Debugger bekomme, reiße ich dir dein Herz raus und fresse es vor deinen brechenden Augen.«
Ein Zittern geht durch ihren Körper, ihre makellosen Züge morphen zu einer Fratze des Grauens. Das Raubtiergebiss schiebt sich weiter aus ihren Kiefern hervor, ihre rot-goldenen Augen erlöschen und werden pechschwarz. Ein Grauschleier fegt über ihr Federkleid und lässt es rapide altern. Passend zum Gebiss verformen sich die Fingernägel zu rasiermesserscharfen Krallen. Die Kreatur wird von schweren Hustenanfällen heimgesucht, geifert grünen Speichel. Federn lösen sich aus ihren Schwingen, schweben zu Boden. So schnell der Spuk gekommen ist, verschwindet er, und Ny'Chelles menschliche Züge kehren zurück. Ihr gelichtetes Federkleid bleibt schmutzig grau.
»Entschuldigung!«, stammelt sie und verlässt fluchtartig die Kammer.
Katee, ein human device? Ein menschliches Gerät? Und der Hd-k-db, ein human device kernel debugger? Ein Werkzeug zum Auffinden, Diagnostizieren und Beheben von Fehlern in einem Computersystem? Debugger funktionieren auf unterster Ebene, bevor das Betriebssystem geladen wird. Soll das heißen, dass der Computer Katee durch Schüsse beschädigt worden ist und das Notprogramm, den Debugger gestartet hat? Dieser hat Katees Körper übernommen und mit untotem Leben erfüllt? Oh, mein Gott! Das Stottern ist keine Botschaft gewesen, sondern eine Eingabeaufforderung.
Meine Zähne rammen sich in die Unterlippe. Der Geschmack von Blut drängt die epileptischen Nebel in meinem Kopf zurück. Wie die Segmente einer Pusteblume setzt sich das mörderische Puzzle zusammen. Mein bisheriges Leben zerplatzt wie eine Seifenblase.
Es raschelt, und meine Peinigerin kehrt in Begleitung zweier Roboter zurück. Sie sind knapp zwei Meter groß und aus einem flexiblen, goldglänzenden Werkstoff gefertigt. Ihre Bewegungen sind geschmeidig, lautlos und ohne Faltenbildung an den Gelenken. Die Maschinen sind geschlechtslos und verfügen über einen, den Kopf umspannenden, schwarzen Wulst. Ihre Existenz erdrückt mich, es bedarf keiner Anstrengung, ihren Zweck zu erraten: Henker.
Lauwarme Metallpranken umfassen meine geschwollenen Handgelenke. Ich schreie vor Schmerz. Die Fesselungen öffnen sich, und ich werde in die Höhe gewuchtet.
»Ich hatte dir einen schmerzlosen Tod angeboten, doch ohne Passwort sehe ich keinen Grund, mein Versprechen zu halten. Die Gladiatroniken sind hier, um deinem Erinnerungsvermögen auf die Sprünge zu helfen. Sie werden dir unmissverständlich zeigen, was es heißt, den starken Mann spielen zu wollen.«
»Wie ich Ihnen sagte, ich habe kein Passwort. Ich weiß nur, dass Sie das Abscheulichste sind, was mir in meinem kurzen Leben begegnet ist. Gegen Sie sind selbst die Mörder meiner Freundin Heilige.«
»Es reicht! Befehl 33: Bis zum Tod. Fort mit ihm!«
Die seelenlosen Maschinen nicken devot, schleppen mich aus der Kammer und einen röhrenförmigen Gang entlang. An seinem Ende öffnet sich ein Schott und gibt den Blick auf eine weitere Folterzelle frei. Statt eines Stuhls stehen zwei Pfähle im Abstand von weniger als zwei Metern mitten im Raum. Beide Pfähle verfügen über Hand- und Fußschellen. Ich werde wie ein X zwischen den Pfählen aufgespannt. Die Schmerzen in den Händen sind unbeschreiblich.
Die Killermaschinen ziehen Stacheldrahtruten aus ihren Fingerspitzen. Mein Herz rutscht in die nicht vorhandene Hose. Ich verstehe, was Befehl 33 bedeutet: Entweder ich rede, oder ich werde in Stücke gepeitscht.
Die Maschinen fahren ihren Augenwulst hoch. Ein dunkelroter Punkt leuchtet auf und ehe ich schreien kann, beißen sich die Ruten durch meine Brusthaut. Meine linke Brustwarze klatscht an die Wand, mein Blut spritzt durch die Zelle. Schlag um Schlag reißen mir die Ruten das Fleisch von den Knochen. Als ich meine Rippen sehe, versagt meine Stimme, wird kraftlos und geht in ein heiseres, wahnsinniges Kichern über.
Plötzlich kommt die Erkenntnis. Das Wort! Klarer als jede Erinnerung an mein bisheriges Leben und intensiver als alle erlittenen Schmerzen. Ich flüstere das Wort, und die Gladiatroniken stoppen ihr unheiliges Werk augenblicklich.
»Sternenprinz.«
Die Augenwülste, besser gesagt, die Visiere schließen sich. Die Maschinen verlassen das Schlachthaus. Wie durch dichten Nebel sehe ich, wie meine Brustwarze langsam an der Wand heruntergleitet und eine Blutspur hinterlässt. Ich werde bewusstlos.
Langsam öffne ich die Augen, blicke erneut in pinkfarbenes Licht. Ich sitze auf einem Stuhl, bin ungefesselt und stecke in einem sauberen, pyjamaähnlichen Kleidungsstück. Vor mir steht Ny'Chelle, breitbeinig und mit vor geschrumpften Brüsten verschränkten Armen. Ihre Augen sezieren mich. Ihre Attraktivität ist verschwunden, sie wirkt ungepflegt und zerzaust. Sie seufzt, verliert weitere Federn.
»Manchmal geschehen Zeichen und Wunder.« Ihre Stimme klingt wie eine Entschuldigung.
Seltsam, denke ich und blicke verwundert auf meine geschundene Hand. Anstelle dicker Verbände und Schmerzen fühle ich glatte Haut und intakte Knochen. Auch die Brustwarze ist dort, wo sie sein soll. Gähne und begebe mich erneut in Morpheus Arme.
Leiden. Schlafen. Sterben und erwachen. Ich fühle eine Liege in meinem Rücken, jemand räuspert sich. Ich hebe meinen Kopf. Ein paar Meter vor mir steht ein Mann in militärischer Grundhaltung. Das Gesicht zur Wand, den Rücken mir zugedreht. Kurzes, graues Haar bedeckt seinen Hinterkopf. Wie Ny'Chelle trägt er einen Einteiler. Pechschwarz. Hat Ny'Chelles Bekleidung ihre erotische Ausstrahlung unterstrichen, wirkt der Mann in seiner Bekleidung autoritär und kompromisslos. Seine Anwesenheit verspricht nichts Gutes.
»Hey!«, rufe ich und versuche seine Aufmerksamkeit zu erregen.
Er reagiert nicht. Ich versuche aufzustehen. Meine Beine sind Wackelpudding, drohen nachzugeben. Vielleicht ist es besser, zunächst auf der Liege sitzen zu bleiben.
»Das ist weise«, sagt der Mann mit scharfer und befehlsgewohnter Stimme. Sie duldet keinerlei Widerspruch. »Die zwei Wochen im Analysetank haben deinen Kreislauf auf ein Minimum heruntergefahren.«
»Wer sind Sie? Was wollen Sie von mir?«
Langsam schaffe ich es, die Kontrolle über meine Beine zurückzugewinnen. Ich drücke mich hoch und schwanke wie der Glöckner von Notre-Dame meinem Besucher entgegen. Dieser bleibt regungslos.
»Hallo? Ich rede mit Ihnen.«
»Halt den Mund, Thomas!« Der Mann dreht sich um, und ich blicke in die Augen meines Vaters.
Mein Herz setzt aus. Das kann nicht sein. Mein Vater ist tot. Er wurde ermordet, kurz vor meiner Geburt. Ich zittere, suche Halt am Rand der Liege.
Der Mann ähnelt meinem Vater, wie ich ihn auf Mutters Fotos in Erinnerung habe: zwar knappe fünfundzwanzig Jahre älter, aber das gleiche kantige Gesicht und die graugrünen Augen.
»Wer sind Sie?«, flüstere ich haltlos.
Meine Beine geben nach, ich stolpere und falle durch ihn hindurch. Eine Sinnestäuschung?
Mein Gott, wie oft habe ich das Grab meines Vaters in Arlington besucht? Wie oft habe ich bitterlich geweint, meinen Schmerz in den Himmel geschrien? Nein, mein Vater ist tot. Und die Erscheinung ein neuer Schachzug Ny'Chelles um mich weichzukochen.
Das look-a-like meines Vaters schaut kalt auf mich herab.
»Ich bin dein Vater, aber das ändert nichts an deiner Situation. Du bist ein ungebetener Gast, ein Relikt, das es zu beseitigen gilt.«
»Ny'Chelle?«, schreie ich ins Leere. »Hören Sie auf! Der Mann ist nicht mein Vater! Meine Mutter hat Kyle geliebt. Dieser Kyle könnte und würde niemals seinen eigenen Sohn töten lassen.«.
Die Projektion meines Vaters flimmert und erlischt. Ein Schott öffnet sich. Ny'Chelle tritt ein, wirkt fassungslos.
»Habe ich das richtig verstanden? Er will dich beseitigen lassen?«
»Wollten Sie das nicht?«, frage ich verstört und rappele mich hoch. »Davon abgesehen, haben Sie mir nicht genug Schmerzen bereitet? Können Sie nicht wenigstens meine Eltern aus dem Spiel lassen?«
»Sein Codename ist Merlin. Er ist seit 1978 der Oberbefehlshaber des Sonnensystems, präsidialer Senator und unser zweiter Erdprotektor. Ich spiele nicht mit dir. Merlin ist Kyle Steward Francis Jennings. Dein Vater.«